Protokoll der Sitzung vom 09.11.2000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem in der Überschrift zum Ausdruck kommenden Anliegen haben wir uns gemeinsam, auch mit wortgleichen Anträgen, bekannt. Über den Weg gibt es nach wie vor Differenzen. Wenn Sie jetzt das Anliegen als erledigt betrachten, werden wir uns der Stimme enthalten.

(Herr Bischoff, SPD: Den Antrag! Nicht das An- liegen!)

- Entschuldigung. Wenn Sie den Antrag als erledigt betrachten, werden wir uns der Stimme enthalten.

Ich will noch einmal unsere Bedenken hervorheben. Wir warnen angesichts bestehender breiter gesellschaftlicher Institutionen, die den Auftrag der Bewusstseinsbildung übernehmen können, vor einem Handlungskonzept, das unter Umständen vor Ort als staatliche Kampagne mit der Gefahr einer vormundschaftlichen Wahrnehmung erlebt werden könnte.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der DVU- FL)

Wir glauben, dass genau die Ziele, die Sie propagieren und auf die wir uns geeinigt haben, letztlich nur überzeugend aus einer individuellen Wertehaltung und aus eigener Gewissensstärke kommen können und dass hierbei gewissermaßen kollektive Erziehungsprogramme fehlgehen können.

Über den zweiten Fehler müsste ich etwas ausführlicher reden, weil er beginnt, Blüten zu treiben. Wir sehen die große Gefahr, dass unter der angegebenen Überschrift inzwischen eine Instrumentalisierung stattfindet, die sich sogar gegen demokratische Kräfte wendet.

(Beifall bei der CDU und bei der DVU-FL)

Der Kollege Gärtner hat in einem Aufsatz für das „Neue Deutschland“ Folgendes gesagt - ich zitiere mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident -:

„Der bayerische Innenminister Beckstein kann sich im Sessel zurücklehnen und sich als konsequenter Kämpfer gegen Rechts feiern lassen, denn er war es, der im Sommer die Frage des NPD-Verbotes auf die politische Tagesordnung setzte.“

Nun kommt es:

„Schnell konnte sich die CSU damit aus der Diskussion herausnehmen und von ihrer eigenen revanchistisch, rassistisch und zum Teil nationalistisch geprägten Politik ablenken, die genau das ausmacht, was man als aus der Mitte der Gesellschaft kommend definiert.“

Meine Damen und Herren von der PDS, da Herr Gärtner selbst nicht da ist, bitte ich, ihm Folgendes zu sagen:

Erstens. Die CSU ist eine der bedeutendsten politischen Kräfte, die den Aufbau der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im freien Teil Deutschlands vorangetrieben hat,

(Beifall bei der CDU und bei der DVU-FL)

und zwar in einer Zeit, in der die SED Diktatur und Unterdrückung im Osten Deutschlands betrieben hat.

Zweitens. Unter der Führung der CSU ist der Freistaat Bayern zu einem deutschen Musterland nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch als humanistisches Gemeinwesen geworden.

(Beifall bei der CDU und bei der DVU-FL)

Drittens. Herr Gärtner hat viel Spielraum, wenn er sich - da kann er Verfassungsschutzberichte lesen - mit extremistischen Tendenzen, die noch immer in seiner eigenen Partei zu Hause sind, auseinander setzt.

(Beifall bei der CDU, bei der DVU-FL und bei der FDVP)

Ich möchte mich in diesem Zusammenhang einer zweiten Kritik stellen. Ich habe in der unvermeidbaren Diskussion über die Zukunft der Ausländer- und Ein

wandererpolitik einen produktiven Umgang mit dem Begriff „Leitkultur“ angemahnt. Der Vorsitzende des Vereins „Miteinander“, Herr Tschiche, hat mich einen geistigen Brandstifter genannt.

(Herr Schulze, CDU: Unverschämtheit!)

Meine Damen und Herren! Ich darf mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, ein Zitat verlesen und den Autor erst hinterher nennen:

„Ein Deutschland, das aus lauter Gettos besteht, ein paar für Türken, ein paar für Griechen, ein Dutzend für Deutsche, das kann nicht das Ziel sein. Integration bedeutet zwangsläufig ein gutes Stück Assimilation an die deutsche Leitkultur und deren Kernwerte.“

Das Zitat stammt aus der „Zeit“ vom 16. Juli 1998. Der Autor ist Theo Sommer, der Chefredakteur der „Zeit“. Meine Damen und Herren! Wenn ich ein geistiger Brandstifter bin, müssen Herr Sommer und viele andere auch als geistige Brandstifter bezeichnet werden.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der DVU- FL und bei der FDVP)

Wenn Herr Tschiche den Kreis so weit ziehen will, soll er dies tun. Es trägt jedoch nicht zur Ernsthaftigkeit seines Anliegens und zur Akzeptanz des Vereins bei, für den er zu arbeiten beginnt. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU, bei der DVU-FL und bei der FDVP)

Herr Dr. Bergner, der Abgeordnete Herr Rahmig möchte eine Frage stellen. Sind Sie bereit, diese zu beantworten? - Bitte, Herr Rahmig.

Herr Dr. Bergner, wir haben am Fernsehapparat den Höhepunkt der Rote-Armee-Fraktion erlebt mit vielen tragischen Opfern. Es gab damals im Deutschen Bundestag - wir konnten uns damals noch nicht öffentlich dazu äußern - den Zusammenhalt der Demokraten, gegen dieses Geschehen einmütig aufzustehen. Warum weigern Sie sich jetzt, wo die Gefahr eindeutig aus der rechten Ecke kommt, sogar in Anbetracht der Anzahl der Opfer - wenn man das überhaupt aufrechnen kann -, diesen Einspruch gegen Rechts so eindeutig zu formulieren?

(Zustimmung bei der SPD, von Frau Tiedge, PDS, und von der Regierungsbank)

Herr Kollege Rahmig, ich darf Sie daran erinnern, dass wir in diesem Landtag einen wortgleichen Antrag verabschiedet haben und uns damit zu der Gemeinsamkeit bekannt haben, die Sie eben angemahnt haben.

Ich möchte Sie auf einen kleinen Lapsus Linguae oder vielleicht mehr hinweisen. Ich bitte Sie ausdrücklich - ich fühle mich persönlich nicht angesprochen; es geht mir als Demokrat darum -, nicht so pauschal von Aktivitäten und Zusammenstehen gegen Rechts zu sprechen. Auch das Forum Ostdeutschland der SPD hat jetzt einen Kongress „Steh auf gegen Rechts“.

Meine Damen und Herren! Ein demokratisches Spektrum kann nur so genannt werden, wenn es neben der Mitte zwei Flügel hat. Wir sollten uns darauf verständigen, dass es uns um Extremisten geht. Ich kann Ihnen eine ganze Menge ehrenwerte Demokraten, von Alfred Dregger bis Franz Josef Strauß, nennen, die für sich durchaus beansprucht haben, dass sie rechts standen. Sie haben aber in dieser Position der Demokratie einen wichtigen Dienst erwiesen.

Deshalb sollten wir nicht den Versuch machen - und sei es nur durch leichtfertige Begriffsbildung -, das demokratische Spektrum an einer Seite zu amputieren. Damit nützen wir nicht, sondern schaden der Demokratie. Deshalb bitte ich um eine konkrete Wortwahl.

(Beifall bei der CDU, bei der DVU-FL und bei der FDVP)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zum Abstimmungsverfahren.

(Zuruf von Herrn Bischoff, SPD)

- Entschuldigung, Herr Bischoff hat das letzte Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, für meine Fraktion sagen zu dürfen, dass es richtig war, vor eineinhalb Jahren diesen Antrag in die Landtags- debatte eingebracht zu haben.

(Zustimmung von Frau Wiedemann, SPD)

Das war damals und ist wahrscheinlich heute noch gegen den Willen der CDU. Dr. Bergner hat sich damals eher über diesen Antrag amüsiert und hat von Huldigung an die Landesregierung gesprochen. Sie erinnern sich.

Es war richtig, dass die Landesregierung bereits am 2. März 1999 ihre Vorstellungen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und für mehr Demokratie und Toleranz vorgestellt hat. Sie setzt dies seit dieser Zeit mit vielen Verbündeten, auch aus der Wirtschaft, konsequent um; denn jetzt gilt es zu handeln. Leider fehlt in diesem Chor der Verbündeten oft die CDU in Sachsen-Anhalt.

Also geht unser ausdrücklicher Dank an die Landesregierung, meinetwegen auch unsere Huldigung. Hier können wir alle auf unseren Ministerpräsidenten und sein Kabinett stolz sein.

(Beifall bei der SPD)

Heute vor elf Jahren fiel die Mauer. Wir waren alle unter anderem glücklich, dass wir endlich die Welt kennen lernen konnten mit ihrer herrlichen Vielfalt an Kulturen und Menschen. Wir waren auch glücklich darüber, dass die Welt zu uns kam mit indischen und griechischen Restaurants, mit französischer Küche, mit italienischer Mode, mit Autofabrikaten aus Amerika und Multimediageräten aus Fernost.

Jetzt gilt es, die Unverzichtbarkeit von Toleranz und die Integration von ausländischen Mitmenschen anzuerkennen. Wir sind reicher geworden durch andere Kulturen und Einflüsse.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von der Regierungsbank)

An diesem 9. November sollte von diesem Landtag ein deutliches Zeichen gesetzt werden: Wir sind und bleiben ein weltoffenes und tolerantes Sachsen-Anhalt.

Die Mehrheit der Menschen ist froh, dass wir in dieser Vielfalt leben und unsere eigenen kulturellen Vorlieben einbringen können. Nur wer offen ist, spürt seine eigenen Wurzeln. Wir verlieren nichts und gewinnen alles.