Die Mehrheit der Menschen ist froh, dass wir in dieser Vielfalt leben und unsere eigenen kulturellen Vorlieben einbringen können. Nur wer offen ist, spürt seine eigenen Wurzeln. Wir verlieren nichts und gewinnen alles.
Die CDU ist meines Erachtens nicht nur auf einem Holzweg. Nein, mit ihrer verworrenen - auch wenn Sie eben um Begriffsbestimmung gerungen haben - Diskussion um eine „deutsche Leitkultur“ kommt sie leicht in den Strudel von fremdenfeindlichen Stammtischparolen.
- Ja, hören Sie nur zu. - Was, Herr Dr. Bergner, soll das Bild vom Gastgeber und vom Gast, der sich unterzuordnen hat, in Bezug auf die in Deutschland lebenden Ausländer? Bezeichnen Sie diejenigen als Gäste, die unsere Rente mitfinanzieren,
die Beiträge in unsere Versicherungssysteme einzahlen, die die Arbeit erledigen, die andere nicht machen würden? Was haben Sie für ein Verständnis von „Gast“, wenn Sie das Wort auf Personen beziehen, die ihre Toilette säubern, ihren Geschirrspüler ausräumen, die Wohnung in Schuss halten, so wie die Ausländer mit uns leben.
Nein, sie sind nicht Gäste. Sie wohnen bei uns wie in einer Wohngemeinschaft und haben dadurch dieselben Rechte und Pflichten. Das Verhältnis ist nicht das von Gast und Gastgeber.
Im Übrigen, Herr Dr. Bergner, nehmen wir zu Hause zumindest Rücksicht auf Gäste, wenn man bei diesem Bild bleibt. Wir besorgen das, was sie gern trinken und essen, und wir freuen uns, wenn sie etwas Typisches aus ihrer Heimat mitbringen und vorstellen.
Bitte keine „deutsche Leitkultur“, schon gar nicht à la Ballermann 6 und Weißwurst und Sauerkraut, Doppelmoral und was es alles so gibt.
Natürlich - da gebe ich Ihnen Recht - sollte jeder, der länger in Deutschland wohnen will, unsere Sprache lernen. Wie soll er sich sonst verständigen und integrieren können? Natürlich gehört die Anerkennung und Beachtung unseres Rechtssystems und der demokratischen Grundordnung dazu. Das gilt für jeden Deutschen. Die Anerkennung des Rechtssystems gilt auch für die CDU. Ich denke an die Spendenaffäre, wo man Sie ermahnt hat, dieses Rechtssystem zu beachten.
Zurück zum Begriff der Leitkultur. Frau Merkel sagte vorgestern, sie verstehe unter Leitkultur Humanismus, Aufklärung und Christentum. - Richtig, CDU, sage ich da nur, wenn man das unter Kultur versteht. Aber was ist
denn Humanismus? An erster Stelle im Grundgesetz, in Artikel 1, steht: Die Würde jedes Menschen ist unantastbar. Da steht nicht: jedes deutschen Menschen.
(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Frau Lin- demann, SPD: Richtig! - Zuruf von Frau Brandt, DVU-FL)
Die Aufklärung besagt gerade, alle Menschen haben die gleichen Chancen und das gleiche Recht. Die Achtung der Menschenrechte steht an erster Stelle. Da steht nichts von „deutscher Leitkultur“.
Das Christentum, meine liebe CDU, fordert: Liebe deinen Nächsten, nicht nur deinen deutschen Nächsten. Das Christentum hat einen vorangestellt. Eine Geschichte des Christentums berichtet, dieser Jesus hat einen Ausländer als Vorbild hingestellt,
weil die eigenen Volksgenossen am Leid vorübergegangen sind. Es war der Samariter, der an erster Stelle stand. Nichts mit „deutscher Leitkultur“.
Nein, liebe CDU, Umkehr ist angesagt bei dieser Diskussion. Sonst hätte Kardinal Meißner aus Köln Recht, der jetzt fordert, das C aus dem Parteinamen endlich zu streichen.
Sie glauben, mit diesem Slogan der Leitkultur an das Wirgefühl vom bedrohten Deutschen zu appellieren. Sie spielen mit dem Feuer, weil in unsicheren Zeiten viele Zeitgenossen zu Wirgefühlen in Form von Abschottung und Hass auf Fremde und Schwächere verleitet werden können.
Unsere Geschichte mahnt uns, solchem Drängen und solchen Gefühlen nicht nachzugeben. - Ich habe einen letzten Satz. - Es wäre verhängnisvoll. Deshalb will ich ausdrücklich betonen: Keine Chance der Fremdenfeindlichkeit in unserem Land. Sachsen-Anhalter sind weltoffen, tolerant und menschenfreundlich im guten Sinne des Wortes. - Danke schön.
(Starker Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustimmung von Herrn Preiß, DVU-FL, und von der Regierungsbank)
Herr Kollege Bischoff, Sie haben Ihren Beitrag sicherlich aufgeschrieben, bevor Sie mein Zitat aus der „Zeit“ gehört haben. Ich frage Sie jetzt, sind Sie bereit, alle diese Vorwürfe,
Ich habe das nicht gelesen. Ich bin nur auf unsere gemeinsame Diskussion eingegangen. Frau Sitte war dabei. Ich habe das von Frau Merkel und das, was Sie beschlossen haben, vorgestern ausführlich gelesen. Ich habe das, was gestern über Herrn Professor Böhmer in der Zeitung stand, gelesen. Auch das, was Heiner Geißler gesagt hat, was ich übrigens unheimlich gut fand, habe ich gelesen. Er hat sich sehr stark und sehr ausführlich damit auseinander gesetzt. Selbst Professor Böhmer ist davon abgegangen, von einer „deutschen Leitkultur“ zu sprechen. Er spricht sich eher für eine „europäische Leitkultur“ aus.
Ich denke, dass dieser Begriff überhaupt falsch ist. Er lässt sich nicht definieren. Mit dem Versuch, diese drei Begriffe auszufüllen, kommen Sie in das falsche Fahrwasser. Professor Böhmer füllt die Begriffe nämlich gar nicht aus, sondern er zeigt genau in eine Richtung.
Wer offen ist für Fremde, der stärkt seine eigenen Wurzeln, der muss Rechenschaft abgeben, woher er kommt und es begründen. Nur wer offen ist, schafft das. Ansonsten grenzt man sich ab, baut Mauern um sich und am Ende ist man noch nicht einmal überzeugend.
Ich denke, man sollte es sich überlegen. Es hilft uns nicht, wenn wir uns über solche Begriffe streiten. Wir brauchen tatsächlich eine Vielfalt in unserem Land.
Danke sehr. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt komme ich doch noch zum Abstimmungsverfahren. Wir kommen zur Abstimmung über die Drs. 3/3757. Wir stimmen über die Empfehlung des Ausschusses ab, den Antrag in der Drs. 3/1410 für erledigt zu erklären. Wer sich dieser Beschlussempfehlung anschließt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist der Beschlussempfehlung gefolgt worden.