Protokoll der Sitzung vom 09.11.2000

(Zuruf von Frau Dr. Sitte, PDS)

- Ich kann in fünf Minuten auch nicht alles sagen, Frau Sitte. Aber ich kann wenigstens etwas sagen, um Vorschläge zu unterbreiten. Und dies will ich hier tun; denn wir hatten auch erwartet, Frau Kuppe, dass Sie diese deutschlandweite Qualitätsdebatte bereits vor einem oder eineinhalb Jahren eingefordert hätten, als wir über die Privatisierung bzw. Rechtsformänderung des Maßregelvollzugs in Sachsen-Anhalt diskutiert haben. Es kommt einfach zu spät, aber es kommt.

Für dieses sensible Thema, über das wir reden müssen, sind wir als Politiker in diesem Landtag verantwortlich. Dafür sind auch die beiden Fraktionen, die heute zu diesem Thema leider nichts sagen, mit verantwortlich. Sie können sich aus dieser Debatte nicht heraushalten.

(Zustimmung bei der CDU - Beifall bei der FDVP)

Wir stellen, meine sehr verehrten Damen und Herren, als CDU die Sicherungskonzepte für den Maßregelvollzug in den Vordergrund. Das ist ganz vorn herangestellt. Dann kommen die Therapiekonzepte. Und das muss man laut sagen. Das muss man der Bevölkerung sagen; denn falsche Humanität gegenüber den Menschen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die schon Täter sind, darf nicht dazu führen, dass noch unversehrte Menschen in Zukunft neue Opfer werden können.

(Zustimmung bei der CDU - Beifall bei der FDVP - Herr Weich, FDVP: Richtig!)

Das muss im Vordergrund stehen und das müssen wir allen Menschen sagen. Die zukünftigen unbekannten Opfer müssen im Vordergrund stehen. Dazu brauchen wir Sicherheitskonzepte.

Wir wollen auch, dass eine hohe Wachsamkeit in unserem Land nach wie vor vorhanden ist; denn die 15 Flüchtlinge aus den Jahren 1999 und 2000 aus unseren Einrichtungen zwingen uns dazu. Wir wissen, dass es keine 100-prozentige Sicherheit geben kann. Aber 15 Flüchtlinge sind 15 Flüchtlinge zu viel.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Mokry, FDVP - Herr Weich, FDVP: Genau!)

Und wir sollten froh und glücklich darüber sein und Gott danken, dass unsere Flüchtigen keine Straftaten begangen haben, die weiterhin Gefahren gebracht haben.

Wir wollen Vorschläge unterbreiten. So sollten wir weiter darüber diskutieren, in unserem Land und deutschlandweit, welche technischen Möglichkeiten, egal welcher Art, wir nutzen können, um den Freigang noch sicherer zu gestalten.

Womit ist dem Triebtäter geholfen und womit ist unserer Bevölkerung geholfen? Über beides müssen wir im Abwägungsprozess diskutieren, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und wir müssen auch darüber diskutieren, ob wir das, was wir als Erlasse und Grundlagen in unserem Land haben, als ausreichend erachten, inwieweit wir sie verändern können und ob wir die Genehmigungspflicht der Justiz verändern können, um noch mehr Sicherheit zu schaffen.

Wir sollten auch darüber nachdenken, wie wir die Bewachenden noch weiter schulen und Sicherheit geben können. Über alle diese Punkte wollen wir gern diskutieren. Das ist ein ausschlaggebendes Moment auch aus dieser Debatte heraus.

Frau Ministerin Kuppe, Sie sind für den Maßregelvollzug verantwortlich. Durch die Aufgabenübertragung an eine landeseigene gGmbH haben Sie leider die klare Verantwortung des Landes verwässert. Das klagen wir nach wie vor ein.

Unsere Fraktion kündigt an, dass wir im Rahmen der Behandlung des Psychiatrieberichtes im Sozialausschuss noch einmal ganz konsequent über die Kontrollfunktion des Parlaments diskutieren wollen, aber auch über die Auswirkungen des Falls Schmökel für unser Land, damit wir mit den Fachleuten die Möglichkeit haben, dieses Problem noch weiter zu erörtern. - Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDVP)

Die Debatte wird durch den Beitrag des fraktionslosen Abgeordneten Herrn Miksch beendet. Bitte, Herr Miksch.

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Nur ganz kurz. - Frau Sitte, Sie brauchen nicht anfangen zu grinsen. - Es geht einfach darum: Frau Ministerin Kuppe ist der Meinung, dass alles in Ordnung ist. Frau Ministerin würde anders darüber denken, wenn sie selbst zwei kleine Kinder hätte so wie ich. Das ist das Erste.

Des Weiteren würden viele von Ihnen, meine Damen und Herren Abgeordneten, ebenfalls anders darüber denken, wenn Sie sich mehr mit der Bevölkerung unterhalten würden.

Das dritte Problem ist: Da Herr Höppner ein Fan der USA ist und so gern in die USA fährt, sollte er sich einmal die Maßnahmen in den USA anschauen und eventuell Vorschläge von dort mit herüberbringen. Das wäre gescheiter, als hier zu sitzen und der Meinung zu sein, man müsste nicht darüber reden.

Jeden rechten Schläger, den sperren Sie für 25 Jahre ein, aber einen mehrfachen Vergewaltiger, den lassen Sie draußen frei herumlaufen, den lassen Sie auf Besuch zur Mama fahren nur mit der Begründung, dass der Psychiater bei ihm herausgefunden hat: Meine Mama hat immer Alkohol getrunken und mein Papa hat mich geschlagen. - Das ist aber kein Grund, dass er selbiges jetzt mit kleinen Kindern oder mit Frauen macht.

Demzufolge bin ich der Meinung, dass solche Leute ihr Leben lang weggeschlossen werden müssen, oder besser sie nehmen einmal auf dem Old Sparky Platz und dann hat sich das erledigt. - Danke.

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Beschlüsse zur Sache werden nach § 46 unserer Geschäftsordnung nicht gefasst. Damit ist das erste Thema im Rahmen der Aktuellen Debatte beraten worden und ist beendet.

Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Wir setzen die Sitzung um 13.45 Uhr fort. Ich bitte um pünktliches Erscheinen.

Unterbrechung: 13.01 Uhr.

Wiederbeginn: 13.50 Uhr.

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen, damit wir in der Sitzung fortfahren können.

(Unruhe)

- Herr Professor Trepte, ich möchte die Sitzung fort- setzen.

Ich rufe das zweite Thema der Aktuellen Debatte auf:

Erhalt von Standorten der Deutschen Bahn AG

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/3778

Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: PDS, DVU-FL, CDU, SPD, FDVP. Die Redezeit beträgt fünf Minuten je Fraktion. Das ist im Ältestenrat vereinbart worden. Zunächst hat für den Antragsteller, die PDS-Fraktion, Herr Dr. Süß das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Deutsche Bahn AG hat angekündigt, vier Standorte des Unternehmens in Sachsen-Anhalt zu schließen. 1 200 Beschäftigte würden ihre Arbeitsplätze verlieren.

Das Landesparlament kann und will zu Entscheidungen, die Bürgerinnen und Bürger und das ganze Land mehrfach gravierend treffen und betreffen, nicht schweigen, sondern soll und muss sich nach unserer Auffassung eindeutig äußern. Dies soll mit dieser Aktuellen Debatte und unserem Antrag initiiert werden.

Es geht erstens um die Existenz von 1 200 unmittel- bar betroffenen Arbeitsplätzen und um mindestens die gleiche Anzahl von mittelbar betroffenen Arbeitsplätzen bei Kooperations- und Vertragspartnern dieser Unternehmen.

Die anhaltend hohe Massenarbeitslosigkeit in unserem Land gebietet den entschlossenen Kampf um jeden Arbeitsplatz. Es geht um die Schicksale der betroffenen Menschen und ihrer Familien.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD und von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner)

Es geht zweitens um strukturpolitische Entscheidungen von außen, die die Wirtschaftskraft unseres Landes erheblich beeinflussen. Die Schienenfahrzeuge bauende und erhaltende Industrie ist in Sachsen-Anhalt eine strukturbestimmende Branche mit noch hohem Leistungspotenzial. Sie würde durch die angekündigten

Schließungsabsichten der Bahn AG entscheidend geschwächt und mit ihr auch alle Kooperationspartner. Gewachsene Netze der regionalen Wirtschaft würden zerstört werden.

Es geht drittens um eine Verfahrensweise der Deutschen Bahn AG - mit Duldung der Bundesregierung, zumindest zunächst stillschweigend -, welche die Praktiken der Treuhandanstalt noch übertrifft.

(Zustimmung bei der PDS und bei der SPD)

Die Privatisierung der Deutschen Bundesbahn wird ganz offensichtlich ohne erkennbares und zukunftsfähiges Konzept betrieben. Dem Gesellschafter der Bahn AG, der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung, kommt dabei eine entscheidende Rolle zu.

Nach mehrfachem Wechsel an der Spitze der Bahn AG wird nun mit allen Mitteln versucht, die betriebswirtschaftliche Situation zu verbessern. Wir reden nicht dem Füllen eines Fasses ohne Boden das Wort. Natürlich kann ein Unternehmen nicht mit fortgesetzt roten Zahlen dahinvegetieren. Aber zum Beispiel ist längst noch nicht entschieden, ob das Streckennetz der Bahn in privater Hand nicht der gesamten Bahn AG das Lebenslicht ausblasen würde. Allein hierfür war letztens von einem Sanierungsbedarf von 300 Milliarden DM die Rede. Hinzu kommen Fragen der Betriebssicherheit, die aufgrund von schweren Unfällen auch in England die Frage nach der Verantwortung für das Streckennetz neu aufgeworfen haben.

Wenn es der Bundesregierung darum geht, der Bahn im Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern Chancengleichheit zu gewähren, so muss ein Gesamtkonzept dem Rechnung tragen. Gegenwärtig entsteht der Eindruck, dass die Bahn in operativer Hektik beabsichtigt, vor allem Leistungen zu reduzieren. Interregiozüge sollen wegfallen, und Betriebe sollen geschlossen werden, die in einer langen Tradition der zuverlässigen Pflege, Wartung und Modernisierung der Bahntechnik stehen. Den Ländern sollen die Verantwortung und die finanziellen Lasten für den Netzerhalt und die Regional-bahnen aufgebürdet werden, ohne dafür alle notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.

Wenn die Leitung der Bahn AG Umstrukturierungen für zweckmäßig und richtig hält - was sie sicherlich auch sind -, so soll sie auch die dafür notwendigen Bedingungen schaffen und für vorgesehene Änderungen vernünftige Schritte gehen, das heißt, Zeit für Übergänge gewähren, notwendige finanzielle Mittel bereitstellen und den Unternehmensleitungen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit bei der Suche nach neuen Betätigungsfeldern einräumen sowie für Übergangszeiträume weiter Aufträge erteilen.

(Zustimmung bei der PDS)

Völlig unbegreiflich ist auch, dass der Vorstand der Bahn AG Betriebe, die ausgegliedert oder verkauft werden sollen, öffentlich als unrentable Kostenverursacher darstellt. Dies ist ebenso unprofessionell wie marktschädigend.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Diese Betriebe sind vielmehr durch Kompetenz, Leistungsvermögen und Flexibilität charakterisiert. Da befremdet es außerordentlich, wenn der Bundesminister für Wirtschaft keinen Handlungsbedarf und auch keine

Handlungsmöglichkeit sieht. Übrigens ist der Bundeskanzler in dieser Hinsicht wohl völlig anderer Meinung.