Die Fraktionen sprechen in folgender Reihenfolge: FDVP, PDS, SPD, CDU, DVU-FL. Zunächst hat der Antragsteller, die Fraktion der FDVP, das Wort. Bitte, Herr Wolf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die „Freiheit“ vom 9. November aufschlägt - gemeint ist die „Mitteldeutsche Zeitung“ und nicht etwa die „Ostdeutsche Zeitung“ -, dann findet man unter der Überschrift „Maßregelvollzug in Sachsen-Anhalt“ einen bemerkenswerten Satz. Ich zitiere:
„Der Fall des Gewaltverbrechers Frank Schmökel führt zunächst nicht zu Veränderungen der Bedingungen im Maßregelvollzug in Sachsen-Anhalt.“
Erleichterung scheint sich breit zu machen nach der stattgefundenen Festnahme von Schmökel. Die Katastrophe, durch immer wiederkehrende Fehleinschätzungen der Gutachter und Ärzte geradezu vorhersehbar, überschritt Ländergrenzen, überschritt jedes Verständnis für Therapiegesülze, überschritt für einen Menschen die Schwelle zum Tod und überschreitet die Geduld einer großen Mehrheit.
Immer wieder ist der so genannte Maßregelvollzug der Ausgangspunkt grauenvoller Ausflüge harmlosgeredeter Insassen oder - sagen wir lieber - Gäste. Dem Bürger ist mit wortreichen Erklärungen so genannter Experten nicht gedient, die Kriminelle zu Kranken umfunktionieren, wenn am Ende das Blutbad steht. Gegenüber solchen Gutachtern sollte nach unserer Meinung ein Verfahren wegen Totschlags durch unechte Unterlassung eröffnet werden.
Meine Damen und Herren! Fehlgutachten führen unmittelbar zur Einbindung in die Rechtsfolge. Darüber sollte man sich klar sein. In anderen Bundesländern sowie in Sachsen-Anhalt stehen diese fatalen Fehlgutachten auf der Tagesordnung. Der Fall Schmökel, der
Fall Zurwehme und der anhaltinische Fall Büch zeigen, dass die Bürger vor notorischen Triebtätern verlässlich geschützt werden müssen.
Meine Damen und Herren! Was muss eigentlich noch alles passieren? Müssen erst Ihre eigenen Familien Opfer dieser Gewaltverbrecher werden, damit einem vernünftigen Rechtsempfinden entsprochen werden kann? In den Maßregelvollzügen Bernburg und Uchtspringe gelingt immer häufiger der Sprung in die Freiheit.
Die Bevölkerung ist mit Recht über die aktuellen Vorkommnisse in Brandenburg beunruhigt. Es wird daher auch in Sachsen-Anhalt berechtigt die Frage gestellt, was im Maßregelvollzug los ist. Besteht die Strafe nur in der Änderung des Wohnsitzes? Maßregelvollzug kann und soll es geben, aber nicht für Mörder, für Vergewaltiger und für Kinderschänder. Einen kleinen Dieb kann man dort unterbringen. Frau Sitte wird mir darin zustimmen.
Das Gerede, eine 100-prozentige Sicherheit der Bevölkerung ist nicht erfüllbar, zeigt politische Gleichgültigkeit. Man mutet der Bevölkerung, speziell den Eltern, den Menschen allen Ernstes Verständnis für potenzielle Mörder, die oft zu reellen Mördern werden, zu.
In dieser Atmosphäre geschehen seltsame Dinge. Die Bundesregierung arbeitet gerade an einem Gesetz zur weiteren Lockerung des Strafvollzuges. Straftäter, also auch Mörder, kalkulieren durchaus das Risiko vor ihren Taten ein. Welche Folgen hieraus erwachsen, darf man erahnen.
Im Vordergrund hat immer die Straftat zu stehen, der Schutz der Gesellschaft vor den Tätern. Kriminalität darf nicht als bloße Krankheit bagatellisiert werden. Wer glaubt, mit halb offenen Türen und Pillen Gewalttäter gesellschaftsfähig machen zu können, begibt sich und die Gesellschaft in ernste Gefahr.
Dem geistig gesunden, unvoreingenommenen Betrachter stellt sich die Frage, ob diese so genannten Gutachter mit ihrem unfruchtbaren Bemühen nicht selbst eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen und sie nicht für ihre profitorientierten Taten zur Rechenschaft gezogen werden müssten, so wie ich es eingangs darlegte.
Besonders im Fall des Herrn Schmökel kann man wirklich von einem Durchbruch der Therapiebefürworter sprechen. So entwickelte sich das Täterprofil vom Kindermörder auf die höhere Ebene des gemeinen Totschlägers, da er zuletzt körperlich ebenbürtige Opfer fand und tötete. Welch ein therapeutischer Fortschritt!
Meine Damen und Herren! Es ist nicht ganz klar, welche Kriterien einer Lockerungsstufe des Maßregelvollzuges zugrunde liegen. Im Fall Schmökel sowie in allen anderen Fällen von Bernburg und Uchtspringe ist die Urteilsfähigkeit des Behandlungsteams verantwortlich für nicht reparable menschliche Tragödien. Die Verantwortlichen werden mitnichten dafür geradestehen. Die Schwerverbrecher werden dankbar sein, dürfen sie doch schon nach kürzester Zeit wieder ihren niederen Begierden bis zum nächsten Therapieversuch frönen.
Wer nicht will, dass sich weitere spektakuläre Fluchtfälle ereignen, muss ernsthaft über eine Reform des Straf- sowie des Maßregelvollzugs nachdenken. Verantwortlich für die Zustände im Land ist immer noch die Regierung. Schmökel mahnt.
Ich gestatte mir, nunmehr zum populistischen Teil überzugehen. Meine Damen und Herren! Es ist nicht das
erste Mal, dass unsere Fraktion dieses Thema auf die Tagesordnung setzt. Es erfüllt uns mit großer Sorge, dass - in diesem Fall wiederholt - einem gefährlichen Triebtäter die Flucht aus dem Maßregelvollzug gelungen ist. Derartige Beispiele machen Schule für weitere Fluchtaktionen auch in anderen Bundesländern sowie in Sachsen-Anhalt.
Wir hoffen, dass die von uns angeregte Aktuelle Debatte auf Nachdenklichkeit und nicht auf Desinteresse stößt. Das kann sich, meine Damen und Herren, keine Partei leisten; denn die nächsten Wahlen kommen unaufhaltsam näher. Und Sie wissen doch, unverhofft kommt oft. - Danke.
Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Die Fraktionen von PDS, SPD und DVU-FL haben auf einen Redebeitrag verzichtet. Es spricht für die Landesregierung Ministerin Frau Dr. Kuppe und im Anschluss daran die Abgeordnete Frau Stange für die CDU-Fraktion. Bitte, Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Erstens sage ich, ich bin in der Tat sehr erleichtert, dass der geflüchtete Straftäter Frank Schmökel gefasst ist.
Zweitens. Ich sage ja zu einer Qualitätsanalyse beim Maßregelvollzug in ganz Deutschland. Ich sage aber ebenso entschieden nein zu einer schlagwortartigen Vereinfachung unter der Überschrift „Schmökel-Katastrophe überschreitet Landesgrenzen“; denn eines bleibt unumstößlich Tatsache: Zum Maßregelvollzug, das heißt zur Behandlung und Therapie von psychisch kranken Straftätern, gibt es keine Alternative.
Ohne Forensik würden die kranken Straftäter Freiheitsstrafen in normalen Gefängnissen ohne adäquate therapeutische Hilfen verbüßen und im Anschluss unverändert wieder in die Gesellschaft entlassen.
Dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung würde damit in überhaupt keiner Art und Weise entsprochen. Maßregelvollzug hingegen bedeutet Schutz und Hilfe, bedeutet vom Konzept her Sicherheit durch Therapie. Der psychische Defekt, der eine Ursache für die Straftat war, wird behandelt. Wenn der Patient oder die Patientin den Maßregelvollzug verlässt, sind sie zwar keine anderen Menschen, sie sind aber von ihrer Krankheit geheilt oder können zumindest straffrei damit leben.
Es geht also nicht darum, das System Maßregelvollzug infrage zu stellen - wir haben es erst in den 90er-Jahren
in den ostdeutschen Ländern, also auch in SachsenAnhalt, eingeführt -, sondern es geht um die Frage, wie wird das System Maßregelvollzug auch dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung gerecht.
Dabei geht es um Sicherheits- und Therapiekonzepte ebenso wie um die Gutachtertätigkeit und es geht um das Zusammenspiel mit der Justiz.
Ich halte es für erforderlich, nach Auswertung aller Umstände und Vorgänge zum Fall Schmökel hier im Land und auf Bundesebene mit meinen Länderkolleginnen und -kollegen darüber zu diskutieren und Schlussfolgerungen zu ziehen.
Der Maßregelvollzug mit seinen Standorten in Uchtspringe und Bernburg wird streng entsprechend den gesetzlichen Grundlagen durchgeführt. Das heißt, Sicherheit und Therapie sind zwei untrennbar miteinander verbundene Seiten. Sowohl die agierenden Ärztinnen und Ärzte, die Therapeuten und Pfleger im Maßregelvoll- zug als auch das Gesundheitsministerium als Fach- und Rechtsaufsicht nehmen diesen Grundsatz sehr ernst. Wir befinden uns in einem ständigen Dialog, um auch nur die kleinste Unsicherheit oder mögliche Schwachstellen sofort zu beheben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist Praxis im Maßregelvollzug in Sachsen-Anhalt, dass Patienten, die erkennbar ein Gefährdungspotenzial für die öffent- liche Sicherheit darstellen,
keine Lockerung, sprich keinen Aus- und Freigang, genehmigt bekommen. Lockerungsstufen sind kein subjektiv nach Belieben einsetzbares Instrument zur Belohnung, beispielsweise für Wohlverhalten. Lockerungsstufen sind Bestandteil der Therapie und werden ausschließlich im Rahmen der Therapie genehmigt, und zwar erstens nach verbindlichen Kriterien und zweitens nur dann, wenn der Aus- und Freigang aus der Sicht des Therapeutenteams auch wirklich der Vorbereitung der späteren Integration des Patienten in die Gesellschaft dient.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In SachsenAnhalt haben wir einen nach bestem Wissen und Gewissen organisierten und sicheren Maßregelvollzug. Und doch darf sich niemand und will auch ich mich nicht aufschwingen und eine 100-prozentige Sicherheit versprechen; denn zur Wahrheit im Umgang mit Menschen gehört, dass Fehlverhalten nicht ausgeschlossen werden kann. Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht. Das gilt sowohl für den Maßregelvollzug als auch für den Justizvollzug und ebenso im normalen Leben. Um dies ernsthaft zu diskutieren, sind Panikmache und jeder Populismus ein schlechter Begleiter.
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der PDS - Frau Wiechmann, FDVP: Erklären Sie das den Hinterbliebenen!)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wolf, ich denke, das Thema ist zu ernst, um mit Ihrer Polemik und zum Teil mit Ihren Aussagen darüber zu reden. Zur anderen Seite: Es ist auch nicht in Ordnung - darüber sollte man ernsthaft nachdenken -, dass SPD und PDS zu diesem Thema nicht reden; denn es ist ein sehr ernstes Thema.
- Nein, das reicht nicht aus. - Ich denke, darüber sollten und müssen wir reden; denn es ist ein ernsthaftes Problem. Auch in Sachsen-Anhalt ist leider trotz der Sicherheitsmaßnahmen und anderer Maßnahmen, die in den letzten Jahren durchgeführt worden sind, immer wieder die Tatsache zu verzeichnen, dass aus den Einrichtungen in Bernburg und Uchtspringe Täter entfliehen.