Protokoll der Sitzung vom 01.03.2001

Herr Remmers ist nun leider nicht da. Ich wundere mich, dass Sie als CDU-Fraktion diesen Antrag gestellt haben; denn ich halte ihn für verfassungsrechtlich außerordentlich bedenklich, weil er gegen das durch das Grundgesetz abgedeckte Prinzip des Rückwirkungsverbotes verstößt. Hier sollen staatliche Regelungen geschaffen werden, die in erheblichem Maße in Vertrauenstatbestände eingreifen. Ich habe große Bedenken, dass dies möglich ist.

Ich wünschte, ich könnte etwas anderes sagen, aber ich sehe das im Moment nicht. Diese Frage wurde sowohl im Bundesrat und seinen Gremien als auch in verschiedenen Bundestagsprozessen schon geprüft. Ich nehme aber den Ansatz durchaus noch einmal mit, weil die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates ja gesagt hat, sie sei trotz aller Schwierigkeiten, die mit dieser komplizierten Materie verbunden sind, bereit, alle Varianten zu prüfen.

Ich bin der Überzeugung, dass die Bundesregierung die Prüfung sehr sorgfältig vornehmen und verschiedene Optionen, die wir hier auch diskutieren, prüfen wird. Sie hat zugesagt, dass sie im Anschluss an den Prüfprozess eine Entscheidung darüber treffen werde, ob sie außerhalb der jetzigen Rentenreformgesetze einen eigenen Gesetzentwurf in das Gesetzgebungsverfahren einspei

sen werde; denn wenn diese Option zum Tragen kommen sollte, müsste eine andere gesetzliche Regelung getroffen werden.

Ich hoffe, wir kommen zu einer Lösung, die für die betroffenen Frauen, die zum Teil ein schweres Schicksal hinter sich haben, befriedigend ist. Ich sehe bis jetzt noch keine einfache Lösung, aber ich kann Ihnen zusichern, dass sich alle Beteiligten außerordentlich bemühen, trotz der kritischen Rahmenbedingungen doch noch zu einer Lösung zu kommen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Danke sehr, Frau Ministerin. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Dr. Bergner.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich könnte über Fälle aus meiner Abgeordnetensprechstunde berichten. Den ersten und für mich sehr eindrucksvollen Fall hatte ich im Jahr 1994, als eine ältere Frau mir ihr Lebensschicksal schilderte, das dem von Frau Dirlich erwähnten Schicksal durchaus vergleichbar ist.

Aus diesem Grunde beschäftigt mich seit dieser Zeit die Frage, wie man für die Gruppe dieser Menschen - es sind ja fast ausschließlich Frauen; es wird von insgesamt 800 000 Frauen gesprochen - eine Lösung finden kann.

Ich will sagen, weshalb ich den Lösungsansatz, den Frau Dirlich verfolgt und der letztlich auf einen Ausgleich durch staatliche Alimentierung setzt, nicht für besonders gerecht halten.

Zum Ersten werden diese Frauen, die ja durch ihre Lebensleistung in einer Ehe im Grunde genommen einen rechtsgleichen Rentenanspruch erworben haben, auf ein Versorgungssystem verwiesen, das eigentlich für diejenigen geschaffen wird - egal, wie es im Endeffekt ausgestaltet ist -, für die gewissermaßen nichts anderes mehr übrig bleibt.

Zum Zweiten würde dies dazu führen, dass staatliche Unterstützung für geschiedene Ehen, wenn ich die Summe beider Partner sehe, in höherem Maße als für ungeschiedene Ehen aufgewandt wird. Das heißt, man würde eine Scheidung nachträglich dadurch prämieren, dass man die benachteiligte Ehefrau anstelle der Versorgungspflicht des Mannes zusätzlich mit einer staatlichen Versorgung ausstattet, sodass es aus meiner Sicht zu dem von uns vorgeschlagenen Ansatz eigentlich keine gerechte Alternative gibt, dem Ansatz nämlich, so zu verfahren, wie es eigentlich nach dem Versorgungsrecht der alten Bundesrepublik nach 1977 geregelt ist. Dies hätte den großen Vorteil, dass die Frauen gewissermaßen eine Rente aus eigenem Recht beanspruchen könnten.

Nun will ich gern zugeben, dass ich in der Regierungszeit von CDU und FDP, als ich Mitglied der Rentenkommission war, versucht habe, eine solche Lösung aus der Schilderung der Betroffenheit heraus einmal in die Diskussion zu bringen. Die Argumente, die ich damals hörte, waren genau die Argumente, die auch Sie als Bedenken vorgetragen haben.

Ich will sie nicht vom Tisch wischen, aber ich bin nachdenklich geworden durch eine andere Entscheidung. Höchstrichterlich sind Eheverträge in dem Punkt für un

gültig erklärt worden, wo sie die Unterhaltsansprüche gegenüber Kindern und Frauen nicht ausreichend absichern. Dies bedeutet doch nichts anderes, als dass genau dort das Vertragsrecht für nicht ausreichend gültig betrachtet wird, wo der grundgesetzliche Schutz von Ehe und Familie nicht gegeben ist.

Vor diesem Hintergrund, finde ich, sollte der Versuch unternommen werden, diesen Lösungsansatz noch einmal zu verfolgen und in dieser Richtung auf die Bundesregierung einzuwirken.

Wie gesagt, ich will jetzt gar keine plakativen Forderungen stellen, weil ich die Erfahrung machen musste, wie leicht man sich da die Hörner abstößt. Das Urteil über die Unterhaltsansprüche bei Eheverträgen, die einen Unterhaltsverzicht zum Gegenstand haben, hat mich aber sehr nachdenklich und im Grunde genommen auch optimistisch gemacht, hierbei vielleicht doch eine rechtsfähige Lösung zu finden.

Ich hätte nichts dagegen, die Anträge in den Ausschuss zu überweisen und über die schwierige Materie dann dort noch einmal zu diskutierten. - Vielen Dank.

Herr Dr. Bergner, würden Sie eine Frage von Frau Bull beantworten?

Bitte schön, Frau Bull.

Ich kann mich Ihrer Argumentation nicht ganz verschließen. Ich habe dazu eine Verständnisfrage. Sie betrifft Ihre Argumente gegen eine politische Lösung, wie sie Frau Dirlich geschildert hat.

Es soll aus unserer Sicht - ich weiß nicht, ob das im Antrag klar ausgedrückt ist - nur eine vorübergehende, für diesen Fall konkrete politische Lösung gefunden werden. Ich habe Sie so verstanden, dass Sie es als eine dauerhafte Institution, die von uns dort eingeführt werden soll, verstanden haben. Es geht ja wirklich nur um eine politische Lösung für diesen einzugrenzenden Fall der so genannten Altgeschiedenen.

Zu den Ausführungen von Frau Dirlich muss ich sagen, ich habe eine gewisse Skepsis gegenüber überzogenen Erwartungen an das Grundsicherungsmodell; denn wer wird das letztendlich bezahlen? Die Zahlungen kommen auf die Kommunen zu. Damit wird das Finanzvolumen, das auf diese Weise zur Absicherung erbracht wird, automatisch begrenzt bzw. zulasten ganz anderer, übrigens auch sozialer Ansprüche gehen.

Das heißt, ich würde mit dem Grundsicherungsmodell nicht so hoch gesteckte Erwartungen verbinden. Ich hatte die Ausführungen von Frau Dirlich so verstanden, als ob über ein erweitertes Grundsicherungsmodell in dieser Hinsicht gewissermaßen eine Auffanglösung gefunden werden sollte. Dazu muss ich sagen, dies bedeutete dann tatsächlich, dass der Staat für geschiedene Ehen verstärkte Zuwendungen gibt, während diejenigen, die in

nicht geschiedenen Ehen leben, aufgrund der gegenseitigen Haftung weniger Staatsleistungen erhalten. Das wäre gesellschaftspolitisch ein ausgesprochen problematisches Ergebnis.

(Beifall bei der CDU)

Die FDVP-Fraktion hat signalisiert, dass sie auf einen Redebeitrag verzichtet. - Es bleibt dabei. Dann spricht für die SPD-Fraktion die Abgeordnete Frau Schmidt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über die schwierige rechtliche Lage bezüglich dieser Problematik ist schon eine ganze Menge gesprochen worden. Seit dem 1. Juli 1977 gilt im Westen für alle Ehescheidungen das Prinzip des Versorgungsausgleiches. Es ist vorhin schon gesagt worden, dass damit auch eine Absicherung der Frauen, die sich dort der Familie gewidmet haben, gewährleistet ist. Leider ist diese Regelung bei uns erst im Jahr 1992 eingeführt worden.

Ich muss für diese genannten ca. 800 000 Frauen, von denen ca. 400 000 Frauen weniger als 1 000 DM Rente bekommen, sagen, dass sie sich auch im Einigungsvertrag vergessen fühlen. Dort hat es aber die erste Chance gegeben, eine Regelung für diese Frauen zu finden. Ich muss darauf leider hinweisen.

Herr Bergner, ich glaube Ihnen gerne, dass sie in Regierungszeiten von CDU und FDP versucht haben, Regelungen für diese Frauen zu finden. Die erste Chance dazu war, glaube ich, im Einigungsvertrag. Ich glaube den Frauen. Ich denke, wir reden hierbei alle von dem gleichen Artikel,

(Herr Dr. Bergner, CDU: Aber dem Einigungsver- trag hat Frau Kuppe zugestimmt, nicht ich! Ich war nicht in der Fraktion!)

den wir der Diskussion zugrunde legen, und darüber, dass sich die Frauen auch heute noch vernachlässigt fühlen.

(Zuruf von Ministerin Frau Dr. Kuppe - Herr Dr. Bergner, CDU: Ich mache Ihnen keinen Vor- wurf!)

Ich muss aber in diesem Zusammenhang erwähnen - die Ministerin sprach bereits über das zu erwartende Gesetz -, dass ich über das Gesetz eigentlich sehr froh bin; denn es ist das erste Mal, dass Rentnerinnen und Rentner, deren Auskommen zum Leben nicht ausreicht, nicht zum Sozialamt gehen müssen. Ich wäre sehr froh darüber, wenn mit dem Gesetz erreicht würde, dass das von den Rentenstellen übernommen wird. Ich bin auch sehr froh darüber, dass die Einkommen der Kinder nicht mehr herangezogen werden. Wir haben schon in der letzten Debatte über diese Problematik geredet.

Ich muss aber auch der Aussage zustimmen, dass die gesamte Problematik - ich werde darauf nicht noch weiter eingehen - juristisch für die Frauen, die vor 1977 geschieden sind, also für die so genannten altgeschiedenen Frauen, für die es ja weder die Altgeschiedenenrente noch den Versorgungsausgleich gibt, wirklich sehr kompliziert ist. Ich muss unterstreichen, dass ich in dieser Hinsicht auch verfassungsrechtliche Bedenken habe, weil es auch ein Eingriff in das grundrechtlich geschützte Eigentum der Männer ist. Es geht hier nicht nur darum, den Frauen zu helfen, sondern auch darum, dass die

Männer einen Anspruch auf das haben, was sie besitzen.

Herr Dr. Bergner, es gibt einen Punkt, bei dem ich nicht ganz mit Ihnen übereinstimme. Sie sprachen immer von einem Versorgungsrecht, das mit dem Gesetz für Geschiedene größer ist. Vielleicht habe ich Sie auch nur falsch verstanden; ich weiß es nicht.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Von einem Anspruch! Das ist so!)

Sie sprachen davon, dass mit dem Gesetz die staatliche Rente der Geschiedenen aufgewertet werden soll gegenüber den nicht Geschiedenen.

(Herr Scharf, CDU: Das ist aber so!)

Wir wollen mit dem Gesetz nichts aufwerten und schon gar nicht die Geschiedenen höher stellen als die anderen. Vielmehr sollen die Frauen und die Männer einfach nur menschenwürdig leben können. Ich denke, vielleicht wird mit diesem neuen Versorgungsgesetz, das verabschiedet werden soll, in dieser Hinsicht ein Schritt vorwärts gemacht.

Die rechtliche Problematik ist wahnsinnig schwierig, aber ich bin trotzdem allein aus sozialen Gründen der Meinung, dass eine Lösung für diese Frauen gefunden werden muss.

Das Beispiel, das Frau Dirlich angeführt hat, ist mir auch bekannt. Ich denke, wir kennen alle eine ganze Menge solcher Einzelbeispiele. Ich glaube nicht, dass wir das Problem heute im Rahmen einer Fünfminutendebatte ausdiskutieren können. Darum stimme ich einer Überweisung in die Ausschüsse zu.

Ich möchte aber eine Erweiterung zu dem Antrag auf Überweisung bringen. Die PDS-Fraktion hat bereits eine Überweisung in den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales verlangt. Ich möchte aber auch eine Überweisung in den Gleichstellungsausschuss beantragen, da es sich in diesem Fall hauptsächlich um Frauen handelt. Der federführende Ausschuss soll, wenn beide Fraktionen, CDU und PDS, das so wollen, der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales bleiben. - Ich danke.

(Zustimmung bei der SPD)

Für die DVU-FL-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Preiß.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zahl der armen Menschen in Deutschland wächst stetig. Zum Vergleich: In den alten Bundesländern stieg der Anteil dieser Menschen im Jahr 1998 auf über 20 %. In den neuen Bundesländern liegt die Quote der Einkommensarmen sogar bei 30 %. Für das ganze Bundesgebiet berechnet, lebt damit jeder fünfte der rund 80 Millio- nen Bürger von unterdurchschnittlichen Einkünften.

Zwei Gruppen sind hierbei besonders armutsgefährdet: Arbeitslose und ihre Angehörigen sowie Familien mit mehreren Kindern.

Ein düsteres, jedoch reales Bild zeichnete auch Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes auf, indem er konstatierte, 14,2 % aller Kinder in Deutschland leben in Einkommensarmut; eben

so gilt über ein Drittel der Alleinerziehenden mit Kindern als arm.