Protokoll der Sitzung vom 02.03.2001

An der Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung gab es in der Tat Kritik. Das deuteten Sie auch an, Frau Liebrecht, aber Sie haben verschwiegen, dass die CDU - sie hat wenig Vorschläge bei der Rentenreform gemacht

(Frau Liebrecht, CDU: Ach!)

sehr wohl einen Vorschlag bei der Neuregelung des Hinterbliebenenrechtes gemacht hat. Wenn die Bundesregierung diesem CDU-Vorschlag gefolgt wäre, dann wäre eine unsoziale und unfinanzierbare Lösung herausgekommen.

(Herr Schulze, CDU: Das ist falsch! Wider besse- res Wissen! - Zuruf von Frau Liebrecht, CDU)

Jetzt wird eine Absenkung der Hinterbliebenenrente von 60 % auf 55 % vorgeschlagen. Im Gegenzug wurde aber die Einführung einer Kinderkomponente beschlossen, also die stärkere Berücksichtigung von Erziehungszeiten. Dazu gehört auch der finanzielle Zuschlag, wenn Kinder erzogen worden sind. Sie hatten nicht eine Reduzierung von 60 auf 55 % vorgeschlagen, sondern eine Reduzierung von 60 auf 50 %, Frau Liebrecht.

(Frau Liebrecht, CDU, schüttelt den Kopf)

Das war Ihr Vorschlag vonseiten der CDU. Sie wollten dann bei Rentnerinnen mit 50 % Rentenniveau aufwärts noch kinderbezogene Zuschläge gewähren, und zwar so, dass die Erziehung von Kindern der Besserverdienenden stärker berücksichtigt worden wäre als die Erziehung von anderen Kindern. Das kann ich nicht als Gerechtigkeit im Rentensystem empfinden. Deshalb hätte ich gern Ihre Stellungnahme zu diesem Vorschlag gehört.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Bull, PDS, und von Frau Dirlich, PDS - Frau Liebrecht, CDU: Das stimmt überhaupt nicht!)

Im Übrigen werden die neuen Regelungen im Hinterbliebenenrecht wegen des Vertrauensschutzes erst richtig zum Tragen kommen, wenn die Erwerbsbeteiligung von Frauen einen sichtbaren Fortschritt erzielt hat. Jetzt sind nämlich nur diejenigen betroffen, bei denen wenigstens ein Partner schon 40 Jahre alt ist. Von der neuen Regelung werden also nur die jetzt Jüngeren betroffen sein.

Ich will noch einmal deutlich hervorheben, dass die anstehende Neuregelung zum Einstieg in den Aufbau einer eigenständigen Alterssicherung für Frauen wirklich ein Novum darstellt. Dabei spielt das Rentensplitting, das für junge Paare, bei denen beide Partner unter 40 Jahre alt sein müssen, eingeführt werden soll, eine wichtige Rolle. Die eigenständige Alterssicherung ist wirklich erst ein Anfang. Ich kann mir hierbei noch weitere Schritte vorstellen, die gegangen werden müssen.

Das Rentensplitting bedeutet, dass alle in der Ehe erworbenen Anwartschaften geteilt werden können und dass eine Entscheidung darüber, ob diese Variante gewählt wird, erst dann getroffen wird, wenn der Tod eines Partners eingetreten ist. Man muss sich also nicht mit Beginn der Ehe festlegen, sondern erst dann, wenn der Tod eines Partners die Ehe beendet.

Ich glaube, dass dies wirklich zu mehr Gerechtigkeit führt und dazu beiträgt, dass Frauen, wenn sie geringere Einkünfte in einer Ehe haben und darauf aufbauend dann auch geringere Rentenansprüche erwerben, hierbei an den Einkünften und den Rentenansprüchen des Partners gerecht partizipieren können; denn sie haben in der Ehe ihren Anteil an den sonstigen Leistungen im Eheleben erbracht und damit auch zu dem Gesamteinkommen beigetragen.

Ich verstehe nicht, Frau Liebrecht - das wäre im Ausschuss von Ihrer Seite zu erklären -, warum die CDU gerade dieses Element der eigenständigen Alterssicherung

von Frauen von Anfang an vehement bekämpft hat. Was ist Ihnen denn die eigenständige Sicherung von Frauen wert, wenn Sie gerade die Elemente, die einen sichtbaren Fortschritt bringen, die wirklich einen gleichstellungspolitischen Aspekt in die Rentenversicherung einbringen, wie wir ihn bisher noch nicht hatten, bekämpfen? Warum haben Sie das vehement bekämpft?

Ich habe in der Tat eine Sorge, die Sie bereits angesprochen haben. Dabei geht es um die staatlich geförderte private Altersvorsorge, wenn wir nicht zu Unisextarifen kommen. Bis jetzt sieht es so aus, dass die Gefahr besteht, dass Frauen, wenn sie gleiche Leistungen erreichen wollen, höhere Beiträge zahlen müssten als Männer. Das ist in der Tat nicht gerecht. Deswegen haben wir dieses Thema im Vermittlungsausschuss platziert und wollen einen Vorschlag einspeisen, nach dem nur geschlechtsneutrale Altersvorsorgeverträge staatlich gefördert werden sollen. Wenn wir das hinbekommen, dann bekommen wir auch in diesem Punkt die notwendige Gerechtigkeit hin.

Ich hoffe - dabei setze ich auf die Unterstützung der CDU, die im Vermittlungsausschuss ein gewichtiges Wort mitzureden hat -, dass wir in diesem Feld eine gerechte Lösung erreichen, sodass Frauen trotz ihrer höheren Lebenserwartung nicht höhere Beiträge zahlen müssen, sondern dass die Belastungen gleich hoch kalkuliert werden. Unterstützen Sie uns. Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür.

Ich will noch einen Aspekt benennen, der schon im vergangenen Jahr beschlossen wurde. Das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist verändert und Ende vergangenen Jahres bereits zu geltendem Recht erhoben worden. Hiermit sind die Ungerechtigkeiten, die in der Blüm‘schen Reform vorhanden waren, abgeschafft worden.

Viele von Ihnen können sich noch an die Diskussionen in der letzten Legislaturperiode im Ausschuss erinnern. Wir haben damals die finanziellen Auswirkungen auf die Familien in Sachsen-Anhalt durchdekliniert. Es hat sich herausgestellt, dass viele Familien wegen der damals vorgenommenen Blüm‘schen Reform der Invalidenrente wirklich in die Sozialhilfebedürftigkeit abrutschen würden. Das ist jetzt verhindert worden und das nützt Frauen und Familien wirklich sehr.

(Zustimmung bei der SPD und von Ministerpräsi- dent Herrn Dr. Höppner)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Süßmuth und Frau Böhmer, Bundestagsabgeordnete der CDUFraktion, haben alle weiblichen Landtagsabgeordneten Mitte Februar angeschrieben. In dem Schreiben wurden in etwa Ihre Argumente aufgelistet, Frau Liebrecht. Der Bundesarbeitsminister Herr Riester hat sich daraufhin ebenfalls an alle weiblichen Landtagsabgeordneten in Deutschland gewandt und hat die Gegenargumente dargestellt.

Ich empfehle beide Schreiben zur geflissentlichen Lektüre, sie sind sehr aufschlussreich. Ich bitte auch darum, diese Schreiben ohne ideologische Scheuklappen zu lesen. Ich glaube, dass sich dann manche Diskussionen erübrigen. Manche können sich auch vertiefen. Auf die Beratungen im Ausschuss freue ich mich.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Tiedge, PDS, und von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner)

Danke, Frau Ministerin. - Frau Ministerin, Herr Dr. Bergner -

(Herr Dr. Bergner, CDU: Ich verzichte!)

- Er verzichtet auf seine Frage.

Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Debatte eintreten, begrüße ich Schülerinnen und Schüler des Fallstein-Gymnasiums Osterwieck.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Es ist die erste Hälfte der Gruppe, die Platz genommen hat; in etwa 20 Minuten wird die zweite Hälfte Platz nehmen. Diese begrüßen wir hiermit ebenfalls.

Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden. Die Reihenfolge hatte ich genannt. Für die FDVP-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Weich.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zielt die Rentenreform auf eine Fortsetzung des Rentenabbaus ab? Wir meinen, ja. Viele Versicherte können nicht verstehen, warum sie sich nach einem harten Berufsleben und jahrelangem Zahlen von Rentenbeiträgen mit einer Rente zufrieden geben müssen, die manchmal nur knapp über der Sozialhilfe liegt.

Besonders hart trifft es nun nach einem erneut fehlgeschlagenen Rentenreformversuch die Frauen und Familien. Aber nicht die Frauen insgesamt, sondern die Mütter sind das Hauptopfer des ungerechten Rentensystems. Wenn sie die Betreuung und Erziehung von Kindern federführend selbst erbringen, dann wird dies in der sozialen Alterssicherung nicht leistungsgerecht berücksichtigt. Auch die aufgrund von Kindern eingeschränkten Erwerbsmöglichkeiten mit allen einkommensmindernden und damit wiederum rentensenkenden Effekten müssen in Betracht gezogen werden.

Sicherlich ist es richtig, wenn die FDVP-Frauenunion auf die im Durchschnitt viel niedrigeren Löhne und Gehälter verweist, um die deutlich höheren Renten von Männern zu erklären. Doch für die geschlechtsdiskriminierende Lohnpolitik sind in erster Linie die Tarifpartner und deren unterschiedliche monetäre Bewertung der beruflichen Tätigkeit verantwortlich. Auf dieser tarifpolitisch festgelegten Basis baut das Altersicherungssystem auf und führt logischerweise in Abhängigkeit von den eingezahlten Beiträgen zu verschieden hohen Rentenansprüchen.

Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit wird in dem bestehenden Altersicherungssystem an ganz anderer Stelle verletzt: bei der Bewertung der Kindererziehungsleistung. An der Benachteiligung von Eltern gegenüber Kinderlosen hat die rot-grüne Rentenreform nichts geändert.

Eltern werden wie Kinderlose in die geplante Rentenkürzung einbezogen. Die staatlichen Unterstützungszahlungen für Eltern zu der ersetzenden Privatvorsorge wird gezielt so niedrig angesetzt, damit Familien in jedem Fall einen Teil der neuen Belastungen selbst erbringen müssen. Selbst kinderreiche und einkommensschwache Eltern sollen von diesen Mehrbelastungen nicht verschont bleiben. Auch die etwas verbesserte Bewertung der Kindererziehung in den ersten zehn Lebensjahren bleibt weit unter den Rentenansprüchen, die jede durch

schnittlich verdienende Frau oder jeder durchschnittlich verdienende Mann ohne Kinder erwirbt.

Fazit: Die rot-grüne Bundesregierung setzt ihren Weg fort, noch mehr Anreize zum Verzicht auf Kinder zu schaffen. Nach der Steuerreform 2000 mit ihren familienfeindlichen Wirkungen unterbleiben in der gesetzlichen Alterssicherung nicht nur durchgreifende Verbesserungen zugunsten von Eltern, sondern es kommen bei der Teilprivatisierung neue Benachteiligungen hinzu. Es handelt sich mitnichten um eine Rentenreform, sondern um die Initiierung eines rentenrechtlichen Elternstrafmodells.

Die Unterbewertung der Kindererziehung bei der Gestaltung der Renten ist ein grundlegender Systemfehler. Dieser Irrtum hat zusammen mit einer völlig unzureichenden gesamtgesellschaftlichen Unterstützung der Familie einen massiven Rückgang der Geburten bewirkt. Die sinkende Kinderzahl machte eine Reform der Alterssicherung unumgänglich. Uneinigkeit besteht in der konkreten Ausgestaltung des Rentenvorhabens. Unverständlicherweise trägt die Bundesregierung mit dem Rentenkonzept dieser Erkenntnis nicht Rechnung.

Unter dem Strich ist somit keine durchgreifende Verbesserung der schon heute ungenügenden Rechtslage für Eltern vorgesehen, sondern sogar eine Verschlechterung. Die Gewinner dieser Rentenreform sind die Versicherungen, die eine jährliche Mehreinnahme in Höhe von 5 Milliarden DM zu verzeichnen haben werden. Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Frau Wiedemann hat für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, gestatten Sie mir, dass ich meine Verwunderung über Ihr Interesse an den Auswirkungen der Rentenreform auf Frauen und Familien zum Ausdruck bringe. Während der Regierungszeit von Herrn Kohl haben wir das leider oft vermisst.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Dr. Hein, PDS, und von Frau Dr. Sitte, PDS - Herr Dr. Bergner, CDU: Halten wir hier Bütten- reden oder sprechen wir über die Sache? - Heiterkeit bei der CDU - Oh! bei der SPD - Herr Bischoff, SPD: Wenn Sie Ihre Regierungszeit be- denken!)

- Der Fasching ist vorbei, Herr Dr. Bergner.

Die Ministerin hat ganz deutlich auf einige Unterschiede zwischen der Rentenpolitik der CDU-Regierung und der Reform der rot-grünen Regierung hingewiesen. Diese möchte ich jetzt nicht wiederholen.

Die jetzige Rentenreform ist nicht das Nonplusultra, das leugnet niemand.

(Zuruf von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Sie ist aber ein erster Schritt auf dem Weg zu einer gerechteren Rentenpolitik. Diesen hätte man schon früher gehen können. Es werden weitere Schritte folgen müssen, darüber sind wir uns im Klaren.

Die SPD-Fraktion wird einer Berichterstattung im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales zustimmen. Deshalb möchte ich das Thema an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Wir beantragen aber auch eine Berichterstattung im Ausschuss für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport. Dann können wir in den Ausschüssen unsere Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit noch einmal austauschen und gemeinsam überlegen, welche Wege realistisch und in der Zukunft umsetzbar sind. Danke.

(Zustimmung bei der SPD, von Ministerpräsi- dent Herrn Dr. Höppner und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Für die DVU-FL-Fraktion hatte Herr Czaja einen Redebeitrag angemeldet. Er hat signalisiert, dass er darauf verzichtet. - Es bleibt dabei. Für die PDS-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Dirlich. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist kein Geheimnis, dass die PDS die Kritik und die Ablehnung der rot-grünen Rentenreform mit der CDU durchaus teilt. Aber die Dicke der Krokodilstränen, die heute hier geflossen sind, wundert mich schon sehr.