Zweitens. Aufgrund der fehlenden oder mangelnden Deutschkenntnisse fällt es den ausgesiedelten oder ausländischen Schülerinnen und Schülern sehr schwer, dem Unterrichtsgeschehen in sprachbetonten und fachtextreichen Fächern zu folgen. Sie geraten in eine fachbezogene Isolation, deren Folge nicht selten Demotivation, Desinteresse oder sogar Depressionen sind.
Drittens. Eine weitere Folge ist die soziale Isolation innerhalb der deutschen Regelklassen. Dies äußert sich in der Sitzordnung im Unterricht, in Gruppenbildungen außerhalb des Unterrichts, im Spott der Mitschüler oder sogar in Diskriminierungen.
Viertens. An die Lehrkräfte werden neue didaktische und methodische Anforderungen gestellt. Sie fühlen sich teilweise in dieser Situation überfordert.
Fünftens. Es besteht eine hohe Fluktuation. Viele Schüler verziehen oder kommen als Seiteneinsteiger mitten im Schuljahr.
Sechstens. Die Familienmitglieder verfügen auch nur über mangelhafte Deutschkenntnisse. In der Regel erfolgt die Kommunikation außerhalb der Schule in der Muttersprache.
Eingedenk der aufgezählten Problemfelder stellt sich die Frage nach Lösungsstrategien zur Problembewältigung. Hilfreich sind dabei die im Abschlussbericht genannten Empfehlungen. Wir haben uns damit auseinander gesetzt und in unserem Antrag daraus Handlungsstrategien für die politische Ebene abgeleitet. Ich möchte im Folgenden nur auf die aus unserer Sicht wichtigsten eingehen.
Erstens. Es sollte eine Verbesserung des Angebots von Fördermaßnahmen zum Erlernen der deutschen Sprache erreicht werden. Grundlage dafür sollte ein im Staatlichen Schulamt angesiedelter verbindlicher Sprachstandstest für alle neu einzugliedernden ausländischen und ausgesiedelten Kinder und Jugendlichen sein.
Entsprechen die Leistungen den schulischen Anforderungen, kann eine Aufnahme in den dem Alter und den Leistungen entsprechenden Schuljahrgang der jeweiligen Schulform erfolgen. Entsprechen sie nicht den schulischen Anforderungen, sollte bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen die Möglichkeit der Einrichtung von Deutschvorbereitungsklassen oder -fördergruppen an einer Schule oder am Schulstandort bestehen.
In den alten Bundesländern können für ausgesiedelte und ausländische Schüler, die wegen erheblicher sprach
licher Schwierigkeiten dem Unterricht nicht folgen können, entsprechend den Gegebenheiten und Möglichkeiten besondere Unterrichtseinrichtungen wie schulformbezogene Vorbereitungsklassen eingerichtet werden.
Kriterien für die Einrichtung einer Vorbereitungsklasse an einer einzelnen Schule oder an einem Schulstandort können die Festlegung einer Mindestschülerzahl bzw. ein Beschluss der Gesamtkonferenz sein. Gemäß einem KMK-Beschluss sind diese Klassen Bestandteile der deutschen Schule.
Im Rahmen des Modellprojekts konnten bei der Einrichtung solcher niveaudifferenzierter Vorbereitungsklassen sehr gute Erfolge erzielt und beobachtet werden.
Die Notwendigkeit von Förderunterricht im Fach Deutsch besteht ebenso an den berufsbildenden Schulen. Als Zielgruppe gelten hier vorrangig jene ausgesiedelten und ausländischen Jugendlichen, die bereits mit einem anerkannten Schulabschluss nach Deutschland kommen, jedoch der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, bzw. für die Jugendlichen, die nur eine kurze Zeit an einer deutschen Schule verbracht haben.
Zweitens. Als Voraussetzung für die Erteilung des Deutschunterrichts bei ausgesiedelten und ausländischen Schülerinnen und Schülern sollte eine Qualifikation für Deutsch als Fremdsprache gelten. Dazu gilt es, diesen Schwerpunkt stärker als bisher in der Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung zu verankern.
Drittens. Wir fordern die Landesregierung auf, ergänzende Gestaltungsmöglichkeiten zur Fremdsprachenvermittlung sowohl in der Sekundarstufe I als auch an berufsbildenden Schulen zu schaffen.
Ausgesiedelte und ausländische Kinder und Jugendliche, die erst ab der Klassenstufe 6 in eine allgemein bildende Schule eintreten und bisher keinen Englischunterricht hatten, haben in der Regel keine Möglichkeit mehr, diese Fremdsprache zu erlernen. Ihre Muttersprache wird ihnen als erste Fremdsprache anerkannt. Sie verlassen nicht selten die Schule nur mit dieser Fremdsprache. Auch dadurch werden ihre beruflichen Perspektiven erheblich eingeschränkt.
Viertens. Von ebenso großer Bedeutung ist sowohl eine umfangreiche Aufklärung der Schüler und der Erziehungsberechtigten über das deutsche Bildungssystem durch eine qualifizierte schullaufbahnspezifische Beratung in den zuständigen Schulbehörden, Berufsberatungszentren und an der einzelnen Schule als auch eine Qualifizierung der Öffentlichkeitsarbeit bezüglich der Integrationsproblematik im gesamten Bildungs- und Ausbildungssystem.
Meine Damen und Herren! Wir fordern mit dem vorliegenden Antrag die Landesregierung auf, erstmals bis Ende Mai 2001 über die Umsetzungsmodalitäten und Folgekosten der im Antrag genannten Handlungsstrategien im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft zu berichten.
Ein erstes Teilziel besteht darin, die involvierten Ministerien, Behörden und die in der Schule Tätigen, aber auch die Öffentlichkeit in Sachsen-Anhalt für die Integrationsproblematik ausgesiedelter und ausländischer Kinder und Jugendlicher an allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen zu sensibilisieren, um dann die notwendigen Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Integrationsprozess schaffen zu können. Dazu zählt auch die Überarbeitung der derzeit gültigen Erlasslage.
Ich bitte Sie, das Anliegen der SPD-Fraktion zu unterstützen und dem Antrag direkt zuzustimmen. Eine sinnvolle Diskussion kann dann bei der ersten Berichterstattung im Ausschuss erfolgen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden in der Reihenfolge: CDU, FDVP, PDS, DVU, SPD. Als erster Rednerin erteile ich für die Landesregierung Frau Ministerin Dr. Kuppe das Wort, die heute den Part des Herrn Kultusministers übernommen hat.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Die Bildungspolitik SachsenAnhalts ist auf eine erfolgreiche schulische und soziale Integration von Kindern und Jugendlichen ausländischer Herkunft und aus Aussiedlerfamilien in den allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen ausgerichtet.
Für eine offene und eine demokratische Gesellschaft sind gleiche Bildungschancen für alle unerlässlich. Im Hinblick auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen ausländischer Herkunft und aus Aussiedlerfamilien in Schule und Berufsausbildung ist zu berücksichtigen, dass diese keine einheitliche Gruppe darstellen Frau Kauerauf hat es dargestellt -; vielmehr unterscheiden sie sich in vielerlei Hinsicht nach Vorbildung, nach Aufenthaltsdauer, nach Nationalität oder nach Rechtsstatus.
Die jeweiligen staatlichen Schulämter sind für die Aufnahme der Kinder und Jugendlichen zuständig. Vor der Schulaufnahme und vor der Wahl des Bildungsganges führen die staatlichen Schulämter mit den Erziehungsberechtigten und den Schülerinnen und Schülern ein Beratungs- und Aufnahmegespräch durch und legen besondere Fördermaßnahmen fest.
Es besteht sicherlich Einvernehmen darüber, dass die Förderangebote zum Erlernen der deutschen Sprache ganz besonders wichtig sind. In den 425 Sekundarschulen des Landes lernen im Schuljahr 2000/2001 insgesamt 1 023 Schülerinnen und Schüler aus dem Bereich von Ausländer- und Aussiedlerfamilien.
Die für die Einrichtung von Vorbereitungsklassen erforderliche Mindestschülerzahl von 15 wird nicht überall erreicht. Um eine flächendeckende Verbesserung der Fördermaßnahmen zu erreichen, wird die Einrichtung von Vorbereitungsgruppen geprüft. Dafür wäre schulübergreifend an eine Mindestschülerzahl von lediglich acht zu denken.
Auch im berufsbildenden Bereich wird für die entsprechenden Jugendlichen ein erweiterter Deutschunterricht in Abhängigkeit vom Kenntnisstand angeboten, wobei eine Verstärkung sicherlich angezeigt ist. Besondere Lernziele und Lerninhalte für den Intensivkurs sind zwar in den Rahmenrichtlinien ausgewiesen, sollten aber überprüft werden und auf ihre Praxistauglichkeit hin immer wieder evaluiert werden.
Für Lehrkräfte, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten, unterbreitet das Landesinstitut für Lehrerfortbildung, Lehrerweiterbildung und Unterrichtsforschung des Lan
des Sachsen-Anhalt Fortbildungsangebote. Dazu gehören Themenkreise wie didaktisch-methodische Hilfen zum Unterricht für ausländische Schülerinnen und Schüler und Kinder von Aussiedlern sowie Möglichkeiten zur Verbesserung der Beschulung und Integration von Aussiedler- und Ausländerkindern.
In den letzten Jahren konzentrierte sich die Fortbildung in stärkerem Maße auf Angebote der staatlichen Schulämter und auf schulinterne Veranstaltungen. Hier sind landesweit neun Fachmoderatorinnen und Fachmoderatoren tätig, die für ihren Einsatz in der regionalen und schulinternen Fortbildung auch fortlaufend qualifiziert werden.
Die im Antrag angesprochenen Punkte stellen eine sinnvolle Weiterentwicklung der bisherigen Praxis in den Schulen unseres Landes dar. Deshalb empfehle ich die Annahme des Antrags.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesem Hohen Haus sind wir uns einig: Die Integration von Kindern und Jugendlichen deutscher Spätaussiedler sowie aller ausländischen Kinder und Jugendlichen ist unendlich wichtig.
Unstrittig ist auch, dass vorhandene Sprachbarrieren ein Hauptgrund für eine Gruppenbildung unter Gleichen sind, die leicht zu einer Aussonderung führt, die wir alle nicht wollen können.
Aus langjähriger Erfahrung ist mir bekannt, wie schwer es oft ist, an die von Ihnen genannten Kinder und Jugendlichen heranzukommen und sie aus der teilweise schon bestehenden Isolation herauszubekommen.
Schon der Erwerb der erforderlichen Sprachkenntnisse bedeutet eine große Aufgabe. Wenn wir in dieser Hinsicht aber von Sprachbarrieren sprechen, meinen wir nicht nur die reinen Sprachkenntnisse als solche, sondern auch eine gewisse Kenntnis und Vertrautheit mit der Umwelt, mit Gepflogenheiten und Lebensart sowie unter anderem auch eine gewisse Kenntnis von Geschichte und Traditionen.
Um über etwas reden zu können, reichen Vokabeln und Grammatik nicht aus. Hinzukommen müssen Gegenstände, über die man mit anderen sprechen kann. Dies setzt eine zumindest in bestimmten Bereichen gemeinsame Erfahrungswelt voraus. Das betrifft dann allerdings nicht nur die von Ihnen genannten interkulturellen, sondern oft ganz simple kulturelle Lerninhalte.
Lassen Sie mich dazu ein bewusst ziemlich politfernes Beispiel anführen. Wenn man, wie wir das in Dessau über Jahre mit ca. 100 Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 16 Jahren getan haben, einen Bezug zum Weihnachtsfest vermitteln will, stellt man rasch fest, wie viele für das Verständnis maßgebliche Kenntnislücken man neben den maßgeblichen Sprachproblemen beheben muss.
Ich stimme weiterhin der Feststellung zu, dass eine Integration von Kindern und Jugendlichen kaum am Elternhaus und am familiären Umfeld vorbei gelingen kann.
Ob es allerdings sinnvoll ist, die Hoffnung zu erwecken, die Schule könnte nebenbei auch eine familientherapeutische Aufgabe wahrnehmen, bezweifle ich.
Vielleicht sollte man zunächst einmal darauf achten, dass die Kinder möglichst früh, das heißt im Vorschulund im Grundschulalter, die entsprechende Förderung erhalten. Meines Wissens gibt es bereits von Schulämtern und Jugendämtern geförderte Maßnahmen und eine Sonderbetreuung dieser Schüler und Kinder. Es muss geprüft werden, welche Erfahrungen bei einer Ausweitung des Konzeptes übernommen werden können.
Kritisch möchte ich zum vorliegenden Antrag anmerken, dass weniger vielleicht mehr wäre. Statt einer Konzentration auf die Hauptprobleme erhalten wir von der SPD gleich noch einen regelrechten gesellschaftlichen Überbau mitgeliefert, bei dem ich mich nicht nur frage, ob er wirklich erforderlich ist, sondern auch, ob er nicht dazu angetan ist, das Erreichen des eigentlichen Zieles zu erschweren. Wenn sich nämlich herausstellen sollte, dass zum Beispiel besondere Maßnahmen zum Erwerb einer Fremdsprache, besondere Lehrerausbildungsmaßnahmen oder die erwähnte Einbeziehung der Eltern in dem gewünschten Ausmaß nicht ohne weiteres möglich sind, dann droht meines Erachtens die Gefahr, dass auch das Erlernen der deutschen Sprache als Voraussetzung für einen Schulabschluss in den Hintergrund gerät.
Hätten wir einen ähnlichen Antrag eingebracht, dann hätten wir von der SPD bestimmt vernommen, dass es eines solchen Antrags nicht bedürfe,
weil das Thema, wenigstens anfangs, auch im Rahmen der Selbstbefassung behandelt werden könne. Dessen ungeachtet ist die CDU-Fraktion an einer Diskussion im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft interessiert, wo die Landesregierung dann sicherlich auch mit einer Art Machbarkeitsanalyse aufwarten wird. - Herzlichen Dank.