Protokoll der Sitzung vom 29.06.2001

Wir haben im Land viele gute Erfahrungen an den Schulen gemacht. Aber ich sehe auch große Defizite hinsichtlich der Musikausbildung, die wir im Rahmen der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern in unteren Klassen hatten. An dieser Stelle gibt es einen Fortbildungs- und Ergänzungsbedarf. Dafür sehe ich die von Ihnen angesprochene Idee als außerordentlich zielführend an, nämlich die Frage, wie können die Musikschulen und die Musikverbände außerhalb der Schulen eine Anregung leisten. Wir haben im Vorfeld Befragungen durchgeführt. Viele Grundschulen haben signalisiert, dass sie ein großes Interesse an einer solchen Zusammenarbeit haben.

Auf eine Schwierigkeit möchte ich aufmerksam machen, die Frage der Finanzierung solcher Aktivitäten. Wir befinden uns an der Schnittstelle zwischen den Aufgaben der Schulen und den kommunalen Aufgaben. An dieser Stelle müssen jeweils zwei Partner zusammenfinden, die auch das notwendige Geld bereitstellen. Darüber sollten wir auch reden.

Wir werden bei der Erarbeitung solcher Konzepte Vertreterinnen und Vertreter der Grundschulen, der Musikschulen und selbstverständlich der kommunalen Spitzenverbände an den Tisch bitten. Ich freue mich auf die Diskussion. Sie kann sehr interessant werden. Schönen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Wir beginnen die Debatte der Fraktionen. Für die FDVPFraktion spricht zunächst Frau Helmecke. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Einstellung zur Musik ist sehr unterschiedlich. Sie reicht von der ironischen Feststellung Wilhelm Buschs: „Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.“ über die Aussage, dass nur böse Menschen keine Lieder kennen, bis zur Weisheit eines Goethe, der über Musik schrieb: „Wer die Musik nicht liebt, verdient nicht, ein Mensch genannt zu werden. Wer sie liebt, ist ein halber Mensch. Wer sie aber treibt, der ist ein ganzer Mensch.“

Meine Damen und Herren! Nun mag sich jeder selbst einordnen in Kenntnis seiner musikalischen und instrumentalen Fertigkeiten. Aber keiner von uns wird bestreiten, dass in frühester Kindheit mit Musik oder mit dem Fehlen der Musik die heranwachsende Persönlichkeit geprägt wird. Oft wird sich dabei auf die Wertung Friedrich Nietzsches berufen, der davon sprach, dass ein Leben ohne Musik ein Irrtum sei.

Meine Damen und Herren! Es wäre nicht nur ein Irrtum, sondern ein Leben ohne Gefühl, ohne den Reichtum eines Gefühls. Selbst große Persönlichkeiten antworten auf die Frage, was sie gern noch lernen möchten, dass sie sich wünschen, ein Instrument spielen zu können.

Ein Altbundespräsident trällerte einst das Lied vom gelben Wagen und animierte so zum Mitsingen.

Bundespräsident Rau aber wünscht sich eine Gesellschaft, in der es Menschen gibt, die sich selbst in einer Begegnung mit dem musikalischen Werk prüfen, im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit, aber auch im Hinblick auf ihre Wahrnehmungsfähigkeit. Das formulierte Rau aus Anlass des Wettbewerbs 2000 „Jugend musiziert“.

Um sich diesen Wunsch nicht erst im abgeklärten Alter erfüllen zu können, bedarf es der frühzeitigen Heranführung der Kinder und Jugendlichen an die Musik. Aber zweifellos besteht ein krasser Widerspruch zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit, wenn, zwar unterschiedlich in den Bundesländern, in den Grund- und Hauptschulen bis zu 80 % der Musikstunden ausfallen oder fachfremd erteilt werden. Und der Irrtum des Lebens besteht dann darin, dass all das als weniger tragisch und verhängnisvoll bewertet wird als der Ausfall einer einzigen Informatikstunde.

Meine Damen und Herren! Wie heftig schlagen in der Öffentlichkeit die Emotionen Wellen, wenn es um die Lizenzen für Fußballvereine geht. Wie teilnahmslos und unbeweglich reagieren dagegen die Menschen, wenn kulturelle Einrichtungen und Unterrichtsstätten reduziert oder gar geschlossen werden.

Meine Damen und Herren! Wenn ein solcher Fakt zutrifft, dann gilt es zunächst einmal Ordnung und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass eine musische Bildung und Erziehung erfolgen kann. Es sollte doch auch bedacht werden, dass es nicht in den Bereich der Sagen gehört, dass unsere Senioren davon berichten, dass jeder Dorfschullehrer und auch der Kollege in der Stadt ein Instrument beherrschte und den Unterricht mit einem Lied begann. Dass diese Tradition unter Margot Honeckers Erziehungsherrschaft in unsäglichen Fahnenappellen und Freundschaftsmeldungen endete und versiegte, sollte uns nicht davon abhalten, verschüttete Traditionen zu erwecken, vor allem im Interesse der Kinder.

Forschungen zur Musikerziehung zeigen auf, dass soziale Kompetenz, die auch moralische und kommunikative Kompetenz einschließt, durch das Musizieren und durch Musikerziehung gefördert wird. Wie wahr und wie heuchlerisch zugleich ist das Wort von Bundesinnenminister Otto Schily, der sagte, wer Musikschulen schließt, der schadet der inneren Sicherheit. - Wie wahr, wie wahr. Unter dieser Bundesregierung streicht doch der Rotstift gnadenlos die Zuwendungen in diesem Bereich.

Meine Damen und Herren! Ich finde es erstaunlich, dass Fraktion der PDS diesen Antrag vorlegt, hat doch gerade die PDS die geschlossenen Schulanstalten parlamentarisch durchgedrückt, die die Möglichkeiten und bewährten Strategien der außerschulischen musischen Erziehung, nicht nur der Musikschulen unterschiedlicher Träger, erheblich einschränkte oder gar ausschloss. Der angespitzte Rotstift im Kulturhaushalt wird ebenso von der PDS geführt und konterkariert deshalb diesen Feigenblattantrag. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDVP)

Jetzt spricht für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Herr Kuntze. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte nahtlos an die letzte Aussage des Ministers Harms, er freue sich auf die Diskussion im Ausschuss, anknüpfen, sodass ich mich schon auf den Weg gemacht hatte und übersehen hatte, dass die FDVP vorher dran war.

Etwas verblüfft bin ich von dem Antrag nur insofern, als er überhaupt gestellt wird. Ich hatte gedacht, dass Sie darauf auch eingehen. Der Hintergrund ist, Musikschulen in Sachsen-Anhalt haben eine erfreuliche Entwicklung genommen. Die Schülerzahlen steigen. Die kommunalen Träger haben, unterstützt durch die Landesförderung, viel dafür getan, dass sich auch die äußeren Bedingungen entscheidend verbessert haben. Dennoch besuchen weniger Kinder in den neuen Ländern den Unterricht an Musikschulen als in den westlichen Ländern.

Zusätzlich wird die Situation dadurch erschwert, dass die Unterrichtsversorgung im Schulfach Musik völlig unbefriedigend ist. Musiklehrer gehören zu den Lehrern in den so genannten Mangelfächern. Im Ergebnis werden Grundschullehrer im Sekundarschulbereich eingesetzt. Wie der Präsident des Landesmusikrates, Herr Dr. Werner, unlängst wieder einmal betonte, kann man fast, etwas überzeichnet, davon ausgehen, dass in den Grundschulen fast nur noch fachfremd Musikunterricht erteilt wird. Die „Löcher“ im Sekundarschulbereich werden dadurch gestopft, dass Grundschullehrer umgesetzt werden.

Vor diesem Hintergrund steht die Absicht, die Herr Gebhardt zitierte, des Landesverbandes der Musikschulen, des Landesmusikrates, des Verbandes deutscher Musikschulen und der Landesvereinigung kulturelle Jugendbildung, eine gemeinsame Initiative für musikalische Bildung zu starten und zu versuchen, die Grundschule mit festen Öffnungszeiten einzubeziehen.

Dazu gab es eine große Gesprächsrunde, zu der neben den Vertretern der Verbände auch Vertreter der Landtagsfraktionen eingeladen waren, die auch weitgehend gekommen waren. Genau darauf - Herr Gebhardt, Sie waren dort - wird mit dem Antrag Bezug genommen. Herr Dr. Harms, es waren auch Vertreter aus der Kulturund der Bildungsabteilung Ihres Ministeriums anwesend, die genau das zugesagt haben, was in dem Antrag steht. Insofern bin ich verwundert, dass wir diesen Antrag noch einmal bearbeiten. Im Grunde - um es salopp zu sagen - rennen wir damit offene Türen ein. Schädlich ist er nicht.

(Heiterkeit bei der CDU - Zuruf von Frau Stolfa, PDS)

Man muss aber wissen, dass bestimmte Probleme in der Debatte eine Rolle spielen werden. Es kann nicht sein und es ist auch nicht das Ziel der Initiative, beispielsweise den Fachunterricht an Grundschulen durch Angebote der Musikschulen zu ersetzen. Umgekehrt machten die Musikschulvertreter von vornherein deutlich, dass die Initiative, wenn sie mit den Haken, die noch zu bearbeiten wären, klappen sollte, überhaupt nur in 10 % der Grundschulen wirksam werden kann.

Das ist für Bildungspolitiker sofort der Hinweis auf das Schlagwort „Modellversuch“. Damit könnte man eventuelle gesetzliche Schwierigkeiten zumindest punktuell außer Kraft setzen, sodass ich gute Chancen sehe.

Die Schwierigkeiten sind hauptsächlich die: Schule ist vom Inhalt her eine Landesveranstaltung, während

Musikschule eine kommunale Veranstaltung ist. Kurz und gut, die Zuständigkeiten könnten sich dabei etwas überlappen. Mit etwas gutem Willen ist dieses Problem lösbar. Die Finanzierungsfragen, die daraus resultieren, sind auch lösbar. Insofern, denke ich, gehört das in den Ausschuss hinein.

Ich komme zurück auf den Antrag. Wie gesagt, wir halten den Antrag nicht für unbedingt erforderlich. Aber niemand und nichts wird uns als CDU-Fraktion daran hindern, zu bekräftigen, was wir auch in der Beratung gesagt haben. Wir sind dafür, in diesem Sinne zu verfahren. Insofern freuen auch wir uns auf die Diskussion im Ausschuss und stimmen dem Antrag natürlich zu.

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU, von Herrn Dr. Daehre, CDU, und von Frau Stolfa, PDS)

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Kauerauf. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Hauptsache Musik - Musik braucht Bildung, Bildung braucht Musik“ - so heißt eine Initiative des Deutschen Musikrates, die den Stellenwert der musikalischen Bildung für den Menschen und für die Gesellschaft bewusst machen soll. Die Zielsetzungen der Initiative sind die Sicherstellung und der Ausbau der musikalischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland. Anlass ist ein sich ständig vergrößerndes Defizit in Bezug auf den Zugang von Kindern und Jugendlichen zur musikalischen Bildung. Erreichbar kann dieses Ziel nach Angaben des Deutschen Musikrates durch die Stärkung der vorhandenen Strukturen und den Ausbau zusätzlicher Möglichkeiten von musikalischer Bildung sein.

Wir als Sozialdemokraten befürworten im Sinne der Chancengleichheit eine ungehinderte Teilhabe an den Möglichkeiten musikalischer Bildung für alle Kinder unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern. Da seit dem Jahr 1990 laut einer Statistik der finanzielle Anteil der Eltern für die Ausbildung ihrer Kinder an Musikschulen von 38 % auf 45 % gestiegen ist, ergibt sich die Notwendigkeit, darüber nachzudenken, wie man verhindern kann, dass diese Ausbildung zum Privileg vermögender Eltern und gut situierter Familien wird.

Leider müssen wir demgegenüber an den allgemein bildenden Schulen - der Grundschulbereich ist eingeschlossen - registrieren, dass im Fach Musik eine fachgerechte Unterrichtsversorgung mit Problemen verbunden ist. Ein wesentlicher Grund besteht darin - das wurde hier bereits gesagt -, dass es immer weniger Musiklehrer bzw. Lehrer mit einer entsprechenden Lehrbefähigung gibt. Dabei ist der Beitrag der musikalischen Bildung und deren Wirkung auf die Entwicklung einer positiven Persönlichkeitsstruktur einschließlich der Ausbildung seelisch-emotionaler Kräfte, geistig-intellektueller Fähigkeiten und sozialer Kompetenzen bereits genannt wurden.

Erfreulicherweise gibt es in unserem Land schon eine Reihe von Kooperationsformen zwischen Grund- und Musikschulen. Momentan sind solche Kooperationen aber noch vom Engagement der jeweiligen Schulleitungen, den an der Schule tätigen Musiklehrern, die entsprechende Programme entwickelt haben, und den zu

ständigen wohlwollenden Schulträgern, die der Finanzierung positiv gegenüber stehen, abhängig.

Meine Damen und Herren! Ein Beispiel für eine diesbezügliche gelungene Kooperation bietet die Stadt Hamburg. Sie ermöglicht allen Schülerinnen und Schülern im Rahmen der verlässlichen Halbtagsgrundschule die Teilnahme an gebührenfreiem zusätzlichen Musikunterricht, der Bestandteil des Stundenplanes ist. Hierbei muss allerdings betont werden, dass Hamburg mit dieser Lösung als Bundesland in Deutschland noch eine Leuchtturmfunktion hat.

Verständlich ist aus der Sicht des Landesverbandes der Musikschulen die Absicht, ihre Mitgliedsschulen mehr in die Arbeit der zukünftigen Grundschulen mit festen Öffnungszeiten nach dem Hamburger Vorbild einzubinden. Die Musikschulen befürchten jedoch, dass durch Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten ihre Angebote am Vormittag in einem wesentlich geringeren Zeitrahmen wahrgenommen werden können.

Aus unserer Sicht kann es sich bei den Kindern, die zu den angegebenen Zeiten den Musikunterricht besuchen, nur um Kinder der ersten und zweiten Jahrgangsstufe handeln. Die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 3 und 4 können aufgrund der Stundentafel auch schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht an den Vormittagsveranstaltungen der Musikschulen teilnehmen.

Wir sehen aber eine vielversprechende Chance darin, bei einer verstärkten Kooperation zwischen Schulen, Eltern und Musikschulen das Problem nicht nur zu entkrampfen, sondern auch neue Wege einer für alle Beteiligten nutzbringenden Zusammenarbeit zu erschließen. Im Rahmen der Abschätzung des notwendigen Finanzvolumens solcher Programme sollten auch Realisierungsmöglichkeiten für den Einsatz von Musiklehrern aus der Musikschule in der Grundschule geprüft werden.

Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion stimmt dem vorliegenden Antrag zu. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Die DVU-Fraktion hat auf einen eigenen Redebeitrag verzichtet. Für die PDS-Fraktion hätte jetzt der Abgeordnete Herr Gebhardt die Gelegenheit, sich über so viel Zustimmung zu freuen. - Das machen Sie auch, ohne dass Sie das von hier vorn tun. Dann ist die Debatte beendet. Wir kommen zur Abstimmung.

Meine Damen und Herren! Wer dem Antrag in Drs. 3/4642 neu zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der FDVP- und der DVU-Fraktion ist der Antrag mit großer Mehrheit beschlossen worden. Damit ist die Beratung zum Tagesordnungspunkt 25 abgeschlossen.

Meine Damen und Herren! Ich bin jetzt etwas verunsichert und frage deshalb noch einmal. Wir hatten heute Morgen mit Herrn Präsident Schaefer vereinbart, Ihnen anzubieten, auf die Mittagspause zu verzichten.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Ich betrachte das als allgemeine Zustimmung und ersehe daraus, dass heute früh darüber schon abgestimmt worden ist. Ich bitte nur darum, die nahtlose Bereitschaft der jeweils vorgesehenen Debattenredner sicherzustellen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung

Erarbeitung eines Landesentwicklungsberichtes

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/4644

Der Antrag wird eingebracht vom Abgeordneten Herrn Dr. Köck. Bitte schön.