Protokoll der Sitzung vom 11.10.2001

Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion

in der Reihenfolge PDS, DVU, SPD, CDU, FDVP vereinbart worden. Als Erstem erteile ich dem Herrn Innenminister Dr. Püchel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Diskussion zu diesem Antrag schließt sich nahtlos an die Beratungen zum vorigen Antrag an.

Graffiti-Schmierereien in unseren Städten sind in der Tat mehr als ein hinzunehmendes Ärgernis. Der Landtag befasst sich heute auch nicht zum ersten Mal mit diesem Thema.

Festzuhalten bleibt: Graffiti-Schmierereien beeinträchtigen nicht nur das Erscheinungsbild unserer Städte, sondern zunehmend auch das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in die Fähigkeit des Staates, ihr Eigentum zu schützen. Öffentliche Flächen und Verkehrsmittel sind genauso von Graffiti-Schmierereien betroffen wie private Hausfassaden. Gerade die Verunstaltung frisch sanierter Häuser richtet beträchtlichen Schaden an, und nicht nur bei denkmalgeschützten Häusern.

Unsere Polizeidirektionen haben sich auf die GraffitiProblematik eingestellt und wirken ihr unter anderem mit entsprechenden Ermittlungsgruppen entgegen. In diesen Gruppen arbeiten besonders geschulte Beamte sowohl repressiv als auch präventiv. Kollege Bergner hat eben einige sehr positive Beispiele aus Halle gebracht und auf die hervorragende Aufklärungsquote der PD Halle hingewiesen.

Es hat sich gezeigt, dass neben dem Wissen um die Strukturen der Sprayer-Szene und die Bedeutung der dort verwendeten Symbole vor allem eine qualifizierte Tatortarbeit von besonderer Bedeutung für die Aufklärung solcher Straftaten ist. Vielfach lassen sich Graffiti infolge der Verwendung bestimmter Symbole einzelnen Sprayern oder Sprayergruppen zuordnen. Insofern kommt insbesondere der fotografischen Beweissicherung eine herausragende Bedeutung zu.

Daneben werden erkannte Graffiti-Brennpunkte im Rahmen von speziellen Schwerpunktaktionen polizeilich überwacht, um Täter auf frischer Tat zu stellen und Beweismittel sicherzustellen, zum Beispiel Spraydosen, Schablonen oder Atemschutzmasken.

Des Weiteren widmen sich die Jugendsachbearbeiter der Polizei im Rahmen ihrer präventiven Tätigkeit verstärkt der Graffiti-Problematik. Unter anderem wird von ihnen in Präventionsveranstaltungen über die Strafbarkeit sowie über die gravierenden finanziellen Konsequenzen illegaler Graffiti aufgeklärt, auch darüber, dass Schadenersatzansprüche der betroffenen Eigentümer erst nach 30 Jahren verjähren.

Meine Damen und Herren! Illegale Graffiti sind als Teil der Kinder- und Jugenddelinquenz zumeist ein entwicklungsbedingtes Phänomen. Ein großer Teil der Sprayer ist zwischen 13 und 20 Jahre alt. Weitere täterorientierte Präventionsmaßnahmen sind daher der Besuch von Gerichtsverhandlungen mit Jugendlichen, der Besuch von Zivilgerichtsprozessen, in denen die Wiedergutmachung von Schäden an Gebäuden verhandelt wird, gezielte Flugblattaktionen in Jugend- und Freizeiteinrichtungen zur Information der Sprayer, die Konfrontation mit den Folgen der Tat im Täter-Opfer-Ausgleich.

Wenn es mit den von mir genannten Maßnahmen gelingt, den Sprayer als Einzelperson zu erreichen, ist der erste Schritt für einen Ausstieg aus der Sprayer-Szene getan. Jedoch reichen polizeiliche und justizielle Maßnahmen nicht aus.

Neben dem Staat und der Gesellschaft haben die Erziehungsberechtigten eine besondere Verpflichtung gegenüber ihren Kindern. Eltern sollten in dieser Beziehung besonders sensibel auf Auffälligkeiten bei ihren Kindern achten. Im konkreten Fall könnten dies Spraydosen, farbverschmierte Kleidung, nächtliche Abwesenheit usw. sein. Spätestens dann sollte das Gespräch mit dem Kind gesucht werden.

Neben dem Aufzeigen der Konsequenzen können sie auch sinnvolle Alternativen aufzeigen. In einigen Städten und Gemeinden werden zum Beispiel legale Sprühflächen für Graffiti angeboten. Frau Ministerin Schubert hat bereits auf die Aktivitäten der Polizeidirektionen von Magdeburg und Dessau hingewiesen.

Alle Graffiti-Sprayer wird man mit den aufgezeigten präventiven Maßnahmen wohl nicht erreichen können. Beim harten Kern der Sprayer-Szene kann Prävention allein nichts mehr bewirken. Bei diesem Täterkreis schützen nur noch Maßnahmen der Repression und die zivilrechtliche Inanspruchnahme von Wiederholungstätern.

Meine Damen und Herren! Ich fasse zusammen: GraffitiSchmierereien sind ein ernst zu nehmendes Problem, dem in unserem Lande durch eine Vielzahl repressiver und präventiver Maßnahmen begegnet wird. Den im vorliegenden Antrag verlangten detaillierten Bericht halte ich angesichts der heute und zu anderen Anlässen im Landtag gegebenen Informationen für entbehrlich. Ich sehe die Sonderermittlungsgruppen der Polizei lieber bei den konkreten Ermittlungen als beim Schreiben von Berichten aufgrund von solchen Anträgen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Herr Minister. - Die PDS-Fraktion, die DVU-Fraktion, die SPD-Fraktion und die CDU-Fraktion verzichten auf einen Redebeitrag. Deshalb hat jetzt der Abgeordnete Herr Wolf noch einmal das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin natürlich nicht verwundert, dass die Graffiti-Sektierer nicht reden wollen, betrachten sie doch Graffiti ausschließlich als Kunst. Die CDU hatte einen eigenen Antrag so wie wir.

Das Desinteresse der SPD ist nicht unbemerkt geblieben. Ihre ablehnende Haltung zu unserem Antrag auf einen Bericht ist nicht nachvollziehbar, es sei denn durch politische Nähe zu den Tätern und Chaoten.

(Herr Biener, SPD: So ein Quatsch!)

Das Land Sachsen-Anhalt hatte bereits im Jahr 1999 Initiativen im Bundesrat zur wirksamen Bekämpfung des Graffiti-Unwesens unterstützt, die jedoch von der rot-grünen Mehrheit des Bundestages in Verkennung der anstehenden Rechtsprobleme der Strafverfolgungspraxis einfach abgelehnt wurden.

Am 12. Juni 2001 startete das Land Berlin erneut eine Bundesratsinitiative zur strafrechtlichen Bekämpfung von Graffiti. Die Justizministerinnen und -minister der neuen Bundesländer bekräftigten seinerzeit ihre Absicht, bei der Suche nach effektiven Möglichkeiten gegen GraffitiSchmierereien behilflich zu sein.

Die Bemühungen des Landes Sachsen-Anhalt, GraffitiSchmierereien als Straftat zu ahnden, sind also unverkennbar. Auch berichtete die Justizministerin Karin Schubert in der 60. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt mit Stolz über die Arbeit verschiedener Graffiti-Projekte im Lande. Warum auch nicht?

Dennoch beabsichtigt man wohl, unseren Antrag, umfassend über die Arbeit der Sonderermittlungsgruppen Graffiti bei der Polizei zu berichten, abzulehnen. Das ist erkennbar. Dafür werden Sie das Verständnis der Graffiti-Opfer benötigen, ohne es zu erhalten.

Um das Bestmögliche zu erreichen, müssen Wollen und Tat in glaubwürdiger Beziehung stehen. Wenn Initiativen zum Graffiti-Unwesen geboren sind und bestehen, muss es auch Berichte geben. Anderenfalls ist man eben unglaubwürdig.

Meine Damen und Herren! Wir haben begründet. Ich darf Sie im Interesse der Öffentlichkeit bitten, dem berechtigten Interesse auf Berichterstattung zuzustimmen. Die Graffiti-Opfer sind gespannt und warten.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Wir sind damit am Ende der Debatte und kommen zur Abstimmung.

Eine Überweisung ist nicht verlangt worden. Deshalb ist über den Antrag in der Drs. 3/4969 direkt abzustimmen. Wer stimmt zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer ganzen Reihe von Befürwortern hat der Antrag insgesamt keine Mehrheit gefunden. Wir haben damit den Tagesordnungspunkt 14 abgeschlossen.

Ich rufe als letzten Tagesordnungspunkt für die heutige Sitzung den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung

Gegen das Vergessen der roten Diktatur

Antrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/5029

Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/5067

Der Antrag wird eingebracht von der Abgeordneten Frau Wiechmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als der Roman und der Film „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ von Thomas Brussig erschien, schieden sich die Geister, die sich darüber stritten, ob zehn Jahre nach dem Mauerfall bereits eine Komödie mit lauten und leisen Tönen, mit Lachen und Weinen all jene Geschichte und Geschichten widerspiegeln kann, die für viele Menschen eine Geschichte voller Leid, Schmerz, Verrat und Eingemauertsein bedeuteten.

Es gab sogar Bestrebungen, gegen den Regisseur Leander Haußmann gerichtlich zu klagen, weil sich Opferverbände gedemütigt fühlten, dass qualvolle Ge

schichte von einst so dargestellt wurde. Aber ein Gespräch zwischen beiden Seiten wirkte dann klärend. Ja, es mag verzerrend und beschönigend klingen, wenn am Ende des Romans der Erzähler über seine Erinnerung berichtet - ich darf bitte zitieren, Frau Präsidentin -:

„Sie, die Erinnerung, vollbringt beharrlich das Wunder, einen Frieden mit der Vergangenheit zu schließen, indem sich jeder Groll verflüchtigt und sich der weiche Schleier der Nostalgie über alles legt, was einmal scharf und schneidend empfunden wurde. Glückliche Menschen haben ein schlechtes Gedächtnis und reiche Erinnerungen.“

All das, meine Damen und Herren, ist menschlich verständlich und nachvollziehbar. Dennoch bedrückt es uns, wenn wir Stimmen vernehmen, die bewusst all das in ihrer Erinnerung ausklinken und bewusst ein Bild der Vergangenheit zeichnen, das nicht mehr allein mit dem weichen Schleier der Nostalgie begründet werden kann. Bei sehr vielen Darstellungen verstärkt sich der Eindruck, dass entweder die Vergangenheit geleugnet wird oder - und das ist ebenso schlimm und sogar verhängnisvoll - gar nicht mehr vorkommt.

So melden sich dann die berühmt-berüchtigten Schlussstrichzieher und Aktenverbrennungsfetischisten, sei es der Pfarrer aus dem nahen Wittenberg, der von Wolf Biermann so geschmäht und verachtet wird, oder sei es der Ministerpräsident Dr. Höppner mit seinen Worten von dem keineswegs so unangenehmen Leben in der DDR oder gar die mit der SPD kungelnde linksextremistische PDS, die sich in diesem Hohen Hause dagegen verwahrte, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, und dem machtverkommenen und erbarmungslos alle Andersdenkenden verfolgenden Erich Mielke im Nachruf hehre Ziele bescheinigte. Die Motive, meine Damen und Herren, der genannten Wortführer mögen unterschiedlich sein. Aber ihnen ist gemeinsam, dass ihre Forderungen nicht mit dem weichen Schleier der Nostalgie zu entschuldigen sind. Es ist vielmehr Methode. Es ist politisches Kalkül, politische Macht zu erhalten und diese auszubauen.

Diese Methode setzt sich fort, nistet sich ein und trifft nur auf eingeschränkten Widerstand von Menschen, die mit Alltagssorgen um ihren Arbeitsplatz, um ihre Zukunft voll beschäftigt sind. Das ist aber auch die einzige Art von Vollbeschäftigung in Sachsen-Anhalt.

Meine Damen und Herren! Als vor Wochen der MDR den DEFA-Film „Der Reserveheld“ kommentarlos präsentierte, glaubte sich der Zuschauer auf einen anderen Stern versetzt. Sozialistischer Humor war angesagt, der nicht nur vom Volksschauspieler Rolf Herricht vertreten wurde, sondern gleichfalls vom verständnisvoll agierenden Politoffizier, dem Kollektiv der Vaterlandsretter und den ach so spaßigen Szenen auf der Sturmbahn.

Warum sich bei einem solch lustigen NVA-Leben junge Menschen weigerten, das Ehrenkleid der NVA zu tragen, oder als ausgegrenzte und gedemütigte Bausoldaten ihren Dienst schrubbten, um dem berüchtigten Militärgefängnis in Schwedt zu entgehen, bliebt rätselhaft. Vielleicht sind die damaligen Spindkontrollen und verfassten Spitzelberichte eines späteren MDR-Moderators auch in die Kategorie „Es war ja nicht alles schlecht damals in der DDR“ einzuordnen.

Ein anderes Beispiel. Der MDR musste nach erheblichem Protest bei der Wiederaufführung des DEFA

Films „Die Glatzkopfbande“ einen Kommentar voranstellen, der zwar nicht diesen Film rettete, aber zumindest klarstellte, dass dieses durchaus publikumswirksame Machwerk die Verfälschung eines Vorganges verkörperte, den wir heute und damals schon in der Bundesrepublik als Jugendkultur und Jugendprotest einordnen würden.

Im tatsächlichen Leben erhielten diese Jugendlichen im Jahr 1961 zwischen vier und acht Jahren Zuchthaus - für ein Verbrechen, das darin bestand, dass sie alle Auswüchse der westlichen Unkultur aufgenommen hatten und in der Öffentlichkeit demonstrierten. Die Angeklagten gestanden, dass sie „heiße Musik liebten und sofort verzückt die Glieder zucken ließen“.

Meine Damen und Herren! Im Rehabilitierungsverfahren nach der Wende wurde die grausame Härte der durch das Bezirksgericht Rostock verhängten Zuchthausstrafen so erklärt:

„Durch diese grausame Härte sollte an jungen Menschen, die westlichen kulturellen Einflüssen ausgesetzt waren und sich für diese auch empfänglich zeigten, ein Exempel statuiert werden. Sie wurden als Feinde des Friedens stigmatisiert und dienten zur Begründung der am 13. August 1961 zur Erhaltung des Friedens und der Sicherung unserer Grenze eingeleiteten Maßnahmen.“

Die Verurteilungen dienten nicht der Verwirklichung von Gerechtigkeit, sondern ausschließlich dem Bemühen, die Politik des Mauerbaus auch vonseiten der Justiz zu unterstützen.

Meine Damen und Herren! Die in diesem Hohen Haus die linksextremistische PDS vertretende und zu SEDZeiten als Jugendstaatsanwältin wirkende Abgeordnete wird in ihren der Stasi zugearbeiteten Berichten kaum gegen diese inhumane Justiz protestiert haben.