Protokoll der Sitzung vom 11.10.2001

Verantwortung haben natürlich vor allem auch wir Politiker. Hier sage ich ganz bewusst „wir Politiker“, weil es eben keineswegs nur die Regierenden sind. Die Gewährleistung des Schutzes von Leben, Gesundheit, Eigentum und anderen Rechten ist ein elementares soziales Grundbedürfnis aller Menscher in diesem Lande. Lassen Sie uns besonnen und mit Augenmaß unser aller

Sicherheitsbedürfnis auf der einen Seite und die Freiheits- und Bürgerrechte auf der anderen Seite abwägen und das richtige Maß bei unseren Entscheidungen finden.

Meine Damen und Herren! In dieser Situation liegt der Landesregierung daran, in ihre Bemühungen möglichst alle, die sich für dieses Land verantwortlich fühlen, einzubeziehen. Die Ministerpräsidenten der Länder sind vom Bundeskanzler mehrfach unterrichtet worden. Auch heute Nachmittag wird in Berlin ein solches Gespräch im Bundeskanzleramt stattfinden. Wir haben uns in diesem Sinne auch unter den ostdeutschen Ministerpräsidenten gestern parteiübergreifend verständigt und uns ausdrücklich gegen einen parteipolitisch geprägten Wettlauf um die besten Sicherheitsmaßnahmen ausgesprochen.

Ich habe deshalb in der vergangenen Woche auch das Gespräch mit den Fraktionsvorsitzenden der CDU und der PDS gesucht, um sie über unsere Unterredungen in Berlin zu unterrichten und die Sicherheitslage im Lande zu besprechen. Ich kann heute sagen, dass ich je nach Lage solche Gespräche auch in Zukunft führen werde.

Ich glaube nicht, dass wir angesichts der jetzigen politischen Lage - abgesehen von der Konkurrenz um die besseren Lösungen in Detailfragen - allzu viel Raum für parteipolitisches Geplänkel geben sollten. Dazu sind die Fragen zu ernst.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Wir tragen nämlich alle Verantwortung, und die Bürgerinnen und Bürger im Land verlangen von jedem von uns, dass wir uns in entscheidenden Fragen zusammenraufen und gemeinsam Maßnahmen treffen, die jetzt geboten sind. Sicherheit und Kampf gegen terroristische Bedrohungen und Kriminalität sind solche entscheidenden Fragen.

Wir sollten uns aber auch über einen weiteren Punkt verständigen können: Es hat keinen Sinn, Bedrohungsängste und Hysterie zu schüren. Die Sicherheitslage im Lande ist stabil. Es gibt keinerlei Erkenntnisse oder Anzeichen für terroristische Anschläge. Auch gilt die Wahrscheinlichkeit, dass Sachsen-Anhalt ein bevorzugtes Ziel solcher Anschläge sein könnte, nicht als hoch.

Aber wir können solche oder andere in diesem Zusammenhang stehende Straftaten auch nicht mit letzter Sicherheit ausschließen. Wir werden darum aufmerksam, konzentriert und verantwortungsvoll das Notwendige zum Schutz des Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger tun. Dazu dient unser Maßnahmenpaket, das wir im Kabinett beschlossen haben und das nunmehr der Innenminister im Einzelnen erläutern wird. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Danke sehr. - Die Regierungserklärung wird fortgesetzt durch den Minister Herrn Dr. Püchel.

Zuvor begrüßen wir ganz herzlich eine Gruppe von Betriebswirten der Allgemeinen Ortskrankenkassen Sachsen-Anhalts sowie eine Seminargruppe der Fachhochschule der Polizei Aschersleben.

(Beifall im ganzen Hause)

Bitte, Herr Minister, Sie haben das Wort.

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für mich und sicherlich auch für alle meine Innenministerkollegen waren die vergangenen vier Wochen die schwersten in unserer Amtszeit. Unter dem Eindruck der im Innersten aufwühlenden und auch heute noch unfassbaren Anschläge auf New York und Washington mussten wir unmittelbar auf die deutlich geänderte Gefahr des internationalen Terrorismus für die innere Sicherheit reagieren.

Bei einer ersten Zwischenbilanz kann ich heute feststellen, die ergriffenen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr waren der Situation entsprechend und haben sich bewährt.

Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei Polizei und Verfassungsschutz, die unter dem schockierenden Eindruck der Ereignisse professionell und engagiert gehandelt und entschieden haben.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der PDS - Zustimmung von der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einen aktuellen Überblick zur polizeilichen Lage und zu den veranlassten Maßnahmen geben.

Die ersten Ermittlungen der amerikanischen und deutschen Strafverfolgungsbehörden sind sehr zügig und, gemessen an der sehr kurzen Zeit, erfolgreich verlaufen. In Deutschland hat der Generalbundesanwalt Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet und das BKA mit den Ermittlungen beauftragt. Gegen zwei flüchtige Mittäter wurden Haftbefehle erlassen und eine Öffentlichkeitsfahndung eingeleitet.

Das Spurenaufkommen des BKA liegt aktuell bei über 9 000 Spuren. Für Sachsen-Anhalt gab es bisher 61 Hinweise. 27 davon wurden abschließend bearbeitet. Konkrete Bezüge, die unmittelbar mit den Terroristen in Verbindung gebracht werden könnten, liegen für SachsenAnhalt jedoch nicht vor.

Sofort nach dem Bekanntwerden der schrecklichen Anschläge hat das Innenministerium am 11. September 2001 erste Maßnahmen veranlasst, wie zum Beispiel den Schutz jüdischer Einrichtungen, Niederlassungen amerikanischer Unternehmen, arabischer und islamischer Einrichtungen oder für Gemeinschaftsunterkünfte von Ausländern.

Beim Ministerium wurde ein Führungsstab eingesetzt, der insbesondere die polizeilichen Einsatzmaßnahmen der Polizeibehörden und Polizeieinrichtungen des Landes abstimmt. In den Polizeibehörden wurden ebenfalls Führungsstäbe eingerichtet.

Durch veränderte Prioritätensetzungen konnte das Personal im polizeilichen Präsenzdienst verstärkt werden. Im LKA wurde eine Sammel- und Informationsstelle eingerichtet. Als Sofortmaßnahme habe ich kurzfristig die Verstärkung des MEK Staatsschutz um acht Beamte veranlasst. Im Verbund mit den anderen Landeskriminalämtern und dem BKA führen wir eine Spurendokumendationsdatei zur Bearbeitung von Hinweisen in Sachsen-Anhalt bzw. Sachsen-Anhalt betreffenden Hinweisen. Daneben begannen wir mit der Unterstützung des Landes Berlin beim Objektschutz mit einer Hundertschaft unserer Bereitschaftspolizei.

Beim Verfassungsschutz wurde unter anderem unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Terrorattentate eine Arbeitsgruppe „Islamistischer Extremismus“ eingerichtet. Ihre Aufgabe besteht in der Sammlung und Auswertung der eingehenden Informationen sowie in der daraus abzuleitenden Erarbeitung von Maßnahmen, die mit den anderen Sicherheitsbehörden abgestimmt werden.

Der Vollständigkeit halber will ich noch berichten, dass wir frühzeitig einen Vermögensermittler zur Unterstützung von Finanzermittlungen an das BKA abgeordnet haben. Ein weiterer Finanzermittler wird ihm auf Bitten des BKA in Kürze folgen. Zusätzlich haben wir dem BKA spezielle Software zur Verfügung gestellt, die von unserem Landeskriminalamt zur Auswertung im Rahmen von Finanzermittlungen entwickelt wurde.

Letztere Maßnahmen sind mir besonders wichtig; denn ein entscheidender Aspekt im Kampf gegen den Terrorismus ist die Ausschaltung der Finanzierungsquellen. So stammen zum Beispiel mindestens 75 % des Heroins auf dem Weltmarkt aus Afghanistan - eine für die bin Laden schützenden Taliban wichtige Einnahmequelle.

Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, habe ich im Innenausschuss bereits einen Zwischenbericht gegeben. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bei den Mitgliedern des Innenausschusses für die konstruktive und zielführende Diskussion bedanken.

(Zustimmung von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Unser gemeinsames besonnenes Handeln trägt mit dazu bei, überbordende Ängste in der Bevölkerung zu vermeiden und Vertrauen zu schaffen. Wir Politiker haben an dieser Stelle eine ganz besondere Verantwortung, der sich alle Abgeordneten im Ausschuss auch bewusst waren. Ich hoffe, dass dieser Konsens erhalten bleibt; denn die Gewährleistung der inneren Sicherheit ist Aufgabe aller Demokraten.

(Herr Becker, CDU: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren! Es ist derzeit nicht absehbar, über welchen Zeitraum sich die Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus erstrecken werden. Eines ist klar: Es wird keine kurzfristig lösbare Aufgabe sein, dem weltweiten terroristischen Netzwerk den Boden zu entziehen.

Deutschland wurde wie auch andere europäische Staaten von einzelnen Terroristen als Ruhe- und Vorbereitungsraum genutzt, ohne selbst bisher Ziel von spektakulären Anschlägen gewesen zu sein. Festnahmen in der Bundesrepublik in der Vergangenheit zeigen jedoch, dass auch bei uns Anschläge nicht völlig auszuschließen sind. Ich erinnere nur an den geplanten Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg im letzten Jahr. Diesbezüglich haben die Sicherheitsbehörden, insbesondere das BKA, sofort und erfolgreich reagiert. Durch die schnelle Festnahme der Täter in Deutschland konnte ein Blutvergießen ungeahnten Ausmaßes verhindert werden.

Die Gefahr, dass sich in Deutschland weitere so genannte Schläfer aufhalten, die jederzeit aktiviert werden könnten, ist weiter vorhanden. Als Teil der Antiterrorkoalition kann die Bundesrepublik als Ziel entsprechender islamistischer terroristischer Anschläge nicht ausgeklammert werden. Sofort nach Bekanntwerden des amerikanischen und britischen Gegenschlages haben wir deshalb am Sonntagabend die für das Land geplanten Maßnahmen eingeleitet. So wurden unter anderem

die polizeilichen Präsenz- und Objektschutzmaßnahmen verstärkt.

Meine Damen und Herren! Es muss davon ausgegangen werden, dass es infolge der militärischen Aktionen der Nato-Verbündeten zunehmend zu Demonstrationen in Deutschland kommt, die auch mit Gewaltstraftaten verbunden sein könnten. Die Zahl so genannter Resonanzstraftaten hat sich mit den Militärschlägen weiter erhöht. Sie sind allerdings der kleinste Teil unserer Sorge.

Was die mittlerweile drei Milzbrandfälle in den USA betrifft, ist bisher nicht endgültig geklärt, ob sie einen terroristischen Hintergrund haben. Die Reaktionen auf die Meldungen haben aber gezeigt, wie verunsichert viele Menschen deswegen sind. Festzuhalten bleibt - das sagte der Ministerpräsident bereits -, dass die Lage in der Bundesrepublik stabil ist und es keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass unser Land Ziel terroristischer Anschläge werden könnte.

Meine Damen und Herren! Da ich in diesem Jahr den IMK-Vorsitz innehabe, steht Sachsen-Anhalt auch bei Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene besonders in der Pflicht. Die CDU-Fraktion greift mit ihrem Antrag diesen Beschluss auf, der durch einen Änderungsantrag der SPD-Fraktion ergänzt wird. Ich hoffe, dass er im Hause eine ungeteilte Zustimmung finden wird.

Als eine wichtige Maßnahme haben wir in SachsenAnhalt das Mittel der Rasterfahndung zeitnah umgesetzt. Das Amtsgericht Magdeburg hat am 26. September 2001 dem Antrag auf Anordnung der Rasterfahndung zugestimmt.

Weitere Punkte des IMK-Beschlusses wie die Einführung einer restriktiveren Visaerteilung, Maßnahmen der Luftsicherheit und die Intensivierung der Erkenntnisgewinnung auf nationaler und internationaler Ebene sind an die Bundesregierung gerichtet. Sie hat in der Folge einen Maßnahmenkatalog beschlossen, der unter anderem mehr Geld für die Sicherheitsbehörden und die Bundeswehr vorsieht. Im Verfahren befindliche Gesetzesänderungen betreffen unter anderem einen neuen Terrorismusparagrafen sowie die Einschränkung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht.

Ergänzende Maßnahmen auf Bundesebene, wie zum Beispiel die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung und die Lockerung des so genannten Bankgeheimnisses, sind derzeit in der Erarbeitung.

Natürlich hat sich die IMK auch mit den Problemen des Katastrophen- und Zivilschutzes beschäftigt. Der Arbeitskreis 5 hat den Bund unter anderem gebeten, sich mit den Themen Warnung und Selbstschutz der Bevölkerung, Verbesserung des Gesundheitsschutzes sowie mit dem ABC-Fahrzeug-Konzept zu befassen.

Im Lande werden gegenwärtig zum Beispiel Abwehrkalender und Sonderpläne des Katastrophenschutzes aktualisiert und die Führungsbereitschaft erhöht, damit die Katastrophenschutzstäbe lageangemessen reagieren können. Außerdem wird die Aus- und Fortbildung inhaltlich angepasst werden. Auf die Maßnahmen der Landesregierung in Form eines Sicherheitspaketes komme ich gleich zurück.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen kurzen Ausblick auf die europäische Ebene geben. In meiner

Funktion als IMK-Vorsitzender habe ich an den Ratssitzungen der EU-Innen- und Justizminister in Brüssel teilgenommen. Die Beschlüsse dieser Konferenz sehen generelle Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung auf internationaler Ebene vor. Hierzu gehören unter anderem Verbesserungen bei der Auslieferung mutmaßlicher Täter an andere Staaten, eine stärkere Überwachung der Außengrenzen der EU sowie Maßnahmen zur verbesserten Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten.

Terrorismusexperten der Mitgliedstaaten sollen Europol für zunächst sechs Monate unterstützen. Auch ist von deutscher Seite durch Bundesinnenminister Schily unter anderem die Einführung neuer Methoden zur Identitätssicherung und Identifizierung durch die Aufnahme von Fingerabdrücken bzw. anderer biometrischer Verfahren in Visa, Aufenthalts- und Identitätspapiere gefordert worden.

Die Erfahrungen haben gezeigt, dass eine sichere Zuordnung von Personalien und Personen gerade aus dem arabischen Raum häufig Schwierigkeiten bereitet. Deshalb halte auch ich es für sinnvoll, biometrische Verfahren oder die Fingerabdruckkennzeichnung von Visa und Pässen einzuführen.

Meine Damen und Herren! Wichtig ist, dass in weltweiter intensiver Zusammenarbeit Bekämpfungsstrategien erarbeitet werden, die nicht nur kurzfristige Erfolge erzielen, sondern langfristig Wirkung entfalten. Vor diesem Hintergrund müssen auch zahlreiche Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder auf den Prüfstand. Hierbei bedarf es eines auf allen Ebenen abgestimmten Konzeptes. Gesetzesinitiativen der Länder sollten sich daher in ein abgestimmtes Gesamtkonzept einfügen.

Meine Ministerkollegen und ich haben seit dem 11. September 2001 in regelmäßigen Telefonschaltkonferenzen intensive Abstimmungen getroffen, in denen ein gemeinsames Vorgehen vereinbart wurde. Die bundesweite Rasterfahndung nach so genannten Schläfern in Deutschland ist nur ein Beispiel hierfür. Auch auf der bevorstehenden Innenministerkonferenz werden die Konsequenzen aus den Terroranschlägen ausführlich beraten werden.

Der vorliegende Gesetzentwurf der CDU verkennt diesen Kontext. So wird wieder die Einführung der so genannten Schleierfahndung gefordert. Bekanntermaßen haben wir erst im vergangenen Jahr gemeinsam die Möglichkeit einer lagebildabhängigen Kontrolle im SOG verankert. Diese Regelung befindet sich zurzeit auf dem Prüfstand des Landesverfassungsgerichts.

Vorgeschlagen wird weiterhin, die polizeiliche Befugnis zur so genannten Rasterfahndung zu ändern. Die Vorschrift war 1991 auf Betreiben von Ihnen in unser SOG aufgenommen worden - einschließlich des Richtervorbehalts. Ich kann heute feststellen, dass sich diese Regelung bewährt hat. Das Amtsgericht Magdeburg hat nur 24 Stunden nach Beantragung durch das LKA eine Rasterfahndung nach dem SOG angeordnet. Dies zeigt doch wohl, dass die gesetzlichen Grundlagen für eine Rasterfahndung der gegenwärtigen Lage angemessen sind.