Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Junge Frauen heute sind selbstbewusster als die Generation ihrer Mütter. Sie gehen ganz selbstverständlich von Gleichberechtigung in der Schule, in der Ausbildung und im Studium aus und fordern diese auch in Partnerschaft und Familie ein. Individuelle und flexible Lebensplanung stehen im Vordergrund.
Die Forderung nach der Vereinbarkeit beider Bereiche, von Beruf und Familie, hat eine neue Dimension erreicht und stellt neue Anforderungen an die Politik, an die Gesellschaft und an die Männer. Es geht nicht darum, aus der Analyse des benachteiligten Wesens Frau im feministischen Sinn für die Gleichstellung zu streiten. Vielmehr sind gleiche Rechte der selbstverständliche Ausgangspunkt der Lebensplanung junger Frauen. Dieses Selbstbewusstsein muss in eine moderne Frauenpolitik Eingang finden, denn nötig ist dieser Politikbereich nach wie vor.
An die wirtschaftliche Notwendigkeit, Frauen mit allen ihren Fähigkeiten und Begabungen am Prozess der Erwerbsarbeit zu beteiligen, wird zurzeit immer wieder erinnert. Das ist auch richtig und gut so, soll hier aber nicht im Vordergrund stehen.
Als die 13. Shell-Jugendstudie im Jahr 2000 aufzeigte, dass bei den jungen Frauen von 22 bis 24 Jahren die berufliche Orientierung zugunsten der Familie zurückgeht, wurde noch einmal deutlich: Der Familiensinn ist nicht angeboren.
Vielmehr ist es positiv zu bewerten, dass junge Frauen sich heute zutrauen, beruflich erfolgreich zu sein und
eine Familie zu haben. Beides zusammen erleben die jungen Frauen allerdings angesichts des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland häufig als nicht realisierbar.
Meine Damen und Herren! Die Forderung nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit ist nicht nur Gegenstand der aktuellen politischen Diskussion, sondern - das ist neu - findet auch in der Wirtschaft zunehmend Gehör. Um qualifizierte und engagierte Beschäftigte für ein Unternehmen zu gewinnen und diese Beschäftigten im Unternehmen zu halten, reichen gute Verdienstmöglichkeiten und die Aussicht auf eine schnelle Karriere allein nicht aus. Selbst in dynamischen Unternehmen der IT-Branche erkennen die Beschäftigten, dass sich der Mensch nicht ausschließlich über seinen Beruf definiert. Die Möglichkeit, Erwerbstätigkeit und familiäre Aufgaben miteinander zu vereinbaren, beeinflusst ihre Motivation und Leistungsfähigkeit im Beruf.
Welches sind nun die konkreten Maßnahmen einer familienbewussten Personalpolitik? Um Unternehmen bei ihren Bemühungen zu unterstützen, wurde auf Initiative und im Auftrag der gemeinnützigen Hertie-Stiftung das Audit „Beruf und Familie“ entwickelt. Es ermöglicht Unternehmen, das Spektrum ihrer Personalmaßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit zu erfassen, weiterführende Ziele zu bestimmen und die Umsetzung zu kontrollieren. Es geht darum, die Verwirklichung von Chancengleichheit in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess einzubinden, nicht aber lediglich darum, die Familienfreundlichkeit zu einem Zeitpunkt X zu prämieren.
Das Audit „Beruf und Familie“ erfasst 130 Einzelmaßnahmen, die an allen klassischen Bereichen der Personalpolitik ansetzen. Gegliedert werden diese Maßnahmen in folgende Handlungsfelder: Arbeitszeit, Arbeitsabläufe und Arbeitsinhalte, Flexibilität des Arbeitsortes, Führungskompetenz, Personalentwicklung, Entgeltbestandteile und geldwerte Leistungen, flankierender Service für Familien.
Die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeiter ändern sich in den jeweiligen Lebensphasen. Deshalb ist ein möglichst aktueller Überblick über die familiären Interessen der Mitarbeiter wichtig. Auf diese Weise kann das Unternehmen frühzeitig familiär bedingte Möglichkeiten, Freiräume oder Einschränkungen berücksichtigen und die Personalplanung auf längere Sicht vornehmen. Wichtig ist die Tatsache, dass die Umsetzung einer familienbewussten Personalpolitik nicht zwangsläufig mit hohen Investitionen in Infrastruktur und Sozialbudget verbunden ist.
Die Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland hinkt der Familienpolitik in den meisten EU-Staaten um mindestens 15 bis 20 Jahre nach. Die bisherige Familienpolitik hat die Defizite nicht beseitigt, die tatsächlichen Bedürfnisse von Familien nicht wirklich erfüllt. Familienpolitik wird deshalb eines, wenn nicht das zentrale Thema der Zukunft sein.
Meine Damen und Herren! Die herausragende Veränderung der letzten drei Jahrzehnte ist das Bedürfnis von Frauen, erwerbstätig zu sein, Kinder zu haben und für beides die notwendige Zeit zu haben. Dies ist das Ergebnis einer Bildungsrevolution, die bewirkt hat, dass Frauen in ihrer Ausbildung mit den Männern gleichgezogen und sie teilweise überholt haben. Den Frauen wird derzeit eine Lebensperspektive angeboten, die ihnen nach der Ausbildung einige Jahre Erwerbstätigkeit erlaubt. Anschließend folgt die Familienphase, im Regelfall
mit mindestens drei Jahren Nichterwerbstätigkeit, um dann bis zum Beginn der Schulzeit der Kinder wieder zu arbeiten und anschließend oft mit niedrig qualifizierter Teilzeitarbeit das Heranwachsen der Kinder zu begleiten.
Erst dann ist für die meisten Frauen wieder Vollerwerbstätigkeit möglich. Doch sie entspricht meist nicht der ehemals erworbenen Qualifikation, die überwiegend in einer staatlich finanzierten Ausbildung erlangt wurde. Wer darüber rätselt, warum die Geburtenrate bei uns heute viel niedriger ist als in anderen EU-Ländern, findet hier einen der Gründe.
Meine Damen und Herren! Das Vereinbarkeitsproblem ist das Problem der Frauen. Wie sehr, zeigt eine Studie von Frau Professor Funke von der Fachhochschule in Darmstadt Mitte der 80er-Jahre, die leider nichts an Aktualität eingebüßt hat. Frau Professor Funke vergleicht Frauen und Männer in unteren, mittleren und oberen Führungsfunktionen im Hinblick auf ihre private Situation. Während Männer in diesen Funktionen zu 97 % verheiratet waren oder in einer festen Partnerschaft lebten und überdurchschnittlich viele Kinder hatten, waren 40 % der Frauen in diesen Positionen kinderlos und hatten weder eine feste Partnerschaft, noch waren sie verheiratet.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern ist für die Mütter heute zwar leichter als zu Zeiten ihrer Mütter, die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere aber ist nach wie vor mit immensen Schwierigkeiten verbunden. Frauen sind oft vor die Alternative gestellt, entweder auf Karriere und Erfolg zu verzichten oder auf Familie und Partnerschaft. Dass vor diesem Hintergrund Frauen gerade einmal in leichten Dosierungen in den Führungsetagen zu finden sind, ist also auch kein Wunder.
Meine Damen und Herren! Die Politik, ein großer Teil der öffentlichen Meinung machen uns glauben, dass Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren sind, wenn mehr Teilzeit angeboten wird und Männer sich stärker in der Familie engagieren. Sicher ist das hier und dort möglich. Auch im öffentlichen Dienst und in Monopolbetrieben sind Regelungen denkbar, die gemeinsam von Betroffenen und Betrieben getragen werden können. In allen anderen Betrieben - das sind sicher 80 % - gibt es Probleme, die vom Wettbewerb in einer leistungsorientierten Marktwirtschaft diktiert werden.
Leidtragende dieses Strebens nach Vereinbarkeit um jeden Preis sind die Kinder, die unter Stress und Zeitmangel der Eltern zu leiden haben, die Eltern, die strapaziert sind und von Schuldgefühlen geplagt werden, die Betriebe, für die plötzliche Ausfälle von wenigen Mitarbeitern schon ein Albtraum sind. Viele Mütter, die den dreijährigen Erziehungsurlaub voll ausschöpfen, bezahlen dies heute oft mit anschließender Erwerbslosigkeit, oder sie sind gezwungen, Tätigkeiten auszuüben, die weit unter ihrem Qualifikationsniveau liegen.
Eine echte Wahlfreiheit für Eltern erfordert nicht einfach nur mehr Geld für Eltern während der Zeit der Kindererziehung und die entsprechende Anerkennung bei der späteren Rentenhöhe. Zur Wahlfreiheit gehört unbedingt die gesicherte Rückkehrmöglichkeit auf den Arbeitsmarkt. Auch diesbezüglich haben die Verfassungsrichter in ihrem Kinderbetreuungsurteil alles Notwendige gesagt.
Der Staat muss auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgaben nicht zu beruflichen Nachteilen führt, dass eine
Rückkehr in eine Berufstätigkeit ebenso wie ein Nebeneinander von Erziehung und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile einschließlich eines beruflichen Aufstiegs während und nach der Zeit der Kindererziehung möglich ist und dass die Angebote der Kinderbetreuung verbessert werden; also ein klarer Auftrag der Verfassungsrichter an die Bundesregierung und an die Landesregierungen.
Tatsächlich hat die Regierung gerade das Bundeserziehungsgeldgesetz novelliert. Doch von gesicherten Rückkehrmöglichkeiten auf den Arbeitsmarkt für Erziehungsurlauber und -urlauberinnen ist in dem Gesetz nirgendwo die Rede. Die zentrale Botschaft an die Eltern lautet schlicht: Liebe Eltern, genauer: liebe Mütter, unterbrecht eure Erwerbsarbeit so kurz wie möglich und ihr habt keinerlei Probleme mehr am Arbeitsplatz.
Ein Runder-Tisch-Gespräch zum Thema Zukunft der Arbeit und der Familie ist vor allem eine Gelegenheit, noch einmal über das nachzudenken, was allzu oft als Gegensatz dargestellt wird, auf der eine Seite die Arbeit, auf der anderen Seite die Familie. Damit ist der Kontext benannt, und es geht nun darum, ein wenig Abstand zu nehmen und die Frage kritisch zu betrachten.
Insbesondere müssten die Verhältnisse in ihrer Dynamik betrachtet werden; denn es ist daran zu erinnern, dass Schwerpunkte nicht ein Leben lang festgelegt bleiben. Um sich davon zu überzeugen, genügt der Hinweis, dass sich die Rolle einer Mutter und ihre Verfügbarkeit schon mit dem Alter ihrer Kinder verändert.
Heute muss es um die Realisierungsmöglichkeit eines Lebens mit Kindern in einer wesentlich durch Arbeit geprägten Gesellschaft gehen. Das heißt, Zeit für Kinder muss als gleichberechtigter Anspruch neben der Zeit für Arbeit stehen, ohne Begrenzung auf die ersten Lebensjahre des Kindes. Es geht nicht darum, Kinder aus dem Erwerbsleben wegzuorganisieren, sondern darum, sie und ihre Bedürfnisse dort einzubinden. - Ich danke Ihnen.
Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Die Fraktionen sprechen in der Reihenfolge der CDU, PDS, DVU, SPD und FDVP. Zuerst erteile ich für die Landesregierung Ministerin Frau Dr. Kuppe das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Der Antrag der FDVP-Fraktion kann eigentlich mit einem Satz beantwortet werden: Die Landesregierung hat mit vielen Beteiligten im Land Sachsen-Anhalt das Programm zur Durchsetzung der Chancengleichheit von Frauen und Männern erarbeitet und dafür im Jahr 1999 einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vorgelegt, an dem im Land gearbeitet wird.
Dazu gehören die geschlechtsspezifische Erziehung und Bildung von Jungen und Mädchen in Kita und Schule, die Unterstützung von Mädchen bei der Berufswahl, bei der Entscheidung für eine Studienrichtung, Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Kita-Ausstattung in unserem Land, Aktionen gemeinsam mit der Wirtschaft zur Einführung von flexiblen personengerech
ten und arbeitsgerechten Arbeitszeiten, Maßnahmen gegen häusliche Gewalt sowie die demokratische Mitwirkung von Männern und Frauen.
Von den FDVP-Forderungen unterscheidet sich dieses Programm zur Förderung der Chancengleichheit allerdings in einem ganz entscheidenden Punkt: Unser Programm, das wir für das Land Sachsen-Anhalt aufgelegt haben, richtet sich gleichermaßen an Frauen und Männer; denn wir werden es keinesfalls dulden, dass Frauen entweder wieder zurück an den Herd geschickt werden oder ganz allein die Freuden und die Lasten von Erziehungsarbeit, Familienarbeit und Berufstätigkeit schultern sollen.
(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS - Frau Wiechmann, FDVP: Wissen Sie eigentlich, was Sie da erzählen? So ein ausgemachter Un- sinn!)
Deswegen ist es sehr wichtig, dass Väter ihre Chancen in der Familienarbeit erkennen und diese auch wahrnehmen. Das gehört zu einem Programm zur Chancengleichheit, zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dazu.
Das von der FDVP-Fraktion angesprochene Gutachten, die Studie zur Situation von Familien und Kindern in Sachsen-Anhalt, beleuchtet nur einen Ausschnitt. Es beleuchtet die finanzielle Lage von Familien in SachsenAnhalt, ihre Wohnsituation, ihr Freizeitverhalten und nimmt Stellung zur gesundheitlichen Situation von Kindern in Sachsen-Anhalt.
Diese Studie, die mein Haus in Auftrag gegeben hat, ist uns Handlungsgrundlage für die Weiterentwicklung von Familienpolitik in Sachsen-Anhalt. Dazu werden Studien im Übrigen in der Regel in Auftrag gegeben und finanziert.
Ich möchte die Unterbrechung der Frau Ministerin nutzen, um deutlich zu machen, dass bei diesem Tagesordnungspunkt die Bewegung im Raum und die Diskussionen von Abgeordneten untereinander sehr auffällig sind. Ich bitte, den Lärmpegel etwas zu senken.
Wir sind natürlich dabei, dieses Gutachten zur Grundlage weitergehender Maßnahmen der Familienpolitik in Sachsen-Anhalt zu machen. Dazu bedarf es nicht eines Antrages der FDVP-Fraktion. Ich finde es auch, gelinde gesagt, nicht besonders pfiffig, diesen Antrag zur Grundlage eines Alternativantrages der CDU-Fraktion zu machen.
Gesetzesvorhaben, alle Maßnahmen und Projekte der Landesregierung werden nach dem Gender-Mainstreaming-Ansatz regelhaft auf den Prüfstand gestellt, inwieweit sie die Chancengleichheit von Frauen und Männern fördern. Demzufolge wird auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, werden also auch familienpolitische Aspekte regelhaft geprüft. Das ist also schon normales Regierungshandeln.
Im Übrigen, meine sehr geehrten Damen und Herren, mache ich den Vorschlag, dass wir sowohl die Familienstudie als auch das Programm zur Förderung der Chancengleichheit im Land, das offensichtlich noch nicht bei allen Abgeordneten so bekannt ist, im Ausschuss diskutieren und dann auch über weiterführende Maßnahmen eine Verständigung herbeiführen. - Danke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Bei Umfragen in Deutschland wie in Europa nimmt die Familie im Wertekatalog der Bevölkerung regelmäßig einen Spitzenplatz ein. In den Prioritäten der Werteorientierung erreicht die Familie über 90 % und wird weit wichtiger eingeschätzt als Arbeit, Freizeit, Freunde, Religion oder Politik; die Tendenz ist steigend.
Wenn aber Demoskopen nach den politischen Prioritäten fragen, landet die Familienpolitik in der Regel irgendwo nach Platz zehn. Warnfried Dettling schreibt in seinem Buch „Wirtschaftskummerland“ - ich zitiere, Frau Präsidentin -: