Protokoll der Sitzung vom 15.11.2001

Meine Damen und Herren! Höflich wollten sie, die Mitarbeiter und Wirtschaftsverbände, auf die wirtschaftlichen Missstände in Sachsen-Anhalt aufmerksam machen jene 47 Verfasser eines offenen Briefes an MP Höppner. Sie beklagten das investitionsfeindliche Klima und sie fürchten, wenn sich der Kurs der SPD-PDS-Regierung nicht ändert, bleibt Sachsen-Anhalt überall Schlusslicht. Vielleicht war der Tenor des Briefes doch zu höflich; denn Herr Höppner wertete die Kritik als Rückenstärkung. Er hatte nur die müde Entgegnung parat, gerade erst in einer aktuellen Sitzung des Bündnisses für Arbeit diese Punkte angesprochen zu haben.

Nach der Wirtschaft scheinen in Sachsen-Anhalt bald auch alle Uhren stillzustehen. Es reichen nicht mehr höfliche Worte; nur noch ohrenbetäubendes Getöse kann MP Höppner aus seinem Dauerschlaf wecken. Das raten wir auch den Ammendorfern, vor allem im Hinblick auf die nächste Wahl. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDVP)

Danke sehr. - Den Standpunkt der SPD-Fraktion trägt jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Fikentscher vor. Bitte, Herr Dr. Fikentscher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich dachte, es wäre zu vermeiden, aber, Herr Kollege Bergner, ich muss doch an der Stelle, wo es hingehört, noch einiges zu Ihnen sagen, weil Sie mich enttäuscht haben. Ihre erste Ankündigung haben Sie nicht wahr gemacht und haben dann doch an Stellen Begriffe gebraucht und Kritik angebracht, wo es nicht berechtigt gewesen ist.

(Herr Gürth, CDU: Wo es berechtigt war!)

Aber, meine Damen und Herren, das soll nicht im Mittelpunkt stehen. Im Mittelpunkt - und zwar gänzlich - soll das Problem an sich stehen.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Ja!)

Das ist das Problem, dass der Waggonbau in Ammendorf in akuter Gefahr ist und dass die Folgen einer Schließung verheerend wären. Wir haben gerade von dem Kollegen Süß gehört, was für eine Bedeutung dieses Werk nicht nur für Ammendorf und Halle, sondern für die ganze Region und damit auch für das ganze Land hat.

Noch ist darüber aber kein Beschluss gefasst, noch kann er verhindert werden, noch gibt es Hoffnung, ihm zu entgehen. Folglich muss jede Möglichkeit genutzt werden, um den Schließungsbeschluss noch zu verhindern. Diese Einsicht muss Mut geben, auch wenn es gegen einen weltweit agierenden großen Konzern geht.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von der Regierungsbank)

Was können wir hier tun? Wir können nur - aber das ist viel - ein breites und geschlossenes Bündnis schließen. Die Frage ist, wer sich daran beteiligen kann. Dazu sage ich: Alle, die irgendeine Möglichkeit haben oder sehen, etwas gemeinsam zu tun, sollen sich daran beteiligen. Es geht um die Frage, was wir den Einzelnen sagen können, damit sie es tun und weiterhin tun.

Ich sage der Belegschaft: Geben Sie nicht auf! Lassen Sie sich nicht mutlos machen. Kämpfen Sie geschlossen weiter, auch wenn es unbequem ist und auch wenn im Moment bei Einzeldemonstrationen vielleicht nicht gleich der Erfolg zu sehen ist. Geben Sie nicht auf.

(Herr Dr. Daehre, CDU, schüttelt den Kopf - Herr Becker, CDU: Steine statt Brot!)

Ich sage dem Betriebsrat: Weiter so! Organisieren Sie den Widerstand. Mobilisieren Sie die Belegschaft und alle, die dazugehören. Argumentieren Sie weiter für die Erhaltung des Werkes.

(Beifall bei der SPD)

Beachten Sie dabei auch, wer auf Ihrer Seite steht und wer gegen Sie ist.

(Frau Fischer, Leuna, SPD: Jawohl!)

Ich appelliere auch an die Gewerkschaften, insbesondere an die IG Metall, weiter ihre ganze Kraft der Belegschaft und dem Betriebsrat zur Verfügung zu stellen. Es ist nicht irgendein Nullsummenspiel, das auf das Land ausgebreitet wird, es geht um diesen Standort. Die Bedeutung dieses Standortes ist allen bei uns so klar, dass man sie nicht näher erläutern muss.

(Zustimmung bei der SPD, von Frau Stolfa, PDS, und von der Regierungsbank)

Ich appelliere auch an alle Familien und Freunde, an die Bewohner von Halle und Umgebung, an alle, die mit diesem Werk direkt oder indirekt verbunden sind: Üben Sie Solidarität mit der Belegschaft! Demonstrieren Sie mit und zeigen Sie, dass dieser Standort für alle wichtig ist und nicht nur für die wenigen, die dort arbeiten, obwohl es natürlich sehr viele Menschen sind in dem größten Betrieb dieser Stadt.

(Zustimmung bei der SPD und von Ministerpräsi- dent Herrn Dr. Höppner)

Ich appelliere auch - aber dieser Appell ist glücklicherweise inzwischen längst erfüllt - an die politischen Vertreter in Halle, an den Stadtrat und an die Oberbürgermeisterin, weiterhin diese Geschlossenheit zu zeigen.

Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Sie es alle schon gelesen haben. Gestern ist im Stadtrat von Halle dazu ein Beschluss gefasst worden, ein klarer Beschluss. Dieser Beschluss ist einstimmig gefasst worden. Es hat noch nicht einmal eine Stimmenthaltung gegeben. Das zeigt, wie man auch die politischen Vertretungen einer solchen Stadt geschlossen auftreten lassen kann. Das gibt Kraft.

(Frau Feußner, CDU: Was soll denn die Stadt Halle machen?)

Ich appelliere auch an die Kammern. Es reicht nicht zu sagen, die Regierung hätte zu wenig Lobbyarbeit geleistet. Liebe Kammern, bitte leisten Sie selbst Lobbyarbeit.

(Zustimmung bei der SPD, bei der PDS und von der Regierungsbank)

Tun Sie selbst etwas dafür, dass dieser Standort so gut, wie er ist, auch von den Verantwortlichen wahrgenommen wird.

Ich appelliere auch an die Unternehmerinnen und Unternehmer dieses Landes und an all diejenigen, die kürzlich einen offenen Brief an den Ministerpräsidenten geschrieben haben: Schreiben Sie an Ihre Unternehmerkollegen von Bombardier einen offenen Brief und sagen Sie ihnen, was dies für ein Land ist, wie dringend dieser Standort gebraucht wird

(Zustimmung bei der SPD, bei der PDS und von der Regierungsbank - Frau Mewald, CDU, lacht)

und dass sie ihrer unternehmerischen Verantwortung auch in dieser Hinsicht gerecht werden müssen. Dies wäre wirklich einmal ein Ziel. Da hätte man einen Adressaten, der nicht auf unserer Seite steht, den man nicht so schnell auf unsere Seite bringen kann, aber den man beeinflussen kann. Schreiben Sie einen offenen Brief, alle die unterzeichnet haben.

Ich appelliere auch an die Parteien unseres Landes und an die Fraktionen. Die SPD-Fraktion hat vorgestern einen Beschluss zum Erhalt des Werkes Ammendorf gefasst. Viele werden ihn kennen. Die SPD-Fraktion hat eine gemeinsame Sondersitzung der Ausschüsse für Wirtschaft, Technologie und Europaangelegenheiten und für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr gefordert, um gemeinsam darüber zu beraten, was zu tun ist.

Die CDU-Fraktion hat eine Aktuelle Debatte beantragt. Es hätte auch ein Antrag sein können; wir hätten nicht widersprochen. Dazu hätte der Landtag auch ein gemeinsames Papier beschließen können. Aber Sie haben sich für einen anderen Weg entschieden. Das ist Ihre Sache.

(Herr Gürth, CDU: Das ist langsam peinlich!)

Aber dann doch etwas, Herr Kollege Bergner: Solche Worte wie - was haben Sie gesagt? - „Nachtwächterregierung“ passen nun wirklich nicht in diese Debatte. Das ist wirklich ein Ausscheren aus der Solidaritätsfront, die wir brauchen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von der Regierungsbank)

Und um eines vermeintlichen kleinen Sympathiegewinns in Ihrem Wahlkreis, dem Wahlkreis Halle, willen dieses Ausscheren aus der gemeinsamen Front zu riskieren, das halte ich nicht für in Ordnung. Ich glaube auch, dass es nicht gut ist, in dieser Zeit gegenseitige Vorwürfe zu erheben.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Das ist wohl wahr!)

Da suchen Sie doch nur nach Mitschuldigen, und die Bombardier-Leute sagen: Aha, wir waren es gar nicht allein. - Die Kraft, die uns zur Verfügung steht, wird dadurch gemindert. Das finde ich nicht gut.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Wenn Ihr Bundestagskollege Büttner schreibt, „die Schließung ist eine erneute Niederlage für die Regierung Höppner“, kann ich sagen: Wenn es zu dieser Schließung käme, dann wäre es eine Niederlage für die Beschäftigten dort, eine Niederlage für die Region und für

viele andere, und ich hoffe, dann würden Sie das auch als Ihre Niederlage empfinden.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von der Regierungsbank - Herr Gürth, CDU: Wozu bezahlen wir eine Regierung?)

Ich appelliere übrigens auch an die Medien. Es ist nicht gut, in den Medien den Eindruck zu erwecken, als sei die Schließung des Werkes beschlossene Sache, als habe es keinen Sinn mehr, etwas zu tun, und als sei es die Zeit der Mutlosigkeit. Nein, auch die Medien, meine ich, sollten sich nicht mit Vorwürfen, sondern mit Vorschlägen hervortun.

(Zustimmung bei der SPD - Widerspruch bei der CDU und bei der FDVP - Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Herr Dr. Fikentscher, Herr Professor Böhmer meldet sich. Ich weiß nicht, ob es eine Intervention oder eine Frage sein soll.

(Zurufe von der CDU)

Offenbar eine Frage.

Im Anschluss?

Im Anschluss.

(Herr Gürth, CDU: Peinlich, peinlich!)