Protokoll der Sitzung vom 15.11.2001

(Herr Gürth, CDU: Peinlich, peinlich!)

Es ist in der Tat so, dass bei denjenigen, die die Einzelheiten nicht genau kennen und die Chancen des Landes und all derjenigen, die hier kämpfen, nicht genau erfassen, der Eindruck erweckt wird, die Sache sei sowieso sinnlos und es sei nur noch ein Nachhutgefecht. Aber es ist nicht so und wir müssen auch um das ganze Werk kämpfen und nicht um Möglichkeiten nach der Schließung. Das ist nicht der richtige Weg.

Ich appelliere natürlich auch an unsere Landesregierung. Wir haben gehört, was die Landesregierung alles getan hat. Ich habe eine Liste von weit über zwei Dutzend Punkten, vom Jahr 1995 an bis vorgestern, dazu, was die Landesregierung in dieser Angelegenheit alles getan hat. Es ist einfach falsch zu behaupten, dass jetzt erst jemand aufwacht und jetzt erst etwas getan wird. Der Ministerpräsident, die Wirtschaftsministerin und der Verkehrsminister haben in diesen Fragen inzwischen sehr viel getan.

Ich möchte auch noch eines richtig stellen: Es ist unglücklicherweise in der Presse vermittelt worden, die Wirtschaftsministerin hätte erklärt, sie sei für ein solch großes, bedeutendes Werk nicht zuständig. Das ist natürlich falsch. Natürlich ist auch die Wirtschaftsministerin dafür zuständig, und als ich sie gefragt habe, hat sie von dieser Mitteilung gar nichts gewusst. Das ist selbstverständlich ihre Verantwortung. Diese Mitteilung sollte aus der Welt sein und deswegen ist das gemeinsame Auftreten in dieser Frage richtig und gut gelungen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regie- rungsbank)

Auch die Einrichtung einer Arbeitsgruppe ist sicherlich ein richtiger Weg in dieser Zeit, in der man vieles tun kann. Die Frage, ob man den Wahlkampfbeauftragten der CDU in diese Gruppe hineinnehmen sollte, ist sicherlich umstritten. Aber das wird niemanden verwundern.

Ich appelliere auch an die Bundesregierung, an meinen Freund Rolf Schwanitz, an das Kanzleramt und an Kurt Bodewig, die alle in dieser Frage tätig sind. Sicherlich ist der sofortige Vergleich mit Philipp Holzmann nahe liegend. Sicherlich ist dies allerdings ein Fall gewesen, der ganz besondere Bedingungen hatte. Aber unser Wunsch und unsere Bitte gehen selbstverständlich auch an den Bundeskanzler, in dieser Richtung tätig zu werden.

(Beifall bei der SPD - Herr Dr. Daehre, CDU: Forderung, nicht die Bitte!)

Ich appelliere auch an die Deutsche Bahn AG, an Kollegen Mehdorn; denn die Aufträge, die aus unserem Land kommen, reichen für den Erhalt des Werkes Ammendorf nicht aus. Das wissen wir. Also muss darüber hinaus versucht werden, alle möglichen Aufträge, die in Deutschland zu bekommen sind, für diesen Konzern und in Umschichtung für dieses Werk zu erhalten. Also auch die Deutsche Bahn AG als Bundesunternehmen, wenngleich privatwirtschaftlich geführt, ist hierbei gefordert.

Als Letztes appelliere ich natürlich auch an den Bombardier-Konzern. Die Konzepte mögen betriebswirtschaftlich überzeugend sein, aber verheerend sind sie, wenn sie ausgeführt werden, für eine ganze Region. Darin steckt unternehmerische Verantwortung, die nicht nur darauf gerichtet sein kann, eine hohe Rendite zu bekommen, und darin steckt unternehmerische Verantwortung, wenn man weiß, dass die meisten Aufträge eines solchen Konzerns von der öffentlichen Hand kommen.

Kommen Sie bitte zum Ende.

Folglich ist die öffentliche Hand auch mit zu berücksichtigen.

Ich fordere sie also auf, im Interesse der Belegschaft und der Bevölkerung der Stadt Halle, der gesamten Region und des gesamten Landes Sachsen-Anhalt zu entscheiden. Das hängt auch mit dem Wiederaufbau der neuen Bundesländer zusammen und nicht nur mit einem einzigen Standort.

Es ist jetzt nicht die Zeit der Verbitterung und Enttäuschung; es ist die Zeit des Kämpfens und die Zeit der Auseinandersetzungen mit denen, die Entscheidungen gegen Ammendorf vorbereiten. Es ist nicht die Zeit des Kämpfens gegeneinander, sondern des Kämpfens miteinander. Gemeinsam gibt es eine Chance. Im Ziel müssen wir uns einig sein, auf dem Weg müssen wir uns einig sein.

Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Dr. Fikentscher.

Wer direkt oder indirekt etwas tun kann, soll sich einbringen. Streit sollte erst dann wieder aufkommen, wenn

wir über die Anteile am Erfolg sprechen. Das wäre ein guter Schluss. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Stol- fa, PDS, und von der Regierungsbank)

Danke sehr. - Herr Dr. Bergner möchte eine Zwischenbemerkung machen. Bitte, Herr Dr. Bergner. Der Redner darf darauf antworten. Die Zeit für die Zwischenbemerkung beträgt nach der Geschäftsordnung etwa zwei Minuten.

Herr Präsident, ich wollte die Bemerkung machen, als mich Herr Kollege Fikentscher für den Satz kritisierte: „In Zeiten des globalen Wettbewerbs haben Nachtwächterregierungen keine Chance.“

Ich habe diesen Satz bewusst gewählt, weil mir am Fall Bombardier deutlich geworden ist, was es bedeutet, als Landesregierung regionale und nationale Wertschöpfungsketten gegen einen Konzern zu verteidigen, der die Mehrheit seiner Shareholder jenseits des Atlantiks hat. Ich habe diese Äußerung nicht auf irgendeine Landesregierung bezogen,

(Lachen bei der SPD und bei der PDS - Ministe- rin Frau Budde: Ach! Was hat das dann mit uns zu tun? - Herr Sachse, SPD: Es wird nicht bes- ser!)

aber ich finde es bemerkenswert, dass Herr Kollege Fikentscher und Herr Kollege Höppner diese Bemerkung ausdrücklich auf die eigene Landesregierung beziehen. Da möchte ich ihnen nicht widersprechen.

(Beifall bei der CDU, bei der DVU und bei der FDVP)

Herr Dr. Fikentscher, Sie können auf diese Bemerkung reagieren.

Herr Kollege Bergner, dann muss ich Sie tatsächlich gänzlich missverstanden haben.

(Heiterkeit bei der SPD - Frau Fischer, Leuna, SPD: Wir alle!)

Ich meinte, wir hätten über Sachsen-Anhalt und die hiesige Landesregierung gesprochen. Wenn Sie aber über arabische, asiatische oder südamerikanische Regierungen gesprochen haben, dann bitte ich um Nachsicht, dass ich Sie missverstanden habe.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Die Debatte zur Zukunft des Waggonbaustandorts wird abgeschlossen mit dem Beitrag der DVU-Fraktion durch den Abgeordneten Herrn Büchner. Bitte, Herr Büchner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen aus Ammendorf! Der kanadische Bombardier-Konzern beabsichtigt, den Waggonbaustandort Halle-Am

mendorf mit seinen 910 Beschäftigten und 80 Auszubildenden im Laufe des Jahres 2002 zu schließen. Die Waggonbaustandorte Bautzen und Mannheim hatten einen 90-Millionen-DM-Auftrag für Niederflurwagen erhalten, Halle-Ammendorf dagegen keinen, nicht einmal einen Ausgleich dafür. So viel war über den Betriebsrat des Ammendorfer Werkes zu erfahren.

Die am Montag ausgesprochene Drohung der halleschen Oberbürgermeisterin Frau Häußler zur Stornierung eines an Bombardier vergebenen 90-Millionen-DMAuftrages der Havag, falls Ammendorf dichtgemacht werden sollte, ist nichts weiter als eine Alibierklärung für wirtschaftliches Missmanagement. Wenn Frau Häußler sowie die hiesige Landesregierung im Vorfeld der Verhandlungen über die Vergabe adäquater Großaufträge an Bombardier ihre Hausaufgaben besser gemacht und darauf gedrungen hätten, dass Aufträge dem Halle-Ammendorfer Werk zugesprochen werden, so wäre die Karre noch aus dem Dreck zu ziehen gewesen.

Im Übrigen hat unsere Fraktion bereits im September 2000 in der 42. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt prägnant darauf verwiesen, dass sie erwartet, dass Herr Höppner in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung sowie der Konzernleitung der Waggonbau AG schnellstmöglich ein tiefgreifendes Konzept zum Erhalt des Standortes Halle-Ammendorf erarbeitet, um eben diese Arbeitsplätze zu erhalten und wenn möglich ihre Zahl zu erhöhen.

Nur eine politisch fundamentierte Einflussnahme sowohl der hiesigen Landesregierung als auch der Bundesregierung auf den Bombardier-Vorstand hätte das Aus für das modernste Waggonbauwerk Europas, wie es Ammendorf ist, verhindern können.

In der Presse war am 10. November 2001 zu lesen: „Ammendorfer Waggonbauer zittern um ihre Arbeitsplätze Landespolitik schaltet sich ein“ - aber, wie leider oft, viel zu spät. In der Wirtschaftspolitik - wie in vielen anderen Ressorts - ist diese Landesregierung mit ihrem Ministerpräsidenten Höppner an der Spitze überfordert bzw. ihr fehlt der klare Durchblick. Ein Mathematiker ist noch lange kein ausgereifter und fähiger Politiker, der imstande ist, im Interesse der hier lebenden Menschen Druck nach oben zu machen.

Meine Damen und Herren! Ein kurzer Rückblick: Im Jahr 1998 kaufte der kanadische Bombardier-Konzern die Deutsche Waggonbau AG auf. Im selben Jahr übernimmt die rot-rote Landesregierung die politische und wirtschaftliche Macht in Sachsen-Anhalt. Ihr selbst gestecktes Ziel: die Arbeitslosenquote in Sachsen-Anhalt auf ein Minimum zurückzufahren. Das Ergebnis ist bekannt: Die Quote der Arbeitslosen hat sich vervielfacht.

Das Werk in Ammendorf steht weiterhin stellvertretend für miserable Wirtschaftspolitik in Sachsen-Anhalt. Herr Höppner, Ihr Zeitungsnotruf vom 13. November 2001 in der „Mitteldeutschen Zeitung“ - Herr Präsident, ich zitiere mit Ihrer Genehmigung -: „Ich kämpfe jetzt“, ist wohl der blanke Hohn gegenüber allen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern in diesem Land, in Sachsen-Anhalt. Kämpfen für den Erhalt und den Ausbau von Arbeitsplätzen in unserem Land - das, Herr Höppner, hätten Sie bereits vor Jahren tun müssen. Sie wissen doch: Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, hat verloren. Sie, Herr Höppner, und Ihre Regierung haben bereits verloren.

Stirbt das Werk in Ammendorf, so stirbt auch ein weiteres Stück Geschichte der Stadt Halle; denn das tradi

tionsreiche Waggonbauwerk ist eines der letzten großen Arbeitgeber in dieser Region. Der anstehende Tod dieses Werkes betrifft analog sehr viele Zulieferbetriebe und Dienstleister. Dies bedeutet für weitere rund 500 Menschen den sozialen Abstieg.

Sachsen-Anhalt hat bereits mehr als 251 000 Menschen ohne Arbeit. Herr Ministerpräsident Höppner, wie viele sollen es noch werden? Sagen Sie den Menschen hierzulande endlich und ehrlich, dass insbesondere Ihre Wirtschaftspolitik im Land gravierend gescheitert ist; denn Wunder gibt es nur im Märchen. - Vielen Dank.

(Zustimmung von Herrn Kannegießer, DVU, und von Herrn Preiß, DVU)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Gemäß § 46 Abs. 6 der Geschäftsordnung werden Beschlüsse zur Sache nicht gefasst. Wir sind somit am Ende der Diskussion zum ersten Thema der Aktuellen Debatte - Zukunft des Waggonbaustandortes Ammendorf - angelangt.

Ich rufe nunmehr das zweite Thema der Aktuellen Debatte auf:

Gefährdung der inneren Sicherheit in SachsenAnhalt durch ungeprüfte Aufnahme von Flüchtlingen aus Problemländern

Antrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/5141

Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: FDVP, PDS, CDU, DVU, SPD. Nach der FDVP wird der Innenminister das Wort ergreifen. Ich bitte zunächst den Antragsteller, das Wort zu nehmen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Würde der normal verständige Durchschnittsbürger den Selbstlobaussagen seiner Volksvertreter Glauben schenken, dann hielte er diese Volksvertreter ausnahmslos für total abgeklärte Realpolitiker - schön wär's.

In der Politdarsteller-Wirklichkeit jedoch tanzen die Mäuse nicht nur auf den Berliner Regierungstischen. Besonders befremdend ist, dass man offenbar ohne nennenswerte Skrupel die Bürger beschwindelt und das sogar vor laufender Kamera und zugeschalteten Reportermikrofonen. Und wir, die Bürger, lassen das mit uns machen.

Meine Damen und Herren! Wir haben in den letzten Wochen nun das neueste Schaustück zur Verdummung der Bürger auf dieser Politbühne: Ottos Quelle-Katalog für Gerhard zu Beritt. Über all dem und vornweg steht natürlich die Frage, ob der schlitzohrige Otto Schily und sein kleiner IM Dr. Püchel aus Sachsen-Anhalt

(Frau Bull, PDS: Was?)