Protokoll der Sitzung vom 13.12.2001

Es ist die Aufgabe der Landesregierung, den Haushalt nicht nur sachgerecht, sondern politisch vernünftig umzusetzen. Die SPD-Fraktion wird dazu beitragen, in unserem Land bekannt zu machen, dass die vorhandenen öffentlichen Mittel zum Wohl der Allgemeinheit sparsam und zielgerichtet eingesetzt werden. Das ist unsere politische Aufgabe. Wir werden daran gemessen, inwieweit wir ihr gerecht werden. Wir jedenfalls gehen realistisch in die Zukunft. - Ich danke Ihnen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regierungsbank)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Herr Dr. Daehre, im Zusammenhang mit einer Haushaltsdebatte halte

ich das Zitat des Ex-Ministers für Staatssicherheit Mielke für unangebracht.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Bischoff, SPD: Richtig! Das ist unmöglich!)

Ich erteile nunmehr der Vorsitzenden der PDS-Fraktion Frau Dr. Sitte das Wort. Bitte, Frau Dr. Sitte.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Was war denn das eben? Darauf kommen wir noch einmal zurück!)

Gut, das ist in Ordnung, das können Sie tun. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt würde ich gern unsere Position zum Haushaltsplanentwurf vortragen.

Seit wir uns in erster Lesung mit dem Haushaltsplanentwurf 2002 im Plenum befasst haben, hat sich die Welt, hat sich das sie beherrschende politische System gravierend verändert. Der Satz, nach dem Anschlag sei nichts mehr so wie vorher, hat durchaus seine Entsprechung gefunden. Und doch scheint es, als stünden wir immer wieder vor den gleichen Aufgaben, als gäbe es einen Alltag in der Politik mit all seiner Routine und seinen Wiederholungen, in der Sache ebenso wie in der Form.

Ich halte den Verweis auf die Folgen des 11. September 2001 deshalb für legitim und wichtig, weil er unser Handeln, unser Reden, unsere Reaktionen in eine Relation setzt, aus der sich zwangsläufig mehr Souveränität und Gelassenheit ergeben sollten.

Mancher Politiker oder manche Politikerin hätte es zwar gern gesehen, dass das gesamte politische Lager und die gesamte Bevölkerung mit einer Meinung und in uneingeschränkter Solidarität auch hinter ihm stünde allein, diese Vorstellung ist nun gar nicht aufgegangen. Erstens waren die Parteien und die Menschen ganz verschiedener Auffassung in ihrer Wertung des Krieges in Afghanistan, in ihrer Wertung der Ursachen und Wirkungen. Zweitens sind die Probleme des Lebensalltags eben nicht auszublenden.

Nun überschneiden sich diese Entwicklungen mit der Haushaltsdebatte, mit der Diskussion über die Umsetzung der Verwaltungsreform, mit offenen Briefen und mit täglichen Meldungen über die Stimmungslage der Wirtschaft, zur Situation auf dem Arbeitsmarkt, mit Ergebnissen der Pisa-Studie, mit Protesten gegen die Kürzung der Kommunalfinanzen, gegen den Abbau von Stellen an der Martin-Luther-Universität, gegen die Schließung von wichtigen industriellen und infrastrukturellen Standorten, wie des Waggonbaus Ammendorf und der Telekom Magdeburg.

Nicht zuletzt droht die Instrumentalisierung dieser Schnittmengen im Rahmen des Landtagswahlkampfes. Nahezu alle Parteien haben sich - wie man neuerdings sagt aufgestellt. So werden die Journalisten auch die heutige Debatte unter diesem Blickwinkel werten. Ein Atemzug kann wie folgt interpretiert werden: als Stoßseufzer, als Hecheln, als Atemlosigkeit, als Atemnot, als Kurzatmigkeit, als Aufatmen, als Wutschnauben, als Hauch oder eben auch bloß als Luftholen, wozu ein solcher Atemzug in der Regel auch dient.

(Zuruf von Herrn Dr. Bergner, CDU)

- Könnte auch sein, Herr Bergner. - Wir werden es am Ende nicht in der Hand haben, wie unsere Äußerungen bewertet werden. Dennoch hat uns diese Gefahr nur

in den seltensten Fällen davon abgehalten, Kritik zu äußern, wo sie aus unserer Sicht angebracht erscheint, unabhängig davon, ob wir uns im Wahlkampf befinden oder nicht. Landespolitik ist eben kein Debütantenball.

Der Unterschied besteht nunmehr nur darin, dass Kritik mag sie noch so oft geübt werden und mag sie noch so bekannt sein - auch öffentlich wiedergegeben worden ist, öffentliche Aufnahme gefunden hat. Plötzlich geht es gar nicht mehr so sehr um den Inhalt einer solchen Kritik, sondern es geht darum, dass sich eine Differenz zwischen politischen Kräften öffnet, als hätte namentlich die PDS-Fraktion nicht schon seit Jahren Kritik an der Verteilungspraxis der SPD, insbesondere im Zusammenhang mit dem Landeshaushalt, geübt.

(Herr Gürth, CDU: Hört, hört!)

Unter diesem Stichpunkt lassen sich nahezu alle Politikfelder deklinieren. Ich erinnere Sie gern an die Debatte um die Kommunalfinanzen.

Was wir von uns selbst und damit auch von anderen erwarten, ist ein offensiver, dynamischer Umgang mit Konflikten. Wenn wir den Eindruck vieler teilen, dass die Exekutive, mithin also die Landesregierung, unmittelbarer auf Konflikte reagieren und konsequenter auf deren Lösung hinwirken muss, dann haben wir das bisher gesagt und wir werden uns dieses Recht auch in Zukunft nicht nehmen lassen.

Wir wissen natürlich ganz genau, dass uns diese Kritik gleichermaßen trifft. Ein Misserfolg bei der Erhaltung des Standortes Ammendorf ist eben ein Misserfolg, der nicht nach Parteien unterscheidet, obwohl unter den drei Parteien die Möglichkeiten des Widerstandes sehr ungleich verteilt sind.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist wohl wahr!)

Wir erwarten einfach, dass jede Partei ganz entschlossen alle ihre Möglichkeiten mobilisiert. Aus Landessicht scheint es, als könnte nur ein Kanzlerwort und das Auslösen neuer Aufträge mit Standortbindung seitens der DB AG Bombardier zum Umdenken bewegen. Wir müssen Zeit gewinnen, weil sich mit jedem Tag auch unsere Chance auf die Erhaltung des Werkes vergrößert. Aber dazu braucht offensichtlich auch der Kanzler noch sehr viel mehr Druck, um diese Einsicht letztlich in die Tat umzusetzen. Derzeit hat er offensichtlich die Perspektive der Unternehmensleitung von Bombardier übernommen.

Als Minister Heyer beim letzten Kampf um die Erhaltung der Schienenfahrzeugbau- und -instandsetzungsstandorte seinen Kopf so weit aus dem Fenster steckte, dass mancher meinte, dass selbiger auch abfallen könnte, hat der Minister drauf gepfiffen und es auch gesagt. Ich will mich nicht über die Symbolik eines solchen Satzes verbreiten, eines hat er aber ganz deutlich gemacht: die hundertprozentige Identifikation mit der Zielstellung. Diese Entschlossenheit wird auch in jedem anderen Fall erwartet, wenn es um die Interessen der Leute hier geht.

(Beifall bei der PDS)

Letztlich können und wollen wir uns als PDS-Fraktion auch nicht aus der Verantwortung stehlen, insbesondere dann nicht, wenn es brennt. Dieser Vorwurf kommt etwas plattfüßig daher. Immerhin haben wir um viele politische Inhalte der Landesentwicklung in den letzten Jahren gerungen - wohlgemerkt gerungen, sie sind uns nicht in den Schoß gefallen. Es sind auch keine Geschenke vom Himmel gefallen. Das heißt, viele Kom

promisse waren und sind uns wichtig. An diesen wollen wir nicht rütteln.

Kritiken und Zustimmung haben nicht zwischen guter und böser Partei unterschieden und werden dies auch nicht tun. Deshalb wollen wir uns auch nicht aus der Verantwortung nehmen lassen.

Die von der PDS-Fraktion geäußerte Kritik ist in der Sache übrigens nicht infrage gestellt worden, nicht einmal von der CDU-Fraktion. In dieser Hinsicht sind wir nun wieder sehr schreckhaft. Infrage gestellt worden ist lediglich unsere Berechtigung darauf. Wenn wir öffentlich sagen, dass durch die Landespolitik ein Ruck gehen muss, dass ein „Weiter so“ nicht akzeptabel ist und dass die Landesregierung gegenüber der Bundesregierung konsequent die Interessen des Landes Sachsen-Anhalt gemeinsam mit den anderen Ostländern vertreten soll, dann stellen auch wir uns dieser Herausforderung.

Denn klar ist, wenn alles allein von der Bundesregierung abhinge, könnten wir uns das Unternehmen Landtagswahl schenken und wir könnten eine Menge Geld und auch Nerven sparen. Dass der Druck aus den Ostländern dringend notwendig ist, hat die Debatte zum Bundeshaushalt so deutlich wie nie bewiesen. Der Bundeskanzler hat nicht einen einzigen Satz zu seiner Chefsache gesagt. Der Kanzler gibt eine einstündige Erklärung zur Situation in Deutschland ab und erwähnt die Frage der inneren Einheit Deutschlands mit keiner Silbe. Das sagt sehr viel über dessen Beziehung zu uns aus.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

In beiden Teilen Deutschlands läuft die mentale, ökonomische und soziale Entwicklung auseinander. Auch die Schere zwischen den Löhnen und den Renten wächst. Die wenigen Verbesserungen, die es gab, waren allesamt durch das Bundesverfassungsgericht erzwungen worden. Von der Regierungskoalition auf Bundesebene gab es keine einzige darüber hinausgehende Initiative. Die Arbeitslosigkeit ist in den neuen Bundesländern deutlich höher als in den alten Bundesländern.

Wir brauchen die innere Einheit, um in ganz Deutschland ökonomisch und sozial voranzukommen. Wenn das nicht geschieht, ziehen die neuen Bundesländer die alten Bundesländer herunter. Damit wäre überhaupt niemandem gedient.

Die CDU braucht sich dabei auch nicht ins Fäustchen zu lachen. Mit ihr würde nämlich die Sache noch schlimmer. Denn alles, was Frau Merkel im Bundestag vertreten hat, ging in Richtung Abbau der Arbeitnehmerrechte und lief auf Sozialabbau hinaus. Die von der CDU/CSU so viel gescholtene Steuerreform soll nun sogar vorgezogen werden. Wenn diese, wie von der CDU behauptet, in die falsche Richtung läuft, dann müsste man sich dort viel eher wünschen, sie käme nie.

(Beifall bei der PDS - Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist ja eine Verzerrung der Tatsachen!)

Der erste Mann der CDU im Land Sachsen-Anhalt, Herr Böhmer, ließ vorhin in seinem Beitrag wissen - immerhin war es der Beitrag zum Finanzhaushalt -, dass er auch nicht so richtig wisse, wie man finanzpolitisch aus dieser Klemme kommen könne.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Das war eine Leh- re!)

Es ist also Bewegung in die Debatte gekommen, und das, denke ich, ist gut so. Wer hier auch immer mit wem

nach der Landtagswahl koalieren will, sei dahingestellt, aber eines ist sicher: Die Partner wollen sich selbstbewusst und in Augenhöhe treffen. Ein Koalitionsvertrag ist weder ein Freundschaftspakt noch ein Patenschaftsvertrag. Die souveräne Stellung zur Bestimmung von Landespolitik werden sich die jeweils Beteiligten bewahren müssen. Insofern sollten sich alle davor hüten, politische Auseinandersetzungen in der Sache wie einen Nachbarschaftsstreit in der Kleingartenanlage zu führen.

(Zustimmung von Frau Bull, PDS, und von Frau Ferchland, PDS)

Wir werden die Auseinandersetzung über unsere Vorstellungen zur Landespolitik auch im Wahlkampf führen.

In einer sehr grundsätzlichen Frage, die sich in den jüngsten Vorwürfen aus den Reihen der CDU-Fraktion und dem offenen Brief von Wirtschaftsvertreterinnen und Wirtschaftsvertretern gegen die politischen Kompromisse zwischen SPD und PDS widerspiegelt, kommen wir zu einer ganz anderen Einschätzung. Zunächst beinhaltet die Kritik, dass einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik in Sachsen-Anhalt entgegenstünde, dass die Politik im Land nicht von zukunftsweisenden Investitionen, sondern von sozialpolitischen Taten dominiert würde. Worin diese sozialpolitischen Taten, die so zu kritisieren sind, konkret bestehen, wird allerdings nicht ausgeführt.

Pauschal wird dieser Vorwurf vor allem in Bezug auf die Höhe so genannter konsumtiver Ausgaben und Personalausgaben im Landeshaushalt erhoben. Bei genauerer Prüfung ergibt sich allerdings, dass rund 80 % der Personalausgaben in den Bereichen Polizei, Finanzämter, Hochschulen, Schulen sowie Gerichte und Justizvollzug entstehen. Diese Bereiche gehören ausnahmslos - ich sage: ausnahmslos - zum Forderungs- und Schwerpunktkatalog aller Parteien im Land. Diese gehören auch zum Forderungskatalog der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes.

Die Zahl der Personalstellen im so genannten Kernbereich der Verwaltung - ich muss korrigieren, was Herr Böhmer gesagt hat - liegt sowohl im Vergleich der Ostländer als auch im Vergleich zu den Westländern im Mittelfeld.

Die Ausgaben im Polizeibereich, in Wissenschaft und Bildung haben diese Höhe, weil wir bei ihnen einen inhaltlichen Schwerpunkt gesetzt haben. An dieser Schwerpunktsetzung werden wir festhalten.

So werden wir die veranschlagten Bildungsausgaben akzeptieren. Das schließt ein, dass wir die unternommenen Anstrengungen zur Bildungsfinanzierung unter dem Blickwinkel der Gesamthaushaltssituation zu würdigen wissen. Wir sind gleichwohl der Auffassung, dass zum einen eine langfristige und damit verlässlichere Schwerpunktsetzung auf die Bereiche von Bildung, Wissenschaft sowie Aus- und Weiterbildung notwendig sein wird und zum anderen die bereits jetzt erheblichen Mittel mit spürbar höherem Effekt für eine niveauvolle Bildung aller Kinder und Jugendlichen zum Tragen kommen müssen.

Bei der Gestaltung der Landeshaushalte für die folgenden Jahre geht die PDS-Fraktion davon aus, dass ein solide begründeter Personalbedarf der Haushaltsrechnung zugrunde gelegt werden muss. Dazu soll das Personalentwicklungskonzept stärker an pädagogischen Erfordernissen orientiert werden.

Wir halten es für erforderlich, dass ein Teil der durch den Rückgang der Schülerzahlen und durch Konzentrations

prozesse im Schulnetz frei werdenden Mittel zur Erhöhung der Bildungsqualität und zum Nachteilsausgleich genutzt wird.

Darüber hinaus erwarten wir, dass die Landesregierung in Verhandlungen mit den Tarifpartnern einen konstruktiven Beitrag leistet, um einen Anschlussvertrag zu dem im Jahr 2003 auslaufenden Arbeitsplatzsicherungstarifvertrag zu erreichen.

Nach Meinung der PDS-Fraktion hängt die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems des Landes in erster Linie von der Stärkung der Sekundarschulen ab. Die inhaltlich neu gestaltete Sekundarschule muss sowohl personell als auch materiell besser ausgestattet werden. Dafür müssen auch im Landeshaushalt Reserven erschlossen werden.