Protokoll der Sitzung vom 17.01.2002

Herr Kollege Becker, Ihnen ist sicherlich nicht unbekannt, dass in Bayern auf der Regierungsbezirksebene ebenfalls Selbstverwaltungsaufgaben erledigt werden und dass es auch Bezirkstage gibt, die dafür verantwortlich zeichnen, dass also ein wesentlicher Teil der Aufgaben, die bei uns von Kreisen wahrgenommen werden, dort auf einer höher angesiedelten Bezirksebene mit entsprechend großen Einzugsbereichen wahrgenommen wird. Wenn man diesen strukturellen Unterschied berücksichtigt, dann gehen die Vorschläge unseres Innenministers nicht über das hinaus, was in Bayern Herr Dr. Merk schon realisiert hat.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Dann wählen Sie doch Herrn Stoiber! - Heiterkeit bei der CDU)

- Herr Dr. Daehre, Ihre Fraktion ist im Land SachsenAnhalt zu der Einschätzung gekommen,

(Herr Schulze, CDU: Wir gehen freiwillig nach Bayern!)

dass es zu Stimmeneinbußen kommt, wenn man eine Gebietsreform macht. Die CDU hatte das Ergebnis der Landtagswahl 1994 dahin gehend analysiert,

(Herr Dr. Daehre, CDU: Oh!)

dass sie als Regierungspartei aufgrund ihrer Kreisgebietsreform Stimmenverluste hinnehmen musste.

Auch sind Sie der Meinung, dass bei den Kommunalwahlen 2001 die Landräte verloren haben, die sich offen zu einer Gebietsreform bekannten. Ihre Ablehnung einer Gebietsreform ist nach meinem Eindruck stärker wahltaktisch als inhaltlich motiviert.

(Herr Bischoff, SPD: So ist es!)

Das lässt mich hoffen, dass Sie nach der Landtagswahl Ihre Verweigerungshaltung aufgeben. Bis zur Wahl machen Sie Stimmung. Wir werben um Zustimmung für unsere Reform.

(Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Wir orientieren uns an der Sache selbst und haben ein schlüssiges Konzept. Funktional- und Gebietsreform sind uns gleichermaßen wichtig. Wir werden die Verwaltungsreform in ihren beiden Teilen vollenden, mit wem auch immer.

Sie bezeichnen unseren Entschließungsantrag in der Begründung zu Ihrem Antrag als eine unverbindliche Willensbekundung. Sie begehen einen schweren Fehler, wenn Sie unsere Entschlossenheit unterschätzen. Unser Entschließungsantrag hat eine hohe politische Bindungswirkung. Ich wiederhole das, was ich hier am 12. Oktober 2000 gesagt habe:

„Für uns Sozialdemokraten ist die Umsetzung der Funktional- und Gebietsreform das zentrale innenpolitische Vorhaben für die nächste Legislaturperiode, auf das wir keinesfalls verzichten werden.“

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und von der Regie- rungsbank - Zustimmung bei der PDS)

Herr Professor Böhmer, Ihre Bemerkung. Der Redner kann darauf reagieren.

(Zuruf von Herrn Prof. Dr. Böhmer, CDU)

- Ja, am Ende. Sie haben zwei Minuten Redezeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil ich den Herrn Kollegen Rothe wegen seiner Ehrlichkeit schätze, denke ich, sollte ich ihm wenigstens noch etwas zu dem sagen, was Sie uns in überhöhter Bedeutung der heutigen Diskussion angetragen haben.

Es gibt eine klare Entscheidung der CDU-Fraktion über die Zuordnung der einzelnen Verwaltungsaufgaben auf die Verwaltungsebenen, die wir schon im Februar 2000 untereinander beschlossen haben, wobei - das sage ich jetzt sehr bewusst - sich vieles mit dem deckt, was in

Ihrem Antrag im Anhang steht. Insofern gibt es in vielen Sachfragen überhaupt keinen Dissens. Aber wir werden dem Antrag erst zustimmen, wenn die Finanzierungsfrage den Kommunen gegenüber ehrlich geklärt ist. Das ist für uns eine Kardinalfrage.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Kannegießer, DVU)

Zweitens. Wenn Sie meinen, dies im Hinblick auf zukünftige politische Gestaltungsoptionen überhöhen zu müssen, dann will ich Ihnen eines sagen: Diese Diskussion ist beendet, bevor sie angefangen hat, wenn Sie von uns politische Demutsübungen verlangen. Das muss auch ganz klar sein.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Büchner, DVU, und von Herrn Kannegießer, DVU)

Ich habe miterlebt, was im Jahr 1994 hier passiert ist, ich habe miterlebt, was im Jahr 1998 hier passiert ist, ich war dabei, als Herr Kollege Fikentscher gesagt hat - als jemand einen Sprachlapsus begangen hat -: „Bilden Sie sich ja nicht ein, dass diese Gespräche Koalitionsverhandlungen sind. Das sind Vorgespräche darüber, ob es Vorverhandlungen geben wird für Weiteres.“ - Wörtliches Zitat, Herr Kollege Fikentscher. Das hat den Ministerpräsidenten aber überhaupt nicht davon abgehalten, Jahre später zu sagen, bei den Koalitionsverhandlungen sind wir mit euch ja nicht einig geworden.

Das sind die feinen Unterschiede, die uns wichtig sind. Deswegen sage ich hier, solche Gespräche, durch die wir von vornherein in eine Demutshaltung gegenüber einer von Ihnen und der PDS gemeinsam vereinbarten Regierungsgrundlage gezwungen werden sollen, wird es mit uns ein drittes Mal nicht geben. Das muss klar sein.

(Beifall bei der CDU und bei der DVU)

Außerdem sage ich Ihnen auch mit der gleichen Deutlichkeit: Wir sind bereit, die Probleme des Landes zu lösen. Das wird weniger ein parteipolitisches Problem sein oder nur das Problem einer Partei. Das wird das Problem der Sachzwänge, der hohen Verschuldung der Kommunen und des Landes sein, das uns dazu zwingen wird,

(Zuruf von Herrn Bischoff, SPD)

gemeinsam nicht politisch zu entscheiden, sondern letztlich das Überleben zu sichern, indem wir uns so effizient wie möglich organisieren. Darin bin ich völlig Ihrer Meinung.

(Zustimmung von Herrn Gürth, CDU, und von Herrn Scharf, CDU - Zuruf von Herrn Webel, CDU)

Sie haben in den letzten beiden Legislaturperioden auch viel von diesen Voraussetzungen geschaffen, die jetzt ein anderes Handeln gar nicht mehr möglich machen. Dazu waren wir bereit, dazu sind wir bereit, aber nicht indem Sie von uns Demutsgesten verlangen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der DVU)

Der Redner verzichtet auf eine Erwiderung. - Meine Damen und Herren, ich teile Ihnen nunmehr die Zeitfonds mit, die noch verblieben sind: Die Landesregierung verfügt noch über neuneinhalb Minuten, die CDU noch über eine Minute und die PDS noch über acht Minuten Rede

zeit. Möchte noch jemand von diesem Zeitfonds Gebrauch machen?

(Herr Gallert, PDS: Ja!)

- Bitte, Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Ich kann zumindest versprechen, dass ich die acht Minuten nicht ausnutzen werde.

Ich will nur noch etwas zu zwei Dingen sagen. Das Dilemma der CDU in diesem Prozess ist aus meiner Sicht hier genauso deutlich geworden wie bei der Beratung des Landeshaushalts. Bei der Beratung des Landeshaushalts war es so, Herr Böhmer: Sie bieten eine Sanierungskoalition an und beantworten nicht die Frage, wo Sie sanieren, sprich einsparen wollen.

(Widerspruch bei der CDU - Herr Prof. Dr. Böh- mer, CDU: Dann lesen Sie einmal die Protokolle nach! Da steht es!)

Herr Becker beschwert sich darüber, dass die Aufgabenübertragung auf die Landkreise zu kurz gesprungen ist und kommt ins Stottern auf die Frage, was er denn darüber hinaus machen will. Da fallen ihm, dem armen Kerl, in letzter Sekunde die ALFs ein. Gut, okay. Herr Becker, ich frage Sie, wie sich die CDU positioniert, wenn in einem ALF eine Personalversammlung zu der Frage stattfindet: Sind Sie der Meinung, dass die Ämter für Landwirtschaft und Flurneuordnung mit dem Auslaufen der Förderperiode zur Dorferneuerung - die wir jetzt haben kommunalisiert werden sollen? Ich bin sehr interessiert, wie sich die CDU dann positioniert. - Ich weiß es, ich weiß es ganz genau. In dem Augenblick, in dem Sie Gegenwind gegen eine solche Position bekommen, fallen Sie augenblicklich um und waren natürlich nie für eine Kommunalisierung dieser Institution,

(Frau Feußner, CDU: Wir heißen doch nicht PDS!)

zumindest nicht bis zum 21. April. Danach könnte eine kollektive Amnesie eintreten; das weiß ich nicht, das macht aber ziemlich deutlich ihr Problem klar. Deswegen sind wir auf der richtigen Seite mit diesem Antrag. Es nützt auch nichts, Herr Becker, wenn Sie mit Lautstärke Inhaltsleere übertönen.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Das ist überhaupt nicht das Problem, das wir uns in diesem Landtag antun sollten. Trotz Lautstärke sind wir sehr genau in der Lage, die Inhalte herauszuhören. Wenn da aber keine sind, hilft auch Lautstärke nicht.

(Zuruf von Herrn Becker, CDU)

Nun möchte ich zu einem zweiten Problem etwas sagen. Das betrifft sowohl Herrn Becker als auch den Ministerpräsidenten. Herr Becker hat sich noch einmal sehr deutlich darüber beklagt, dass die Arbeit, die die Fraktionen gemacht haben, eigentlich die Landesregierung hätte machen sollen.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Mit Recht!)

Gut, dazu kann man sagen: Jawohl, die Landesverfassung, insbesondere die Trennung zwischen Legislative und Exekutive, verlangt dies. Wir sind tatsächlich in vielen Fragen in einem sehr komplizierten Bereich; das gebe ich ohne weiteres zu.

Nun hat der Ministerpräsident gesagt, ich soll die Minister nicht zensieren, weil ich gesagt habe, bei vielen über