Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Als ich am vergangenen Montag zu später Abendstunde im Fernsehen das Magdeburger Gespräch zur Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt sah, glaubte ich mich im falschen Film. Die Hosianna-Stimmung, die dort von der Landesregierung und der PDS verbreitet wurde, stieß zwar auf Widerspruch und Einwände des Herrn Dr. Bergner, aber die in Wahrheit regierende PDS, die Macht ausübende PDS lobpreiste ungetrübt ihr eigenes Wirken zum Wohle des Landes; denn sie hat den MP Höppner und seine SPD voll im Griff.
Selbst Herr Professor Pollmann, Rektor der Uni Magdeburg, vergaß, dass er als Vorsitzender der Rektorenkonferenz die Interessen aller Universitäten und Fachhochschulen zu vertreten hat. Die Probleme des Personalabbaus an der Uni Halle berührten ihn einfach nicht. Aber das hätte die machtharmonisch geprägte Stimmung des Einschlafabends ebenso verdorben wie ein Verweis auf die von den Hochschulrektoren geforderte Abschaffung des 13. Schuljahres zugunsten von Vorbereitungskursen für das Studium.
Die Rektoren hatten unlängst bemängelt, dass die Abiturienten zwar formal die Hochschulreife besitzen, aber erhebliche Defizite aufweisen, die ein Studium erschweren. Mangelhafte Lesekompetenz und Defizite in Mathematik und Naturwissenschaften verhindern einen reibungsarmen Übergang zum Studium.
Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hatte die Mängel der Bildungspolitik längst vor der Veröffentlichung der Pisa-Studie angeprangert und auf die verheerenden Wirkungen verwiesen, wenn nicht umgehend grundlegende Veränderungen in der Bildungspolitik veranlasst werden.
Mit Beharrlichkeit demonstriert Herr Kultusminister Dr. Harms seine Resistenz gegenüber Vorschlägen bzw. er schlägt alle Bedenken von Experten, von Eltern und Lehrern in den Wind und pflegt und hegt das Großversuchsfeld Schule, Schüler und Elternhaus.
In Bezug auf die in besagter Fernsehsendung eingeblendeten Äußerungen über die Abwanderung der Ausgebildeten aus Sachsen-Anhalt schwiegen die machtgetreuen Vertreter völlig. Die vorliegende Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage ähnelt diesem geschilderten Verhalten. Auf exakt gestellte Fragen erfolgen zahlreiche statistische Daten und Verweise. Aber eigenes Nachfragen und Infragestellen oder gar eine Problematisierung erfolgen nicht.
So schlussfolgert der Philologenverband Sachsen-Anhalts, dass die Antworten in erster Linie einen in vielen
Fällen unbefriedigenden Zustand beschreiben. Aber den Antworten sei nicht zu entnehmen, wie das Land die bildungspolitischen Probleme der nächsten Jahre mit realistischen Mitteln lösen will.
Der Verband benennt seit dem Jahr 1994 allein 415 neue Erlasse im Bereich der Schule. Ob das rekordverdächtig ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Es zeigt aber die Erstarrung und Verkrustung der Bildungspolitik und versinnbildlicht die Schule im Würgegriff der Bürokraten.
Vor einigen Wochen sprach ich im Parlament über die trüben Erfahrungen und fehlenden Motivationen für Schüler in den A- und B-Kursen. Die vorliegende Antwort der Landesregierung jedoch zeigt keinerlei Bedenken oder Hinterfragen zu dem Sinn und der Wirkung des Kurssystems.
Meine Damen und Herren! Die Landesregierung antwortet auf die Frage nach der Abschaffung des Hauptschulbildungsganges wie folgt - auch wenn Frau Feußner es bereits zitiert hat, möchte ich es wiederholen -:
„Die Abschaffung des Hauptschulbildungsganges vermeidet eine Separierung und Stigmatisierung von Schülern und Schülerinnen. Alle Schülerinnen und Schüler haben so die Option, bei entsprechenden Leistungen mit dem Abschluss des 10. Schuljahrgangs den Sekundarabschluss I erweiterte Berufsbildungsreife oder die Fachoberschulreife zu erwerben.“
Meine Damen und Herren! Boshafte Menschen könnten bemerken, dass im Grunde genommen bei dieser Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt jeder Schüler stigmatisiert ist. Aber die Aussage der Landesregierung zu Optionen gleicht doch nur der Jokerwahl bei Günter Jauch im Millionärsquiz und baut so nur potemkinsche Bildungsdörfer auf.
Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDVP hat im vergangenen Dezember ihren Standpunkt zur Bildungspolitik und zu den notwendigen Veränderungen unterbreitet. Da sich diese Landesregierung in allen Bereichen als beratungsresistent erweist und in gewohnter Weise alles, was außerhalb des SPD-PDS-Klüngels vorgeschlagen wird, parlamentarisch abschmettert, kann ihr nur eine Kopfnote erteilt werden, nämlich Ungenügend. Ich bedanke mich bei Ihnen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung mit den von der CDU-Fraktion abgeforderten Daten und Fakten war ein willkommener Anlass zur Rückbesinnung, zur Gegenüberstellung von Erreichtem und noch umzusetzenden Zielvorstellungen. In den vergangenen Jahren fanden auf Initiative der SPD und der Landesregierung vielfältige Gesetzesreformen und innovative Gestaltungselemente Eingang in die Schullandschaft Sachsen-Anhalts. Im Mittelpunkt steht und stand dabei die optimale Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen auf das Leben.
Die Bildungspolitik muss auf den tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel und die damit verbundenen Ver
änderungen der Lebensumstände, der Werteorientierungen und der Verhaltensweisen der Menschen reagieren. Dies haben wir getan. Dafür ernteten wir in den letzten Jahren mehr und mehr Anerkennung von Bildungspolitikern anderer Bundesländer.
Zu nennen sind an dieser Stelle das längere gemeinsame Lernen in der Förderstufe, die Schaffung der neuen Sekundarschule, die gesetzliche Festlegung, die Gesamtschulen als Regelschulen zu führen, das Modellprojekt „13 kompakt“, Projekte zur Schulsozialarbeit, die Schaffung von Möglichkeiten für eine bessere schulische Integration von ausgesiedelten und ausländischen Kindern und Jugendlichen sowie eine gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf.
Schließlich dürfen die tiefgreifenden Veränderungen im Grundschulbereich aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung nicht unerwähnt bleiben. Gerade unter dem Eindruck der Pisa-Studie ist die eingeführte Grundschule mit festen Öffnungszeiten eine Chance, wirkungsvoll auf die festgestellten Mängel zu reagieren. Das ganzheitliche Konzept von Bildung, Erziehung und Betreuung lässt mehr Lern-, Übungs- und Festigungszeiten zu.
Mit der Einführung der Möglichkeit der flexiblen Schuleingangsphase an Grundschulen haben wir zugleich auf das immer höher werdende Einschulungsalter und die individuellen Lernbedürfnisse der Kinder reagiert. Wir sind also auf einem richtigen Weg.
Ein die Schullandschaft prägender Faktor ist die Entwicklung der Schülerzahlen im Land. Die Gesamtschülerzahl wird sich bis zum Jahr 2010 halbiert haben. Hieraus ergab sich auf der Grundlage schulfachlicher Gesichtspunkte die Notwendigkeit einer mittelfristigen Schulentwicklungsplanung, zu der es für die Schulträger keine sinnvolle Alternative gab, um eine Planungs- und Investitionssicherheit zu schaffen.
Meine Damen und Herren! Reformen, wenn sie ernsthaft in Angriff genommen werden, sind langfristige Prozesse. Sie bedürfen klarer Zielvorstellungen, deren Realisierung das Anliegen aller an der Bildung Beteiligten sein muss. Die dazu erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen war und ist eine vordringliche Aufgabe.
Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU, nun bin ich von Natur aus ein gutgläubiger Mensch und unterstelle Ihnen in Bezug auf die Große Anfrage an dieser Stelle eine Absicht. Beim Durcharbeiten und Analysieren war ich unentwegt auf der Suche, ob in dem umfangreichen Fragenkatalog Schwerpunkte zu finden sind, die im Ansatz erkennen lassen, dass Sie sich als Fraktion bzw. als Partei aktiv in den Prozess der Reform von Bildung einbringen wollen. Das Vorhaben war leider nicht von Erfolg gekrönt.
Dabei sah es am 14. Dezember 2001 während der Debatte über die Pisa-Studie für einen Augenblick so aus, als könnte der Landtag gemeinsam Wege für eine Verbesserung der schulischen Arbeit beschreiten. Sie,
„Mit unseren üblichen bildungspolitischen Kategorien kommen wir an der Stelle nicht weiter. Darum meine ich, dass wir zum Beispiel die Frage nach dem gegliederten und differenzierten Schulwesen vorerst zurückstellen sollten.“
Das Wort „vorerst“ kann man sicherlich unterschiedlich auslegen. Doch die vier Tage später veröffentlichten zwölf Thesen der CDU zu Bildung und Wissenschaft betrafen im schulischen Bereich vorrangig die Rücknahme struktureller Entscheidungen der letzten Jahre. So ist dort unter anderem die Rede von der Abschaffung der verpflichtenden Teilnahme an der Grundschule mit festen Öffnungszeiten, der Abschaffung der Förderstufe, der Wiedereinführung des Hauptschulbildungsganges oder der Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre.
Mit den Ergebnissen der Pisa-Studie hat das schon gar nichts zu tun. Diese liefert nämlich den Beweis, dass ein stark gegliedertes Schulsystem - der Minister wies bereits darauf hin - keine Garantie für bessere Unterrichtsergebnisse ist, ganz im Gegenteil.
Ich frage Sie noch einmal, meine Damen und Herren von der CDU, insbesondere Frau Feußner: Wo sind Ihre inhaltlichen Lösungsansätze für eine Verbesserung schulischer Qualität? Auch Ihr heutiger Redebeitrag stellte eine gebetsmühlenartige Wiederholung schon oft genannter Plattitüden dar. Sie haben nicht verstanden, worum es in der Schule geht. Ihr Verständnis von Bildungspolitik war und ist rückwärts gewandt.
Meine Damen und Herren! Die Ergebnisse der bereits erwähnten Pisa-Studie haben uns klar vor Augen geführt, dass der in Deutschland mitunter absurde Formen annehmende Schulformstreit von den wahren Problemen an unseren Schulen ablenkt. Wir benötigen keine immer wiederkehrende Schulstrukturdebatte, sondern besseren Unterricht.
Dieser Maxime folgend fand sich unter dem Dach des Fachausschusses Bildung der SPD eine Gruppe aus Lehrkräften, Schulleitern, Elternvertretern, Politikern und Mitarbeitern von Behörden zusammen, um praxisnah das Problem der Qualität schulischer Arbeit unter die Lupe zu nehmen. Das Ziel war die Erarbeitung von Lösungsansätzen für eine innere Schulreform in SachsenAnhalt.
Über einen mehrjährigen Zeitraum ist ein Positionspapier entstanden, das wir vor zwei Tagen im Rahmen einer Pressekonferenz der an Bildungsfragen interessierten Öffentlichkeit vorstellten. Erste Reaktionen bestä
tigen, dass die angeregten notwendigen Veränderungen in unseren Schulen dazu beitragen können, das PisaTief zu überwinden.
Meine Damen und Herren! Mit unserem Papier geht es uns um die Konzentration auf die pädagogische und die inhaltliche Arbeit der Schulen und die Entwicklung der Qualität schulischer Arbeit. Es geht um die Schaffung eines Schulklimas, das den Lehr- und Lernprozess an den Schulen begünstigt. Es geht des Weiteren um die Ermöglichung einer weitgehenden Selbständigkeit von Schulen einschließlich der Erweiterung ihrer Entscheidungskompetenzen. Schließlich geht es um die stärkere Identifikation der Schüler, Pädagogen und Eltern mit ihrer speziellen Schule und um eine stärkere Rechenschaft gegenüber der Schulöffentlichkeit.
Zur Umsetzung der genannten Ziele bedarf es bei allen Beteiligten eines neuen Selbstverständnisses von Schule. Mit unseren aus dem Positionspapier abgeleiteten zehn Thesen zur Verbesserung der schulischen Arbeit richten wir uns an alle, die an Bildungsfragen interessiert sind.
Unserer Überzeugung nach benötigen wir Schulen, die allen Schülern eine bestmögliche Förderung zukommen lassen, die in stärkerer Eigenverantwortung pädagogische Entscheidungen treffen, die an ihrem Schulprogramm arbeiten, die mittels Schulbudgets finanzielle Mittel zielgerichteter einsetzen und die ihre Belange bei der Personalauswahl stärker mit einbringen.
Grundsätzlich muss eine Verständigung auf die Inhalte von Bildung erfolgen. Schülerinnen und Schüler sollen in der Schule die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen erwerben. Das wiederum macht eine zielgerichtete und bedarfsorientierte Fortbildung der Lehrkräfte erforderlich. In dem von uns vorgeschlagenen Fortbildungspass sollen verpflichtende Module nachgewiesen werden, die als Bedarf vorrangig von den Schulen angezeigt und vom Lisa entwickelt werden.