Der Sache angemessen, wurde der Gesetzentwurf auch innerhalb der SPD kontrovers diskutiert. Das ist gut so; denn diese Diskussion macht deutlich, dass es sich niemand mit der Verabschiedung dieses Gesetzes leicht macht.
Die nach der Verbüßung einer Freiheitsstrafe gerichtlich angeordnete Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen greift in Grundrechte ein, sodass jede leichtfertige Beschlussfassung unvertretbar wäre. Wir sahen daher die Notwendigkeit, die Hintergründe und
Sachzwänge objektiv zu analysieren und vor allem den Handlungsbedarf klar zu definieren. Dies haben wir trotz der zeitlichen Dringlichkeit in aller Gründlichkeit getan.
Unser Landtag als Gesetzgeber für Sachsen-Anhalt muss tätig werden, um Regelungslücken zu schließen. Eine solche Regelungslücke ist zu erkennen, weil weder das geltende Straf- und Strafprozessrecht noch das Gefahrenabwehrrecht Möglichkeiten bietet, nach der Strafverbüßung auf die Gefährlichkeit von nicht psychisch kranken Straftätern zu reagieren, bei denen prognostiziert wird, dass sie erneut schwerste Straftaten begehen werden. Der Gesetzgeber muss verantwortungsbewusst reagieren, wenn ein Handlungs- und Regelungsbedarf besteht.
Der landesrechtliche Weg, diese Lücke zu schließen, ist nicht unumstritten. Der mit den Beratungen betraute Rechtsausschuss hat sich in seinen Debatten mit den gegen das Gesetz vorgebrachten Argumenten intensiv beschäftigt und legt dem Landtag nun einen Gesetzestext vor, der mehrheitsfähig ist.
Mit der CDU-Fraktion, die einen eigenen, in Bezug auf die Fristensetzungen wesentlich schärferen Gesetzentwurf eingebracht hatte, wurde nach intensiven Diskussionen im Rechtsausschuss die dem Hohen Hause heute zur Abstimmung vorliegende Beschlussempfehlung erarbeitet. Das Gesetz wird nach Überzeugung der SPD-Fraktion einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten.
Wenn wir, um den Schutz der Allgemeinheit oder einzelner Personen zu gewährleisten, Freiheitsrechte eines Menschen einschränken, bedarf dies einer vorherigen Rechtsgüterabwägung, und zwar einer Abwägung zwischen dem Rechtsgut der persönlichen Freiheit - hier eines Straftäters - und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit - hier möglicher Opfer.
Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit einer konkret gefährdeten Person oder eines konkret gefährdeten Personenkreises ist höher zu bewerten als das Freiheitsrecht eines potenziellen Täters, von dem mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass er schwerste Straftaten gegen Leib und Leben begehen wird. Derart gefährliche Personen müssen es hinnehmen, dass ihre Freiheit aufgrund eines gültigen Gesetzes so lange eingeschränkt wird, bis die konkrete Gefährdung, für die sie verantwortlich sind, nicht mehr besteht.
Mit der Einschränkung des Rechts auf persönliche Freiheit legt das Gesetz aber auch Wert darauf, für den Betroffenen rechtsstaatliche Absicherungen zu schaffen. Im Wesentlichen sind dies: Seine Gefährlichkeit ist durch Gutachten zu belegen und wird eben nicht allein durch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe begründet. Weiterhin: Die grundsätzliche sechsmonatige Unterbringung des Betroffenen erfolgt aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung - das hat der Minister in aller Deutlichkeit ausgeführt - und zur Wahrung der Rechte muss der Betroffene in dem gerichtlichen Verfahren anwaltlich vertreten sein.
Bei allen Bedenken, die vorgetragen wurden, ist die SPD-Fraktion der Meinung, hier und jetzt angemessen handeln zu sollen. Dies geschieht mit der Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Die Fraktion der DVU verzichtet auf einen Redebeitrag, sodass ich jetzt der Abgeordneten Frau Tiedge für die PDS-Fraktion das Wort erteile. Bitte, Frau Tiedge.
Meine Damen und Herren! Der Grundsatz „Nulla poene sine culpa“ - das heißt, keine Strafe ohne Schuld - hat den Rang eines Verfassungssatzes. Jede Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Straftat und zum Verschulden des Täters stehen. Im Grundgesetz ist ferner festgeschrieben, dass der Täter nicht zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wertund Achtungsanspruchs werden darf.
Strafrechtliche Schuld ist immer konkret, immer gebunden an eine Straftat in den verschiedenen Abstufungen von Vorsatz und Fahrlässigkeit, niemals aber abstrakt ohne Handeln durch Tun oder Unterlassen. Das heißt aber auch, dass die angedrohte Strafe immer in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen muss. Sie darf nicht in Art und Maß der unter Strafe gestellten Handlung unangemessen sein.
Was sie aber schon gar nicht darf, ist, ohne Vorliegen einer konkreten Straftat ausgesprochen zu werden. Ein Verstoß dagegen wäre verfassungswidrig, da gegen das Rechtsstaatsprinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen werden würde.
Ein hiergegen verstoßendes Gesetz kann nicht Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung sein. Das Gleiche gilt für den Ausspruch von Maßregeln zur Besserung und Sicherung, und um diese handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung.
Weitere verfassungsrechtliche Bedenken haben wir hinsichtlich des Verfassungsgrundsatzes nach Artikel 103 des Grundgesetzes, wonach niemand wegen derselben Straftat mehrmals bestraft werden darf. Aber was ist die nachträgliche Sicherungsverwahrung denn anderes? Selbst wenn später erschwerende Umstände hervortreten, die zum Zeitpunkt der Verurteilung nicht bekannt waren, ist ein erneutes Verfahren nicht möglich. Der Staat hat sich damit ganz bewusst um der Rechtssicherheit willen eine freiwillige Begrenzung in seinem Recht auf Verfolgung strafbarer Handlungen auferlegt. Der Strafanspruch des Staates ist mit Verbüßung der Freiheitsstrafe verbraucht.
Neben diesen gravierenden verfassungsrechtlichen Bedenken gehen wir davon aus, dass eine Landeskompetenz für ein derartiges Gesetzesvorhaben nicht gegeben ist. Es ist nun einmal eindeutig geregelt, dass Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung Bundesrecht sind und Freiheitsentzug als Maßnahme der Gefahrenabwehr Landesrecht ist. Eine Vermischung zwischen beiden bzw. eine Kompetenzverlagerung ist aus unserer Sicht nicht möglich, zumal die Maßnahme der Gefahrenabwehr nach Landesrecht, die eine nur kurze Interventionsmöglichkeit durch die Polizei darstellt, als dauerhafte oder längerfristige Lösung nicht herangezogen werden kann.
Der vorliegende Gesetzentwurf basiert auf Regelungen nach dem Strafgesetzbuch, nach der Strafprozessordnung und nach dem Strafvollstreckungsgesetz. Wo bleibt da das Landesrecht?
Die Sicherungsverwahrung kann nur unter der Bedingung eines Strafausspruchs und damit einer Schuldfeststellung erfolgen. Dabei kann der Zeitpunkt der Prognose über die Gefährlichkeit des Täters immer nur der der Aburteilung sein, es sei denn, es kommt im Strafvollzug zu neuen Straftaten - das kann ein neues Strafverfahren nach sich ziehen -, in deren Ergebnis auch über die Sicherungsverwahrung mit Urteil nachgedacht werden kann.
Nun tut man in Sachsen-Anhalt - zumindest vonseiten der Verfechter dieses Gesetzes - so, als sei der Staat völlig den Menschen ausgesetzt, die nach Verbüßung der Freiheitsstrafe als stark rückfallgefährdet eingestuft werden.
Nach Beendigung der Freiheitsstrafe bietet bereits jetzt geltendes Recht als Ultima ratio neben den ambulanten Möglichkeiten wie Bewährungsüberwachung, Führungsaufsicht und den damit verbundenen Auflagen und Weisungen natürlich auch die verschiedenen Formen des Freiheitsentzugs, wie vorläufige Festnahme, Ingewahrsamnahme usw., als Möglichkeit. Das muss man dann ganz einfach nur tun. Es muss ausgeschöpft werden, was es an gesetzlichen Möglichkeiten heute bereits gibt. Das ist dann der beste Opferschutz.
Dieses Gesetz gaukelt nur einen besseren Opferschutz vor. Mit den Ängsten der Menschen sollte kein Wahlkampf betrieben werden.
Noch eine Bemerkung zum aktuellen Fall in SachsenAnhalt: Wir sollten uns tunlichst davor hüten, nunmehr Gesetze für einzelne Personen zu verabschieden. Das widerspräche nun allem, was Juristen, ob in Ost oder West, jemals in ihrer Ausbildung gelernt haben.
Zum Änderungsantrag von CDU und SPD. Der Antrag verdeutlicht eigentlich die Misere, in der beide Fraktionen stecken. Die neue Überschrift und die damit einhergehende Begründung verschlimmern das Gesetz nur noch, indem nunmehr völlig lösgelöst von Straftaten von einer vorbeugenden Unterbringung gesprochen wird. Diese Terminologie lasse man sich auf der Zunge zergehen!
Aus all den genannten verfassungsrechtlichen Bedenken, die wir haben, werden wir das Gesetz ablehnen.
Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Die Debatte wird mit dem Beitrag des Abgeordneten Herrn Remmers abgeschlossen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich noch einmal einige Bemerkungen zu der immer wieder angesprochenen und auch sehr ernst zu nehmenden Frage der Verfassungsgemäßheit einer solchen Entscheidung mache, will ich doch noch einmal, auch wenn es sich jetzt ein bisschen kleinkariert anhört, auf das Verfahren in diesem Hause hinweisen.
Ich habe mir, als der Minister gesagt hat, es handele sich um einen Gesetzentwurf der SPD, extra noch einmal die Drucksachennummer angeschaut, und habe festgestellt: Wir haben den Gesetzentwurf eingebracht.
Einen Monat später hat die SPD einen Gesetzentwurf mit einer entsprechend späteren Drucksachennummer, aber mit dem gleichen Haupttext eingebracht. Herr Minister Püchel, es ist - ich sage es ausdrücklich kleinkariert, dass ich darauf eingehen muss. Sie sollten es uns eigentlich ersparen. Wenn wir solch eine Sache gemeinsam betreiben, dann haben Sie nichts davon weil ich Ihnen gleich widersprechen muss -, wenn Sie das als einen Gesetzentwurf der SPD darstellen. Ich will es bei diesem Hinweis bewenden lassen.
Das Zweite nun allerdings zu Frau Tiedge: Frau Tiedge, Sie machen es sich relativ einfach. Das zeigt auch das Dilemma, in dem Sie stehen. Sie haben immer wieder über Strafe gesprochen, aber dieses Gesetz ist kein Gesetz, das eine Grundlage für weitere Bestrafung schafft.
Sie haben mich gerade etwas an den Prüfling erinnert, der sich auf die Würmer vorbereitet hat und zum Elefanten gefragt wird und dann sagt: Der Elefant hat einen wurmartigen Fortsatz und die Würmer gliedern sich. Dann konnte er sein Wissen abspulen. So haben Sie hier argumentiert. Sie haben gesagt: Ihr redet über die Unterbringung, aber Strafe nur usw. und der Täter darf nicht zum Objekt der staatlichen Strafverfolgung werden. - Wer sagt denn, das dieses Gesetz das vorsieht?
Ich muss doch - einfach, damit es im Protokoll steht und für die Öffentlichkeit ersichtlich ist - den übereinstimmenden Text des § 1 beider Vorschläge von SPD und CDU vorlesen. Darin steht:
„Gegen einen Strafgefangenen, der in einer Justizvollzugsanstalt des Landes unter den Voraussetzungen... eine zeitige Freiheitsstrafe verbüßt, kann das Gericht die Unterbringung in einer Vollzugsanstalt anordnen, wenn aufgrund von Tatsachen,“
„dass von dem Betroffenen eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer ausgeht.“
Ich habe schon im Rahmen der Einbringung gesagt: Uns geht es darum, den Täter zum Schutz eines uns heute noch unbekannten Opfers daran zu hindern, und zwar nicht wegen früherer Taten, sondern weil wir die Erkenntnis haben, dass er in Zukunft wieder Täter sein wird. Das ist der Sinn der Geschichte.
Was Sie mit der Argumentation hinsichtlich der Gleichstellung dieser Entscheidung mit einer Strafentschei
Nun noch einmal zu der Frage der Verfassungsgemäßheit. Wir haben immer wieder gesagt, dass wir es bedauern, dass der Bund, bei dem die Kompetenz völlig unstreitig vorläge, auf diesem Gebiet nicht tätig geworden ist. Dies hat die Länder Baden-Württemberg und Bayern und nunmehr uns veranlasst, in diesem Bereich tätig zu werden. Auch wir hätten es lieber gesehen, der Bund würde es tun.
Daher haben wir von der CDU auch nicht die große Beschwer, auf den Vorschlag der SPD hinsichtlich einer Befristung des Gesetzes auf zwei Jahre einzugehen; denn wir gehen davon aus, dass in diesem Zeitraum der Handlungsdruck auch für die Bundesebene so groß sein wird, dass dort etwas geschehen wird.