Protokoll der Sitzung vom 10.04.2003

(Zuruf von Herrn Gurke, CDU)

Aber da enttäuschen Sie, Herr Kley. Da enttäuschen Sie die Menschen, die von Ihnen auch abhängig sind.

(Zustimmung bei der PDS)

Deren Interessen vertreten Sie nicht. Deren Interessen artikulieren Sie nicht. Wenn die Menschen in diesem Land erfahren, dass der Sozialminister buchstäblich bis fünf Minuten nach zwölf in der Öffentlichkeit behauptet, die Kinderbetreuung werde nicht geändert, dass danach aber sehr wohl so zugeschlagen wird, wie es alle Gerüchte vorher verlautbart haben, dann fühlen sich die Menschen durch Sie in Ihrer Funktion nicht vertreten, dann fühlen sie sich hinters Licht geführt.

(Herr Gürth, CDU: Der Einzige, der hier hinters Licht führt, ist die PDS!)

Das ist die Situation und das ist unsere Kritik an Ihnen.

(Zustimmung bei der PDS)

Zweitens. Wenn man Probleme lösen will, muss man sie vorher erkennen. Eine Vogel-Strauß-Politik nützt in diesem Zusammenhang nichts. Das ist unser Problem. Sie sagen: Ich kenne die Probleme nicht, ich sehe sie nicht; das sind aufgebauschte Dinge, politisch instrumentalisiert. - Wenn Sie von vornherein so an die Dinge herangehen, Herr Kley, dann ist klar, dass Sie die Probleme nicht lösen können, weil Sie sie nicht sehen.

Wir erwarten, ehrlich gesagt, auch gar nichts anderes mehr; denn wenn Sie zugestehen würden, welche Probleme wirklich entstanden sind, dann müssten Sie natürlich selbstkritisch an die Arbeit Ihres Hauses und an Ihre eigene herangehen. Dann müssten natürlich auch die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der SPD überlegen, was sie mit diesem Kinderförderungsgesetz eigentlich beschlossen haben. Aber so viel Selbstkritik ist in der Politik selten und ist hier offensichtlich nicht mehrheitsfähig.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Gürth, CDU: Sie haben doch null Alternative anzubieten! Das ist Ihr Problem! Null Alternative! Sie haben eine Verschuldung zu verantworten!)

Drittens. Jetzt kommen wir zu einem Problem, das gerade der Ministerpräsident angesprochen hat und das ich gerade bei Ihnen, Herr Kley, nicht selten höre. Der diesbezügliche Vorwurf an die SPD ist durchaus gerechtfertigt. Sie sagen: Wir haben mit diesem Gesetz die Regelungsdichte reduziert; jetzt beschwert euch bitte nicht darüber, dass die frühere Regelungsdichte von den entsprechenden Akteuren vor Ort ausgefüllt werden muss.

Angesichts dieser Argumentation sage ich Ihnen ganz ehrlich, wir als PDS und als Landtagsfraktion haben in der letzten Legislaturperiode im Kontext der Verwaltungsreform gerade über diese Fragen lange und kontrovers diskutiert. Wir haben bei weitem noch keinen Konsens erreicht. Aber wir haben uns mit unseren Vorschlägen zur Verwaltungsreform, zum Beispiel zu der Zusammenführung von örtlicher und überörtlicher Sozialhilfe, sehr wohl mehrheitlich dazu durchgerungen, diese Entscheidungsfreiheit wirklich auch an die Träger, an die örtlichen Institutionen heranzuführen und damit folgerichtig auch Differenzen zuzulassen.

Nur, das, was jetzt passiert, ist etwas anderes. Man entzieht dem System der Kinderbetreuung ein riesiges Quantum an Ressourcen. Rechne ich die Einsparungen der Landkreise mit dazu, handelt es sich um mehr als 60 Millionen €. Nun, nachdem das passiert ist, sagt man den Kommunen: Diese Situation regelt nun bei euch. Jetzt regelt ihr mal, wie ihr das mit dem Halbtagsanspruch für Kinder von Arbeitslosen macht.

(Beifall bei der PDS)

Jetzt regelt ihr mal die Erhöhung der Elternbeiträge - auf bis zu 200 € für eine neunstündige Betreuung, wie eine Modellberechnung aus Tangermünde heute Morgen ergeben hat. Regelt ihr mal diese Probleme! - An dieser Stelle sagen die örtlichen Träger und die Kommunen: Aber bitte nicht mit uns; wenn ihr uns die Suppe eingebrockt habt, dann sollt ihr sie bitte auch auslöffeln.

(Herr Gürth, CDU: Das ist falsch!)

Wir, die Kommunen, wollen, nur weil wir das Gesetz für euch umsetzen müssen, nicht dafür verantwortlich gemacht werden und damit den Zorn der Bevölkerung auf

uns ziehen. Das ist die Situation und in diesem Punkt wird man sich auch in Zukunft verweigern.

(Zustimmung bei der PDS)

Deshalb fordern die Leute eine definitive Ausgestaltung. Deswegen fordern sie, die Landesregierung solle gefälligst Festlegungen für die Betreuung behinderter Kinder oder der Kinder von Arbeitslosen treffen.

(Herr Gürth, CDU: Es gibt Kommunen, die orga- nisieren das wunderbar!)

- Herr Gürth, Sie können mir gern hinterher eine Frage stellen.

Das ist die Situation. Deshalb verweigern sich die Kommunen. Wenn man ihnen dasselbe Quantum an Geld, die gleichen Ressourcen zur Verfügung gestellt hätte, dann hätte man selbstverständlich anders diskutieren können. Aber im Bereich der Kinderbetreuung - das sage ich Ihnen vor dem Hintergrund der Haushaltsdiskussionen deutlich; das wissen wir alle - sind die massivsten Einsparungen realisiert worden. Es gibt keinen anderen Bereich, in dem die Mittel um 20 % reduziert worden sind.

Angesichts dieser Tatsache greift das Argument der allgemeinen Haushaltskonsolidierung eben auch nur beschränkt. Das sehen doch die Menschen in diesem Land. Sie sind doch nicht so dumm zu denken, wir könnten bis zum Gehtnichtmehr Wohltaten verteilen.

(Herr Gürth, CDU: Haben Sie denn eine Alterna- tive anzubieten?)

Nein, sie unterschreiben dieses Volksbegehren deshalb, weil sie die Situation kennen, aber der Meinung sind, es seien die falschen Schwerpunkte gesetzt worden.

(Herr Gürth, CDU: Das ist Quatsch!)

Wir erwarten von Herrn Kley nicht, dass er all diese Anforderungen erfüllt, die ich eben skizziert habe und die weiß Gott nicht nur die Anforderungen der PDS sind, sondern die Erwartungshaltung der Menschen in diesem Land widerspiegeln. Deshalb haben wir diese Rücktrittsforderung gestellt. Wir bleiben bei dieser Rücktrittsforderung. Ob die Koalition darauf reagiert, ist ihre eigene Entscheidung. Sie wird sich entweder bald oder spätestens bei der nächsten Wahl mit den politischen Kollateralschäden von Personalentscheidungen auseinander setzen müssen.

Abschließend möchte ich eines ganz deutlich sagen. Dass die Amtsführung von Herrn Kley, dass die Sozialpolitik dieses Landes zumindest im Bereich der Kinderbetreuung doch so stark in die politische Diskussion geraten ist, haben viele in diesem Land nicht erwartet, ich sage ganz ehrlich, auch innerhalb der PDS nicht, weil man oftmals der veröffentlichten Meinung in diesem Land geglaubt hat, dass es eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für die Separierung von Kindern arbeitsloser Eltern und von Kindern arbeitender Eltern gebe.

(Herr Tullner, CDU: Das ist übelste Polemik! - Weitere Zurufe von der CDU)

- Selbstverständlich ist das eine Auswirkung dieses Gesetzes. Das ist so. Sie brauchen vor der Wahrheit nicht die Augen zu verschließen. Das ist so, und nun ist man davon überrascht, dass sich die Menschen in diesem

Land in ihrem Denken offensichtlich nicht nur von Leitartikeln leiten lassen, sondern in der Lage sind, selbst zu überlegen. Deswegen gibt es diese gesellschaftliche Auseinandersetzung um das Sozialministerium und um die Person des Sozialministers. Darüber - das möchte ich Ihnen ganz deutlich sagen - sind wir froh. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Herr Abgeordneter, Sie waren bereit, am Ende Ihrer Rede eine Frage des Abgeordneten Herrn Dr. Polte zu beantworten. - Herr Dr. Polte, bitte.

Herr Gallert, Sie haben noch einmal bestätigt, dass Sie den Rücktritt des Herrn Ministers fordern. Sie tun dies - das habe ich der Presse entnommen - nicht wegen des Gesetzes, sondern wegen der Mängel bei der Umsetzung des Gesetzes.

(Herr Gallert, PDS: Das ist korrekt!)

Nun frage ich mich, warum Sie Motivationsstudien darüber anstellen, weshalb die SPD-Fraktion heute eine Aktuelle Debatte zu diesem Thema beantragt habe. Sie tat dies, weil es diese Mängel gibt. Es geht nicht darum, dass wir nicht zu diesem Gesetz stünden.

Ich möchte Ihnen aus meiner Erfahrung heraus Folgendes sagen: Die kommunale Selbstverwaltung - das sage ich auch in Richtung des Ministerpräsidenten - macht Spaß, wenn es Leistungen zu verteilen gibt. Wenn Leistungen einzukassieren sind, dann möchte man die Verantwortung gern delegieren. Das macht das Land gegenüber dem Bund und das tun auch die kommunalen Verantwortlichen. Das muss man wissen. Deswegen muss man ihnen helfen. Deshalb braucht man klare Durchführungsbestimmungen. Anderenfalls wird der eine gegen den anderen ausgespielt, Wegeleben gegen Hedersleben oder Ditfurt gegen Quedlinburg. Das ist eine ganz schwierige Situation vor Ort.

Das wollte ich Ihnen nur sagen, Herr Gallert. An dieser Stelle muss man säuberlich unterscheiden zwischen den Intentionen des Gesetzes und dem, was vor Ort daraus gemacht wird bzw. mit welchen praktischen Schwierigkeiten die Umsetzung verbunden ist. In dieser Hinsicht, denke ich, ist die Hilfe unerlässlich.

Herr Polte, ich möchte insoweit auf Ihre Frage antworten, als wir sehr wohl gesagt haben, nicht das Gesetz, sondern die Tätigkeit des Sozialministers ist der Auslöser für unsere Rücktrittsforderung.

Ich sage Ihnen aber auch ausdrücklich: Die von der SPD propagierte Meinung, die Menschen seien nur deshalb sauer, weil das Gesetz vom Ministerium schlecht umgesetzt werde, teilen wir nicht. Der Minister hingegen meint, es liege vor allem daran, dass die Kommunen das Gesetz schlecht umsetzten. Das erinnert an das Spiel „Schraps hat den Hut verloren“. Weder der Gesetzgeber noch das Ministerium ist schuld noch die Kommunen sind schuld, weil diese natürlich wiederum auf die Landesebene verweisen.

An dieser Stelle müssen wir schon einmal darauf hinweisen, dass sich der Frust der Menschen über die Veränderungen im Kinderbetreuungsbereich sowohl auf das

Gesetz als auch auf das Ministerium als auch auf die Kommunen bezieht. Das sollte bei dieser Debatte so festgestellt werden.

(Zustimmung bei der PDS)

Herr Polte, Ihr Plädoyer für die kommunale Selbstverwaltung und Ihre Feststellung, dass die kommunale Selbstverwaltung nicht nur Spaß macht, insbesondere dann nicht, wenn schmerzliche Einschnitte zu realisieren sind, ist vollkommen richtig. Diese Diskussion haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode geführt.

Aber wenn Sie vor dem Hintergrund dieses Gesetzes auf die kommunale Selbstverwaltung abstellen, also dass die Kommunen selbstverantwortlich entscheiden sollen, wie sie mit den Spielräumen umgehen, dann hätten Sie den letzten Teil Ihrer Rede weglassen müssen. Damit bekräftigen Sie genau die Position des Ministers. Er meinte, wenn die Kommunen selbst entscheiden sollen, benötigen wir keine Durchführungsbestimmungen. Was sind eigentlich Durchführungsbestimmungen? - Sie sind nichts anderes als Hinweise, wie der Spielraum zu nutzen ist.

(Herr Dr. Polte, SPD: Das habe ich doch gesagt!)

- Nein, Spielraum ist Spielraum. Dann kann man nicht hinterher sagen, ich erlasse doch noch eine Durchführungsbestimmung, die festlegt, wie dieser Spielraum zu nutzen ist. Nein, Herr Polte, dem haben Sie widersprochen. Wenn man auf die kommunale Selbstverwaltung abstellt, muss man die Konsequenzen in Kauf nehmen. Das bedeutet, dass der Kreis A anders als der Kreis B und die Stadt X anders als die Stadt Y entscheidet. Ich frage mich nur, warum diese Bestrebungen von der Landesregierung immer dann besonders radikal realisiert werden, wenn es um die größten Einsparungen geht. Das ist unser Kritikpunkt. - Danke.

(Zustimmung bei der PDS)

Danke, Herr Gallert. - Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Kurze das Wort. Bitte sehr, Herr Kurze.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass eine der Oppositionsparteien die heutige Aktuelle Debatte beantragen würde, überrascht mich nicht. Allerdings hätte ich diesen Antrag im Hinblick auf die politische Auseinandersetzung in den letzten Wochen eher von der PDS-Fraktion als von der SPDFraktion erwartet.