Protokoll der Sitzung vom 18.09.2003

Das ist doch gar nicht wahr.

(Lachen bei der SPD)

Dann empfehle ich Ihnen das Lesen der Landtagsprotokolle.

Nein, ich empfehle Ihnen, sich Ihren Antrag noch einmal durchzulesen. Sie haben damit ein ganz anderes Anliegen verfolgt.

(Zustimmung bei der CDU - Lachen bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Feußner. - Zum Abschluss hat Frau Dr. Sitte noch einmal das Wort. Bitte.

Ich glaube, man kann sich nach der Debatte ein ganz gutes Bild machen.

Sie verzichten also auf einen weiteren Redebeitrag. - Dann stimmen wir jetzt über den Antrag der PDS-Fraktion in der Drs. 4/1024 ab. Wer stimmt zu? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt worden und der Tagesordnungspunkt 18 ist beendet.

Ich rufe nun den für heute letzten Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung

Landesparlamente gleichberechtigt in die Föderalismuskommission einbeziehen

Antrag der Fraktionen der CDU, der FDP, der SPD und der PDS - Drs. 4/1044

Die Fraktionen haben darum gebeten, dass der Landtagspräsident diesen Antrag einbringt. Bitte, Herr Präsident.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben den seltenen Fall, dass ich den Herrn Präsidenten von dieser Stelle aus begrüße.

Die Klage über die deutsche Reformunfähigkeit hat mittlerweile alle Ebenen erfasst. Ein wesentlicher Grund ist, wie Sie wissen, die Erstarrung des deutschen Föderalismus. In einem schleichenden Prozess ist in den letzten Jahrzehnten die Verflechtung von Bund und Ländern in den Bereichen von Gesetzgebung und Verwaltung derart fortgeschritten, dass keine der beiden Ebenen mehr ausreichend und allein handlungsfähig ist.

Aufgrund dieser Politikverkeilung oder -verflechtung ist der Bürger auch nicht mehr in der Lage, politische Verantwortlichkeiten wahrzunehmen. Das schafft Politikverdrossenheit. Eine Reform des deutschen Föderalismus ist deshalb dringend geboten. Dies ist wohl Konsens nicht nur zwischen allen Parteien, sondern auch über alle Ebenen des bundesdeutschen Kompetenzgefüges hinweg. Deshalb haben sich alle an der Reformdiskussion maßgeblich beteiligten Institutionen, zunächst mit

Ausnahme den Deutschen Bundestags, mit eigenen Positionsbestimmungen in diese Föderalismusdebatte eingebracht.

Die Exekutiven des Bundes und der Länder haben sich im Jahr 2001 vor dem Hintergrund der Neuregelung des Länderfinanzausgleiches und des Solidarpaktes II darauf geeinigt, bis Ende 2004 eine grundlegende Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung auf den Weg zu bringen. Von Bundes- und Landesregierung sind deshalb zwei gemeinsame Kommissionen eingesetzt worden, die bereits gearbeitet haben.

Die Ministerpräsidenten der Länder haben im März 2003 ihre Leitlinien für die Verhandlungen verabschiedet. Darüber hinaus hat die Bundesministerin der Justiz Frau Zypries einen Monat später der Öffentlichkeit die vom Bundeskabinett zur Kenntnis genommenen Eckpunkte für eine Föderalismusreform vorgestellt.

Seitens der Landesparlamente hat sich nach dem Vorbild des Europäischen Konvents ein Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente konstituiert, der am 31. März dieses Jahres in Lübeck erstmals zusammentrat und die „Lübecker Erklärung zur Neugestaltung des deutschen Föderalismus“ verabschiedete. Wesentlich ist: In dieser Erklärung erheben die deutschen Landesparlamente den Anspruch, als unmittelbar demokratisch legitimierte Volksvertretungen der Länder gleichberechtigt an der Reformdebatte zur bundesstaatlichen Ordnung beteiligt zu werden und sich mit eigenen Positionsbestimmungen einbringen zu dürfen.

Nun hat sich im August dieses Jahres auch der Deutsche Bundestag zu Wort gemeldet. Während der Vorsitzende der SPD-Fraktion Herr Müntefering die Bildung einer Verfassungskommission vorschlug, brachte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion Kauder die Einberufung eines Verfassungskonvents ins Gespräch.

Das Spitzentreffen der Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien, das am 26. August dieses Jahres stattgefunden hat, habe ich als Vorsitzender der Verhandlungskommission der Landesparlamente frühzeitig zum Anlass genommen, den Bundestagspräsidenten, den Bundesratpräsidenten sowie alle Fraktionsvorsitzende des Deutschen Bundestages anzuschreiben und sie um ein Gespräch zu bitten.

Mit den Büros von Frau Merkel und Herrn Müntefering konnten leider keine Gesprächstermine vor dem 26. August 2003 vereinbart werden.

Darüber hinaus haben wir nochmals alle Landtagspräsidentinnen und -präsidenten sowie alle Mitglieder der Verhandlungskommission angeschrieben und sie aufgefordert, ihren Einfluss in den Konferenzen der Fraktionsvorsitzenden und bei der jeweiligen Ländergruppe der Bundestagsabgeordneten hinsichtlich einer angemessenen Beteiligung der Landesparlamente geltend zu machen.

Meine Damen und Herren! Mit Bedauern muss man nun feststellen: Faktisch wird das Ergebnis des Spitzengespräches am 26. August 2003 dem Anspruch einer angemessenen Teilhabe der Landesparlamente an der zu konstituierenden Föderalismuskommission nicht gerecht.

Dem Gremium sollen jeweils 16 Mitglieder aus Bundestag und Bundesrat angehören. Darüber hinaus sollen ihm als ständige Gäste - um nicht zu sagen: Zaungäste - mit Rede- und Antragsrecht, aber ohne Stimmrecht sechs Vertreter der Landesparlamente, vier Vertreter der Bundesregierung und drei Vertreter der kommunalen Spitzenverbände angehören.

Damit wird den Landesparlamenten zwar eine effektivere Verfahrensposition eingeräumt, als sie sie in der Gemeinsamen Verfassungskommission 1991/92 inne hatten; dennoch wird man damit - ich betonte es bereits - der Bedeutung der Landesparlamente innerhalb der bundesstaatlichen Ordnung in keiner Weise gerecht.

Mittlerweile hatte ich im Rahmen eines Gesprächs mit Herrn Bundesratspräsidenten Professor Böhmer die Gelegenheit, ihm gegenüber den Anspruch der Landesparlamente deutlich zu machen. Im Übrigen hat er meinen Brief allen Ministerpräsidenten der Länder zur Kenntnis gegeben.

Herr Bundestagspräsident Thierse lehnte ein Gespräch zunächst ab mit der Begründung, bei gegebenem Diskussions- und Verfahrensstand könne die Verabredung des erbetenen Gesprächs so verstanden werden, dass er als Bundestagspräsident Einfluss auf die Meinungs- und Willensbildung der Fraktionen nehmen wolle. Mittlerweile aber, meine Damen und Herren, hat sein Büro signalisiert, dass er am 25. September 2003 zu einem Gespräch an seinem Amtssitz in Berlin bereit sei.

Vor dem 26. August 2003 konnten lediglich mit Frau Göring-Eckardt, der Vorsitzenden der Fraktion des Bündnis 90/Die Grünen, und mit Herrn Gerhardt, dem Vorsitzenden der Fraktion der FDP, Gespräche geführt werden. Ich muss sagen, dass diese Gespräche, die am 18. August 2003 in Berlin stattfanden, aus meiner Sicht

außerordentlich konstruktiv waren. Sie ließen eine weitgehende Interessenübereinstimmung erkennen und endeten mit der Zusage der beiden Vorsitzenden, sich im Sondierungsgespräch am 26. August 2003 für eine angemessene Beteiligung der Landesparlamente einzusetzen.

(Zustimmung von Frau Dr. Sitte, PDS)

Gegen eine solche Marginalisierung der Landesparlamente habe ich am 4. September 2003 in gleich lautenden Schreiben an den Bundestagspräsidenten, an den Bundesratspräsidenten und an die Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien protestiert. Gleichzeit habe ich zum wiederholten Mal gefordert, zumindest die vom Lübecker Konvent eingesetzte elfköpfige Verhandlungskommission an der Föderalismuskommission zu beteiligen und diesen Repräsentanten der Landesparlamente den gleichen Status einzuräumen wie den von Bundesrat und Bundestag entsandten Mitgliedern.

Parallel dazu habe ich nochmals alle Mitglieder der Verhandlungskommission sowie die Landtagspräsidentinnen und -präsidenten über dieses Schreiben informiert und sie aufgefordert, nochmals unsere Kräfte zu bündeln und bis zum 17. Oktober 2003, dem Tag, an dem Bundestag und Bundesrat den Einsetzungsbeschluss verabschieden werden, alles zu versuchen, um hauptsächlich über die Schiene der Bundestagsfraktionen zu erreichen, dass die Landesparlamente entsprechend ihrer Bedeutung stärker an der Föderalismuskommission im Sinne einer Vollmitgliedschaft beteiligt werden.

(Zustimmung von Frau Fischer, Naumburg, SPD)

Meine Damen und Herren! Zeitgleich mit unserem Antrag - so wurde ich vom Präsidenten des Landtages Nordrhein-Westfalen informiert - wird in diesen Tagen

ein entsprechender fraktionsübergreifender Antrag im Landtag von Nordrhein-Westfalen beschlossen werden.

Ich bitte Sie, unserem fraktionsübergreifenden Antrag Ihre Zustimmung zu geben. Auch der sachsen-anhaltische Landtag muss nochmals deutlich machen, dass die intendierte Sechserlösung die Vertreter der Landtage, die von der Entwicklung der bundesstaatlichen Ordnung - um nicht zu sagen, von den Fehlentwicklungen der bundesstaatlichen Ordnung - in den letzten Jahrzehnten am stärksten benachteiligt worden sind, von einer gleichberechtigten Mitwirkung faktisch ausschließt.

Die mir mittlerweile zur Kenntnis gelangten Entwürfe der Einsetzungsbeschlüsse von Bundestag und Bundesrat rücken bedauerlicherweise von dieser - ich sage es einmal so - legitimatorischen Attrappe einer Beteiligung der Landesparlamente nicht ab. Ich habe deshalb gestern Herrn Staatsminister Robra über unsere Forderung in Kenntnis gesetzt und ihn gebeten, diese Forderung in der heute stattfindenden CdS-Konferenz in Hamburg nochmals einzubringen.

Meine Damen und Herren! Das Argument, in der Föderalismuskommission sollten nur Vertreter der beiden verfassungsgebenden Organe, Bundesrat und Bundestag, beteiligt sein, kann nicht überzeugen, weil eine Föderalismuskommission ein selbst im Grundgesetz nicht vorgesehenes Gremium ist. Sie kann vielmehr nur Gesetzgebungsvorschläge erarbeiten, die dann von den zuständigen Gesetzgebungsorganen im formalen Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen und beraten werden müssen.

In einem nichtformalen vorbereitenden Gremium wie der Föderalismuskommission können deshalb Repräsentanten der Landesparlamente selbstredend nicht nur mit Sitz und Stimme beteiligt werden; sie gehören vielmehr als Träger direkter Legitimität und als unmittelbar Betroffene gleichberechtigt neben Bundesregierung, Bundestag und Länderexekutiven an den Verhandlungstisch. Wenn dies nicht gelingen sollte, bedeutet dies nicht nur eine Einbuße an Legitimationskraft dieser Kommission; letztlich dürften dann auch die Erfolgsaussichten geringer sein.

So kritisiert der Ulmer Juraprofessor und ehemalige Bundestagsabgeordnete Jürgen Meyer zu Recht - ich zitiere -:

Ich möchte diese gute Rede nicht dadurch verwässern, dass ich das wiederhole, was Sie gesagt haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich denke, ich spreche für das gesamte Parlament, wenn ich sage: Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sich in der zu bildenden Kommission für eine Stärkung der Rechts- und Verhandlungspositionen der Landesparlamente und natürlich in erster Linie unseres Parlamen

„Im deutschen Föderalismus halten alle ihre Macht im Klammergriff und machen damit das Ganze bewegungsunfähig. Wie sollten gerade die das Problem lösen, das sie selbst darstellen.“

Ein bemerkenswertes Zitat.

Die Länderexekutiven, meine Damen und Herren, werden wahrscheinlich nichts an Zustimmungsbefugnissen - das heißt insbesondere auch an Vetomacht - im Bundesrat aufgeben wollen. Sie haben auch kein unmittelbares Interesse an der Rückholung von Gesetzgebungsbefugnissen und Zuständigkeiten, weil sie im Zweifel über den Umweg des Bundesrates ohnehin fast überall mitbestimmen.

Die Abgeordneten des Bundestages werden - das zeigte meiner Ansicht nach auch unser Treffen mit der sachsen-anhaltischen Landesgruppe der Bundestagsabgeordneten - über Fraktionsgrenzen hinweg vor allem zentralstaatliche Interessen vertreten.

Dies deckt sich auch mit der kritischen Bewertung der Arbeit der gemeinsamen Verfassungskommission aus

dem Jahr 1991 durch Klaus von Beyme, einen der profiliertesten Politikwissenschaftler in der Bundesrepublik Deutschland, der im Ergebnis dezidiert meinte - ich zitiere -: