Protokoll der Sitzung vom 17.06.2004

Daneben müssen wir - schon aus eigenem Interesse - die Integration vorantreiben. Hierfür gilt: Wer auf Dauer in Deutschland leben will, der muss unsere rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten akzeptieren und - das ist das Wichtige - die deutsche Sprache beherrschen. Unerlässlich ist auch die Bereitschaft des Ausländers, sich selbst zu integrieren. Das soll im Zuwanderungsgesetz auch seinen Niederschlag finden.

Weitere Schwerpunkte der Verhandlungen waren, wie wir bereits gehört haben, die Arbeitsmigration, die humanitäre Zuwanderung und Fragen der inneren Sicherheit. Selbstverständlich wird sich Deutschland seinen humanitären Verpflichtungen nicht entziehen. Die heute erzielte Einigung ermöglicht es einerseits, in Einzelfällen humanitären Lösungen zu erzielen. Andererseits sind auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, insbesondere bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, deutliche Verbesserungen erreicht worden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fest steht, dass wir in Deutschland ein Zuwanderungsgesetz dringend benötigen. Wie auch im Antrag der SPD zu lesen ist, ist es erforderlich, für eine bessere Integration zu sorgen, Asylverfahren zu beschleunigen, aber auch die Arbeitsmigration zu steuern und die sicherheitsrelevanten Aspekte im Auge zu behalten.

Diese Ziele beruhen auf einem breiten Konsens. Die CDU-Fraktion unterstützt daher den Antrag der SPDFraktion. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kolze. - Für die PDSFraktion spricht nun zu uns der Abgeordnete Herr Gärtner. Bitte sehr, Herr Gärtner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Mai dieses Jahres einigten sich auf Bundesebene Bundesregierung und Opposition aus CDU und FDP auf einen grundsätzlichen Kompromiss im Streit um die Zuwanderung, der am heutigen Tag endgültig besiegelt worden ist. Allerdings ist am Ende etwas herausgekommen, was aus unserer Sicht den Titel „modernes Zuwanderungsrecht“ nicht mehr verdient hat.

(Zustimmung bei der PDS)

Aus der Sicht der PDS-Fraktion ist die Chance für ein modernes Zuwanderungsgesetz in Deutschland leider vertan. Der Kompromiss zwischen Bundesregierung, CDU/CSU und FDP beinhaltet keine zukunftsweisenden Regelungen zur Gleichbehandlung von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen.

Während auf dem Gebiet der Einwanderungspolitik die Festungsmentalität nicht durchbrochen werden konnte, blieb die Integrationspolitik weit hinter den Erfordernissen zurück und setzt einzig und allein auf Sanktionen. Die Zuwanderung wird weiter bürokratisiert und Sicherheitsmaßnahmen werden verschärft. Die Aufenthaltsbestimmungen werden komplizierter, Aufenthaltsrecht und Integration werden weiter sanktioniert. Die Abschiebung wird erleichtert. Die Migrantinnen und Migranten werden stärkeren Kontrollen unterworfen.

Das Engagement von Bündnis 90/Die Grünen in diesem Zusammenhang ist enttäuschend. Offenbar haben sie auf einem ihrer wichtigsten Politikfelder nichts mehr beizutragen, zumal sie an den Endverhandlungen über den Zuwanderungskompromiss nicht beteiligt waren.

(Zustimmung bei der PDS)

Dieses Gesetz macht unmissverständlich deutlich: Menschen nichtdeutscher Herkunft sind unerwünscht, es sei denn, sie sind ökonomisch nützlich.

(Widerspruch bei der CDU)

Wir wollen ein Zuwanderungsgesetz, welches nicht Nützlichkeitskriterien in den Vordergrund stellt. Wir wollen ein Einwanderungsrecht, welches sich dieser Logik entzieht. Letzteres ist mit dem jetzt gefundenen Kompromiss nicht der Fall.

Im Flüchtlingsbereich kann nicht einmal von Ansätzen einer Liberalisierung gesprochen werden. Kettenduldungen werden nicht abgeschafft und eine Bleiberegelung

für langjährig in Deutschland geduldete Flüchtlinge fehlt. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung sollen rechtsstaatliche und menschenrechtliche Standards noch weiter untergraben werden.

Die PDS fordert anstelle eines polizeirechtlichen Einwanderungsverhinderungsgesetzes eine wirksame Integrationspolitik mit dem Ziel der sozialen und politischen Gleichstellung der Migrantinnen und Migranten und des friedlichen Zusammenlebens von Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlicher ethnisch-kultureller und religiöser Herkunft.

(Zustimmung bei der PDS)

Unter anderem ist die Chancengleichheit von Menschen mit nichtdeutscher Herkunftssprache beim Zugang zu allen Bildungsstufen durch gesonderte Maßnahmen, welche die Integration in die Gesellschaft erleichtern, zu gewährleisten. Dazu gehören auch Sprachlehrgänge in ausreichendem Umfang; denn das Erlernen der Sprache ist eine der wichtigsten Integrationsvoraussetzungen.

Die PDS will andererseits, dass die Migrantinnen und Migranten ihre eigene Kultur und Sprache nicht aufgeben müssen. Deshalb treten wir für das Recht auf Förderung der Muttersprache ein. Dazu gehört auch die Förderung der interkulturellen Erziehung und Bildung.

(Zustimmung bei der PDS)

Integration hört aber nicht mit Spracherwerb und Bildung auf. Im Gegenteil, alle Rahmenbedingungen müssen dazu führen, dass alle Menschen, unabhängig von ihrem Pass, in Deutschland gleichberechtigt leben können. Das schließt die Herstellung des Wahlrechts für Eingewanderte auf allen Ebenen ein, aber auch den umfassenden Schutz für Verfolgte und Flüchtlinge aus Notsituationen, die Angleichung der sozialen Standards, das Ermöglichen des Familiennachzugs für alle Angehörigen und die Angleichung des deutschen Rechts an die Standards der UN-Kinderrechts- und der UN-Wanderarbeiterkonvention. Das bedeutet zudem Schutz für Illegalisierte vor Ausbeutung und unmenschlichen Lebensverhältnissen.

Zusammenfassend spricht sich die PDS dafür aus:

Erstens. Einwanderung darf nicht nach nationalen Interessen begrenzt werden, sondern klare, transparente Rechtsansprüche auf Einwanderung müssen geschaffen werden.

Zweitens. Der Familiennachzug in die Bundesrepublik muss für alle Kinder möglich sein, und das heißt nach geltendem Familienrecht, bis zum Alter von 18 Jahren.

Drittens. Nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung müssen endlich als Fluchtgrund anerkannt werden.

Viertens. Opfer von Menschenrechtsverletzungen dürfen weder ab- noch zurückgeschoben werden. Wer das nicht will, riskiert neue Menschenopfer.

Fünftens. Schutzbedürftige, die nicht abgeschoben werden dürfen oder können, müssen einen sicheren Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland erhalten.

Sechstens. Das Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft oder zumindest humaner praktiziert werden.

Da all das im Zuwanderungskompromiss nicht enthalten ist, haben wir Ihnen heute einen Änderungsantrag vorgelegt. Es sind Positionen, die wir schon vor Jahren als

Grundsatzpositionen der PDS für ein modernes Zuwanderungsrecht erarbeitet haben. Diese sind in keiner Weise in dem jetzigen Kompromiss enthalten. Aus diesem Grunde bitte ich Zustimmung zu unserem Antrag und um Ablehnung des SPD-Antrages. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Gärtner. - Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Kosmehl das Wort. Bitte sehr, Herr Kosmehl.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Gärtner, vielleicht wissen Sie wirklich mehr als ich. Aber ich glaube, die wenigsten im Saal - vielleicht gar keiner - kennen die genaue Formulierung des Gesetzesvorschlages, der heute zustande gekommen ist. Dass Sie trotzdem schon binnen weniger Minuten nach Veröffentlichung einer Einigungs-DPA-Ticker-Meldung eine Pressemitteilung machen und ihn gänzlich ad absurdum führen und ablehnen, sagt eigentlich alles darüber aus, wie Sie sich in die Zuwanderungsdebatte konstruktiv eingebracht haben - nämlich gar nicht.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Fischer, das gilt in ähnlicher Weise auch für Sie. Auch Sie haben heute orakelt - aus Pressemitteilungen von heute, aus den letzten Tagen -, ohne konkrete Anhaltspunkte zu haben. Es wäre besser gewesen, wir hätten die Debatte zu einem Zeitpunkt geführt, zu dem wir tatsächlich in das Gesetz schauen und die Regelungen bewerten können. So müssen wir das alles ein Stück weit im Nebel machen. - Gut, ich werde mich dieser Aufgabe auch stellen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit nunmehr fast vier Jahren wurde um den heute endgültig erzielten Kompromiss gerungen. Mehrfach drohte die Einigung zu scheitern, und zwar vor allen Dingen durch Fundamentalisten bei den Grünen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir es doch noch geschafft haben, ein Zuwanderungsgesetz zu verabschieden - bzw. uns in den nächsten Tagen darauf zu einigen -, das die Bezeichnung „modernes Zuwanderungsrecht“ verdient, wie ich finde, ist schon eine sehr, sehr große Leistung.

Ich möchte dem nur noch eines hinzufügen, weil das heute in den Reden, insbesondere in der des Ministers des Innern, etwas zu kurz gekommen ist: Nicht die Union hat wesentlich dazu beigetragen, dass weiter am Zuwanderungskompromiss gefeilt wurde, sondern es war insbesondere auch die FDP-Bundestagsfraktion, die einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht hat - übrigens tat sie es, bevor Rot-Grün nochmals den Zuwanderungsgesetzentwurf eingebracht hat -, in dem Kompromissvorschläge unterbreitet worden sind, die zwischen den beiden großen Volksparteien hätten vermittelt werden können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Insofern fällt mein Fazit durchaus positiv aus. Ich denke, wir alle können mit den getroffenen Regelungen, auch wenn wir sie en Detail noch nicht kennen, zufrieden sein.

Was aus der Sicht der FDP-Fraktion - das habe ich in der Aktuellen Debatte vor einem Jahr schon einmal

deutlich werden lassen - elementar wichtig ist, ist die Frage der Integration. Nur wenn wir es schaffen, Migrantinnen und Migranten zu integrieren, werden sie für Deutschland eine Bereicherung sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Migrantinnen und Migranten haben ein Recht auf Integration. Sie haben aber auch die Pflicht zur Integration. Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es sehr wichtig, dass Sprach- und Integrationskurse nicht losgelöst erfolgen und völlig unverbindlich im Raum stehen bleiben, sondern dass sie mit Sanktionen belegt werden, damit derjenige, der schuldhaft nicht teilnimmt oder schuldhaft erfolglos teilnimmt, mit Sanktionen rechnen muss, weil er sich nicht integrieren möchte. Wir brauchen die Integrationswilligkeit, um zum Erfolg zu kommen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Herr Borgwardt, CDU: Genau so ist das!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Zuwanderungsgesetz hört die Aufgabe - sage ich einmal - der Bundespolitik auf und es beginnt die Aufgabe der Landespolitiker. - In einem Punkt, Frau Fischer, möchte ich Ihnen ein Stück weit widersprechen oder Sie vielleicht ergänzen, wie auch immer Sie das auffassen mögen.

Bei dem Beispiel Hessen haben Sie die Kampagne angesprochen, die Ministerpräsident Koch geführt hat. Was Sie verschwiegen haben, war, dass CDU und FDP ab dem Jahr 1999 eine Integrationspolitik auf Landesebene betrieben haben, die zu einer verstärkten Integration in Hessen geführt hat. Das war erfolgreich. Das hat man gemacht, ohne ein rot-grünes Zuwanderungsgesetz.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das kann man nicht alles mit Populismus wegwischen. Vielmehr kann man Integration tatsächlich leben und man kann sich dafür einsetzen. Das wird auch die Aufgabe sein, der wir uns hier in Sachsen-Anhalt stellen werden. Ich bin sicher, dass das jetzt in der Landesregierung vorhandene Leitbild für die Migration in Sachsen-Anhalt weiterentwickelt wird, dass es an die aktuellen Bedürfnisse des Zuwanderungsgesetzes angepasst wird, dass wir dann in die politisch-gesellschaftliche Diskussion eintreten werden und am Ende ein Leitbild haben, mit dem wir alle zufrieden sein können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluss kurz noch eine Bemerkung hinsichtlich der Sicherheitsfragen machen. Die Zuwanderung und die Sicherheitsfragen gehören für die FDP schon zusammen. Es ist immer die Frage, bis zu welchem Grad sie zusammengehören.

Dabei war für uns von Anfang an eines relativ deutlich: Immer dann, wenn es besser wäre, ein ordentliches parlamentarisches Verfahren mit drei Lesungen im Bundestag und mit der Möglichkeit der Anhörung von Sachverständigen durchzuführen, dann sind solche Fragen in separaten Gesetzen zu lösen oder auf die Tagesordnung zu bringen, aber nicht in ein Vermittlungsausschussverfahren zu ziehen. Das, was wir aber im Vermittlungsausschussverfahren haben regeln können, das haben wir meiner Ansicht nach gut geregelt. Das betrifft insbesondere die auf gerichtsverwertbare Tatsachen gestützte Ausweisung von Personen.