Protokoll der Sitzung vom 03.03.2005

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Der Tod der beiden Personen im Zusammenhang mit der Gewahrsamsnahme in Dessau und in Magdeburg ist zu bedauern. Die Sachverhalte sind klar und nicht miteinander zu vergleichen. In beiden Fällen haben die betroffenen Polizeibehörden noch am selben Tag die Presse über die Vorfälle informiert. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft haben in beiden Fällen unverzüglich die Ermittlungen aufgenommen und im weiteren Ermittlungsverlauf die Öffentlichkeit informiert. Hierbei wurde nichts unter den Teppich gekehrt, hierbei wurden keine Ermittlungen verschleppt, sondern es wurde in großer Offenheit eine hochprofessionelle Arbeit geleistet.

Zum Abschluss möchte ich darum bitten, wenn das Verfahren abgeschlossen ist, eine entsprechende Information in den genannten Ausschüssen zu geben.

Noch eines: Wenn ein Mensch - wir sollten auch über die Person des Herrn Jallow informiert werden - früh um 8 Uhr mit fast 3 Promille Alkohol und Kokain im Blut aufgegriffen werden musste und er noch mit anderen Dingen, die ich gehört habe, zu tun hatte, dann ist auch mit der Persönlichkeit etwas nicht in Ordnung. Ich bitte, darüber im Ausschuss auch zu berichten. - Ich danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der PDS)

Herr Gallert, Sie haben eine Frage oder eine Intervention?

Eine Wortmeldung als Fraktionsvorsitzender.

Vielen Dank, Herr Reichert. - Als Nächster spricht Herr Gallert als Fraktionsvorsitzender. Bitte, Herr Gallert.

Ich will ausschließlich auf die letzten Worte des Herrn Reichert reagieren und nicht auf den ersten Teil, in dem zum Teil Unterstellungen gegenüber Herrn Gärtner enthalten gewesen sind, die mit dem Antrag überhaupt nichts zu tun haben.

Herr Reichert, ich habe heute Morgen in allem Ernst einen Antrag aller vier Fraktionen begründet, bei dem ich über die Unteilbarkeit der Menschenrechte und die Universalität gesprochen habe. Hierbei geht es darum, dass ganz offensichtlich die körperliche Unversehrtheit eines Menschen auch durch Versäumnisse zu Schaden gekommen ist. Am Ende eines solchen Redebeitrages darauf zu reflektieren, dass offensichtlich mit seiner Persönlichkeitsstruktur irgendetwas nicht in Ordnung gewesen wäre, ist für mich bodenlos. Es konterkariert genau das, worüber wir heute Morgen einstimmig abgestimmt haben.

(Starker Beifall bei der PDS)

Herr Scharf, möchten Sie ebenfalls reden? Bitte sehr, Sie sprechen als Fraktionsvorsitzender.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist bedauerlich, dass dieser Antrag doch wieder dazu benutzt wird, dass wir uns im Landtag von Sachsen-Anhalt gegenseitig Vorwürfe machen und Unterstellungen verbreiten.

(Beifall bei der CDU und bei der PDS)

Herr Gallert, ich muss an dieser Stelle unser Fraktionsmitglied Herrn Reichert in Schutz nehmen. Er hat lediglich darauf hingewiesen, dass er möchte, dass in der Berichterstattung des Herrn Innenministers sowohl die beiden Fälle behandelt werden als auch weiter über Herrn Jallow berichtet wird.

Die Menschenrechte sind unteilbar. Sie gelten für jeden uneingeschränkt. Sie gelten nicht nur für jeden Deutschen, sondern sie gelten für jeden Menschen. Das ist vollkommen klar. Auf der anderen Seite muss man sich aber auch im Ausschuss darüber unterhalten können, welche Personen zu Schaden gekommen sind.

Ich bitte Sie, dieses nicht zu vermischen, weil auch Herr Reichert dieses überhaupt nicht vermischt hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von der PDS: Natürlich hat er das! - Frau Feußner, CDU: Hat er nicht!)

Vielen Dank, Herr Scharf. - Meine Damen und Herren! Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der SPDFraktion fort. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Rothe. Bitte sehr, Herr Rothe.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 7. Februar 2005 ist Oury Jallow im staatlichen Gewahrsam gestorben. Wir haben besonderen Anlass, seinen Tod zu bedauern, weil sein Gewahrsam unter besonderen Umständen stattfand, die dem Land Sachsen-Anhalt zuzurechnen sind.

Wir bedauern den Tod von Michael Lippert, bei dem im Übrigen kein Fehlverhalten von Landesbediensteten in Rede steht. Das ist ein Unterschied, der die Erweiterung des Antrages der PDS-Fraktion nicht zwingend erscheinen lässt.

Bei ordnungsgemäßer Durchführung des Gewahrsams von Oury Jallow hätte kein Feuerzeug in der Zelle des Polizeireviers sein dürfen. Wir wissen nicht, wie das Feuerzeug in die Zelle gekommen ist. Bei der Einlieferung der in Gewahrsam genommenen Person war eine gründliche Durchsuchung auch deshalb durchzuführen, damit sich die Person nicht selbst gefährden konnte. Der Tod von Oury Jallow war jedenfalls insoweit vermeidbar, als das Feuerzeug nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass eine Bedingung für die Herbeiführung des Todes entfällt. Klärungsbedürftig ist, ob Herr Jallow hätte gerettet werden können, wenn die Beamten der Feueralarmmeldung aus dem Gewahrsamsraum sofort nachgegangen wären, und ob das kurzfristige Leisestellen der Wechselsprechanlage von Bedeutung war.

Die Frage der strafrechtlichen Kausalität und die anderen Fragen der Strafbarkeit zu beantworten ist Sache der Strafverfolgungsbehörden und im Falle einer Anklageerhebung des Gerichtes. Alles andere, auch der ordnungsgemäße Gang der Ermittlungen, geht das Parlament etwas an.

In der Begründung zu dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen heißt es, dass die Staatsanwaltschaft mit Unterstützung der Polizeibehörden sachgerecht die erforderlichen Ermittlungen aufgenommen hat und derzeit keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die gesetzlich vorgesehenen Verfahren nicht ordnungsgemäß erfolgen. Ich gebe zu bedenken, dass in der Sitzung des Rechtsausschusses am 16. Februar 2005 aus einer der Regierungsfraktionen die Frage kam, ob der Staatsanwaltschaft bereits zu Beginn der Ermittlungen bekannt gewesen sei, dass der Rauchmelder schon im September des letzten Jahres repariert worden sei, oder ob dies erst im Laufe der Ermittlungen bekannt geworden sei und, wenn ja, zu welchem Zeitpunkt.

Seitens der Staatsanwaltschaft wurde geantwortet, den konkreten Zeitpunkt könne man jetzt nicht nennen. Die ermittelnden Polizeibeamten hätten darüber Nachforschungen betrieben und das aktenkundig gemacht.

Meine Damen und Herren! Die Beantwortung derartiger Fragen ist für mich Voraussetzung dafür, Bewertungen vornehmen zu können, wie das die Koalitionsfraktionen in der Begründung zu dem Änderungsantrag tun. Die PDS-Fraktion hatte bereits in ihrem Selbstbefassungsantrag vom 28. Januar 2005 die Landesregierung aufgefordert, im Innenausschuss Aufklärung über die Umstände des Todes des Asylbewerbers im Polizeirevier Dessau zu leisten.

In der Sitzung des Ausschusses am 2. Februar 2005 haben die Vertreter des Innenministeriums darauf verwiesen, man müsse die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abwarten, und keinerlei Angaben zum Brandgeschehen und den Reaktionen gemacht.

Ich habe mir daraufhin die Regelung zum Auskunftsrecht der Mitglieder des Landtages in Artikel 53 der Landesverfassung noch einmal angesehen. Die Auskunftserteilung muss unverzüglich und vollständig erfolgen. Die Pflicht der Landesregierung zur Auskunftserteilung findet ihre Grenzen nach der Verfassung erst dort, wo die Funktionsfähigkeit der Verwaltung wesentlich beein

trächtigt wäre. - Die Auskunftserteilung im Innenausschuss am 2. Februar 2005 genügte den verfassungsrechtlichen Vorgaben offensichtlich nicht.

In den folgenden zwei Wochen haben sich die Medien verstärkt diesem Thema gewidmet. Mein Eindruck ist, dass erst dies die nötige Sensibilität in der Exekutive erzeugt hat.

Am 15. Februar 2005 ist der verantwortliche Dienstgruppenleiter vom Dienst suspendiert worden. Ich frage Sie, Herr Innenminister: Trifft es zu, wie die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt, dass der Beamte zunächst zu Protokoll gegeben habe, er sei sofort in den Keller gegangen, als der Feuermelder reagiert gehabt habe? - Es hat sich doch umgehend ein anderer Sachverhalt herauskristallisiert. Warum ist der Beamte, wenn das so stimmt, erst Mitte Februar vom Dienst suspendiert worden?

Am 15. Februar 2005 hat das Innenministerium eine Arbeitsgruppe zur Überprüfung der allgemeinen Gewahrsamspraxis eingesetzt. Auch auf diese Idee hätte man früher kommen können. Was Sie, Herr Innenminister, in Bezug auf Verbesserungen des Gewahrsams vorgetragen haben, erscheint mir sachgerecht auch als Konsequenz aus dem Fall, über den wir heute reden. Mein Eindruck ist, dass Oury Jallow nach diesen neuen Festlegungen gar nicht erst in diese Art von Gewahrsam genommen worden wäre.

Am 15. Februar 2005 wurde die Presse umfänglich über den Stand der Ermittlungen, über die Suspendierung des Beamten und die Einsetzung der Arbeitsgruppe informiert. Am 16. Februar 2005 sind im Rechtsausschuss dann auch die Abgeordneten ordentlich informiert worden.

Meine Damen und Herren! Der PDS-Antrag ist - das will ich deutlich sagen - auch in seiner ursprünglichen Fassung zustimmungsfähig. Es ist uns als SPD-Fraktion jedoch wichtiger, das Bedauern im Konsens mit den Regierungsfraktionen zu artikulieren, als dass sich alle Formulierungen aus dem PDS-Antrag in dem Landtagsbeschluss wiederfinden. Wir werden uns daher bei der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP der Stimme enthalten und dem Antrag der PDS-Fraktion in der so geänderten Fassung zustimmen.

Ich danke dem Kollegen Gärtner für seine Initiative, dass er die Selbstbefassung des Innenausschusses am 2. Februar 2005 gemeinsam mit Kollegen aus seiner Fraktion herbeigeführt hat. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Ich danke Ihnen ebenfalls, Herr Abgeordneter Rothe. - Für die FDP-Fraktion erhält nun der Abgeordnete Herr Kosmehl das Wort. Bitte sehr, Herr Kosmehl.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Gallert, ich stimme Ihnen in dem zu, was Sie heute Morgen über die Unteilbarkeit der Menschenrechte und insbesondere der Menschenwürde gesagt haben. Wie gesagt, ich stimme Ihnen darin vollkommen zu, stelle aber auch fest, dass der Kollege Gärtner an der Abstimmung über den Antrag bewusst nicht teilgenommen hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Jahr 2005 ist erst wenige Tage alt und trotzdem müssen wir heute zwei tragische Todesfälle zur Kenntnis nehmen, die sich im polizeilichen Gewahrsam abgespielt haben. Wir bedauern den Tod von Oury Jallow, der am 7. Januar 2005 in Dessau gestorben ist. Wir bedauern den Tod von Michael Lippert, der am 18. Februar 2005 in Magdeburg gestorben ist. Beide Todesfälle sind tragisch. Beide Todesfälle, Herr Kollege Rothe, geben Anlass dazu, nicht nur die Ursachen des Todes und dessen Begleitumstände näher zu untersuchen, sondern sie geben auch Anlass dazu, bestehende gesetzliche Regelungen oder die praktizierte Übung zu überprüfen und zu evaluieren.

Ohne heute schon auf mögliche Lücken oder Fehler in den gesetzlichen Regelungen hinzuweisen bzw. diese festzustellen, scheint es uns erforderlich zu sein, die bestehenden Regelungen zu evaluieren. Das Innenministerium - der Herr Minister hat das bereits vorgetragen - hat damit bereits begonnen. Auch die praktizierte Übung - ich meine damit das Zusammenwirken von Rettungsdienst, Polizei und Sozialbehörden - ist nochmals mit den jeweiligen Beteiligten abzustimmen und gegebenenfalls zu ändern.

Meine Damen und Herren! Dass sich der Landtag mit beiden Fällen heute im Plenum befasst, ist insbesondere der Tatsache geschuldet, dass beide Personen im polizeilichen Gewahrsam gestorben sind. Ein Tod während polizeilichen Gewahrsams allein wirft schon viele Fragen auf, Fragen, die zunächst die ermittelnde Staatsanwaltschaft klären muss, bevor die Politik eine Bewertung der Umstände vornehmen kann, aber auch vornehmen muss.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Tod während einer freiheitsentziehenden Maßnahme muss aufgeklärt werden. Das Ermittlungsergebnis muss gerichtsverwertbare Tatsachen enthalten. Leider hat uns gerade der Fall Oury Jallow erneut vor Augen geführt, dass man mit Mutmaßungen und Spekulationen eine Aufklärung der Sachverhalte eher behindert als beschleunigt.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage heute noch einmal das deutlich, was ich bereits in einer Pressemitteilung vor einigen Tagen gesagt habe. Es ist selbstverständlich: Die Ermittlung ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft und diese Ermittlungen der Staatsanwaltschaft werden von der Polizei unterstützt. Diese verfassungsrechtlich gebotene Aufgabe hat die Staatsanwaltschaft Dessau unverzüglich angenommen. Sie hat diese Aufklärung bis heute kontinuierlich fortgeführt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren der PDS, Sie haben sich wider besseres Wissen zum eigenen Ermittler berufen. Manche Ihrer Äußerungen, insbesondere die des Kollegen Gärtner, haben dazu geführt, dass Ermittlungen behindert wurden, weil diese Äußerungen Spekulationen waren, weil diese Äußerungen Mutmaßungen enthielten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Reichert hat eines deutlich gemacht im Hinblick auf die gebrochenen Handgelenke: Zwei, drei Tage war die Presse voll von Spekulationen, die durch den Obduktionsbericht klar widerlegt wurden. Diese Spekulationen immer wieder in die Diskussion zu bringen, hat der Aufklärung nicht gedient, sondern sie behindert und ein

Licht auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen geworfen, das man nicht hätte werfen dürfen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Dazu passt nahtlos Ihr Antrag, den Sie heute hier stellen. Sie stellen im ersten Absatz die Versäumnisse fest und fordern erst danach im zweiten Absatz die rückhaltlose Aufklärung. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst muss aufgeklärt werden und dann kann man feststellen, ob es Versäumnisse gab und wie diese gegebenenfalls zu ahnden sind.

(Herr Kolze, CDU: So ist es!)