Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der „Mutter aller Reformen“, wie es Edmund Stoiber in Bezug auf die Föderalismusreform I gesagt hat, kommen wir jetzt also zum Geld, zu den Finanzbeziehungen.
Die FDP hat in der Diskussion um die Neuordnung des Föderalismus von Anfang an gesagt, dass eine echte Reform des Föderalismus nur dann möglich ist, wenn wir auch die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern untereinander auf neue Füße stellen. Nur wenn wir die Finanzströme mit den Zuständigkeitsströmen verbinden, können wir den Föderalismus stärker machen.
Denn der Föderalismus, Frau Kollegin Klein, ist in den 40 Jahren seit dem Bestehen der Bundesrepublik durchaus an seine Grenzen gestoßen, weil wir zum Beispiel mehr Zustimmungsrechte bzw. Zustimmungspflichten des Bundesrates hatten, was so nicht angelegt war. Deshalb war es richtig, dass man in der ersten Stufe tatsächlich daran gegangen ist, auch dort etwas zu tun.
Aber - das will ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen - die ersten Zahlen, Herr Ministerpräsident, die im Bundestag durch die Flure geistern, besagen ganz klar: Die
Reform hat versagt. Es sind mehr zustimmungspflichtige Vorgänge gekommen und nicht weniger. Aber das sollte eigentlich das Ziel der Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen sein.
Das darf uns bei den Finanzbeziehungen nicht passieren. Wir dürfen bei den Zielen, die wir uns stellen, nicht nach solch einer kurzen Zeit feststellen müssen, dass wir sie nicht erreichen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Deshalb bitte ich darum, dass Sie, Herr Ministerpräsident, in der Föderalismuskommission II darauf hinwirken, dass man sich intensiv und ausführlich mit den Themen, auch mit dem Sachverstand von außen auseinander setzt und dann keine Schnellschüsse im Paket beschließt, wie wir das bei der ersten Stufe erleben mussten, wozu wir jetzt feststellen müssen, dass das nicht den Zielen entspricht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer sich einmal die Anlage zu dem Antrag, der im Deutschen Bundestag beschlossen worden ist, anschaut, wird feststellen, dass fast alles, was finanzpolitisch interessant ist, dort als Aufgabengebiet formuliert worden ist: Haushaltswirtschaft, Vorbeugung gegen Haushaltskrisen. Da geht es um die Verschuldung, dann die Bewältigung bestehender Haushaltskrisen. Wir haben die Aufgabenkritik und die Standardsetzung, wir haben die Entbürokratisierung und die Effizienzsteigerung, wir haben die Stärkung der aufgabenadäquaten Finanzausstattung, wir haben die Stärkung der Eigenverantwortung von Gebietskörperschaften und wir haben die verstärkte Zusammenarbeit und Möglichkeiten der Erleichterung des freiwilligen Zusammenschlusses von Ländern. Zu diesem Punkt will ich heute nicht weiter ausführen.
Aber die sechs Punkte vorher machen doch eines klar: dass das ein umfangreicher Kanon ist, der abzuarbeiten ist. Deshalb, Herr Ministerpräsident, hat es mich etwas verwundert, als Sie sagten, dass man im ersten Halbjahr in den Arbeitsgruppen - jede Seite für sich - noch einmal Themen festlegen will, die dann besprochen werden sollen. Eigentlich hatte ich gedacht, dass die Themen mit der Anlage zum Antrag vorgegeben sind. Wir sollten uns davor hüten, schon jetzt, vor Beginn der eigentlichen Arbeit, Themen herauszulassen, um zu sagen: Darüber reden wir nicht.
Ich glaube, man sollte mit der Arbeit im Ganzen beginnen und die Punkte einzeln abarbeiten. Man kann bei der Beschlussfassung, wenn man an diesem oder jenem Punkt nicht zu einem Ergebnis kommt oder keine Mehrheit findet, das jeweilige Thema erst einmal ausklammern. Aber am Anfang ein Thema überhaupt nicht in die Diskussion zu lassen, halte ich für falsch.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einen Punkt möchte ich auch noch aufgreifen. Die Frage, die Herr Gallert gestellt hat, wäre auch meine Frage gewesen. Da ich, wie gesagt, etwas mehr Redezeit habe, habe ich auf meine Frage verzichtet. Aber ich will noch einmal nachsetzen.
Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt: Das hat der Bundestag so für sich beschlossen und das kann er auch so beschließen. - Ich frage allerdings, warum die Länderseite nicht für die Landesparlamente eine gleiche Regelung beschlossen und gesagt hat: „Von den 16 Ländervertretern sind vier Vertreter Mitglieder der Landtage“ und nicht: „Es sind 16 Vertreter der Länder, die Mitglie
Ich sage Ihnen noch eines: Es ist ein Novum. Beim letzten Mal ist die Regelung für den Bundestag auch so gewesen. Damals waren aber die Minister, die die Bundesregierung geschickt hat, allesamt Mitglieder des Deutschen Bundestages. Deshalb ist das dort nicht aufgefallen. Die hatten ein Stimmrecht, weil sie natürlich auch dem Gesetzgebungsorgan Bundestag angehörten.
Jetzt haben wir mit dem Kanzleramtschef Thomas de Maizière zum ersten Mal den Fall, dass ein Nicht-MdB als Mitglied der Bundesregierung mit Stimmrecht ausgestattet ist. Das halte ich unter verfassungsrechtlichem Blick für sehr bedenklich. Ich denke, da hätte man auch den Ländern entgegenkommen können. Ich glaube, die Landesparlamente hätten sich dort auch besser einbringen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zum Abschluss meiner Rede nur noch auf einen Punkt hinweisen, der für die FDP in Sachsen-Anhalt wichtig ist.
Wir werden uns im Detail im Ausschuss mit der Problematik befassen. Ich will heute zu Beginn des Diskussionsprozesses eines ganz klar sagen: Wir werden diese Diskussion und diese Reform natürlich auch mit dem Ziel führen, wo wir mit Sachsen-Anhalt hin wollen. Wo wollen wir stehen?
Ich sage Ihnen für die FDP in Sachsen-Anhalt, wir wollen nicht für ewige Zeit Nehmerland sein. Wir wollen Geberland werden. Dieser Anspruch muss durch die Reform beflügelt werden, und zwar durch eine Neuordnung des Finanzausgleichs, sodass sich Leistung lohnt. Wir können Änderungen herbeiführen, ohne dass wir - Herr Ministerpräsident, da bin ich ganz nah bei Ihnen - den Solidarpakt II infrage stellen, Änderungen die uns helfen werden, den Anspruch, Geberland zu werden, zu verwirklichen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es hat schon ein Land geschafft, nämlich der Freistaat Bayern.
Der hat dafür 40 Jahre gebraucht. Lassen Sie uns gemeinsam schneller sein. Wir können das für SachsenAnhalt schaffen.
Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Zum Schluss der Debatte hören wir noch einmal Frau Dr. Klein. Bitte schön.
Danke, Herr Präsident. - Herr Kosmehl, Ihr Ziel angesichts unseres Schuldenbergs in allen Ehren. Es wird wohl ein langer und harter Weg werden, bis wir ein Geberland sind. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.
Noch eine Bemerkung zu den Ausführungen von Herrn Tullner. Erstens haben Sie gesagt, dass ich am Föderalismus zweifle. Sie haben die ganze Zeit so lebhaft mit
Herrn Stahlknecht geschwatzt. Ich nehme an, dass Sie keine multiple Persönlichkeit sind. Deswegen haben Sie bestimmt Wesentliches meiner Rede überhaupt nicht mitbekommen.
(Herr Tullner, CDU: Das weise ich mit Empörung zurück! - Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Wie da- mals in den Vorlesungen war das!)
- Ja, ja. - Zweitens gibt es natürlich - das habe ich auch deutlich gesagt - sehr unterschiedliche Arten des Föderalismus. Wir als Linkspartei bekennen uns eindeutig - auch das habe ich gesagt - zum kooperativen solidarischen Föderalismusmodell und nicht zum Wettbewerbsföderalismus, wie es die FDP tut.
Drittens muss ich noch Folgendes sagen, weil ich das vorhin in der Einbringungsrede nicht getan habe. Es geht um ein Problem, das es uns sehr schwer macht. Warum ist die Linkspartei, die sich damals intensiv um einen Platz unter den sechs Ländervertretern bemüht hat, nicht vertreten? Dieser Platz ist uns verwehrt worden, obwohl wir unter den Landtagsvertretern die drittstärkste Kraft sind. Wir haben 150 Landtagsvertreter. Im Unterschied dazu haben die FDP 103 und die Partei Bündnis90/DIE GRÜNEN 123 oder 124 Vertreter. Das ist für uns natürlich nicht unbedingt ein Zeichen von Demokratie.
Es wäre möglich gewesen, die Zahl der Ländervertreter zu erhöhen. In der vorherigen Kommission waren sechs Mitglieder vertreten. Mit ihren Stellvertretern waren es zwölf Vertreter.
Wir wollen uns durchaus in diesen Prozess einbringen. Wir wollen es auch immer noch. Deshalb hatten ursprünglich wir den Antrag gestellt. Wir finden es gut, dass aus diesem Antrag und dem Antrag der FDP-Fraktion ein gemeinsamer Antrag geworden ist. Wir finden es richtig, dass wir darüber diskutieren. Aber ich finde es doch ein bisschen sehr gewagt, uns deshalb von vornherein Zweifel am Föderalismus zu unterstellen. - Danke schön.
Vielen Dank, Frau Dr. Klein. - Nun stimmen wir über den Antrag aller Fraktionen in der Drs. 5/544 ab. Wer stimmt zu? Eigentlich müssten jetzt alle zustimmen. - Stimmt jemand dagegen? - Niemand. Stimmenthaltungen? - Diese gibt es auch nicht. Damit ist dieser Antrag einstimmig angenommen worden und der Tagesordnungspunkt 18 ist abgeschlossen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bereits im Jahr 2004 von der EU-Kommission als Entwurf vorgelegte Richtlinie zu Dienstleistungen im Binnenmarkt, kurz Dienstleistungsrichtlinie, gilt neben dem Verfassungsvertrag als brisantester Rechtsakt auf EU-Ebene. Die Richtlinie wurde Ende Dezember 2006 in Kraft gesetzt, nachdem das Europaparlament in zweiter Lesung zugestimmt hat und die EU-Kommission sowie der Ministerrat diese Entscheidung gebilligt hatten. Die Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie nun bis Ende 2009 in nationales Recht umsetzen. Dass dies zu schaffen ist, wird bereits unter anderem von der Gewerkschaft ver.di infrage gestellt.
Im Vorfeld der Diskussion über die Dienstleistungsrichtlinie gab es europaweite Proteste - ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die Proteste der Hafenarbeiter -, die zu einer Abschwächung des ursprünglichen Entwurfs des damaligen Binnenmarktkommissars Bolkestein führten. Auch die beiden Abstimmungsniederlagen zur EU-Verfassung in den Niederlanden und in Frankreich gehen wohl zum großen Teil auf die Ausrichtung der EU-Dienstleistungsrichtlinie zurück.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass viele politische Veränderungen nur im Rahmen der EU erreicht werden können. Während die Konservativen und die Sozialdemokraten in geeinter Großkoalition das jetzige Resultat loben und auch die Liberalen - anders als nach der ersten Lesung - im Europaparlament dafür gestimmt haben, lehnen wir sie noch immer ab.
Als problematisch erachten wir die Reichweite der Richtlinie und das fehlende Ziellandprinzip. Die große Reichweite führte dazu, dass auch viele Bereiche der Daseinsvorsorge einbezogen worden sind. Die EU hat dafür die hübschen Abkürzungen DAWI und DAI gefunden, also Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bzw. von allgemeinem Interesse. Die Trennung ist unserer Auffassung nach künstlich, weil beides Bereiche der Daseinsvorsorge sind. Das heißt, der gesellschaftlich chancengleiche Zugang zu öffentlichen Gütern muss gewährleistet sein.
Bereiche der Wasser- und Energieversorgung sowie der Abfallentsorgung, der Pflegedienste sowie des Weiterbildungssektors werden von der Richtlinie erfasst. Sie werden in der Richtlinie damit Dienstleistungen wie Werbung, Gebäudeschutz, Modeverkauf oder Vermögensberatung gleichgestellt. Das geschieht, obwohl die Kommission in ihrem Weißbuch zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse eine horizontale Regulierung ausschließt, da die Daseinsvorsorge europaweit zu unterschiedlich sei und in den Mitgliedstaaten unterschiedlich definiert und gesellschaftsgeschichtlich entwickelt ist.
Dennoch waren die europaweiten Proteste gegen den ursprünglichen Kommissionsentwurf nicht vergebens und haben gezeigt, dass sich die Menschen eine soziale EU wünschen. Der Kollege Kosmehl ist nicht im Saal. Ich habe mir aber seine bei der letzten Beratung vorgetragene Definition gemerkt. Eine neoliberale Ausrichtung auf offene Marktwirtschaft und Wettbewerb verbindet die Mehrheit der EU-Bevölkerung nicht mehr mit Chancen, sondern sie sieht sie als Bedrohung für ein solidarisches Zusammenleben an.
In der Richtlinie steht, dass die Entfaltung von Dienstleistungstätigkeiten zur Verwirklichung der in Artikel 2 des Vertrages verankerten Aufgaben dazu beiträgt, in der gesamten Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen, ein nachhaltiges, nicht inflationäres Wachstum, einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. - So weit die Richtlinie.
Die EU ist damit als politischer Handlungsraum über die Nationalstaatlichkeit hinweg ein wichtiger Raum für sozialen Protest. Aufgrund der Proteste musste das in der Bolkestein-Initiative vorgesehene radikale Herkunftslandprinzip abgeschwächt werden. In Artikel 16 der Richtlinie ist jetzt nur noch von „Dienstleistungsfreiheit“ die Rede. Allerdings hätte dort das Ziellandprinzip stehen müssen, wonach die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit den Rechtsvorschriften und den Tarifverträgen des Ziellandes unterliegt. Das würde harmonisieren.