Protokoll der Sitzung vom 13.07.2007

Der Kompromiss, der sich nun zwischen den Koalitionspartnern andeutet, die punktuelle Einführung der Verbandsgemeinden, verschärft die Probleme eher, als dass er sie lösen kann. Dies betrifft sowohl die Abgrenzung der Fälle, in denen die Einführung einer Verbandsgemeinde möglich sein soll, als auch die Funktion eines solchen Konstruktes.

In der vorletzten Legislaturperiode haben wir das Kompromissmodell Verbandsgemeinde selbst vorgeschlagen. Es ist von der CDU vehement und erfolgreich bekämpft worden. Es hat im Land so gut wie keinen Anklang gefunden, aber heute erlebt es - das ist umso verwunderlicher - seine Wiederauflage.

Vor dem Hintergrund der völlig gegensätzlichen Positionen der CDU und der SPD wiederholen wir unsere Forderungen an die Koalition: Lassen Sie die Gemeindestrukturen in dieser Legislaturperiode besser völlig in Ruhe, bevor Sie einen Kompromiss umsetzen, der in sich nicht logisch ist und letztlich von niemandem wirklich akzeptiert wird.

(Beifall bei der LINKEN und bei der FDP)

In den letzten Wochen ist der zweite Problembereich, den die Volksinitiative aufgegriffen hat, stärker in den Fokus des öffentlichen Interesses geraten: die befürchteten Eingemeindungen in die Oberzentren Halle und Magdeburg.

Aus unserer Sicht hätte es eine optimale Variante zur Lösung der vielfältigen Stadt-Umland-Probleme gegeben: die Regionalkreisbildung. Hierfür hätten wir eine Institution geschaffen, in der notwendige Abstimmungen, aber auch die Austragung von Konflikten möglich gewesen wären. Mit der gerade umgesetzten Kreisgebietsreform ist diese Chance jedoch verpasst, und zwar - das sage ich ganz deutlich - aus meiner Sicht nicht nur für diese, sondern auch für die nächste Legislaturperiode.

Vor diesem Hintergrund müssen wir einen Weg finden, der unter diesen Bedingungen der bestmögliche ist. Letztlich kommen wir zumindest an den Grenzen der Oberzentren nicht daran vorbei, Einheitsgemeinden zu bilden, die dann in einem Zweckverband mit dem Oberzentrum unter Beteiligung der Landkreise, zu denen sie gehören, versuchen, die Stadt-Umland-Probleme gemeinsam zu lösen. Nur wenn alle daran beteiligten Kommunen verstehen, dass sie hinsichtlich der Entwicklung der Region überwiegend gemeinsame Interessen haben, wird man zum Erfolg kommen.

Zum Schluss will ich mich noch einmal an die Vertreter der Volksinitiative und an ihre vielen Mitstreiter wenden: Die heutige Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses im Landtag werden wir ablehnen. Trotzdem wird sie hier vermutlich eine Mehrheit finden. Dadurch könnte bei Ihnen vielleicht der Eindruck entstehen, dass Ihre Arbeit umsonst war. Aber das war sie nicht und das ist sie nicht.

Der politische Prozess der Entscheidungsfindung steht erst am Anfang. Sein Ergebnis ist offen. Sie haben ihn durch Ihr Engagement bereits jetzt maßgeblich beeinflusst.

(Beifall bei der LINKEN und bei der FDP)

Die Fraktion DIE LINKE beantragt eine namentliche Abstimmung. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank für Ihren Beitrag. - Als nächste Debattenrednerin rufe ich die Abgeordnete Frau Schindler von der SPD auf. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder der Volksinitiative! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Seit Sachsen-Anhalt existiert, wird im Land und im Landtag über Änderungen der kommunalen Gebiets- und Verwaltungsstrukturen diskutiert. Mehrere Innenminister haben Vorschläge und Leitbilder vorgelegt, wie das Land neu strukturiert werden kann. Einige dieser Vorhaben sind auch umgesetzt worden. Im Land gab es zweimal eine Kreisgebietsreform und zweimal eine Verwaltungsstrukturreform auf Gemeindeebene.

In Anbetracht dieser Diskussion und dieser Tatsache ist das Anliegen der Volksinitiative nachvollziehbar, sich einer weiteren Veränderung entgegenzustellen und den Status quo beizubehalten. Aber ich betone an dieser Stelle noch einmal: Auf der Ebene der Gemeindestrukturen gab es bisher nur Verwaltungsstrukturreformen. In die Gemeindegebietsstrukturen ist bisher noch nicht rechtlich eingegriffen worden.

Daraus erklärt sich, dass Sachsen-Anhalt das Land mit den kleinteiligsten Strukturen auf diesem Gebiet ist. Zum Stichtag 1. Oktober 2006 hatten im Land Sachsen-Anhalt 718 Gemeinden - das entspricht einem Anteil von ca. 70 % aller Gemeinden - weniger als 1 000 Einwohner, und 411 Gemeinden - das entspricht einem Anteil von 39,44 % - haben sogar weniger als 500 Einwohner.

Man kann durchaus der Auffassung sein, dies sei gut so. Nach der politischen Wende im Jahr 1989 haben viele Gemeinden die kommunale Selbstverwaltung schätzen gelernt und ihre Selbstbestimmung erfolgreich praktiziert.

Unser Land muss aber auch für die Zukunft gerüstet sein. Wir müssen die wesentlichen Herausforderungen berücksichtigen, vor denen unser Land steht. Es gibt wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entwicklungen, auf die wir Antworten haben müssen, auch im Parlament. Vor allem der demografische Wandel und die damit im Zusammenhang stehenden finanziellen Veränderungen werden uns besondere Anstrengungen abverlangen. Es geht um zukünftige Entwicklungen und nicht um den Erhalt eines Status quo. Das muss akzeptiert und anerkannt werden.

Das ist auch in dem schon viel zitierten Gutachten des IWH und der MLU Halle zu lesen - ich zitiere -:

„Nahezu allen befragten Akteuren war zwar abstrakt bewusst, dass insbesondere die demografische Entwicklung ihre Gemeinde in absehbarer Zukunft mit voller Wucht treffen wird, sie haben aber zumeist noch nicht realisiert, dass dies für sie und ihre Mitbürger zu erheblichen Einschnitten führen muss.“

Daher lautet die Kernaussage der Beschlussvorlage, dass bei den Gebietsstrukturen Reformbedarf besteht.

Dass diese Reformen nicht nur freiwillig umgesetzt werden, haben viele Bundesländer und auch unser Land in den letzten 17 Jahren erfahren. Selbst die erwähnte Qualifizierung der Verwaltungsgemeinschaft, die derzeit rechtlich möglich ist, ist freiwillig kaum durchgeführt wor

den. Es ist daher legitim, wenn die Landesregierung und der Landtag Strukturveränderungen gesetzlich vornehmen.

Zu den oft angeführten verfassungsrechtlichen Bedenken möchte ich ausführen, dass in das Gebiet einer Gemeinde gemäß Artikel 90 der Landesverfassung nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden kann. Der Inhalt des Begriffs „öffentliches Wohl“ ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen. Dieser hat in dieser Hinsicht grundsätzlich in dem von der Verfassung gesteckten Rahmen einen Beurteilungsspielraum und politische Gestaltungsfreiheit, sodass er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe selbst festlegen kann.

Dies wird in dem noch zu beschließenden Leitbild, in dem auch die Stellungnahmen der Spitzenverbände und die Gutachten Berücksichtigung finden sollen, erfolgen. Der Landtag selbst wird sich mit der gesetzlichen Umsetzung dieses Leitbildes noch ausführlich befassen müssen.

Ich beantrage deshalb im Namen der SPD-Fraktion die Zustimmung zu der Beschlussvorlage. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Danke für Ihren Beitrag. - Für die FDP-Fraktion erteile ich jetzt dem Abgeordneten Herrn Wolpert das Wort. Bitte schön, Herr Wolpert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Vertreter der Volksinitiative! Die Freien Demokraten werden der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses zum Umgang mit dem Begehren der Volksinitiative „Sachsen-Anhalt 2011“ nicht zustimmen.

Das mag die wenigsten überraschen, aber gerade nach den jüngsten Ereignissen in der endlosen Tragikkomödie von CDU und SPD fühlen wir uns in unserer Auffassung bestärkt, dass das Anliegen der Volksinitiative richtig ist. An solche Verhältnisse muss man sich als Opposition zu einer großen Koalition wohl gewöhnen. Schon Montesquieu wusste: „Fast nie kommt der Mensch aus Vernunft zur Vernunft.“

(Zustimmung von Herrn Franke, FDP)

In der Beschlussempfehlung wird zunächst einmal lapidar festgestellt, dass es einen Reformbedarf in den gemeindlichen Strukturen der Einheitsgemeinde und der Verwaltungsgemeinschaft gebe, ebenso im Stadtumlandbereich und im Übrigen sei die Volksinitiative damit erledigt.

Meine Damen und Herren! Seit dem Anfang der Diskussion über den Zwang zur Einheitsgemeinde haben wir nicht aufgehört zu fragen, was eigentlich der Grund für den Reformbedarf sein soll. Die Bevölkerungsentwicklung? Die Funktionalreform? Höhere Effizienz? All das sind Schlagworte. Schlagworte allein kennzeichnen aber noch keinen Reformbedarf.

Funktionalreform: Es kann ja wohl nur die interkommunale Funktionalreform gemeint sein. Die ist noch nicht einmal andeutungsweise am Horizont zu erkennen.

Effizienz allein kann auch nicht das Ziel einer Kommunalreform sein, weil eben auch demokratische Partizipa

tion ein Stück Lebensqualität in den ländlichen Gebieten darstellt.

(Beifall bei der FDP)

Darüber hinaus fehlt es auch an einem eindeutigen Nachweis dafür, dass ein Zwang zu einer Einheitsgemeinde tatsächlich eine Effizienzerhöhung nach sich zieht.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Um eben diesen Nachweis zu erbringen, hat der Landtag die Landesregierung beauftragt, ein Gutachten zu erstellen, um die Effizienzvorteile der einzelnen Formen der Kommunalstruktur vorurteilsfrei zu untersuchen. Es mag dabei ärgerlich sein, dass die Auffassung der SPD nicht vollends durchgedrungen ist und auch nicht bestätigt wurde.

Um es aber klar zu sagen: Auch die FDP hält Einheitsgemeinden nicht für Teufelszeug. Auch wir denken, dass freiwillig gebildete Einheitsgemeinden möglich sein müssen, ja sogar Effizienzeffekte erzielen.

Eine Rechtfertigung für eine flächendeckende Eingemeindung ist in dem Gutachten aber nicht zu finden. Nein, meine Damen und Herren, die Gutachter kommen diesbezüglich zu einem völlig konträren Urteil. Es wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass den Akteuren vor Ort die Freiwilligkeit belassen werden soll.

Dabei ist es mehr als peinlich, dass diese Aussagen von der Landesregierung in dem veröffentlichten Gutachten zunächst weggelassen wurden und dass es sogar auf Nachfragen, warum das so sei, keine Antwort gegeben hat.

(Herr Stahlknecht, CDU: Stimmt!)

Umso erstaunter war ich allerdings, als ich nun den Entwurf des Leitbildes gesehen habe. Darin steht, es gehe gar nicht mehr darum, ob eine Reform notwendig sei. Dies sei wegen der Kleinteiligkeit der Gemeindestruktur völlig klar. Warum? - Die Gemeinden seien nach der Auffassung der Landesregierung nicht mehr in der Lage, ihre gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen.

Meine Damen und Herren! Ich frage mich, wer eigentlich diese Gemeinden sind. Wie viele sollen es sein? - Herr Wunschinski von der Volksinitiative sprach gerade von 9,5 % der Gemeinden, die Hilfe beantragen. Die bekommen sie aber nicht alle, weil ihnen nämlich das Landesverwaltungsamt gesagt hat: Ihr braucht sie gar nicht.

Ich frage mich dann, warum das noch nie benannt worden ist. Ich bin fast geneigt, den Innenminister zu fragen, in welchem Traumland er lebt. Wenn die Lage so prekär wäre, wie sie in dem Leitbild beschrieben wird, dann frage ich mich, warum es zu diesem Notstand noch keine Regierungserklärung gegeben hat.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der LINKEN)

Wenn sie so prekär ist, dann frage ich die Regierung, wie sie glauben konnte, das Absenken der Verbundquote sei ein gerechtfertigtes Mittel zur Haushaltskonsolidierung.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht können uns die Untersuchungen der Landesregierung in der nächsten Sitzung des Innenausschusses einmal erläutert werden.