Protokoll der Sitzung vom 13.07.2007

Aber auch politisch oder konjunkturell bedingte Einnahmerückgänge der öffentlichen Haushalte in den Ländern hätten dann unmittelbare Folgen für die Einkommen der Arbeitnehmer, aber auch der Unternehmer.

Zweitens. Das bisherige Modell eines kooperativen Föderalismus, in dem soziale Standards und Leistungen unter Berücksichtigung des Verfassungsprinzips der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse gestaltet werden, muss erhalten bleiben. Dabei soll das Konnexitätsprinzip nach Artikel 4a des Grundgesetzes weiterentwickelt werden.

Drittens. Zum Verschuldungsverbot habe ich mich bereits notgedrungen gestern äußern müssen. Doch auch die Frage der Schuldengrenzen oder der Schuldenbremsen ist nicht so einfach. Es gibt bisher keine Modellrechnungen für mögliche Auswirkungen von Schuldenbremsen, so wie sie im Sachverständigengutachten aufgezeigt sind. Eine Folgenabschätzung für solche Gesetze ist deshalb dringend geboten, wenn sie denn kommen sollten.

Werte Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort zum Thema Steuereinnahmen. Die öffentlichen Ausgaben sinken seit Jahren, die Einnahmen ebenfalls. Letzteres scheint politisch gewollt zu sein.

(Herr Tullner, CDU: Im Moment steigen sie!)

- Im Augenblick, aber wir haben noch längst nicht den Stand, den wir vor dem Jahr 2000 hatten.

(Herr Tullner, CDU: Trotzdem steigen sie!)

- Sie steigen wieder. Im nächsten Jahr werden wir mit der Unternehmenssteuerreform 2008 vielleicht noch ei

nen geringen Zuwachs haben, aber wir verzichten damit gleichzeitig auf Steuern.

Wir brauchen - der Meinung sind wir jedenfalls - eine Verbesserung der Steuerbasis der öffentlichen Hand. Es gab, wie gesagt, in den letzten Jahren eine Vielzahl von Steuerveränderungen, aber die jüngsten - gerade die Mehrwertsteuererhöhung - gingen im Wesentlichen zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Rentnerinnen und Rentner und der Studierenden.

Eine Debatte über Schuldenabbau, die nur auf Schuldengrenzen, Aufgabenkürzungen und Bürokratieabbau zielt, wird nicht zu einer Lösung der Probleme der öffentlichen Haushalte führen.

In den Gemeinden besteht in den nächsten Jahren ein Investitionsbedarf von mehreren Milliarden Euro. Die Hochschulen sind seit Jahren unterfinanziert. Mit 2,5 % des BIP liegen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung unter der Zielmarke von 3 %, die im Rahmen der Lissabon-Strategie vorgegeben worden ist. Vielleicht hätte man diese Marke auch in den Maastricht-Kriterien einbauen sollen; dann würde sie in der Bundesrepublik Deutschland vielleicht auch Berücksichtigung finden.

Ehe man über Verschuldungsverbot, Schuldenbremsen oder Kreditobergrenzen nach Artikel 115 des Grundgesetzes redet, müsste man auch über eine Entschuldung reden. Dazu gehört aus unserer Sicht, wie gesagt, eine andere Steuerpolitik. Nur eine Besteuerung nach der wirklichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit würde hierfür eine Lösung sein.

Darüber hinaus könnte auch über einen Entschuldungsfonds nachgedacht werden. Den Vorschlag von Herrn Oettinger zur Entschuldung halten wir allerdings für mehr als kontraproduktiv. Aber er hat zumindest über das Problem der Entschuldung nachgedacht.

Lassen Sie mich noch kurz etwas zu Punkt 4 unseres Antrages sagen. Die Frage, ob der Investitionsbegriff des Grundgesetzes noch zeitgemäß ist, wird nun im Rahmen der Kommission ebenfalls diskutiert. Allerdings geht es dabei vordergründig um einen Investitionsbegriff, der, bereinigt um Abschreibungen und Privatisierungserlöse, die Höhe der zulässigen Neuverschuldung einschränken soll.

Unser Antrag zur Bildungsquote - vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch daran -, der sich auch mit dieser Frage beschäftigt hat, liegt in diesem Landtag seit einem Jahr auf Eis. Wir warten hierzu noch auf Antworten; denn auch er gehört mit in diese Diskussion.

Angesichts der Tatsache, dass mit immer mehr Geld immer weniger Arbeitsplätze geschaffen werden, weil diese bei uns im Land sehr kapitalintensiv sind, müssen Investitionen in Humankapital ebenfalls anders bewertet werden. Am allerbesten wäre es natürlich, wenn Investitionen wieder aus Steuermitteln und nicht aus Krediten finanziert würden. Dann könnte man wesentlich konkreter über eine Neubestimmung des Investitionsbegriffs diskutieren. Vielleicht schaffen wir es dann auch, über unseren Antrag noch im Jahr 2008 zu diskutieren.

Ich wünsche mir, ausgehend von unserem Antrag, eine intensive Debatte sowohl im Plenum als auch im Ausschuss. Ich freue mich auf die Debatte. - Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Dr. Klein, für die Einbringung. - Jetzt erteile ich Ministerpräsident Herrn Professor Dr. Böhmer das Wort. Bitte schön, Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sind die Position des Landes Sachsen-Anhalt und auch die Vielfalt der Meinungsbildung unter den Ministerpräsidenten angesprochen worden, die dort gelegentlich nicht kleiner ist als unter Ihnen; das haben wir eben erlebt. Das ist ein ausgesprochen spannendes Thema. Ich will zwar nicht behaupten, dass ich auf diesen Antrag gewartet habe. Aber eine gewisse Enttäuschung hätte es mir schon bereitet, wenn er nicht gekommen wäre.

(Zustimmung bei der LINKEN - Frau Dr. Paschke, DIE LINKE: Wir wollen Sie nicht enttäuschen!)

Ich sage Ihnen auch gern, warum dies so ist. Wir haben schon im Februar 2007, als es um die Beteiligung des Landtages an der Föderalismusreform II ging, einige Sachprobleme angesprochen, sodass manches von dem, was Sie eben vorgetragen haben, nicht neu ist.

Sie wissen vielleicht auch - Sie bekommen auch alle Unterlagen zum Lesen -, dass die Ministerpräsidenten der neuen Länder sich bereits zweimal zu diesem Thema positioniert haben, einmal im November 2006 und das letzte Mal am 27. Juni 2007. Dabei haben wir ganz deutlich gesagt, dass der Solidarpakt für uns nicht zur Disposition steht.

Das Gleiche gilt für den horizontalen Finanzausgleich, weil er auf diesem aufgebaut ist. Wenn wir den horizontalen Finanzausgleich wesentlich verändern würden, dann stünde der Solidarpakt auf einer völlig anderen Grundlage, hätte völlig andere Auswirkungen und könnte auf diese Weise infrage gestellt werden.

Deshalb steht das für uns nicht zur Disposition. Dies habe ich auch am 8. März 2007 in der konstituierenden Sitzung dieser Kommission recht deutlich gesagt. Von Ihrer Partei war Herr Ramelow anwesend, der sich ähnlich ausgedrückt hat. Wir waren uns in dieser Frage also schon relativ einig.

Aber ich habe den Eindruck, Sie trauen den Ministerpräsidenten doch nicht so richtig über den Weg und sagen: Das sind vielleicht ein paar windige Gesellen, die Einflüsterungen von außen und von anderen zugänglich sind. Wer weiß, ob sie durchhalten.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Genau!)

Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass Sie bereits im April 2007 einen Antrag gleichen Inhalts, wenn auch etwas anders formuliert, in den Landtag von MecklenburgVorpommern eingebracht haben, dann im Mai 2007 in den Landtag von Thüringen, im Juni 2007 in das Abgeordnetenhaus in Berlin - Sie hätten sagen können, dass es dort nicht unbedingt nötig wäre, aber Sie haben es sicherheitshalber doch getan - und jetzt im Juli 2007 bei uns in Sachsen-Anhalt. Ich habe die herzliche Bitte: Vergessen Sie Sachsen nicht;

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung bei der LINKEN)

denn - das will ich hier auch ganz deutlich sagen - ich lese von dort gelegentlich Diskussionsbeiträge, denen

ich auch nicht zustimmen würde. Das ist ein Thema, über das man sprechen sollte.

Wir haben auch bereits darüber gesprochen, dass ein bestimmtes Haushaltsbenchmarking verabredet werden muss, damit die Vergleiche der Haushaltssituationen nicht im luftleeren Raum getroffen werden, sondern anhand verabredeter normierter Parameter.

Wir haben auch darüber gesprochen, dass die Finanz- und Wirtschaftssituation zwischen Ost und West noch relativ große Unterschiede aufweist, weshalb wir nicht mit den gleichen Maßstäben gemessen werden können. Ich will hier wiederholen - ich habe es schon in einem anderen Zusammenhang gesagt -: Das Gewerbesteueraufkommen pro Einwohner in den neuen Bundesländern liegt bei 50,1 % des Durchschnitts der westlichen Bundesländer. Die Stadt Stuttgart hatte im vorigen Jahr allein als Stadt ein genauso hohes Gewerbesteueraufkommen wie das ganze Land Sachsen-Anhalt. Das sind die Unterschiede, die man bedenken muss, wenn man versucht, die Finanzkonstruktionen in der Bundesrepublik Deutschland zu reformieren.

Natürlich ist eine Begrenzung der Kreditfinanzierung notwendig. Ich habe mit Interesse die Debatte verfolgt, die Sie gestern hier geführt haben und in der ausgeführt worden ist, dass das Problem dadurch gelöst werden sollte, dass der Gesetzgeber einfach sagt: In Zukunft steht eine null, und das war es.

Ich denke, das ist nicht angemessen. Ich habe mich deshalb über diesen Antrag schon ein wenig gewundert. Dass Kreditfinanzierung auch sinnvoll sein kann, weiß jeder Handwerker und jeder Unternehmer, der einen Betrieb aufbaut.

Nur eines - das habe ich auch damals schon in der Kommission gesagt - muss man uns ehrlich zugestehen: Wenn wir als Landtag an unsere Haushalte mit der gleichen Elle, mit der gleichen kritischen Beurteilung herangehen würden, die wir von der Kommunalaufsicht bei der Genehmigung der Kommunalhaushalte verlangen, dann sähe es auch bei uns anders aus. So ehrlich müssen wir schon sein, dass wir dies ganz deutlich sagen. Das heißt, es sind mit Sicherheit Maßnahmen für eine Begrenzung der Kreditfinanzierung notwendig.

Ich wäre nicht dafür, verehrte Frau Dr. Klein, den Investitionsbegriff - das steht auch drin - umzudefinieren und anzufangen, damit zu jonglieren. Dadurch wird das Problem nicht einfacher.

Dass Investitionen in Bildung für den Einzelnen und auch für die Gesellschaft Investitionen in die Zukunft sind, wissen wir eigentlich schon seit den sokratischen Zeiten. Das ist doch keine neue Erkenntnis.

Aber diesen Begriff so auszudehnen, wenn es um Finanzstrukturen geht, ist etwas völlig anderes und aus meiner Sicht nicht zulässig; vielmehr muss zukünftig, wenn für die öffentlichen Haushalte - in welcher Art auch immer - Kredite aufgenommen werden, gleichzeitig ein Beschluss für eine Refinanzierung dieser Kredite gefasst werden.

Das ist das, was jeder kleine Betrieb vernünftigerweise macht, indem er sagt: Ich nehme mir jetzt 1 Million €, 2 Millionen € oder 10 Millionen €, aber ich habe eine Kalkulationsgrundlage und weiß, dass ich das in zehn, spätestens 15 Jahren zurückgezahlt habe, weil ich dadurch meine Einnahmen erhöhe.

Ein solches Refinanzierungsmuster bei der Kreditaufnahme müssen wir auch von der öffentlichen Hand verlangen. Von den Kommunen verlangen wir es, von uns selbst nicht.

Das sind die Probleme, über die vernünftigerweise gesprochen werden muss; denn das ist die Grundlage für die anderen Probleme, die Sie angesprochen haben. Sie ermahnen uns zu Dingen, die selbstverständlich sind, was den Solidarpakt und den Finanzausgleich usw. betrifft.

Was jedoch die Formulierung im nächsten Punkt angeht, dass künftig eine bedarfsgerechte Finanzierung der durch Bundesgesetze zugewiesenen Aufgaben sichergestellt werden muss, so weiß ich, dass wir uns allein über den Begriff „bedarfgerecht“ dauernd streiten werden. Das ist kein Begriff, mit dem man in der Haushalts- und Finanzpolitik zuverlässig argumentieren kann.

Dieser Bedarf muss normiert werden. Bei einer Reihe von Gesetzen vor allen Dingen im Sozialbereich ändert sich der Bedarf. Er ändert sich aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit, er ändert sich durch die wirtschaftliche Entwicklung.

Einer der interessantesten Vorträge, die ich in letzter Zeit in Berlin gehört habe, war der von Professor Rentzsch aus Magdeburg, der sehr deutlich dargestellt hat, dass sich die gleichen Bundesgesetze in den einzelnen Bundesländern haushaltspolitisch sehr unterschiedlich auswirken.

Professor Rentzsch hat das Gutachten für die Verfassungsklage des Freistaates Bremen und des Saarlandes verfasst. Über diese Verfassungsklage ist noch nicht entschieden worden. Sie wurde insbesondere damit begründet, dass die gleichen Gesetze in diesen Ländern unterschiedliche Auswirkungen haben und dass diese Länder aufgrund der unterschiedlichen Auswirkungen und nicht nur durch eigene Schuld in die Haushaltsnotlage gekommen sind.

Das sind Dinge, die auch für die neuen Bundesländer außerordentlich wichtig sind und die mit dieser Kommission weiter diskutiert werden müssen, wobei wir versuchen müssen, Mechanismen zu finden, um die unterschiedlichen Auswirkungen der gleichen bundesweiten Gesetzgebung unter den unterschiedlichen wirtschaftlichen Strukturen in Deutschland zu berücksichtigen. Dafür gibt es noch keine vernünftigen Parameter. Diese müssen gesucht werden.

Sie haben weiterhin vorgeschlagen, für eine nachhaltige Entschuldung der Länder zu sorgen, sobald die hierfür erforderlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Darüber kann man diskutieren, aber ich frage: Wer soll uns denn entschulden? - Der Bund mit seiner exorbitanten Verschuldung von 1,5 Billionen € wird das in absehbarer Zeit nicht können. Dass die Länder, die nicht so hoch verschuldet sind wie wir, plötzlich eine karitative Anwandlung bekommen und sagen: „Ihr habt zwar schlecht gewirtschaftet, aber wir geben euch ein paar Milliarden“, erwarte ich, ehrlich gesagt, nicht.

Es ist eine gedankliche Konstruktion, die darin besteht, dass wir die Schulden alle in einen Fonds tun, ähnlich wie wir es mit dem Fonds Deutsche Einheit Anfang der 90er-Jahre schon einmal getan haben, und dass das dann gemeinsam abgezahlt wird. Das ist ein Denkmodell, für das es durchaus noch keine Mehrheit gibt.

Ich bin auch relativ skeptisch, ob es dafür jemals eine Mehrheit geben wird.