Protokoll der Sitzung vom 13.09.2007

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drs. 5/863

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Schulz. Herr Schulz, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte den Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD zur Renaturierung der Unteren Havel einbringen.

Seit Langem gibt es Bemühungen der Umweltschutzverbände und auch des Landes Brandenburg, die Untere Havel von Rathenow bis zur Einmündung in die Elbe zu renaturieren. Die Bemühungen fußten in der so genannten Elbeerklärung vom September 1996, in der das Bundesverkehrsministerium mit verschiedenen Umweltverbänden vereinbart hat, die Schifffahrtswege von der Elbe auf den Elbeseitenkanal und den Mittellandkanal zu verlegen und im Zusammenhang damit die Renaturierung der Unteren Havel vorzunehmen.

Diese Vereinbarung führte dann zu Diskussionen in der Region, weil die Forderungen der Umweltverbände sehr radikal waren. Sie forderten zunächst die komplette Renaturierung der Unteren Havel, was den Anschluss sämtlicher Altarme, den Rückbau aller Schleusen in der Havel und den Verzicht auf Motorschiffsverkehr auf diesem Gewässer beinhaltete. Es ging also darum, den Urzustand der Unteren Havel wiederherzustellen.

Es folgten lange Jahre intensiver Diskussionen zwischen den Umweltschutzverbänden und der Bundesregierung auf der einen Seite sowie dem Land und den betroffenen Kommunen, insbesondere dem Landkreis Stendal und der Stadt Havelberg, sowie deren Bürgern und Betrieben auf der anderen Seite; denn die Folgen für die Region wären erheblich gewesen, wenn sich die Umweltschutzverbände mit ihren Forderungen durchgesetzt hätten.

Wer die Region kennt, der weiß, dass eine Besiedlung dieser Region nur durch Flussbaumaßnahmen an der Havel überhaupt möglich war. In der betroffenen Region könnte keine Landwirtschaft mehr betrieben werden. Es wäre kein Hochwasserschutz möglich und der Tourismus würde zum Erliegen kommen. Die Hafen- und Werftstandorte hätten geschlossen werden müssen.

Aufgrund dieser Auswirkungen gab es erhebliche Protestbewegungen in der einheimischen Bevölkerung und bei den Kommunalpolitikern.

So verständigten sich die betroffenen Landkreise Stendal und Havelland darauf, eine Konzeption in Auftrag zu geben, die sich mit der Machbarkeit der Renaturierung beschäftigte. Beide Landkreise beschlossen, das Institut für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung zu beauftragen, ein regionales Entwicklungskonzept zu entwerfen, auf dessen Grundlage die Renaturierung der Unteren Havel vollzogen werden kann. Diese Untersuchung fand in den Jahren 2003 und 2004 statt und wurde im Auftrag der beiden Landkreise Stendal und Havelland durchgeführt.

Die Ergebnisse dieser regionalen Entwicklungskonzeption sahen dann wie folgt aus. Eine Forderung war, dass die Untere Havel eine Wasserstraße bleibt. Allerdings kann im Bereich zwischen Rathenow und Havelberg eine Herabstufung der Wasserstraßenklasse von III auf I erfolgen. Im Bereich zwischen der Stadt Havelberg und der Einmündung der Havel in die Elbe soll die Havel allerdings als Wasserstraße der Klasse III erhalten werden, um dem Werftstandort Havelberg einen Zugang zur Elbe und zum überregionalen Schiffsverkehr zu ermöglichen. Es soll kein Rückbau der Schleusen in der Havel erfolgen. Die Fahrrinne soll auch weiterhin für den Schiffsverkehr freigehalten und unterhalten werden, allerdings mit einer Verkleinerung der Fahrwasserbreite von 25 auf 15 m.

Das Institut stellte auch fest, dass aufgrund des verringerten Schiffsverkehrs auf der Havel kein Begegnungsverkehr mehr notwendig ist und deswegen eine Verringerung der Fahrwasserbreite gerechtfertigt erscheint. Allerdings bestand die Forderung, Fahrgastschiffe mit einer Länge von bis zu 42 m weiterhin auf der Havel fahren zu lassen. Die größeren so genannten Hotelschiffe, die regelmäßig die Stadt Havelberg gefüllt mit Touristen ansteuern, dürfen nach der Erteilung einer Sondergenehmigung auch in Zukunft auf der Havel fahren.

(Zustimmung von Minister Herrn Dr. Daehre)

Der Prozess dauerte einige Jahre. Abschließend wurde im September 2005 der Bewilligungsbescheid vom damaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin an den Nabu als Projektträger für die Renaturierung der Unteren Havel erteilt. Herr Trittin kam - kurz bevor er seine Amtszeit beenden musste - persönlich an die Havel, um diesen Bewilligungsbescheid zu übergeben. Im selben Monat, im September 2005, wurde die Binnenschifffahrtsstraßenordnung durch die 57. Änderung auf der Grundlage der Ergebnisse des regionalen Entwicklungskonzeptes geändert. Ich habe das eben schon angesprochen. Diese Änderung gilt für die Dauer von drei Jahren, also im Zeitraum von 2005 bis 2008. In diesen drei Jahren führt der NABU nun die Planentwicklung durch. Ab dem Jahr 2008 erfolgt die Renaturierung der Unteren Havel.

Unsere Erwartungen an diesen Prozess und damit an die zuständige Wasser- und Schifffahrtsdirektion sind, dass die Havel auch in Zukunft als Bundeswasserstraße erhalten bleiben muss und dass bei der Umsetzung die Feststellungen des regionalen Entwicklungskonzeptes Untere Havel unbedingt beibehalten werden müssen und nicht aufgeweicht werden dürfen. Hierbei müssen wir Acht geben; denn auch bei der Herabstufung der Wasserstraßenklasse im September 2005 von Klasse III

auf Klasse I hätte man durchaus noch warten können. Ein zu schnelles Vorgehen fördert nicht gerade das Vertrauen der in der Region von solchen Maßnahmen betroffenen Bürger.

Ganz wichtig für die touristische Wirtschaft in Havelberg ist es auch, dass es verlässliche Kriterien für die Erteilung der Ausnahmegenehmigungen für die Hotelschifffahrt gibt. Bisher liegt es mehr oder weniger im Ermessen des Beamten der Wasserbehörde, diese Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Wir fordern, dass für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung objektive Kriterien festgelegt werden, anhand deren die Behörde die Ausnahmegenehmigung erteilt, sodass die Tourismuswirtschaft planen und mit ihren Hotelschiffen Touren durchführen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der gefundene Kompromiss trägt den Belangen des Umweltschutzes und der in der Region lebenden Menschen Rechnung. Beide müssen ernst genommen werden. Wenn wir Umweltschutz erfolgreich betreiben wollen, müssen wir die Menschen mitnehmen. Schaffen wir dies auch bei der Unteren Havel, so wird die Renaturierung von Vorteil für den Elbe-Havel-Winkel sein. Lassen Sie uns durch die beantragte Ausschussbehandlung mit dafür sorgen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danke, Herr Schulz, für die Einbringung. - Es ist eine Fünfminutendebatte beantragt worden. Doch zunächst hat für die Landesregierung Frau Ministerin Wernicke um das Wort gebeten.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Naturschutzbund Deutschland ist der Projektträger - das wurde eben schon genannt - des Naturschutz-Großprojektes Untere Havelniederung, welches vom Bund und vom Land Sachsen-Anhalt gefördert wird. Das Naturschutz-Großprojekt basiert auf dem Programm des Bundesamtes für Naturschutz zur Förderung von Gewässerrandstreifen im Rahmen der Errichtung und Sicherung schutzwürdiger Teile von Natur und Landschaft mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung einschließlich der Förderung von Gewässerrandstreifen. Die Förderung beruht auf der entsprechenden Richtlinie.

Es klang eben schon an, dass das regionale Entwicklungskonzept Untere Havel, auf dem dieser Projektantrag fußt, in einem sehr mühsamen, aufwendigen und auch kostenintensiven Gestaltungsprozess entstanden ist. Es begann mit Zielsetzungen und Vereinbarungen zwischen den beteiligten Landkreisen Stendal und Havelland sowie den Ländern Sachsen-Anhalt und Brandenburg und einer Bereitstellung erheblicher Landes- und kommunaler Mittel für die Erstellung des regionalen Entwicklungskonzeptes. Es folgte ein mehrjähriger schwieriger Planungsprozess, der durch eine umfassende und teilweise auch - das klang eben beim Einbringer schon an - sehr kontrovers geführte öffentliche Diskussion begleitet wurde, an dessen Ende ein mehrheitlich mitgetragenes Ergebnis steht, welches die wirtschaftlichen Interessen und auch die naturräumlichen Belange der Region berücksichtigt.

Das Naturschutz-Großprojekt Untere Havelniederung ist auf die Renaturierung des Unterlaufs der Havel und die Wiederherstellung natürlicher Präventionspotenziale der Havelaue sowie angrenzender Gebiete gerichtet. Das Projektgebiet liegt in den Bundesländern Brandenburg und Sachsen-Anhalt und nimmt eine Fläche von etwa 18 000 ha ein. Auf das Land Sachsen-Anhalt entfallen etwa 7 600 ha. Neben ihrer Funktion als Lebensraum bedrohter Arten hat die untere Havelniederung eine für den gesamten europäischen Raum einzigartige Bedeutung als Rast- und Überwinterungsraum für wandernde Vogelarten.

Weite Teile der Havelniederung sind im Rahmen des europäischen Netzwerkes „Natura 2000“ geschützt, für dessen anstehende weitere Umsetzung fachlich und finanziell die Bundesländer verantwortlich sind. Damit steht das Projekt auch unter dem Zeichen der Einwerbung von Drittmitteln zur Umsetzung von Natura-2000Aufgaben.

Herr Schulz hat eben schon deutlich gemacht, dass sich in die bereits langjährigen Verhandlungen zwischen allen Projektbeteiligten letztlich auch die Bundesministerien für Umwelt und für Verkehr eingeschaltet hatten. Im Ergebnis der Verhandlungen konnte Übereinstimmung hergestellt werden, dass die gesamte untere Havelwasserstraße in der Zuständigkeit des Bundes verbleibt. Die Beibehaltung der Schiffbarkeit mit all den Einschränkungen, die eben schon dargelegt worden sind - ich glaube, ich brauche sie nicht zu wiederholen -, ist ein Ergebnis dieser umfassenden Diskussion und Abstimmung zwischen all den Beteiligten.

Das Renaturierungsprojekt Untere Havel wird in zwei Phasen gegliedert. Die Phase I umfasst die Erstellung des Entwicklungs- und Pflegeplans. Dafür wurden drei Jahre veranschlagt. In dieser Zeit soll ein einvernehmlich abgestimmtes Maßnahmenpaket erarbeitet werden. Zurzeit wird konzentriert an der Erstellung des Pflege- und Entwicklungsplans gearbeitet. Dabei werden die Akteure vor Ort über die projektbegleitende Arbeitsgruppe und deren Unterarbeitsgruppen Naturschutz, Wasser, Landwirtschaft, Forsten, Sport, Tourismus, Erholung bereits intensiv in den Planungsprozess einbezogen.

Ziel ist es, Interessenkonflikte oder Nutzungskonflikte frühzeitig zu erkennen und zu berücksichtigen. In die Arbeit der Projektgruppen ist die Verwaltung vom Umweltministerium über das Landesverwaltungsamt, die Ämter für Landwirtschaft und Flurneuordnung bis zur kommunalen Ebene vertreten, um die fachlich-inhaltliche Begleitung der Erstellung des Pflege- und Entwicklungsplans sicherzustellen.

Nach Abschluss dieser Projektphase, also der Projektphase I, wird von den Zuwendungsgebern, dem Bundesamt für Naturschutz, dem Land Brandenburg und dem Land Sachsen-Anhalt, sowie dem Zuwendungsempfänger, dem Nabu, wie gesagt, gemeinsam über die Fortführung des Projekts und die weitere Finanzierung auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse entschieden. Würde nach der dreijährigen Projektphase I entschieden, dass das Projekt fortgeführt werden soll, dann wären für den gesamten Projektzeitraum von 13 Jahren, also von 2005 bis 2018, vom Land SachsenAnhalt insgesamt etwa 1,8 Millionen € zu tragen.

Die Finanzmittel für die mögliche Bewilligung der Phase II des Projektes im Jahr 2009 sind zumindest im Entwurf des Doppelhaushalts 2008/2009 eingeplant. Ich

gehe davon aus, dass der Landtag, insbesondere der Fachausschuss oder die Fachausschüsse, dieses Naturschutzgroßprojekt weiter unterstützt, und ich freue mich auf die Diskussion in dem beantragten Ausschuss oder in den beantragten Ausschüssen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Frau Ministerin. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abgeordnete Herr Czeke.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es klang schon an, das Renaturierungsprojekt Untere Havel. Es handelt sich hierbei um das größte und bedeutsamste Feuchtgebiet im Binnenland Mitteleuropas, und die Menschheit hat endlich erkannt, dass insbesondere die erheblichen ökologischen Schäden aus dem 20. Jahrhundert jetzt korrigiert werden sollten. Die Havel soll wieder ein lebendiger Fluss werden.

Ich kann für meine Fraktion sagen: Vom Grundsatz her stimmen wir diesem Ansinnen zu. Auch die Ausnahmeregelung für so genannte Hotelschiffe ist ausdrücklich gewünscht. Damit habe ich auch als tourismuspolitischer Sprecher keinerlei Probleme.

Anstelle der Formulierung „Naturschutz“ würde ich mir wünschen, dass wir „Erhalt und/oder Verbesserung der ökologischen Vielfalt“ schreiben könnten.

Als Anmerkung unsererseits, was sich garantiert auch in den Ausschussberatungen ergeben wird: Die Renaturierung soll nicht nur begleitet werden, indem Geld gezahlt wird, sondern sie muss auch tatsächlich einer Erfolgskontrolle unterzogen werden. Das ist wichtig für zukünftige Projekte an anderen Gewässern. Das Hauptproblem, das wir aus der Praxis kennen, ist fast immer, dass die Wirksamkeit von Maßnahmen im dynamischen System Fließgewässer nicht bzw. nicht konsequent genug kontrolliert wird. Dem würden wir durch MonitoringMaßnahmen einen Riegel vorschieben. Diese würden der öffentlichen Hand durchaus aufzeigen, was an anderen Gewässern kostengünstiger laufen kann.

Wir wissen um die Konflikte gerade bei dem Thema Tourismus/Wassertourismus, dass nämlich die Sportbootschifffahrt sehr oft mit ökologischen Anforderungen kollidiert, dass man eben lieber in einen Schilfgürtel einfährt als an eine gespundete Wand. Aber es muss darauf hingewiesen werden, dass das dann im Konflikt abzuwägen ist.

Der Antrag ist - wie im wirklichen Leben - sehr oft mit dem Wort „Wirtschaft“ versetzt. Das ISW schreibt in seiner Kurzfassung unter „Wirkungen des Anschlussszenariums“: Die für die bisherigen Nutzer notwendigen Wassertiefen sind bei einem mittleren Niedrigwasserabfluss fast durchgängig gewährleistet. - „Fast“ bedeutet, dass sich unterhalb von Garz kritische Tiefen ergeben.

Einen Zusatz bitte ich für unsere Fraktion aufzunehmen. Wir beantragen zusätzlich die Behandlung und Beratung im Agrarausschuss - es ist der Koalition garantiert nur ein Fehler unterlaufen -, weil im folgenden Abschnitt des Materials des ISW aufgeführt wird: Auswirkungen aufgrund der veränderten Gewässerdynamik und der vorgesehenen Arbeitsbegründungen ergeben sich vor allem bei kleinen Hochwassern für die Landwirtschaft. - Dann

weiter: Nach einer im REK vorgenommenen Schätzung sind etwa 7 000 ha landwirtschaftliche Fläche betroffen. Sowohl Bevorteilungen als auch Benachteiligungen können entstehen. Eine Verschlechterung der Einkommenssicherung für die Landwirtschaft, die durch Renaturierungsmaßnahmen verursacht wird, ist - so die Gutachter - auszuschließen.

Ich kann Ihnen sagen, dass wir als Agrarunternehmen, als Agrargenossenschaft Schlagenthin e. G. aufgrund der Korrespondenz von Elbe und Havel beim Hochwasser im Jahr 2002 durchaus die Wirkung von rückgestautem Elbewasser, das uns durch die Havel entgegentrat, kennen und wissen, was eine Schädigung hervorrufen kann. Da hatten wir nicht den Eindruck, dass Havelwasser sehr langsam fließt.

(Herr Schulz, CDU: Aber in die falsche Richtung! - Heiterkeit)

- Ja. Aber auch nicht den Berg hoch.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Ich freue mich auf eine intensive Ausschussberatung und bedanke mich für Ihr Interesse.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Herr Czeke. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Bergmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Weiß, ich weiß nicht, ob es ein kleines Versehen war. Das mag schon sein. Aber ich finde, Herr Schulz hat das gut eingebracht

(Zustimmung bei der CDU)

und es wird ihm auch nicht peinlich sein, dass er einmal einen Naturschutzantrag eingebracht hat.

(Herr Tullner, CDU: Das ist die Nestwärme der Koalition!)

- Wir haben jedenfalls in der Koalition gezeigt, dass wir uns jederzeit gegenseitig ersetzen können, denke ich.