Doch wo bleiben bei den beiden Anträgen eigentlich die Täter? Beide Anträge enthalten nichts über die menschenverachtenden Handlungen der Freier. Der Freier trägt aber eine Mitverantwortung für das Verbrechen Menschenhandel. Die Freier sind diejenigen, die die sexuellen Ausbeuter sind. Hier müssten dringend gesetzliche Regelungen geschaffen werden. Mit dieser Forderung stehen wir nicht alleine da. Die Kirchen und Opferschutzorganisationen sehen es ähnlich.
Da das zu Protokoll gegeben worden ist, erteile ich jetzt der Abgeordneten Frau Bull von der Linkspartei.PDS das Wort. Bitte schön.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch auf wenige Punkte eingehen. Dass man EU-Richtlinien nicht unbedingt im Verhältnis 1 : 1 umsetzen muss, sondern darüber hinausgehen kann, wissen wir spätestens seit gestern Abend. Es ist nicht unbedingt ein ungewöhnlicher Vorgang, demzufolge auch nicht unbedingt ein belastbares Argument.
Problem 2. Über die Frage - das habe ich in meiner Rede schon etwas relativiert -, ob es eine drei- oder eine sechsmonatige Bedenk- und Stabilisierungsfrist sein sollte, kann man sicherlich aus verschiedenen Perspektiven argumentieren. Ich habe es vornehmlich aus der psychologischen Sicht diskutiert.
Die rechtlichen Aspekte sind durchaus eine Sache, die man bedenken muss. Dafür sollten wir uns die Zeit im Ausschuss sehr wohl nehmen; das ist keine Frage. Nur, gegenstandslos ist es eben insofern nicht, als die Forde
rung der Kampagne darauf hinausläuft, es gesetzlich zu regeln; das ist Gegenstand der Kampagne und auch unseres Antrages.
Zu der Frage des unbefristeten Aufenthalts möchte ich Ihnen gern sagen, dass wir natürlich nicht nur aus der Sicht des Schutzes - die Argumente nehme ich durchaus ernst - argumentiert haben. Dahinter steckt natürlich auch - ich sage es jetzt einmal ein wenig verkürzt - ein Stück weit eine humanistische Philosophie, die bei uns bekanntermaßen eine andere ist als bei Ihnen. Dennoch - wir haben uns diese Frage nicht leicht gemacht - haben wir gesagt: Wenn man so einen Aufenthaltstitel einführt, dann muss man auch überlegen, wie man ihn abgrenzt. Das habe ich ja schon gesagt. Damit eröffnet man auch die Möglichkeit, die Aussagebereitschaft der Betroffenen zu erhöhen.
Herr Kollege Innenminister, zu Ihrer Aussage, dass bei Zeugenaussagen für die Betroffenen keine Gefahr bestünde, würde ich Ihnen - das möchte ich jetzt einmal vorsichtig sagen - ein Gespräch mit den Betroffenen und nicht nur mit ihnen, sondern auch mit den Fachleuten zum Beispiel von Vera empfehlen. Denn wie sonst ist es zu erklären, dass die Bereitschaft zur Zeugenaussage so gering ist? Ich halte es für eine äußerst skeptisch zu betrachtende Herangehensweise zu sagen: Da besteht eigentlich keine Gefahr; die können ruhig aussagen und gut ist es. - Darüber können wir vielleicht auch im Ausschuss noch einmal diskutieren.
Über meinen Vorschlag von vorhin hinaus würde ich auch anregen - klar, es ist auch schon beantragt worden -, den Ausschuss für Inneres mit der Federführung zu betrauen und für die Mitberatung den Ausschuss für Recht und Verfassung zu wählen, womit wir leben können, keine Frage. Wir sollten aber auch den Ausschuss für Soziales einbeziehen.
Ich denke, wir sollten uns eine fundierte Debatte in den Ausschüssen leisten, wohl wissend natürlich, dass bestimmte Vorschläge keine Mehrheit finden werden. Aber ich sage einmal: Viele Forderungen in der politischen Geschichte mussten das Schicksal teilen, dass sie zunächst keine Mehrheit gefunden haben. Stellen sollte man sie trotzdem. Ich denke einmal, kleine Schritte sind an dieser Stelle mehr als nichts. - Danke schön.
Vielen Dank, Frau Bull. - Wir sind damit am Ende der Debatte zu diesem Thema. Gibt es noch Fragen? - Das sehe ich nicht. Dann kommen wir zum Abstimmungsverfahren zu dem Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS in der Drs. 5/36.
Es ist eine Überweisung beantragt worden zur federführenden Beratung in den Innenausschuss sowie zur Mitberatung in den Ausschuss für Soziales und in den Ausschuss für Recht und Verfassung. Gibt es noch andere Anregungen? - Nicht. Wenn Sie damit einverstanden sind, bitte ich jetzt um Ihr Handzeichen zur Zustimmung. - Ich sehe bei allen Fraktionen Zustimmung. Gegenstimmen? - Keine. Stimmenthaltungen? - Auch keine. Damit ist dem Überweisungsantrag zugestimmt worden. Der Tagesordnungspunkt 19 ist damit abgeschlossen.
Einbringer ist der Abgeordnete Herr Wolpert von der FDP-Fraktion. Bitte schön, Herr Wolpert, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß, das Fußballspiel drängt. Ich werde deswegen auch versuchen, die 15 Minuten nicht auszunutzen. Aber, meine Damen und Herren Kollegen, die Idee ist gut, hören Sie sie sich an.
Die Kriminalstatistik weist für das Jahr 2005 in SachsenAnhalt 26 385 Straftaten aus, die von Jugendlichen begangen wurden. Diese Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr zwar etwas gesunken, aber wir stehen weiterhin in der Verantwortung. Die Bekämpfung der Jugendkriminalität beschränkt sich nicht auf das Jugendstrafrecht allein, sondern braucht einen breiten Ansatz vom Elternhaus über die Schule bis hin zur Justiz.
Dabei ist es in Deutschland unumstritten, dass der Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht den Vorrang vor Strafe hat. Die Erziehung allerdings ist wohl eines der schwierigsten Betätigungsfelder und so vielfältig wie das Leben selbst. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, ständig nach neuen Möglichkeiten zu suchen, mit denen man erzieherisch auf Jugendliche einwirken kann. Eine der neuen Möglichkeiten scheint sich in den so genannten Schülergerichten oder Teen Courts, wie man es neudeutsch nennt, abzuzeichnen.
Wenn man genauer hinsieht, muss man erkennen, dass der bisherige Strauß an Maßnahmemöglichkeiten der Justiz nur scheinbar ausreichend wirkt. Wir haben das Jugendstrafrecht mit seinen Auflagen, Zuchtmitteln - das klingt schon so althergebracht, dass man meint, man müsste doch einmal einen neuen Begriff für Zuchtmittel finden - und der Jugendstrafe.
Das betrifft aber eher die Fälle, in denen eine kriminelle Karriere schon etwas fortgeschrittener ist. Hier ist bereits ein gerichtliches Verfahren, also die schärfste Verfahrensform vor einem Jugendgericht, angelaufen. Damit erzielt man durchaus eine erzieherische Wirkung; es ist aber manchmal so, als würde man mit Kanonen auf Spatzen schießen.
Die leichteren Fälle sollen bereits im staatsanwaltlichen Bereich abgehandelt werden. Dazu gibt es den breiten Bereich der Diversion. Sie können sich sicherlich daran erinnern, dass wir beim letzten Mal die Diversionsrichtlinien verschärft haben. Nun könnte man sagen: Die Zahl der Jugendstraftaten hat abgenommen; es hat doch etwas genutzt. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob man die Kausalität so einfach herstellen kann.
Der Bereich der Diversion reicht von der bloßen Ermahnung über einen sozialen Trainingskurs bis hin zum Täter-Opfer-Ausgleich, an deren Ende meist eine Einstel
lung des strafrechtlichen Verfahrens stehen soll. Das deckt meines Erachtens nicht alle Möglichkeiten ab; denn der eigentliche Ansatz müsste davor liegen.
Es stellt sich doch die Frage, ob das Erfüllen von Auflagen auch bedeutet, dass sie erzieherische Wirkung gehabt haben. Hat das Ableisten von gemeinnütziger Arbeit tatsächlich automatisch die Wirkung, dass die nächste Straftat vermieden wird? Funktioniert jugendliche Einsichtsfähigkeit nach den Denkschemata von Erwachsenen? Wächst eigenes Verantwortungsgefühl mit dem Erfüllen von Auflagen oder doch eher in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln und den daraus folgenden Konsequenzen? - Ich glaube, Letzteres ist der Fall.
Diesen Ansatz verfolgt man auch beim Täter-Opfer-Ausgleich, weil man in dem direkten Umgang des Täters mit dem Opfer nach der Tat eine besonders intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung erwarten kann und sich daraus einen erzieherischen Effekt erhofft. Trotzdem ist der Täter-Opfer-Ausgleich nicht immer das Mittel der Wahl, sei es, weil die Tat nicht geeignet erscheint oder auch weil das Opfer nicht zur Teilnahme bereit ist.
Die Teen Courts bilden einen weiteren Ansatz, um die Lücke zwischen Verfahrenseinstellung ohne Auflagen und den üblichen Maßnahmen wie gemeinnützige Arbeit zu schließen. Dabei müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden.
In dem von der bayerischen Justiz und dem Verein Hilfe zur Selbsthilfe e. V. Aschaffenburg initiierten Projekt Wellenbrecher steht am Anfang die Information der Täter durch die Polizei. Es muss sich dabei um Fälle der minderschweren Kriminalität handeln und die Täter müssen Jugendliche, also zwischen 14 und 18 Jahren alt sein.
Der Täter und die Erziehungsberechtigten des Täters müssen bereit sein, in dem Schülergremium mitzumachen. Die Täter müssen die Bereitschaft zeigen, über die Tat zu reden. Sie müssen den Eindruck vermitteln, offen und ehrlich zu sein, und sie müssen bereit sein, die vereinbarten Maßnahmen zu erfüllen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird zum Gespräch mit dem Schülergericht eingeladen.
Das Schülergericht besteht aus drei Schülern. Das Gespräch soll zwischen 30 und 90 Minuten dauern. Der Inhalt des Gespräches soll sich vornehmlich auf die Tatmotive und die Folgen konzentrieren. Das Schülergericht soll also keine Ermittlungsarbeit zu dem Tathergang leisten, sondern in gemeinsamer Beratung eine Vereinbarung zur Wiedergutmachung der Tat finden.
In der Vereinbarung soll enthalten sein, was die Täter bis wann erfüllt haben müssen und wer das kontrolliert. Die Vereinbarung wird von allen unterschrieben und den Erziehungsberechtigten zur Kenntnis gegeben. Verläuft alles nach der Vereinbarung, hat der Staatsanwalt immer noch die Hand auf dem Verfahren. Er entscheidet letztlich, ob das Verfahren nach § 45 Abs. 2 JGG eingestellt wird oder nicht.
Während fast alle anderen erzieherischen Maßnahmen in einem Einwirken von Erwachsenen auf den jugendlichen Täter bestehen, ist hier eine Verhandlung unter Jugendlichen vorgesehen. Der jugendliche Täter verantwortet sich gegenüber Gleichaltrigen.
Warum ist das ein gravierender Unterschied? - Jugendtypische Straftaten zeichnen sich nun einmal durch ein Reifedefizit aus. Die Kinder in der Pubertät suchen ihre Grenzen. Die Wege zum Erwachsenwerden sind verschlungen und die Denkweisen von außen gesehen manchmal unlogisch. Ich will versuchen, es Ihnen anhand eines Ausspruchs zu verdeutlichen. Irgendein Kabarettist hat es überspitzt einmal so formuliert: In der Pubertät werden die Eltern komisch.
So überraschend dieser Ansatz ist, so deutlich macht er, dass Jugendliche besser als Erwachsene erfragen, verstehen und erkennen können, welche Motive zu einer Tat geführt haben.
Danke schön, Herr Präsident. - Ich war bei dem überraschenden Ansatz stehen geblieben und bei der Feststellung, dass Jugendliche einfach besser verstehen, was Jugendliche bewegt. Die Reaktion auf die Tat kann also viel spezifischer und damit wirksamer sein. Während bei einem Jugendgerichtsverfahren das Verfahren in einem Über-/Unterordnungsverhältnis stattfindet, ist ein Schülergericht eine Verhandlung mit Gleichaltrigen.
Ein Verhalten, das sich gegen die Erwachsenenwelt gerichtet hat, lässt sich Erwachsenen gegenüber schwer erläutern, wohl aber gegenüber Gleichaltrigen. Das Reden über Tatmotive ist der erste und meines Erachtens einzige Zugang zu einem Verantwortungsgefühl für die Tat. Darüber hinaus hat die Missbilligung durch Gleichaltrige oft stärkere Wirkung als die durch Erwachsene, weil auf deren Meinung Wert gelegt wird.
Einsicht und Umdenken weg vom kriminellen Verhalten ist eher wahrscheinlich, wenn erkannt wird, dass die Tat als uncool empfunden wird. Die Angst vor Ausgrenzung und fehlender Anerkennung bei Gleichaltrigen ist nun mal größer als die Angst vor der Gruppierung, deren Regeln und Grenzen mit jugendlichem Eifer hinterfragt werden.
Die bisherigen Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung der bestehenden Projekte bestätigen den Erfolg. Auch ist nicht zu verkennen, dass es auch eine positive Wirkung für die Schüler gibt, die Mitglieder des Teen Courts sind. Sie erhalten auf eindrucksvolle Weise Einblick in das Rechtssystem, können erkennen, warum es zu kriminellem Verhalten kommt und lernen gleichzeitig, ehrenamtliches Engagement zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen.
Meine Damen und Herren! Es bleibt zuletzt zu beantworten, welchen finanziellen Aufwand die Unterhaltung eines Modellprojektes bedeutet. In Bayern werden vier Modellprojekte teilweise seit fünf Jahren unterhalten. Dabei fallen jährlich Kosten in Höhe von 60 000 €, also 15 000 € je Projekt, an. Nach einer Laufzeit von fünf Jahren dürften die Zahlen belastbar sein. Angesichts von mehr als 2 000 Diebstahlsdelikten von Jugendlichen allein im Bereich Dessau im Jahr 2005 ist es den Versuch allemal wert, die Rückfallquote zu verringern.
In Bayern, in Hessen und in Nordrhein-Westfalen existieren Modellprojekte mit gutem Erfolg. Die Erfahrungen aus diesen Ländern sollten nicht ignoriert werden, sondern bei der eigenen Einführung mit einbezogen werden. Schülergerichte können ein taugliches Mittel des Katalogs erzieherischer Maßnahmen für jugendliche Straftäter sein. Sie schließen die Lücke zwischen dem Jugendgerichtsverfahren, der bloßen Erfüllung von Auflagen bzw. der Einstellung des Verfahrens ohne Auflagen.