Protokoll der Sitzung vom 16.11.2007

Sie werden eines nicht hinbekommen: Sie werden zum einen nicht eine allumfassende Stasi-Überprüfung, wie sie die Verbände der Opfer des Stalinismus und der stalinistisch Verfolgten haben wollen, hinbekommen und zum anderen diese Überprüfung ausschließen, wie sie zumindest die Sinti und Roma für sich ausschließen.

Das ist eine logische, keine politisch wertende Operation. Deswegen sind wir zu dem Ergebnis gekommen: Wir brauchen zwei Stiftungen dafür. Nicht weil wir es von vornherein für unmöglich erachtet haben, sondern weil wir inzwischen wissen, dass es unmöglich ist. Das hat uns dazu geführt. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Nun Herr Scharf, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur noch auf wenige Überlegungen eingehen, aber auch einige aufgeworfene Fragen beantworten.

Auch ich gehöre sehr stark zu den Anhängern, die der Auffassung sind: Es ist wert, dass wir e i n e Stiftung haben, weil uns die eine Stiftung davor bewahrt, die deutsche Geschichte auseinander zu reißen. Das geht nicht.

Es gibt einen einfachen praktischen Gesichtspunkt. Wir könnten den Roten Ochsen nicht sauber zuordnen. Wir würden einen sehr unerquicklichen Streit unter uns darüber führen, welche der beiden Stiftungen der Rote Ochse zugeordnet werden muss. Der Streit an sich wäre schon falsch, weil es zur Geschichte gehört, dass der Rote Ochse zu der einen und auch zu der anderen Diktatur gehört.

Damit, meine Damen und Herren, haben wir uns auseinander zu setzen. Die Geschichte ist leider so - das kennt jeder, der sich etwas mit der Geschichte befasst -, dass das Opfersein in der einen Diktatur nicht automatisch dazu führt, vor Versuchungen in der anderen Diktatur gefeit zu sein.

Es gibt Menschen - wir alle kennen sie -, die in den NSLagern, Gefängnissen und KZ gesessen haben, die geschunden und gefoltert wurden. Trotzdem haben sie sich hinterher in der DDR-Diktatur nicht davor gescheut - ich persönlich verstehe es nicht -, selbst ähnliche Maßnahmen für ihre politischen Gegner anzuordnen.

Das ist nun einmal die Geschichte. Deshalb muss man die Geschichte aufarbeiten, meine Damen und Herren. Deshalb bin ich der Auffassung, dass dazu auch die Überprüfung gehört; denn es ist nicht so, dass man, wenn man in der einen Diktatur gelitten hat, automatisch ohne Fehl durch die andere Diktatur gegangen ist. Das muss man im Einzelnen überprüfen.

Ich habe mich in Vorbereitung der heutigen Diskussion etwa in politischen Biografien schlau gemacht. Es gibt zum Beispiel einen Herrn Helmut Eschwege. Ich selbst habe ihn nicht gekannt, weil ich nicht Historiker bin. Er war jüdischer Historiker und Dokumentarist in Deutschland. Er hat gelitten. Er war später Mitarbeiter im MfS. Das hat es gegeben.

Hierin steht, dass Eschwege zum Beispiel zu denen gehörte, die in den 80er-Jahren jahrelang zu den wichtigsten Informanten des MfS über den langjährigen Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Helmut Aris - der eine oder andere wird sich noch an ihn erinnern - gehörte. Selbst den Aufruf der in der Wende neu gegründeten Sozialdemokratischen Partei, die er damals mit gegründet hat, hat Eschwege noch dem MfS übergeben. So ist nun einmal die Geschichte. Das muss aufgearbeitet werden.

Deshalb nützt es gar nichts, wenn wir versuchen, zu separieren und uns selektiv dem einen oder anderen Teil zu widmen. Ich habe die starke Hoffnung, dass sich die Gedenkstättenstiftung dieser Aufgabe noch widmen kann.

Ein anderer Gedanke. Ich habe vorhin gesagt: Die Perspektive der Opfer ist für uns entscheidend und sehr wichtig. Trotzdem sind wir im Parlament gezwungen abzuwägen. Nicht jede Opferperspektive ist automatisch die richtige. Der Abwägungsprozess gehört dazu.

Ich will deutlich sagen: Wenn uns die Opferverbände angeschrieben haben, dann hat uns das genötigt, noch einmal intensiv darüber nachzudenken, ob wir richtig gehandelt haben. Es gibt keinen Automatismus, meine Damen und Herren.

Wir sind auch weiterhin der Auffassung - auch wenn der Verband der Sinti und Roma es anders sieht -, dass e i n e Gedenkstättenstiftung die richtige Lösung ist. Dieser Auffassung waren wir damals übrigens auch schon.

Ich habe damals den Leserbrief von Herrn Steinhäuser mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Ich weiß nicht, wie Herr Steinhäuser heute zu seinem Leserbrief steht. Ich verstehe Herrn Steinhäuser so, dass es ein Versuch von ihm gewesen ist, die Stiftung zu retten.

Auch ich selbst habe zig Gespräche geführt. Ich war doch nicht von Anfang an derjenige, der gesagt hat: Wir müssen sofort das Gesetz ändern. Nur jetzt, nach einem halben Jahr, bin ich der Auffassung: Wenn es nicht anders geht, müssen wir andere Schritte einleiten.

Wir müssten Herrn Steinhäuser noch einmal fragen, ob er heute die Sache vielleicht auch etwas differenzierter sieht.

Meine Damen und Herren! Ich bin der Auffassung, wir sind jetzt tatsächlich dabei, einen gangbaren Weg zu gehen. Auch der Weg der FDP führt nicht sicher zum Ziel. Eine zweite Möglichkeit zum Patzen haben wir nicht. Jetzt müssen wir richtig handeln. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Scharf. Herr Scharf, möchten Sie eine Frage von Herrn Gallert beantworten? - Herr Gallert, bitte.

Herr Scharf, wenn Sie sagen, die Perspektive der Opfer ist wichtig, aber wir wägen ab, dann ist es für uns schon wichtig zu wissen, welche Perspektive offensichtlich entscheidend ist. Das ist an dieser Stelle schon interessant.

Ich habe mich aber wegen einer anderen Geschichte gemeldet. Sie haben vorhin zwei Beispiele angeführt, um

unsere grundsätzliche Unzuverlässigkeit innerhalb des demokratischen Spektrums anzuführen. Darauf will ich kurz eingehen.

Zum einen haben Sie zitiert, dass ein stellvertretender Vorsitzender der PDS, Herr Dehm, die Enteignung der Großkonzerne mit hineingebracht hat. Ich sage Ihnen gleich etwas dazu, Herr Scharf. Das sagt nicht nur Herr Dehm.

(Oh! bei der CDU)

- Ja. Das sagt nicht nur Herr Dehm. - Der eine oder andere Landtagsabgeordnete war vor Kurzem in Halle bei dem wohnungspolitischen Verbandstag. Dort hat jemand die Enteignung der Stromnetze gefordert. Das war Ihr Bauminister. Was ist er denn jetzt, Herr Scharf? Demokratisch unzuverlässig, oder wie?

(Unruhe)

Ich kann Ihrem Geschichtsbild etwas aufhelfen. Die gesamte CDU Deutschlands hat das in ihrem Ahlener Programm gefordert.

Genau.

Das ergibt doch keinen Automatismus, meine Damen und Herren.

Aber bei Herrn Dehm schon.

Noch eines: Sie haben Herrn Remmers bezüglich der Beurteilung von Menschen, die im repressiven Staatsapparat, sprich auch der DDR, tätig waren, zitiert. Sehen Sie sich bitte einmal seine Äußerungen und Ihren Änderungsantrag aus dem Jahr 1995 zu einem Antrag der SPD und der Grünen zur Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure an. Schauen Sie sich dazu bitte einmal die Beurteilung der Amtsrichter am Volksgerichtshof durch Herrn Remmers an. Wenn Sie diese Messlatte an Leute aus der DDR-Justiz anlegen würden, dann hätten wir möglicherweise eine völlig andere Diskussion. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, wenn ich mich richtig erinnere, ist Herr Remmers ein Mensch, der sehr differenziert denkt und der im Landtag normalerweise auch sehr differenziert geurteilt hat.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Jetzt komme ich wieder ein Stück weit ins Spekulieren. Ich habe die Rede damals nicht mehr ganz genau in Erinnerung. Aber wenn ich Ihren Gedanken einmal weiterentwickeln darf, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass Herr Remmers niemals auf die Idee gekommen wäre, diese ehemaligen Richter für eine eventuelle Stiftung zur Aufarbeitung der NS-Diktatur vorzuschlagen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Prof. Dr. Paqué, FDP)

Ich will noch eines sagen: Selbstverständlich sind in den anderen Parteien nicht alle Parteimitglieder geeignet, in einer solchen Stiftung zu arbeiten. Ich kann mir auch vorstellen, dass auch sehr viele innerhalb der CDU nicht geeignet wären, darin mitzuarbeiten. Diese würden wir aber wahrscheinlich auch nicht vorschlagen.

Wir haben zu akzeptieren, dass es sehr wichtig ist, akzeptable Personen in die Stiftung zu entsenden, damit die Stiftung auch tatsächlich arbeiten kann. Das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Es ist nicht unsere Aufgabe, uns mit bestimmten Personalvorstellungen in dieser Stiftung selbst zu verwirklichen. Dazu ist die Stiftung zu wichtig. Darüber bitte ich einmal nachzudenken.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Scharf. - Damit ist die Aussprache beendet.

Frau Gudrun Tiedge hat gebeten, nach der Aussprache Gelegenheit für eine persönliche Bemerkung nach § 67 der Geschäftsordnung zu bekommen. Dafür stehen ihr drei Minuten zur Verfügung. Bitte schön.

Herr Präsident, ich zitiere:

„In einem Fall wurde zwar eine Verpflichtungserklärung abgegeben, der Ausschuss ist jedoch einhellig zu dem Ergebnis gekommen, dass die hieran anschließende 30 Jahre zurückliegende Tätigkeit nicht geeignet ist, die durch § 46a des Abgeordnetengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt geschützten Rechtsgüter, also das Ansehen des Landtags und seiner Mitglieder, zu verletzen.

Neben der mittlerweile vergangenen Zeit liegt dies zur Überzeugung des Ausschusses an dem nichtssagenden Gehalt der Berichte und dem damals jugendlichen Alter des betroffenen Mitglieds des Landtages.“

Dies war ein Zitat aus dem Bericht des Sonderausschusses vom 6. April 2005 zu meiner Person.

Aufgrund dessen könnte ich mich nun hinstellen und sagen: Was wollen Sie eigentlich? - Es war doch alles nicht so schlimm, im Prinzip bedeutungs- und folgenlos. Aber genau das habe ich weder in der Vergangenheit getan, noch werde ich es heute tun; denn die IM-Tätigkeit war der größte Fehler meines Lebens. Niemand, der wie ich so etwas getan hat, kann von sich behaupten, niemandem geschadet zu haben; denn ein IM hatte keinen Einfluss darauf, was mit seinen Informationen geschah. Aber diese meine Haltung kennen Sie alle bereits seit Jahren.