Protokoll der Sitzung vom 16.11.2007

(Zustimmung bei der SPD)

Die Wende im Jahr 1989 war eine friedliche Revolution. Das ist das Markenzeichen dieses Wandels und der Wiedervereinigung. Darauf hat damals auch Professor Dr. Böhmer hingewiesen, als es damals noch um den Ausschuss für Recht und Verfassung ging. Es geht auch um den friedlichen Umgang untereinander - das möchte ich betonen -, auch zwischen den ehemals Verantwortlichen und den Opfern. Das war das Markenzeichen dieser Revolution.

Dass ein solcher Prozess, friedlich miteinander umzugehen, von vielen menschliche, ja übermenschliche Größe verlangt, ist unbestritten. Dazu gehören sicherlich die Bereitschaft zur Versöhnung sowie das Eingeständnis von Schuld und Versagen und von mangelnder Zivilcourage. Dafür eine gesellschaftliche Atmosphäre zu schaffen, die eine solche Bereitschaft fördert, ist die Aufgabe eines jeden Einzelnen.

Gerade wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen um diesen schmerzlichen Prozess. Unter uns gibt es Menschen, die unter beiden Systemen gelitten haben, die verfolgt und ausgewiesen wurden. Es gibt aber auch Menschen, die umgebracht worden sind. Wir

haben es uns nach der Wende auch nicht einfach gemacht mit der Frage, wie wir mit ehemaligen Funktionsträgern und SED-Mitgliedern umgehen.

Deshalb möchte ich noch einmal unsere Einstellung dazu deutlich machen: Wir unterbreiten das Angebot, weiter daran zu arbeiten, miteinander Dinge aufzuarbeiten und eine Atmosphäre schaffen, in der das möglich ist.

Herr Gallert, zwei Stiftungen - für die Zeit vor 1945 und für die Zeit nach 1945 - halte ich nicht für einen Ausweg. Es gehört zur Tragik unserer Geschichte, dass in den Gefängnissen nacheinander Opfer beider Systeme gelitten haben und Gepeinigte umgebracht wurden. So schwierig es ist, dies zusammen zu sehen, ohne es gleichzusetzen, bleibt eine gemeinsame Aufgabe. Denn spätestens an diesem Punkt müssten sich beide Stiftungen wieder treffen und darüber sprechen, wie sie an diesen Orten das Gedenken und die Erinnerung wach halten. Deshalb halte ich das für keinen Ausweg.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und von der Regierungsbank)

Im Übrigen ist das eine Aufgabe für das geeinte Deutschland. Man hat schon manchmal den Eindruck, dass diese Bewältigung allein den Ostdeutschen zugeschoben wird. Die Entwicklung in der DDR war eingebunden in eine Nachkriegsordnung, in der zwei Weltsysteme verbunden waren. Es ist müßig zu überlegen, ob die DDR überhaupt eine Chance hatte, innerhalb des Ostblocks auszubrechen. Auch das muss betrachtet werden.

Ich habe beim letzten Historikerkongress in Basel leider festgestellt, dass dieses Thema überhaupt nicht erwähnt worden ist. Ich hatte den Eindruck, dass man, wenn es um Geschichtsverarbeitung geht und man von deutscher Vergangenheitsbewältigung spricht, zum einen die Entwicklung in Westdeutschland meint und zum anderen die Entwicklung im Osten, womit dann der gesamte Osten und nicht nur die DDR gemeint ist. Man glaubt teilweise nicht, dass unsere Geschichte auch eine gesamtdeutsche Geschichte ist. Sich dafür einzusetzen, dass das im Blick behalten wird, ist eine wichtige Aufgabe.

Wir Sozialdemokraten plädieren weiterhin für einen offenen, fairen und differenzierten Blick auf unsere Geschichte. Dafür kann und soll die Gedenkstättenstiftung einen wichtigen Beitrag leisten. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Herr Bischoff, es gibt eine Frage von Herrn Paqué. - Bitte schön.

Herr Bischoff, bei allem Respekt vor Ihrem Vortrag - ich möchte an dieser Stelle den Vorwurf eines, wie Sie es genannt haben, billigen Vorgehens unserer Fraktion zurückweisen.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte an Sie die Frage stellen, warum Sie folgende Vorgehensweise als unmöglich ansehen würden: Wenn am Montag die überwältigende Mehrheit der Mitglieder des Stiftungsrates - das sind Vertreter der Fraktionen, der Regierung und anderer Organisationen - die Mitarbeit im Stiftungsrat aussetzen wird, dann wird der Stif

tungsrat nicht mehr vernünftig weiterarbeiten können. Damit wird eine politische Lösung gefunden werden müssen. - Das ist genau der Weg, den wir uns vorstellen.

(Unruhe bei der CDU)

Das ist ohne Weiteres möglich. Dazu bedarf es nicht eines neuen Gesetzes.

(Herr Stahlknecht, CDU: Warum?)

Herr Professor Paqué, vielleicht ist das Wort „billig“, das ich vorhin gesagt habe, zu hart gewählt gewesen. Das will ich zugeben.

Über die zweite Schlussfolgerung, die Sie ziehen, haben auch wir nachgedacht. Wir haben alles hin und her überlegt; wir wurden doch auch gedrängt. Ob es am Ende funktioniert, wenn wir alle zurücktreten, wissen wir nicht; denn die Opferverbände haben deutlich gesagt, sie hätten nicht mit den anderen ein Problem, sondern nur mit einer Person, mit der sie nicht zusammenarbeiten könnten. Das müssen wir respektieren. Deswegen haben wir gesagt, wir müssen eine Lösung dafür finden.

Natürlich haben wir mit den LINKEN geredet, sie gebeten und danach gefragt, ob nicht ein anderer Schritt möglich sei. Es ist bis heute nicht möglich. Deshalb haben wir uns gezwungen gesehen, diesen Schritt mit dieser Gesetzesänderung zu tun.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Es gibt noch eine weitere Nachfrage. Frau Hüskens, bitte.

Herr Bischoff, ich möchte eine Nachfrage dazu stellen. Wenn man in § 7 des Gesetzes, den Sie jetzt anfassen, sieht, dann steht explizit darin, wer Mitglied des Stiftungsrates ist: vier Vertreter aus dem Landtag sowie Vertreter aus dem Justizministerium, dem Innenministerium, dem Finanzministerium, dem Kultusministerium und der Landeszentrale. Die sind die Mitglieder. Diese werden durch je ein Vorstandsmitglied aus den Beiräten ergänzt.

Wenn die Regierungsfraktionen zu der Auffassung gelangen, dass sie zurücktreten wollen, dann - davon gehe ich einmal aus - werden auch die Vertreter der Landesregierung zurückgezogen. Dann wäre dieser Stiftungsrat beschlussunfähig. Dann müsste die Stiftungsaufsicht handeln.

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Richtig!)

Wenn das so ist, dann ist mir wirklich nicht klar, warum Sie diesen Weg nicht für gangbar halten. Das ist für mich völlig unklar.

Mich persönlich wundert, warum man sich über diesen Weg nicht schon vor einem halben Jahr verständigen konnte und es überhaupt so weit hat kommen lassen.

(Frau Budde, SPD: Weil dazu noch mehrere Part- ner gehören, mit denen man sich verständigen muss! Also!)

Ich will einmal mit der Frage anfangen, warum man sich darauf nicht vor einem halben Jahr verständigen konnte. Vor einem halben Jahr habe ich einen solchen Vorschlag von Ihnen nicht gehört.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Sie haben mich nicht gefragt!)

Den höre ich heute zum ersten Mal. Sie wissen, dass wir das hoch und runter überlegt haben.

(Widerspruch bei der FDP)

Ich höre diesen Vorschlag zum allerersten Mal.

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Das haben wir immer deutlich gesagt!)

Ich habe auch von niemand anderem die Bereitschaft mitbekommen, so handeln zu wollen.

Ich müsste meine Fraktion fragen, wer diesen Vorschlag von Ihnen kennt. Ich habe es genau so empfunden, dass erst nachdem wir diesen Schritt gegangen sind und Sie eingeladen haben, die Reaktionen von Ihnen gekommen sind.

(Unruhe bei der FDP)

Wir hätten uns gern gemeinsam hingesetzt. Sie hätten uns auch einladen können. Wir hätten jede Einladung angenommen, die dazu beigetragen hätte, eine Lösung zu finden. Daher finde ich es nicht gut, wenn Sie uns jetzt sozusagen vorführen wollen, als ob wir nicht an einer Lösung interessiert wären. An der sind wir auf jeden Fall interessiert.

Wir sind jetzt zu der Meinung gekommen, dass die Lösung per Gesetzesänderung besser und eindeutiger ist. Wenn Sie eine andere favorisieren, dann kann ich das nicht ändern. Dann hätten wir darüber vielleicht früher reden sollen. Ich weiß es nicht. Es ist nicht darüber geredet worden. Wir haben den jetzt vorgeschlagenen Weg gewählt.

(Herr Stahlknecht, CDU: Richtig!)

Ich will nur sagen, wir hatten Sie - - Das reicht eigentlich.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Bischoff. - Nun erteile ich Herrn Gallert das Wort, um für die LINKE zu sprechen.

Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalition zur Änderung des Gedenkstättengesetzes wird von uns unter zwei Aspekten thematisiert:

Zum einen müssen wir uns mit dem Fakt auseinander setzen, dass wir es hierbei mit einer Lex Tiedge zu tun haben und uns auf dieser Ebene positionieren. Zum anderen aber zwingt uns das Vorgehen der Koalition zu einer öffentlichen Analyse der Arbeit der Gedenkstättenstiftung und der aktuellen geschichtspolitischen Diskussion. Zuerst ist es jedoch wichtig, die Fakten zur Auseinandersetzung in und um die Gedenkstättenstiftung darzulegen, Fakten, die, wenn überhaupt, nur sehr selektiv politisch und medial wahrgenommen werden.

Dazu gehören als Erstes die öffentlichen Auseinandersetzungen um die Mitgliedschaft von Gudrun Tiedge im Stiftungsrat. Nach der entsprechenden Wahl im Landtag und der konstituierenden Sitzung des Stiftungsrates traten die Vorsitzenden der Vereinigung der Opfer des Stalinismus und des Bundes stalinistisch Verfolgter mit der Position an die Öffentlichkeit, dass sie in dieser Stiftung nicht mitarbeiten würden, weil Gudrun Tiedge Mitglied des Stiftungsrates geworden sei.

Gemeint war von Anfang an jedoch etwas anderes, nämlich dass Gudrun Tiedge aus diesem Rat zurückzutreten habe. Wer dies bezweifelt, schaue sich bitte die Aussagen von Johannes Ring gegenüber der dpa vom 22. Oktober 2007 an.

Dem ging unter anderem ein Gespräch seitens der genannten Opferverbände, der Stasi-Unterlagenbeauftragten und des Vereins Zeitgeschichte aus Halle voraus, an dem Gudrun Tiedge und ich teilnahmen und bei dem wir unsere Entscheidung, Gudrun Tiedge zu nominieren, begründet haben. Am Ende des Gesprächs stand jedoch die Feststellung seitens der Vertreter dieser Opferverbände, dass eine inhaltliche Diskussion über die Ansichten und die Tätigkeit von Frau Gudrun Tiedge nach dem Jahr 1990 für die Positionierung der Opferverbände völlig belanglos sei, sondern ihre Tätigkeit vor dem Jahr 1989 ein zwingendes Ausschlusskriterium darstelle.