Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz noch einmal aus der bereits genannten Drs. 5/65 zitieren, also aus der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage. Damals habe ich gefragt - Zitat -:
„Wie steht die Landesregierung zu den Vorhaben anderer Bundesländer, die präventive Telefonüberwachung einzuführen?“
„Die Landesregierung wird alle entsprechenden Vorhaben anderer Bundesländer, die als Gesetzentwurf vorliegen, bei der Prüfung von Gesetzesvorhaben in Sachsen-Anhalt in dem erforderlichen Umfang berücksichtigen.“
Dann stellt sich also die Frage, wie die Position der Landesregierung Sachsen-Anhalt in diesem Punkt ist. Auch darüber sollten wir, wenn nicht heute, so doch im Ausschuss reden, wie man mit diesem Punkt umgeht.
Eine weitere Frage ist: Wie wird die Zukunft des Richtervorbehalts eingeschätzt? Muss es hierbei gesetzliche Präzisierungen geben?
Der Handlungsbedarf, meine sehr geehrten Damen und Herren, ergibt sich aus dem Gutachten des Max-PlanckInstituts für ausländisches und internationales Strafrecht vom Mai 2003. Darin wurde festgestellt, dass die geltende Praxis rechtsstaatlich bedenklich sei, da eine große Anzahl von richterlichen Anordnungen von Telefonüberwachungsmaßnahmen fehlerhaft sei. Danach wurden 22,5 % der Überwachungsbeschlüsse als formelhaft ohne hinreichenden Einzelfallbezug bewertet. 15 % der Richter gaben in ihren Beschlüssen allein die Gesetzesformel als Begründung an. Dies offenbart einen großen Mangel an Transparenz, an Nachvollziehbarkeit und - das ist ganz besonders wichtig - an Kontrolle.
Darüber hinaus kam die Studie zu dem Ergebnis, dass die Benachrichtigungspflicht gegenüber den Beteiligten gemäß § 101 StPO nur sehr unzureichend erfüllt wird. So erfolgte nur in 15 % der Fälle eine Benachrichtigung der Beteiligten.
„In mehreren Gutachten von Fachinstituten wurde festgestellt, dass fast ein Viertel der richterlichen Anordnungen zur Telefonüberwachung formal fehlerhaft erlassen worden ist. Wird sich die Landesregierung aufgrund der festgestellten Mängel bei der Bundesregierung für eine umfassende Überprüfung der Rechtsgrundlagen der Telefonüberwachung einsetzen?“
„Einer solchen Initiative der Landesregierung bedarf es nicht. Die Bundesregierung strebt bereits eine umfassende Novellierung der Telekommunikationsüberwachung im Sinne einer harmonischen Gesamtregelung der strafprozessualen heimlichen Ermittlungsmaßnahmen an, nachdem auf der Grundlage einschlägiger Studien, insbesondere der Untersuchungen des Max-PlanckInstituts und anderer ein entsprechender Reformbedarf in der letzten Legislaturperiode geprüft worden ist.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Landesregierung! Seit der Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht sind bereits mehr als drei Jahre vergangen. Es gab eine weitere Studie der Universität Bielefeld, die noch ein halbes Jahr älter ist.
Den Reformbedarf nur zu prüfen reicht nicht aus. Es muss endlich gehandelt werden. Ebenso wenig reicht es aus, sich mit dem Hinweis, dass andere bereits prüfen, scheinbar - ich will es einmal so formulieren - aus der
Verantwortung zu stehlen. Das wird Ihnen nicht gelingen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ehrlich gesagt, sollten Sie das auch nicht versuchen; denn je präziser und je praxistauglicher zukünftige Regelungen für Telefonüberwachungsmaßnahmen sind, desto effektiver können sie eingesetzt werden und erreichen ihren Zweck, die Täter zu überführen und die Strafverfolgung zu ermöglichen. Das sollte auch das Ziel der Landesregierung sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Weiterhin wäre zu klären, wie effektiv einzelne Telefonüberwachungen für das nachfolgende Strafverfahren sind. Das ist der Punkt, den ich soeben schon einmal angerissen habe. Deshalb glaube ich, dass es wichtig sein wird, zumindest in Teilbereichen einzuschätzen, wie lange eine solche Maßnahme dauert und ob sie tatsächlich zu weiteren Ermittlungen und letztlich zu einem Strafverfahren führt. Nur wenn das klar ist, hat man eine weitere Begründung dafür, dass es wichtig ist, ein solches Instrumentarium, nämlich die Befugnis zur Telefonüberwachung, zu haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie erkennen daran, dass wir als Liberale der Auffassung sind, dass eine Evaluation der Befugnis zur Telefonüberwachung dringend erforderlich ist. Im Kern sind wir uns sicherlich alle darüber einig, dass die Telefonüberwachung ein sinnvolles Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung darstellt. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn diese Telefonüberwachung in einem eng begrenzten Bereich Wirkung zeigen kann. Damit dies gewährleistet ist, bedarf es der ständigen Überprüfung dieser Maßnahme.
Es kann nämlich nicht sein, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass ein so weitreichender Eingriff in die Grundrechte der Bürger stattfindet und die Strafverfolgungsbehörden, die diesen Eingriff anordnen, noch nicht einmal beurteilen können, ob bzw. in welchem Umfang Telefonüberwachungsmaßnahmen tatsächlich zu einer späteren Verurteilung beigetragen haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! An dieser Stelle werde ich nicht darauf eingehen - auch das ist in der Studie des Max-Planck-Instituts sehr deutlich geworden -, dass mittlerweile gerade im Bereich der Telefonüberwachung eine Verschiebung stattgefunden hat, da jetzt viel mehr Informationen über das Netzwerk und andere Zusammenhänge erkennbar sind und der konkrete Tatverdacht am Telefon eher weniger nachgewiesen werden kann. Aber darüber können wir gern im Ausschuss diskutieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Ziel unseres Antrages ist es, die Stärken, aber auch die Schwächen der Befugnis zur Telefonüberwachung zu ermitteln, um weiter reichende gesetzgeberische Regelungen zu finden und die Telefonüberwachung bei Beachtung des verfassungsrechtlichen Rahmens zu einem effektiven Element der Kriminalitätsbekämpfung zu machen. Deshalb freue ich mich auf eine Diskussion in den Ausschüssen. - Vielen Dank.
Danke sehr, Herr Kosmehl, für die Einbringung. - Die Debatte wird von der Justizministerin Frau Professor Kolb eröffnet. Bitte sehr.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kosmehl hat zu Recht betont, dass die Telekommunikationsüberwachung einen erheblichen Eingriff in die Rechte der Betroffenen darstellt. Deshalb ist sie nur unter den engen Voraussetzungen, die in den §§ 100a und 100b StPO aufgeführt sind, möglich.
Das heißt, hier ist ein abschließender Katalog von Straftatbeständen aufgezählt. Darüber hinaus muss die Telekommunikationsüberwachung zur Erforschung des Sachverhaltes oder der Aufenthaltsermittlung des Beschuldigten dienen, die ohne die Überwachung aussichtslos oder zumindest wesentlich erschwert wäre.
Die Anordnungsbefugnis obliegt regelmäßig einem Richter. Nur bei Gefahr im Verzug kann auch die Staatsanwaltschaft derartige Maßnahmen anordnen. Allerdings muss dann innerhalb von drei Tagen eine richterliche Bestätigung erfolgen.
Telekommunikationsüberwachungen sind auf höchstens drei Monate zu befristen. Eine Verlängerung von mehr als drei Monaten ist nur zulässig, soweit die im Gesetz aufgeführten Voraussetzungen vorliegen.
Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion bittet mit dem vorliegenden Antrag zum einen um zusätzliche Daten über die tatsächlich durchgeführten Telefonüberwachungen und zum anderen um eine Stellungnahme der Landesregierung zur zukünftigen gesetzlichen Ausgestaltung der Überwachung der Telekommunikation, das heißt also einer Reform des § 100a und des § 100b StPO.
Bezug wird insbesondere auf die kritische Handhabung in der Praxis genommen. Hierzu hätte ich mir etwas konkretere Ausführungen gewünscht, da wir in der Vergangenheit nicht nur im Zusammenhang mir den Kleinen Anfragen immer sehr transparent dargestellt haben, welche konkreten Maßnahmen in Anzahl und Umfang hier in Sachsen-Anhalt im Zusammenhang mit Telekommunikationsüberwachung angeordnet worden sind.
Da die Landesregierung hierzu schon mehrfach Stellung genommen hat, möchte ich mich in meinen Ausführungen auf die weiter gehenden Forderungen beschränken. Soweit die Landesregierung gebeten wird, über die Dauer und den Erfolg der Telefonüberwachung nähere Angaben zu machen, treffen die Gründe, die bisher eine solche Auskunft nicht ermöglicht haben, weiterhin zu.
Ein solches Datenmaterial ist nicht verfügbar. Es wäre nur zugänglich zu machen, indem jeder einzelne Vorgang bei den Staatsanwaltschaften bzw. bei den Gerichten, in denen eine Telekommunikationsüberwachung stattgefunden hat, einzeln ausgewertet würde. Das heißt, das würde unsere Strafverfolgungsbehörden erheblich belasten.
Ich denke, angesichts der Tatsache, dass wir in dem Bereich eine schnelle Verfolgung und Aburteilung von Straftaten gewährleisten müssen, muss man sehr genau abwägen, inwieweit eine solche Belastung mit Verwaltungsaufgaben sinnvoll ist, wobei ohnehin nicht gesichert werden kann, dass die Auskünfte, die Sie gern hätten, im Ergebnis dann auch zur Verfügung stehen.
Das gilt insbesondere auch für die Frage der Erfolgsquote. Hierbei muss man berücksichtigen, dass in den meisten Fällen die Telekommunikationsüberwachung nicht
das alleinige Beweismittel im Verfahren ist. Das heißt, es kommen regelmäßig noch andere Ermittlungsergebnisse hinzu.
Darüber hinaus werden im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachung zum Teil auch wichtige Erkenntnisse über die Strukturen und die Verflechtungen der organisierten Kriminalität bzw. zu den Katalogstraftaten des § 100a StPO erlangt, die wiederum zu weiteren Ermittlungen führen, die aber nicht unmittelbar mit dem entsprechenden Fall zusammenhängen müssen.
Die Vielschichtigkeit denkbarer Fallkonstellationen zeigt aber auch, wie schwierig es ist, eine konkrete Aussage zur Notwendigkeit von Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung für das nachfolgende Strafverfahren bzw. für die Erfolgsquote bei aufgeklärten Straftaten zu treffen.
Meine Damen und Herren! Der für die hiesigen Strafverfolgungsbehörden mit solchen Aktenauswertungen verbundene Aufwand lässt sich auch aus einem weiteren Grund nicht rechtfertigen. Von Herrn Kosmehl sind die umfangreichen Untersuchungen, die Gutachten, die vonseiten des Max-Planck-Instituts unternommen worden sind, vorgestellt worden. Hierin ist im Ergebnis festgestellt worden, dass die Maßnahmen gesetzlich zulässig waren und dass die gerichtlich zulässige Dauer einer solchen Telekommunikationsüberwachung bei weitem nicht ausgeschöpft wurde.
Zu der Kernfrage der Untersuchung, was die Evaluation der Effizienz der Maßnahmen betrifft, ist festgestellt worden, dass in etwa 60 % der untersuchten Verfahren Ermittlungserfolge der Telekommunikationsüberwachung festzustellen waren.
Insgesamt belegt die Studie, um mit den Worten der Verfasser zu sprechen, dass die Telekommunikationsüberwachung als ein wichtiges und ein unabdingbares Ermittlungsinstrument einzuschätzen ist, das in bestimmten Bereichen nachvollziehbare und grundlegende Erfolge erzielt.
Auf das Forschungsprojekt der Universität Bielefeld will ich jetzt nicht noch einmal im Einzelnen eingehen. Ich denke, das ist ausreichend dargestellt worden.
Die Landesregierung wird sich der Bitte, im Ausschuss zu berichten, nicht verschließen. Wir werden uns auch in die Reformüberlegungen aktiv einbringen. Die Frage ist, zu welchem Zeitpunkt das am erfolgversprechendsten ist, da auch die Bundesregierung dieses Thema ausdrücklich mit in den Koalitionsvertrag eingebracht hat und Frau Zypries versprochen hat, noch im Sommer 2006 einen Regierungsentwurf zur Reform der §§ 100a und 100b StPO vorzulegen.
Ich denke, dass es nach dem Vorliegen dieses Entwurfs der richtige Zeitpunkt ist, um sich aktiv in die Diskussion über die besten Rahmenbedingungen, die auch eine verfassungsgemäße Durchführung der Telekommunikationsüberwachung gewährleisten, einzubringen.
Soweit der Antrag auf eine Änderung der Strafprozessordnung abzielt, ist in erster Linie die Bundesregierung zum Handeln aufgerufen. Die Föderalismusreform hat in diesem Bereich die Kompetenzen nicht auf die Länder übertragen. Insoweit ist von der Bundestagsfraktion der FDP ein Entschließungsantrag in den Bundestag eingebracht worden, der dann - auch mit Ihrer Unterstützung, denke ich - zügig umgesetzt werden könnte.
Ich denke, mit dieser Verfahrensweise könnten wir auch unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Grundrechte der Bürger dazu kommen, dass das Verfahren noch transparenter wird und die Landesregierung dokumentiert, dass sie hierzu ihre Berichtspflichten ernst nimmt. - Danke schön.
Danke sehr, Frau Ministerin. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Rothe. Doch zuvor haben wir die Freude, Gymnasialschülerinnen und -schüler aus Dessau bei uns begrüßen zu können. Seien Sie recht herzlich willkommen!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frau Justizministerin hat den Sachverhalt und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen gut beschrieben. Ich kann mich daher kurz fassen.
Ich beantrage namens der SPD-Fraktion eine Überweisung des vorliegenden Antrags in den Ausschuss für Recht und Verfassung. Herr Kosmehl hat sich freundlicherweise bereit erklärt, im Falle einer Überweisung die Beratungen dort zu konzentrieren, also nicht auch noch den Innenausschuss zu befassen.
Für eine Direktabstimmung, wie von den Antragstellern gewollt, erscheint den Koalitionsfraktionen dieser Antrag nicht geeignet, weil eine Berichterstattung der Landesregierung in dem angestrebten Umfang nicht ohne einen unverhältnismäßig hohen Aufwand zu leisten wäre.
Die Fragen, Herr Kollege Kosmehl, die Sie in Ihren Kleinen Anfragen gestellt haben, sind aus meiner Sicht ordentlich beantwortet worden. Um die Dauer der einzelnen Überwachungsmaßnahmen zu beschreiben, müsste man in der Tat sämtliche Ermittlungsakten durchgehen.