Vorratsdatenspeicherung bezeichnet die Verpflichtung der Anbieter von Telekommunikationsdiensten zur Registrierung von elektronischen Kommunikationsvorgängen, ohne dass ein Anfangsverdacht oder konkrete Hinweise auf Gefahren bestehen.
Nach der derzeitigen Rechtslage müssen Telekommunikationsunternehmen seit 1. Januar 2008 alle Verbindungsdaten sechs Monate lang speichern. Es wird also festgehalten, wer mit wem, wann und wie lange in den letzten sechs Monaten per Telefon oder Handy telefoniert oder in E-Mail-Kontakt gestanden hat. Bei HandyGesprächen und SMS wird auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten.
Strafverfolgungsbehörden können - unter bestimmten Voraussetzungen - mit einem Auskunftsersuchen auf die Daten zugreifen. Zu verdanken haben wir das nicht nur dem Bundesgesetzgeber, sondern der EU, die in einer Richtlinie den Mitgliedsstaaten aufgegeben hat sicherzustellen, dass Kommunikationsdaten für mindestens sechs Monate auf Vorrat gespeichert werden und dass diese Daten zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von „schweren Straftaten“ genutzt werden können.
Begründet wird die Vorratsdatenspeicherung also mit der Notwendigkeit der Kriminalitätsbekämpfung, insbesondere der Terrorismusbekämpfung. Vorratsdatenspeicherung in dieser Form greift aber erheblich in die Privatsphäre des Einzelnen ein. Mithilfe der auf Vorrat zu speichernden Daten lässt sich - ohne dass auf Kommunikationsinhalte zugegriffen wird - das Kommunikationsverhalten jedes Teilnehmers analysieren. Sie erlauben einen Einblick in persönliche soziale Netzwerke; das Erstellen zum Beispiel von Persönlichkeitsprofilen ist so relativ einfach.
Verfassungsrechtlich ist die Vorratsdatenspeicherung deshalb nicht unumstritten, da sie anlasslos in die Grundrechtsposition sämtlicher Nutzer elektronischer Dienste eingreift. Eingriffe in Grundrechte wie das Fern
meldegeheimnis - Artikel 10 des Grundgesetzes - und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung werden vorgebracht. Auf der anderen Seite verändert sich der Ausgangspunkt für Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ständig. Ausgelöst durch den dramatischen technischen Fortschritt verändern sich Kommunikations- und Verhaltensmuster.
Derzeit sind mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Das Gericht wird zwischen dem Ziel der Vorratsdatenspeicherung, also dem Schutz vor und der Aufklärung von Straftaten auf der einen Seite und der Privatsphäre des Einzelnen auf der anderen Seite abzuwägen haben. Es bleibt abzuwarten, zu welchem Ergebnis das Gericht kommen wird, und das sollten wir tun. Diese Zeit sollten wir uns nehmen, denn erst nach Abschluss der Verfahren wissen wir, wie mit der Vorratsdatenspeicherung umzugehen sein wird.
Dennoch erscheint es sinnvoll, dass die Landesregierung über die bisherige Anwendung der Vorratsdatenspeicherung in den Ausschüssen für Recht und Verfassung sowie Inneres berichtet. Doch sollte das erst zu einem späteren Zeitpunkt geschehen. - Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es schlimm, dass wir in einer Landtagssitzung allein vier Anträge zu behandeln hatten, die sich mit der Einschränkung von Freiheits- und Bürgerrechten beschäftigten. Aus diesem Grunde werde ich meine Rede auch nicht zu Protokoll geben.
Den Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung fällt eine Vielzahl von Argumenten ein, um dieses aus unserer Sicht verfassungswidrige Agieren zu rechtfertigen. Dabei werden immer wieder gebetsmühlenartig beliebte Argumente verwendet wie zum Beispiel: Wir brauchen quantitativ wie auch qualitativ betrachtet intensivere Überwachungsinstrumente, um uns vor Kriminalität, Terrorismus und Sexualstraftätern zu schützen und um in Ruhe und Ordnung leben zu können. - Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. - Oder auch: Datenschutz ist Täterschutz. Er steht dem Schutz unschuldiger Menschen im Wege usw. usf.
Keines dieser Argumente ist haltbar. Das hat das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung schon einige Male deutlich ins Stammbuch geschrieben. Ich möchte hierbei nur an den Lauschangriff oder das Luftsicherheitsgesetz erinnern. Aber leider ist die Bundesregierung nicht nur in dieser Beziehung beratungsresistent.
Das BKA hat in einer Studie 381 Fälle benannt, in denen den Ermittlungsbehörden Verbindungsdaten fehlten; bei einer Gesamtzahl von Straftaten von ca. sechs Millionen ein geradezu verschwindend geringer Anteil von 0,01 %. Schon heute gibt es eine Reihe von rechtlich nicht zu beanstandenden Maßnahmen, um auf Daten zurückzugreifen, die zur Aufklärung von Straftaten notwendig
sind. Aber man kann doch nicht die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht stellen, indem von allen Telekommunikationsteilnehmern die Daten auf Vorrat gespeichert werden. Das Argument, es werden doch keine Inhalte gespeichert, ist aufgrund der heutigen Technik geradezu lächerlich.
In vielen Fällen lässt sich der Inhalt schon anhand der Verbindungsdaten rekonstruieren. Schon von der Person des Gesprächspartners können Rückschlüsse auf den Inhalt der Gespräche gezogen werden. Wenn man erst einmal die Daten speichern darf, dann wird es nicht mehr lange dauern, dass dann Argumente vorgebracht werden, welche die Legitimation der Speicherung der Inhalte von Gesprächen begründen.
Das alles mit dem angeblich hehren Ziel, Straftaten und Terrorismus verhindern zu wollen. Ich frage Sie: Wo soll das enden?
Es gibt eine Fülle von wissenschaftlichen Arbeiten, in denen die Ursachen von Kriminalität und Terrorismus aufgezeigt werden. Aber statt dass sich die Politik intensiv mit diesen Ergebnissen beschäftigt und Konzepte entwickelt, wie diese Ursachen beseitigt werden können, wird immer wieder nach noch mehr Überwachung, nach immer größeren Einschränkungen von Freiheitsrechten gerufen, wohl wissend, dass das niemals zu einer kriminalitätsfreien Gesellschaft führen wird und führen kann.
Im Gegenteil, der Staat wird zum Täter und provoziert damit geradezu eine Gewaltspirale. Genau das wird dann wiederum zur Begründung für einen weiteren Abbau von Grund- und Freiheitsrechten herangezogen. Aus unserer Sicht muss dem ein Ende gesetzt werden.
„Insofern genügt es verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, dass die Erfassung der Verbindungsdaten allgemein der Strafverfolgung dient. Vorausgesetzt sind vielmehr eine Straftat von erheblicher Bedeutung, ein konkreter Tatverdacht und eine hinreichend sichere Tatsachenbasis für die Annahme, dass der durch die Anordnung Betroffene als Nachrichtenmittler tätig wird. Voraussetzung der Erhebung von Verbindungsdaten ist ein konkreter Tatverdacht. Aufgrund bestimmter Tatsachen muss anzunehmen sein, dass der Beschuldigte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Straftaten von erheblicher Bedeutung begeht.“
Die Vorratsdatenspeicherung verpflichtet nun aber die Anbieter von Telekommunikationsdiensten, eine Registrierung aller Kommunikationsvorgänge vorzunehmen, ohne dass auch nur ein Anfangsverdacht vorliegt. Dass dieser Vorgang leider bereits jetzt schon gängige Praxis ist, zeigt nicht zuletzt die Telekom mit ihrem Abhörskandal. Unter der Überschrift „Wir haben mitgehört“ gibt es dazu eine interessante Abhandlung in der neuesten
„Aus heutiger Sicht wirkt die Affäre vor knapp zwölf Jahren wie ein Kriminalstück in drei Akten mit fast tragikomischen Zügen. Erst schreiten die Akteure, wie es scheint, wider Gesetz und Einwände forsch zur Tat, sodann wird die Untat verdreht, beschönigt und vertuscht. Schließlich deckt der Staat nach etwas Wortgetöse den Mantel des Schweigens darüber.“
Ja, nun kann man sagen, es ist ein Skandal und wir würden es so bezeichnen, oder man kann fast anerkennend verbuchen, dass die Telekom mit ihren MegaDatenbanken in vorauseilendem Gehorsam der Zeit ein wenig voraus war.
Wenn sich niemand mehr sicher sein kann, frei zu kommunizieren, leidet darunter in nicht unerheblichem Maße die Zivilgesellschaft, das gesellschaftliche Miteinander und es entsteht folglich ein Klima der Verunsicherung. Das kann und darf nicht gewollt sein. Deswegen werden wir dem Antrag zustimmen und den Änderungsantrag ablehnen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch die Tourismusbranche kann nur wachsen, wenn die innere und die äußere Sicherheit gewahrt sind. Auch dazu, meine Damen und Herren, müssen verschiedene Maßnahmen ergriffen werden.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD zuzustimmen. - Danke schön.
Das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG, welches vom Bundestag am 9. November 2007 verabschiedet und am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist, stellt ein höchst umstrittenes Gesetz dar.
Die darin unter anderem beinhaltete Vorratsdatenspeicherung und Praxis der Auskunftserteilung über Telekommunikationsverbindungsdaten hat bei vielen die Befürchtung hervorgerufen, dass persönliche Daten und Gespräche übermäßig ausgespäht werden. Es entstand vielfach die Idee eines Überwachungsstaates und die Befürchtung, dass eigenes Verhalten und Gespräche mitverfolgt werden könnten. Verstöße gegen das Fern
Dieses, meine Damen und Herren, ist jedoch nicht das Ziel der Vorratsdatenspeicherung gewesen. Vielmehr steht im Vordergrund, die Kriminalitätsbekämpfung zu effektivieren. Die Speicherung der Daten, die unter bestimmten Voraussetzungen abgerufen werden dürfen, soll dazu dienen, präventiv und repressiv eingesetzt zu werden, zur Vermeidung und Bekämpfung organisierter Kriminalität, terroristischer Anschläge etc.
Die Daten werden unter den strikten Voraussetzungen des § 100g StPO, der die Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 und 2 StPO verlangt, erhoben. Die Erfordernisse für die Speicherung für bis zu sechs Monate und Verwendung der Daten sind in §§ 113 bis 113b des Telekommunikationsgesetzes konkret geregelt. Nach § 113b darf der bevorratete Datenbestand nur zum Zweck der Verfolgung von Straftaten, der Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und der Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben abgerufen werden.
Der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD zielt darauf ab, sich ein Bild über die Vorgänge zu machen, in denen es im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung zu Auskunftserteilungen gekommen ist. Dies, meine Damen und Herren, unter besonderer Berücksichtigung der durch das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 11. März 2008 ergangenen Entscheidung und den Ergebnissen der Untersuchung des Max-Planck-Instituts. Diese Informationen werden uns eine sinnvolle Hilfestellung sein, um näher zu hinterfragen, inwieweit die Vorratsdatenspeicherung für die von mir ausgeführten Fälle von Relevanz war und in Zukunft sein wird.
Der Berichterstattung der Landesregierung in den Ausschüssen für Recht und Verfassung sowie für Inneres sehe ich mit Freude entgegen und bitte um Zustimmung zum Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD.
Dann mache ich eine Zwischenbemerkung. Ich finde es schade, Herr Kollege Zimmer, dass Sie versuchen, die äußere und innere Sicherheit mit dem Tourismus zu verbinden.