Protokoll der Sitzung vom 09.10.2008

Wenn wir eine Angleichung des Rentenwertes Ost an den Rentenwert West haben wollen - und das vor dem Erreichen vergleichbarer Einkommensverhältnisse in Ost und West -, dann müssen wir genau bewerten können, welche Wirkungen entfaltet werden, wenn wir an einer oder an mehreren Stellschrauben drehen. Wir müssen betrachten, welche Auswirkungen eine Veränderung in einem spezifischen Fall auf die jetzigen Rentnerinnen und Rentner hat und welche Auswirkungen es auf andere Geburtsjahrgänge, die sukzessive in das Rentenalter hineinwachsen, haben wird.

Als Erstes müssen diese Auswirkungen klar sein, bevor man sich über einen Zeitplan oder Stufenplan verständigen kann, was man zu welcher Zeit festlegen kann, damit keine Bevölkerungsgruppe in Ostdeutschland Nachteile aus diesem System erhält. Deswegen begrüße ich den Antrag der Koalitionsfraktionen. Er steht auch im Einklang mit der Diskussion auf Bundesebene.

In der Debatte im Deutschen Bundestag zu dem Bericht der Deutschen Einheit hat es Redebeiträge gegeben, die darauf hingewiesen haben, dass das Rentensystem Ost an das Rentensystem West angeglichen werden soll. Der Bundesarbeitsminister Herr Scholz ist dabei, die

einzelnen Punkte zu sortieren und einen Vorschlag zu erarbeiten. Ich habe heute der „Frankfurter Rundschau“ mit Freude entnommen, dass der Generalsekretär der CDU, Herr Pofalla, schon seine Zustimmung signalisiert hat, auch wenn es darum geht, die Rentenansprüche der ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger aufzuwerten, damit dort ein würdiges Leben im Rentenalter erreicht werden kann.

Ich denke, es wird gut sein, wenn der Landtag der Landesregierung in diesem Punkt den Rücken stärkt, sodass wir als ostdeutsche Bundesländer mit einer Stimme sprechen können und damit der Bundesregierung signalisieren: Wir wollen eine Lösung. Ich bin überzeugt, dass wir dann auch eine Lösung bekommen werden.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin Kuppe. - Nun spricht für die FDP-Fraktion Frau Dr. Hüskens.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es entspricht nicht ganz meinem Selbstverständnis als Abgeordnete, dass wir als Parlament etwas bekräftigen, was eigentlich erledigt ist.

Also, wenn ich es richtig verstanden habe, hat die Landesregierung einen gemeinsamen Antrag mit allen anderen neuen Bundesländern eingebracht. Wenn ich die Ausführungen von Frau Kuppe richtig verstanden habe, arbeitet man in Berlin schon daran. Ich denke, das kann man sicherlich begrüßen. Ob es dazu aber eines Antrages im Landtag bedurfte, möchte ich bezweifeln.

(Zustimmung bei der FDP - Herr Tullner, CDU: Aber es schadet nicht!)

- Na ja. - Wir werden dem Antrag nichtsdestotrotz zustimmen, weil es tatsächlich so ist, dass es im Rahmen der deutschen Einheit ganz wenige Rechtsbereiche gibt, wo beide Seiten der Auffassung sind, sie seien der Verlierer.

Wenn man etwa mit Rentnern in Sachsen-Anhalt spricht, erfährt man, sie gingen davon aus, dass sie deutlich weniger Rente bekämen als ein Rentner etwa in NordrheinWestfalen oder in Niedersachsen. Wenn Sie mit Rentnern zum Beispiel in Niedersachsen sprechen, werden diese Ihnen gegenüber behaupten, dass es ungerecht sei, dass die Kolleginnen und Kollegen, die hier ihre Rente beziehen, ungerechtfertigt hohe Renten bekommen würden.

Das, was also einmal gut gemeint war, hat sich im Laufe der Zeit offensichtlich überholt und bedarf einer Nachsteuerung. Wir müssen aber - Herr Scharf hat das völlig zu Recht bemerkt - den Menschen ganz klar sagen - deshalb sind Modellrechnungen sicherlich richtig -, dass das nicht automatisch bedeuten muss, dass hinterher alle mehr Geld in der Tasche haben werden; denn wenn ich Entgeltpunkte, Beitragsbemessungsgrenzen und alle anderen Aspekte angleiche, kann das auch bedeuten, dass der eine oder andere in Zukunft weniger Geld hat.

Das heißt also, man wird sehr sorgfältig durchrechnen müssen, wann man mit der Umstellung anfangen kann, wo man Bestandsgarantien geben muss, um zu verhin

dern, dass wirklich deutlich weniger Geld in der Tasche ist. Man wird abschätzen müssen, wie sich das Ganze bei entsprechenden Bemessungen sowohl in Ost als auch in West entwickeln wird.

Wenn man das, ich sage einmal, in einer ordentlichen Art und Weise macht, habe ich die Hoffnung, dass sich die Rentner in Ost und in West zukünftig gerecht und einheitlich behandelt fühlen. Ich glaube, das ist ein weiterer Schritt zum Zusammenwachsen unserer Republik; damit ist dann auch etwas Richtiges getan. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Dr. Hüskens. - Bevor wir den Beitrag der SPD-Fraktion durch die Fraktionsvorsitzende Budde hören, haben wir die Freude, Damen und Herren des Fördervereins Irrgarten Altjeßnitz zu begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Nun bitte Frau Budde.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Irrgarten passt ja ein bisschen zu der Problematik Rente. Wenn man wirklich in jede Fassette des Rentenrechts hineingeht und wenn man es allen recht machen und für alle gerecht gestalten will, dann ist das sicherlich ein sehr schwieriger und komplizierter Weg.

Trotzdem denke ich nicht nur, dass es fast 20 Jahre nach der Wende an der Zeit ist, das Thema „Rentenangleichung Ost und West“ auf den Tisch zu packen, sondern dass es im Grunde überfällig ist, darüber eine Diskussion zu führen. Deshalb unterstützen und begrüßen wir die Bundesratsinitiative der Bundesländer im Osten sehr, zumal sie sozusagen über alle Regierungsformen hinweg eine ostdeutsche Initiative ist.

Ungeachtet dessen muss es um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema gehen. Das Thema Rentenangleichung gehört nicht nur auf die politische Agenda in Berlin; wir müssen einfach auch anerkennen, dass die verschiedenen Rentenwerte in Ost und West als ganz große Ungerechtigkeit empfunden werden. Auch dass die neuen Bundesländer 18 Jahre nach der Einheit noch eine Sonderrentenzone Ost bilden, lässt viele der gegenwärtigen Rentner in dem Gefühl leben, Rentner zweiter Klasse zu sein.

(Zustimmung von Frau Mittendorf, SPD)

Das sagen uns die Rentnerinnen und Rentner in Briefen und in persönlichen Gesprächen. Dagegen muss etwas getan werden. Man kann es eben leider nicht mehr auf die lange Bank schieben - oder man darf es nicht mehr auf die lange Bank schieben; denn dann hat sich das Problem möglicherweise aus anderen Gründen erledigt.

Ich möchte mit einer Legende - das ist es zumindest aus meiner Sicht - aufräumen, die in diesem Zusammenhang immer wieder angesprochen wird, die auch mit Statistiken nachgewiesen werden kann. Hierin bin ich zum Teil mit meinen Kolleginnen und Kollegen auch nicht immer einig.

Es hält sich hartnäckig die Legende, dass die Rentner im Osten die Gewinner der Einheit seien. Man muss sich das ganz differenziert ansehen. Mit Sicherheit gibt es

viele Rentnerinnen und Rentner, die 1990/1991 nach einem vollen Berufsleben in der DDR einen guten Übergang in das Rentensystem gefunden haben. Wenn man sich aber die andere Gruppe anschaut, diejenigen, die heute Anfang/Mitte 70 sind, die zur Übergangszeit also 50 bis 55 Jahre alt waren, die über das System der Kurzarbeit oder des Vorruhestandes in Rente gegangen sind, dann kommt man zu dem Schluss, das Thema Rente sieht bei ihnen ganz anders aus.

Wenn man bei einem männlichen Rentner im Westen errechnet, dass der im Durchschnitt sogar weniger Rente bekommt als ein männlicher Rentner im Osten, dann muss man auch die Hintergründe beleuchten. Wenn man das etwa auf einen Diplomingenieur in der DDR umrechnet, der 40 Jahre lang als Diplomingenieur gearbeitet hat und dann im Alter von 56 Jahren in den Vorruhestand gegangen ist, stellt man fest, er bekommt vielleicht 60 % von dem, was er im Westen bei gleichem Berufsleben bekommen hätte.

Das Ergebnis, mit dem begründet wird, dass es den Rentnern im Osten besser ginge als denen im Westen, basiert lediglich auf Durchschnittszahlen. Wenn man aber in die einzelnen realen Berufsentwicklungen hineingeht, dann wird deutlich, dass es in dem System eine riesengroße Ungerechtigkeit gibt, zu der es natürlich immer dann kommt, wenn man solche Brüche und Übergänge hat.

Das muss man aber auch sagen, damit klar wird, warum es so stark als Ungerechtigkeit empfunden wird. Einige von uns haben - so wie ich - möglicherweise im privaten Umfeld Personen aus dieser Rentnergeneration, bei denen man das ganz genau nach- und ausrechnen kann.

Zur Wahrheit gehört auch - das hat die Ministerin schon angesprochen -, dass das Alterseinkommen in den westlichen Bundesländern eben nicht nur aus der staatlichen Rente besteht. Dann sind wir bei der Frage: Reden wir nur über Rente oder über Einkommen? Das wird man heute nicht mehr ausgleichen können. Aber es ist einfach eine Tatsache, dass das, was den ostdeutschen Rentnern als Rente zur Verfügung steht, wesentlich niedriger ist bei ähnlichem Berufsleben, als es in anderen Teilen der Bundesrepublik der Fall ist.

Dann kommt ein dritter Bereich - das macht es so schwierig zu diskutieren -, nämlich die Gruppe derjenigen, die heute ihre Beiträge erwirtschaften, erarbeiten und deren Beiträge heute hochgerechnet werden, weil es im Durchschnitt niedrigere Löhne und Gehälter im Osten gibt als in den westlichen Bundesländern, wo dafür Sorge getragen wird - zu Recht -, dass aus dieser wirtschaftlich schwierigen Situation nicht ein struktureller Nachteil bei den Renten, die in 20, 30 Jahren gezahlt werden, erwächst.

Das Problem, das wir alle damit haben, ist, dass dies als Junktim gesehen wird und dass wir nicht jeden Bereich einzeln diskutieren werden. Das ist - das will ich auch deutlich sagen - ein politisches Junktim. Das heißt, wir selbst machen daraus eine Verbindung und ein Junktim.

Wenn man sich die Rentengerechtigkeit bei den einzelnen Generationen ansehen und das einzeln aussteuern würde, dann würde das bedeuten, man müsste für jede dieser drei Gruppen eine eigene Lösung finden und dürfte nicht sozusagen die Nichtangleichung der einen mit der Verschlechterung oder der Verbesserung der anderen begründen. Das macht es so schwer.

Trotzdem muss die Diskussion jetzt zu einem Ende geführt werden, müssen Modelle auf den Tisch gelegt werden. Wir müssen auch versuchen, so viel Gerechtigkeit wie möglich walten zu lassen. Ich habe keine Ideallösung dafür. Es wird mit Sicherheit dadurch extrem schwer, dass ein Junktim zwischen diesen beiden Generationen besteht. Deshalb wird es immer die eine oder die andere Generation als ungerecht empfinden.

Trotzdem finde ich es gut, dass sich die ostdeutschen Bundesländer zusammengetan haben und gemeinsam diese Initiative ergreifen. Deshalb ist es zwar nicht nötig, dass darüber hier im Parlament diskutiert wird, aber ich glaube, es ist ein gut geübter Brauch, dass das Parlament bei solchen übergreifenden Themen durchaus die Stimme erhebt und zum Ausdruck bringt: Das finden wir richtig und das unterstützen wir. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Budde. - Nun erteile ich Frau Dirlich von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie werden sich sicherlich nicht wundern, wenn ich Ihnen sage, dass unsere Fraktion dieses Anliegen selbstverständlich unterstützt. Mehr noch: Die LINKE bzw. ihre Vorgängerin, die PDS, fordert schon seit vielen Jahren die Angleichung der Rentenwerte in Ost und West.

Wir tun das gern auch in diesem Landtag und öffentlich, weil wir denken, dass die Menschen in Sachsen-Anhalt wissen müssen, dass wir darüber diskutieren. Wir haben darüber hinaus die Möglichkeit, den einen oder anderen Tipp zu geben und eventuell an dem nachzubessern, was jetzt vorliegt.

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen für eine solche Angleichung. Ich möchte drei Gründe ausführen. Es hat in der Bundesrepublik Deutschland zwischen den Regionen immer Unterschiede in der Leistungsfähigkeit gegeben. Es hat aber nie in der Geschichte der Bundesrepublik ein geteiltes Rentengebiet gegeben; niemals gab es unterschiedliche Rentengebiete.

(Herr Tullner, CDU: Auch vorher nicht!)

Deutschland ist immer als ein Staat begriffen worden. Offensichtlich sind wir davon immer noch weit entfernt.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Leider muss ich sagen: Wir sind immer noch ein Land und ein Beitrittsgebiet.

So viel zu der Frage, wer die Spaltung zurzeit zementiert, weil Sie sich über diesen Ausdruck so gefreut haben. Offensichtlich waren die Behauptungen, dass man Deutschland - die DDR eingeschlossen - immer als e i n Land begreift, doch nicht ganz so ernst gemeint, zumindest nicht bei der Rente.

(Herr Tullner, CDU: Jetzt kommt ein bisschen Po- lemik rein, die man zurückhalten muss!)

Selbstverständlich könnte man längst ein einheitliches Rentengebiet haben, wenn man nämlich das Durchschnittseinkommen der gesamten Bundesrepublik berechnen würde. Das hat man nicht gewollt - aus gutem

Grund -, weil man es den Westdeutschen nicht antun wollte. Sie hätten dadurch nämlich Einbußen erlitten. Das konnte und wollte man ihnen nicht antun.

Wenn man das aber niemandem antun will, dann muss man sich irgendwann dazu bekennen, diese Verhältnisse dann, wenn die Angleichung der Lebensverhältnisse nicht so schnell geht, für den Teil der Bevölkerung, der nicht mehr die Möglichkeit hat, lange Jahre zu warten, heute zu ändern.