Protokoll der Sitzung vom 09.10.2008

Im Übrigen, Frau Tiedge, ist dieses Gesetz nach rechtsstaatlichen Grundsätzen im Lesungsprinzip im Bundestag zustande gekommen. Zu dem Rechtsstaat gehört auch, dass das Bundesverfassungsgericht diese Regelung überprüfen kann. Es kann sie für rechtswidrig oder für rechtmäßig halten.

Das ist unser rechtsstaatliches Empfinden. Hierdurch hat eine politische Zielrichtung der großen Koalition in Berlin ihren Niederschlag im Gesetz gefunden. Per se zu sagen, der Rechtsstaat sei damit in Gefahr, halte ich für einen unlauteren Ansatz.

Zu Ihnen von der FDP. Ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie in Berlin im Bundestag bei der Verabschiedung des Gesetzes politisch eine andere Auffassung hatten. Ich habe auch völliges Verständnis dafür, dass Sie nun versuchen, über die Landesparlamente im Wege der

Bundesratsinitiative, sozusagen im Wege der Nachspielzeit, mal zu gucken, ob man das nicht wieder wegorganisiert kriegt. Ich habe als rechtsstaatlich denkender Mensch auch Verständnis dafür, dass Sie mit Spannung die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten.

Aber wir sind nicht der Auffassung, dass man Gesetze, die im Bundestag beschlossen wurden und einigen von uns hier politisch nicht recht sind, am späten Freitagabend oder zu anderen Uhrzeiten wieder aufrollt, sie akademisch examiniert und möglicherweise über die Bundesratsinitiative infrage stellt. Diesbezüglich schließen wir uns der Auffassung der Ministerin an: Das wollen wir nicht. Das machen wir nicht.

Herr Kosmehl, weil Sie mich vorhin freundlicherweise auf meine verfassungsrechtlichen Kenntnisse aus den Vorlesungen hingewiesen haben: Bei der Wiederholung der Anträge in zig deutschen Parlamenten, die Sie wortgleich abgeschrieben haben, kann ich Ihnen nur sagen: Ich habe nicht nur beim Verfassungsrecht aufgepasst, ich habe auch bei Literatur aufgepasst. Goethe hat gesagt: Getretener Quark wird breit, nicht stark. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt eine Nachfrage von Frau Dr. Hüskens.

Gerade Ihr letzter Satz, Herr Stahlknecht, hat mich motiviert nachzufragen.

Wir haben vorhin mit einer Reihe von Fraktionen einen Antrag hier durchgestimmt, mit dem wir das Bundesgesetz zur Rentenregelung über eine Bundesratsinitiative verändern wollen. Sie haben gerade gesagt: So etwas machen wir nicht. - Können Sie mir den Widerspruch einmal kurz erklären?

Den Widerspruch kann ich Ihnen insoweit erklären, als es eine aus unserer Sicht in Berlin zweifelsfrei rechtmäßig entstandene Entscheidung ist, die von einer politischen Mehrheit getragen wird, während Sie im vorliegenden Fall nicht aus einem - sagen wir einmal - gesamtpolitischen Verständnis heraus diese Sache infrage stellen, sondern aus einer singulären politischen Entscheidung Ihrer Partei, weil Sie es parteipolitisch nicht wollen. Wenn Sie parteipolitisch für Ihre Partei etwas wollen, hat das noch nicht allgemeines Interesse für das gesamte System.

Bei der Rentenfrage sind wir der Auffassung, dass es nicht eine einzelpolitisch zu entscheidende Frage ist, sondern eine gesamtpolitische. Da ist ein breiterer Konsens zu verzeichnen als in diesem Einzelfall, bei dem Sie versuchen, Ihre eigenen Interessen zu wiederholen.

(Zuruf von der FDP)

Ich habe keine Frage mehr, sondern ich möchte intervenieren. - Ich fasse einmal die Logik zusammen: Wenn Herr Stahlknecht und die CDU etwas möchten, dann ist das gesamtpolitisch. Wenn jemand anders etwas möch

te, dann ist das singulär. Das finde ich außerordentlich interessant.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der LIN- KEN)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Dr. Brachmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der fortgeschrittenen Stunde möchte ich es kurz fassen und mich auf drei Anmerkungen beschränken.

Ich war vor reichlich 14 Tagen beim Deutschen Juristentag. Dort hat kein geringerer als der Bundespräsident die Eröffnungsrede gehalten und dabei folgenden Satz geprägt: Unser Streben nach Sicherheit darf uns nicht die Freiheit kosten.

Insoweit - Herr Wolpert nickt; jawohl - kann ich der Grundintention, die diesem wie auch manchem anderen FDP-Antrag, der hier in der letzten Zeit gestellt worden ist zugrunde liegt, durchaus folgen. Wir müssen konstatieren, dass es in den letzten Jahren auf dieser Strecke immer wieder Gesetze gegeben hat, die das Bundesverfassungsgericht erst einmal gerade rücken musste.

Die zweite Bemerkung: Genau bei diesem Gesetz, um das es hier aber geht - das hat, denke ich, Frau Ministerin ausführlich beschrieben -, ist versucht worden, das Abwägungsgebot umzusetzen, wie es das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat.

Dritte Anmerkung - hierbei bin ich reiner Pragmatiker -: Ich weiß auch, dass man Gesetze über eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen kann. Aber wenn der Ball im Bundestag bereits gespielt worden ist, dort, wo er eigentlich auch hingehört, dann müssen wir in den Landesparlamenten nicht nachtreten.

(Herr Stahlknecht, CDU: So ist es!)

Deshalb bin ich für die schleswig-holsteinische Lösung. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Für die FDP-Fraktion wird der Abgeordnete Herr Wolpert erwidern.

Das Zitat unseres Bundespräsidenten in allen Ehren. Ich bevorzuge da ein anderes. Es stammt von Aristoteles: Wer die Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zu Recht ein Sklave.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der LINKEN)

Aber es geht hierbei nicht um ein Abwägungsgebot. Es geht in erster Linie einfach um eine unsinnige Regelung. Das meinte ich vorhin mit dem Zwischenruf, der etwas despektierlich war.

Herr Stahlknecht, wenn Sie etwas länger im Anwaltsgeschäft wären, dann wüssten Sie, dass es nicht lebensfremd ist, dass Sie, wenn Sie über eine Scheidung sprechen, natürlich über strafrechtlich relevante Tatsachen unterrichtet werden. Natürlich werden Sie dann als An

walt überlegen müssen, ob Sie bei einer Vermögensauseinandersetzung zu einer Selbstanzeige bei den Finanzbehörden raten oder ob es dafür schon zu spät ist, ob Sie die Verteidigung übernehmen oder ob die eheliche Auseinandersetzung vielleicht doch etwas mit Raub und Erpressung zu tun hatte, um vielleicht Möbel herauszubekommen.

Das haben Sie aber als Anwalt alles noch nicht entschieden. Sie haben noch nicht einmal entschieden, ob Sie das Mandat übernehmen. Und Sie wollen schon wissen, ob ich ein Strafverteidiger bin und ob ich abgehört werden darf oder nicht. Es ist nicht lebensfremd, darüber zu sprechen.

Es kann nicht sein, dass Sie erst zum Strafverteidiger werden, wenn Sie sich mit einer Vollmacht beim Gericht gemeldet haben. Das muss schon dann möglich sein, wenn der Mandant zu Ihnen kommt und sagt: Ich habe ein Problem. Vielleicht hat das strafrechtliche Relevanz.

Vielleicht erkennen Sie das erst im Gespräch. Schon da besteht der Schutz. Der ist mit diesem Paragrafen nicht gewährt. Diese Unterscheidung ist nirgends festgeschrieben. Deshalb ist es auch nicht unsinnig darüber nachzudenken, ob der Bundestag in seiner unermesslichen Weisheit vielleicht auch einmal einen Unsinn beschlossen hat.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Natürlich rührt es die Grundfesten des demokratischen Staates an, wenn ich eine gute Presse von einer schlechten unterscheide und die gute Presse wird nicht abgehört, die schlechte schon. Diese Möglichkeit eröffnen Sie mit diesem Paragrafen.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Es ist nicht so lapidar zu sagen: Wir spielen hier nicht in der Nachspielzeit und wir treten nicht nach.

Wir haben das Instrument der Bundesratsinitiative. Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Das ist die Möglichkeit eines Landesparlamentes.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir als FDP nutzen das äußerst, äußerst selten. Aber in manchen Dingen ist es angemessen, einmal darauf hinzuweisen, auch wenn es zu später Stunde ist. Sie hätten es auch am Freitagnachmittag haben können. Aber es wurde ja vorgezogen, es ist die späte Stunde.

Aber es ist doch wichtig, dass man dieses Thema anpackt und sagt: Hier passiert Unsinn, hier wird übertrieben. Hier muss man die Sicherheit auch einmal ein bisschen zurückschrauben. Man muss nicht so viel Angst haben. Dem dient dieser Antrag. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Danke sehr, Herr Wolpert. - Damit ist die Debatte beendet und wir treten in das Abstimmungsverfahren über die Drs. 5/1540 ein. Eine Überweisung ist nicht beantragt worden. Also stimmen wir direkt darüber ab.

Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Fraktionen der FDP und der LINKEN. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist der Antrag abgelehnt worden und der Tagesordnungspunkt 22 ist erledigt.

Damit sind wir auch am Ende der 45. Sitzung des Landtages angekommen. Die 46. Sitzung beginnt morgen um 9 Uhr. Wir beginnen dann mit der Regierungsbefragung

und setzen die Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 2 fort. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.

Schluss der Sitzung: 19.05 Uhr.