Anlässlich des 67. Deutschen Juristentages in Erfurt betonte DAV-Präsident Rechtsanwalt Hartmut Kilger:
„Es gehe letztlich um den Wert der Freiheit und darum, wie der Rechtsstaat mit den durch sein Verhalten benachteiligten Menschen umgehe und wie er diese Opfer für das erlittene Unrecht angemessen entschädige. Der nunmehr fast 21 Jahre geltende Betrag sei mehr als kleinlich und schäbig. Diskussionen um eine Erhöhung auf unter oder auf nur 20 € seien dies ebenfalls. Man müsse sich fragen, ob der Begriff ‚Entschädigung’ nicht in diesem Zusammenhang verhöhnt werde, ob dem Staat die Freiheit nur 11 € wert sei.“
Bisher verwiesen einzelne Länder stets auf ihre prekäre Haushaltssituation, die eine Erhöhung der Entschädigungssumme nicht zulasse. Wir vertreten die Auffassung, dass etwaige Bedenken im Hinblick auf fiskalische Auswirkungen hierbei im Interesse der Justizopfer zurückzutreten haben.
Schauen wir über den Tellerrand der Bundesrepublik hinaus, so sehen wir, dass in Österreich seit Jahren in der Regel über 100 €, in den USA 55 $ Haftentschädigung pro Tag gezahlt werden.
Meine Damen und Herren! Die Neufestsetzung des Tagessatzes obliegt dem Bund. An der Notwendigkeit einer entsprechenden Anhebung dürften aus unserer Sicht keine Zweifel bestehen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam gegenüber der Bundesregierung und dem Bund eintreten für eine deutliche Anhebung der Haftentschädigungszahlungen.
Zwar ist Justitia blind und unterliegt menschlichem Ermessen, welches sie manchmal vom Pfad der Wahrheitsfindung abkommen lässt, aber Fehler sollten zumindest mittels angemessener Entschädigungen korrigiert werden. - Danke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über das Thema Erhöhung der Entschädigung für die immateriellen Schäden nach § 7 Abs. 3 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ist nicht neu. Der Strafrechtsausschuss beschäftigt sich seit vielen Jahren mit diesem Thema. Seit November letzten Jahres ist - ich möchte es ein wenig lax formulieren - wieder etwas Bewegung in die Diskussion gekommen. Seitdem gibt es nämlich Bemühungen seitens des BMJ, an dieser Stelle eine Veränderung herbeizuführen.
Es gab zunächst eine Länderumfrage des Bundesjustizministeriums. Alle Länder haben sich für eine moderate Anhebung der Haftentschädigung ausgesprochen. Es wird im Moment über Beträge zwischen 20 € und 25 € diskutiert. Das würde in etwa einer Verdoppelung des derzeitigen Betrages entsprechen.
Frau Tiedge, ich gebe Ihnen völlig Recht; von Angemessenheit kann hierbei nicht die Rede sein. Das kann allenfalls der Versuch einer Wiedergutmachung sein. Aber die Frage, die sich bei diesem Thema generell stellt, ist, ob es überhaupt eine angemessene Entschädigung für eine Freiheitsentziehung gibt, für die es eigentlich keinen Grund gab.
Ich freue mich jedenfalls, dass seitens der Länder in der Diskussion das bisherige Argument der fehlenden Finanzmittel infolge des Konsolidierungsbedarfs der Länderhaushalte nicht mehr vorgebracht wird. Aus meiner Sicht kann das eigentlich auch nicht das Argument sein. Wenn man sich die Angaben für Sachsen-Anhalt anschaut, dann stellt man fest, dass wir im Jahr 2007 38 000 € für Entschädigungszahlungen ausgegeben haben. Das entspricht 3 468 Hafttagen. Das ist eine vergleichsweise geringe Summe und zeigt auch im Ländervergleich, dass unsere Justiz offensichtlich sehr sorgfältig arbeitet und eine ungerechtfertigte Freiheitsentziehung nur im Einzelfall vorkommt.
Allerdings fordert die LINKE mit dem vorliegenden Antrag nicht nur die Erhöhung des Tageshaftkostensatzes. Es wird auch angeregt zu prüfen, inwieweit Modelle aus anderen Ländern übernommen werden könnten. Das bedeutete einen Systemwechsel. Wenn auf eine Pauschale für die Feststellung der Wiedergutmachung verzichtet würde und etwa die österreichische Regelung übernommen würde, würden wir uns in einem Rahmen bewegen, in dem mit sehr vielen unbestimmten Rechtsbegriffen im Einzelfall beurteilt werden muss, inwieweit ein bestimmter Betrag angemessen ist. Hierbei sollen die Dauer der Anhaltung sowie die persönlichen Verhältnisse der geschädigten Person und deren Änderungen durch die Festnahme oder Anhaltung berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren! Ich kann mir vorstellen, dass infolge dieser unbestimmten Rechtsbegriffe wiederum Arbeit für die Gerichte erwächst, die für diese Einzelfälle bestimmte Parameter und Kriterien festlegen müssen, sodass die bisherige schnelle und unbürokratische Feststellung der Höhe der Haftentschädigung nicht mehr möglich sein wird. Ich betone ausdrücklich, dass es uns nicht um den erhöhten Aufwand bei den Gerichten, sondern im Interesse der Opfer der Justiz darum geht, dass möglichst schnell und unbürokratisch ein Schadensausgleich stattfinden kann.
Ich halte diese Regelung auch aus einem anderen Grund für nicht gerechtfertigt. Damit würde nämlich auf die persönlichen Verhältnisse der geschädigten Person abgestellt. Darin sehe ich eine nicht geringe Gefahr, dass die Bemessung der persönlichen Haftempfindlichkeit der ehemals beschuldigten Person an deren sozialer Stellung ausgerichtet werden könnte. Insoweit entstehen daraus auch verfassungsrechtliche Probleme, die aus meiner Sicht diskutiert werden müssten.
Ich plädiere deshalb dafür, im bestehenden System zu bleiben. Ich werde mich im Rahmen der Justizministerkonferenz, die sich in der nächsten Woche ebenfalls mit diesem Thema beschäftigen wird, für eine moderate Erhöhung einsetzen. Das wird sicherlich auch seitens anderer Länder gemacht werden, sodass ich hoffe, dass das Bundesjustizministerium in absehbarer Zeit einen entsprechenden Entwurf vorlegt, an dessen Erarbeitung natürlich auch die Finanzminister beteiligt werden müssen, da es mit zusätzlichen Ausgaben für die Länder verbunden ist.
Ich denke, ich kann in einer der nächsten Sitzungen des Rechtsausschusses über die Ergebnisse dieser Diskussion berichten. Ich glaube, wir werden auch zu diesem Thema eine Regelung finden, auf die wir uns dann im Ausschuss verständigen können. - Danke.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben den Gesamtbetrag genannt, den Sachsen-Anhalt für die Haftentschädigung ausgibt, und die Anzahl der Hafttage, die entschädigt wurden. Haben Sie auch eine Angabe darüber, wie viele Personen das betrifft? Die Anzahl der Hafttage sagt noch nichts darüber aus, wie viele Betroffene es waren. Sie könnten die Antwort gegebenenfalls auch nachreichen.
Die Antwort würde ich bei Gelegenheit nachreichen. Die Anzahl der betroffenen Personen ist mir im Moment nicht bekannt.
Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Sturm. Zunächst habe ich die Freude, Damen und Herren des Stadtseniorenrates aus Bernburg auf der Nordtribüne begrüßen zu können.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit der Einführung durch ein Reichsgesetz vom 20. Mai 1898 betreffend die Entschädigung im Wiederaufnahmeverfahren ist nicht die Rede von Schadenersatz, sondern von einer Entschädigung, einem so genannten Opferausgleich, der weit weniger umfasst als den Ersatz des jeweiligen individuellen Schadens.
Wie hoch diese Entschädigung in Sachsen-Anhalt ist, wurde von Frau Tiedge bereits dargelegt, nämlich 11 € abzüglich der häuslichen Ersparnis für Essen und Logis, die mit ca. 6 € bis 7 € angesetzt wird. Bei Vermögensschäden gelten Sonderregelungen, die ganz offensichtlich nicht Gegenstand Ihres Antrages sind.
Wenn ich den Antrag richtig gelesen habe, geht es Ihnen lediglich um eine Erhöhung des Betrages in Höhe von 11 € für jeden Tag unschuldig erlittener Haft - Sie haben Recht, 11 € abzüglich der häuslichen Ersparnis sind sehr wenig -, der etwa den Start in ein freies Leben namhaft erleichtern könnte; denn, so haben Sie richtig weitergerechnet, das ergibt pro Jahr gerade einmal 1 500 €.
Sie wollen außerdem von einer Festschreibung von Pauschbeträgen wegkommen und stattdessen zu einer individuellen Schadenberechnung gelangen. Hierzu kann ich Ihnen bereits jetzt namens unserer Fraktion erklären: Dabei werden wir nicht mitmachen; denn, wie bereits ausgeführt, handelt es sich nicht um einen Schadenersatz, sondern um eine nach Billigkeitsgrundsätzen gewährte Entschädigung.
Gestern Abend kam bei mir eine Frage auf, die vielleicht ein bisschen spitz ist, aber auch einmal gestellt werden kann. Sie haben für die Wahl für das höchste Amt in Deutschland einen Herren gefunden, der aus unserem schönen Bundesland Sachsen-Anhalt kommt - das ist der einzige positive Aspekt dabei. Dieser Herr möchte den Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann nach eigenen Worten hinter Schloss und Riegel bringen, ohne jegliche rechtliche Grundlage. Wie hoch sollte das Tagegeld bzw. die Entschädigung für Josef Ackermann Ihrer Meinung nach sein? Er säße immerhin zu Unrecht im Gefängnis.
Würden wir an dieser Stelle eine individuelle Regulierung einführen, wären wir schnell bei einem allgemeinen Schadenersatz angelangt, den wir gerade nicht wollen, und wir würden ein Heer von Anwälten mit der Frage beschäftigen, ob der Ersatz ausreichend, ist, was wiederum eine Fülle von Gerichtsprozessen nach sich ziehen würde. Frau Kolb hat darauf bereits hingewiesen. Das kann nun wirklich nicht gewollt sein. Das sage ich auch bei allem Respekt vor denen, die schon einmal unschuldig einsaßen.
Was das Begehren der Fraktion DIE LINKE betrifft, die Tagesentschädigung in Höhe von 11 € heraufzusetzen, so liegt es nahe, erst einmal zu sondieren, wie die anderen Bundesländer darüber denken, die selbst nicht zuständig sind, aber über den Bundesrat mitwirken müssten.
Vor allem aber ist es wichtig zu wissen, was die hierfür zuständige Bundesregierung zu tun gedenkt. Sie schreiben in Ihrer Begründung selbst von einer Umfrage, die die Bundesregierung in Auftrag gegeben habe. Warten
Natürlich wäre es auch hilfreich gewesen, wenn Sie uns zu dem Antrag auch die Kosten hätten sagen können. Das hätte uns schon bedeutend weitergeholfen.
So lässt dieser Antrag viele Fragen offen. Ich beantrage namens unserer Fraktion, die Überweisung des Antrags an den Rechtsausschuss zur federführenden Beratung und an den Finanzausschuss. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion steht dem Antrag der LINKEN positiv gegenüber. Das verwundert nicht, ist es doch ein Antrag der FDP-Bundestagsfraktion vom 15. Oktober 2008,
Bei der Haftentschädigung, um die es hier geht, stellen sich im Grunde vier Fragen. Erstens: Warum entschädigen? Zweitens: Was entschädigen? Drittens: Wie entschädigen? Viertens: In welcher Höhe entschädigen?
Zu dem Warum, warum man entschädigt: Herr Sturm, das mag eine Billigkeitsregelung sein, aber der Europäische Gerichtshof hat eindeutig gesagt: Wer unschuldig im Knast sitzt, der hat einen Anspruch auf menschenrechtswürdige Entschädigung und nicht auf eine Billigkeitsregelung.
(Zustimmung bei der FDP - Herr Tullner, CDU: Was ist das? Was ist eine menschenrechtswürdi- ge Entschädigung?)
Dass man entschädigt, rührt aus der Unschuldsvermutung her, die auch Sie, Herr Tullner, für sich gern gelten lassen möchten.