Protokoll der Sitzung vom 13.11.2008

Auch die damalige PDS hat dies in der Zeit von 1994 bis 2002, in der sie aktiv an der Regierungspolitik beteiligt war, nicht aufgegriffen. Umso mehr wundere ich mich darüber, wie intensiv sie das heute begleitet.

Immerhin haben wir bei der gemeinsamen Beschulung einen doch merklichen Fortschritt erreicht. Im Jahr 2001 sind 202 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf mit anderen Schülern gemeinsam beschult worden, heute sind es bereits mehr als 1 300 Schüler. Diesen Fortschritt muss man anerkennen, vor allen Dingen dank der Beteiligten vor Ort.

(Zustimmung bei der FDP)

Das ist zwar in Bezug auf die 3 000 festgestellten Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf bei Weitem nicht ausreichend, es zeigt aber, dass die Strukturen, die geschaffen wurden, jetzt endlich greifen. Hieran müssen wir weiterhin kontinuierlich arbeiten - und das in den nächsten Jahren immer mehr.

Verehrte Damen und Herren! Ich möchte diese Debatte auch zum Anlass nehmen, zu dem Antrag der FDPFraktion einiges zu sagen, der sich indirekt auf diese Große Anfrage bezieht bzw. die gleiche oder eine ähnliche Thematik betrifft. Inhaltlich möchte ich zu diesem Antrag eigentlich gar nicht sehr viel sagen. Zunächst sollten wir, denke ich, über die angesprochenen Probleme im Ausschuss beraten. Das heißt, wir werden diesen Antrag an den Ausschuss überweisen.

Verwahren möchte ich mich aber dagegen, dass die Förderschulen als Sackgasse dargestellt werden. Wie ich bereits ausgeführt habe, gibt es sehr intensive Bemühungen, Förderschüler zu einem Schulabschluss zu bringen. Dies ist in stetig steigendem Umfang gelungen, wie man der Großen Anfrage entnehmen kann. Gleichwohl gibt es noch eine Vielzahl von Fördermöglichkeiten, die nach der Förderschule einsetzen. Diese sollten wir alle nicht vergessen; wir müssen sie intensiv nutzen und weiter unterstützen.

Es schaffen immerhin 80 % bis 85 % der Schüler, die einen Schulabschluss in den Förderschulen anstreben, diesen Abschluss, nämlich vorwiegend den Hauptschulabschluss. Ich denke, das ist schon eine anzuerkennende Größe.

Eines darf jedoch nicht sein - ich muss an dieser Stelle sagen, das ist für mich ein riesengroßes Problem -: dass die Förderschüler zwar zu einem anerkannten Schulabschluss kommen - das ist allgemeiner Tenor in diesem Haus -, dann aber aus jeglicher Anschlussförderung herausfallen. Das ist ein riesiges Problem; denn die Agentur geht mit diesen Schülern wie mit Schülern aus den allgemeinbildenden Schulen um: Sie bekommen bei der Arbeitsvermittlung, in der Ausbildung usw. keine gesonderte Förderung mehr. Das ist ein Problem, über welches das Kultusministerium gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium beraten müsste. Es muss sichergestellt werden, dass es solche Dinge nicht mehr gibt.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir streben für die Schüler einen Abschluss an und die Schüler fallen dann nach dem Schulabschluss hinten runter. Das können wir in diesem Hause doch nicht hinnehmen; denn wir wollen dem Schüler langfristig helfen. Das ist unser großes Ziel.

Bezüglich der in dem Antrag der FDP-Fraktion gestellten Forderungen sollten wir erst einmal eine Bestandsaufnahme machen. Ich denke, es wäre ganz wichtig, die

Frage zu klären, ob die von Ihnen, Herr Kley, genannten Kritikpunkte wirklich zutreffen. - Herr Kley, vielleicht ein letztes Wort; ich habe Sie ganz explizit angesprochen, dann bin ich auch motiviert, über Ihren Antrag zu diskutieren. Ich glaube Sie verstehen das. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Feußner, herzlichen Dank für Ihren Beitrag. - Nun hat der Fragesteller noch einmal das Wort. Frau Bull, bitte schön, Sie können reden.

Ich habe nur noch drei Bemerkungen. - Ja, Frau Feußner, Sie haben Recht, wie die DDR mit behinderten Menschen umgegangen ist, das war ein Skandal. Ich kenne niemanden in meiner Partei, der darauf stolz ist. Das spricht uns aber nicht die Legitimation dafür ab, das heute anders zu sehen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Im Übrigen gab es solche Entwicklungen auch in der „alten“ Bundesrepublik, aber die haben sehr viele Jahre früher angefangen, dort Ordnung zu schaffen.

Ich will noch eine Bemerkung zu dem Begriff „soziale Behinderungen“ machen, weil ich Ihnen natürlich Ihren Pappkameraden nicht gönne. Mit der Sprache lassen sich Dinge auf den Punkt bringen, mit der Sprache kann man auch allerlei Stolpersteine legen. Aus diesem Grunde hat die Behindertenbewegung selber den Satz geprägt: Wir sind nicht behindert, sondern wir werden behindert. Das ist nämlich ebenso ein sprachlicher Stolperstein.

In Anlehnung daran - damit keine Missverständnisse bestehen bleiben - will ich sagen: Die Schülerinnen und Schüler, von denen ich sprach, sind nicht sozial behindert, sondern sie wurden und sie werden sozial behindert.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Stolperstein ermöglicht nämlich auch einen Perspektivenwechsel, nämlich zu sagen: Es geht nicht darum, dass ein Kind ein Merkmal hat, sondern es geht darum, wie sein soziales Umfeld mit diesem Merkmal umgeht.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

Ich will noch eine zweite Bemerkung machen, die die Gemüter hier schon das letzte Mal arg erhitzt hatte. Es handelt sich um die Frage des Umgangs mit dem Stigma. Man kann dabei immer zweierlei Dinge tun. Man kann es zum einen verschweigen. Man kann sich anpassen. Das ist eine ganz bekannte Stigma-Strategie: nicht auffallen. Dazu passt dann auch die Argumentation, man sollte die Begriffe nicht verwenden. Nur, meine Damen und Herren, dann müsste ich auch auf den Begriff „Behinderung“ verzichten.

Und ich habe eine zweite Möglichkeit, indem ich die Begriffe offensiv nutze, mich damit offensiv auseinandersetze. Das hat auch seinen Preis, das will ich nicht verschweigen. Aber ich gehöre zu denen, die der letzteren Strategie deutlich mehr Potenzial für den gesellschaftlichen Wandel zutrauen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Deswegen ist es die meine, die unsere.

Eine letzte Bemerkung noch zu der Frage der Einigkeit. Dazu hatten wir letztens einen Disput mit dem Behindertenbeauftragten der Landesregierung, weil dieser auch der Auffassung war, wir seien uns bei der Frage der Integration ja alle einig.

Wir sind uns hierüber nicht einig, meine Damen und Herren. Das können wir auch gar nicht. Damit habe ich auch kein Problem. Das liegt einfach daran, dass in dem System der Förderschulen die Kritik am gegliederten Schulsystem und damit auch die Frage, die zwischen uns so arg strittig ist, kulminiert. Deswegen können wir uns darin nicht einig sein.

Wir sind uns einig darin, dass der Zustand so, wie er ist, nicht bleiben kann. Aber wir sind uns nicht einig in der Frage, wie wir diesen Zustand beseitigen können und wie weit wir ihn beseitigen sollten - das vor allem ist die strittige Frage.

Ein Indiz für diese strittige Frage - auch in der Gesellschaft - ist eben der Umgang mit der UN-Konvention, den Sie beschrieben haben. In der englischen Version stand tatsächlich etwas von „inklusiver Bildung“. Aber die Kultusministerkonferenz hat sich sehr schnell auf den Weg gemacht, den Begriff „Inklusion“ durch „Integration“ zu ersetzen. Das kann ich mir auch gut vorstellen.

Man kann über den Begriff streiten, wie man will. Das können wir einmal machen; jetzt würde das aber zu weit führen. Der Begriff „Integration“ ist so weit ruiniert - - Der „olle Strauß“ hat einmal gesagt: Man braucht die Grundsätze nur so hoch zu hängen, dass jeder darunter durchgehen kann. Genau das ist mit diesem Begriff passiert.

Wenn Sie sich einmal die Denkschrift der Bundesregierung ansehen zu diesem Artikel 24, dann sehen Sie, dass dort der Istzustand beschrieben wurde und dass daraus keinesfalls mehr Veränderungsbedarf interpretierbar oder ableitbar, geschweige denn anstrebbar wäre. Diesbezüglich halte ich es überhaupt nicht mit Ihrer Einigkeit.

Ansonsten will ich mich insbesondere in einer Frage meiner Vorrednerin anschließen: in der Frage der Fortsetzung. Das Dilemma ist ja tatsächlich folgendes: Wenn wir pädagogisch wollen, dass der Status der Behinderung irgendwann einmal aufgehoben wird, dann ist das für die betreffenden Schülerinnen und Schüler ein Dilemma; denn wenn sie zur Agentur kommen, ist genau diese Kategorie „Behinderung“ die Voraussetzung, die einen Rechtsanspruch begründet.

(Frau Feußner, CDU: Genau!)

Das ist die Schwierigkeit.

Ansonsten nehme ich eines schon vorweg: Auch wir sind dafür, den Antrag der FDP an den Ausschuss zu überweisen. Dort schlummern ja mehrere Vorstellungen, auch irgendwann die der Landesregierung. Ich hoffe in diesem Sinne auf eine sachliche, meinetwegen auch kontroverse Debatte im Bildungsausschuss.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Frau Bud- de, SPD)

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Ich sehe jetzt keine weiteren Wortmeldungen. Damit wären wir am

Ende der Aussprache zur Großen Anfrage und können den Tagesordnungspunkt 1 verlassen. Es ist sehr schön, dass wir gleich den nächsten Tagesordnungspunkt mit einbezogen haben, sodass wir vielleicht sehr zügig zur Mittagspause kommen. Aber jetzt müssen wir erst noch arbeiten.

Meine Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt 1 ist abgeschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Erste Beratung

Chancen für alle

Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 5/1579

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Kley von der FDP. Sie haben das Wort. Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sicherlich kann man bei diesem Antrag voraussetzen, dass das Auditorium nach der eben abgeschlossenen Debatte zur Großen Anfrage im Wesentlichen für dieses problematische Thema des Sonderförderbedarfs sensibilisiert ist.

Unser Antrag bezieht sich darauf, dass sich seit dem Jahr 2003 in diesem Land eine Entwicklung vollzogen hat, die es unbedingt notwendig macht, eine Evaluation des bisher Getätigten, des Geschehenen durchzuführen und entsprechend nachzusteuern.

Schaut man sich die ursprünglichen Konzepte für die Förderzentren an, die - darauf ist vorhin hingewiesen worden - durchaus ein Erfolgsmodell sind, dann stellt man fest, dass zum damaligen Zeitpunkt davon ausgegangen wurde, dass möglicherweise e i n e Lernbehindertenschule mit e i n e r Geistigbehindertenschule und e i n e r Grundschule zusammenarbeiten und das Förderzentrum bilden. Das war die Grundkonzeption und darauf ist sicherlich auch vieles ausgerichtet.

Sehen wir uns heute die Realität an, dann stellen wir fest, dass in einigen Gebieten unseres Landes zunehmend mehr Schulen des allgemeinen Bildungsganges in Förderzentren zusammenarbeiten und dass an dieser Stelle natürlich auch ein erhöhter Bedarf an Kooperation, an Zusammenarbeit, aber eben auch ein erhöhter Bedarf an Betreuung zu verzeichnen ist.

Zunehmend mehr Eltern wissen, dass sie das Recht haben, einen Antrag auf den gemeinsamen Unterricht zu stellen, und nehmen dieses wahr. Die Schulen - das ist an dieser Stelle auch positiv zu verzeichnen - stellen sich dieser Aufgabe auch. Die normalen Grundschulen und die Sekundarschulen sagen sich: Wenn wir unseren Bestand rechtfertigen wollen, dann müssen wir auch diese Form der Beschulung anbieten, dann müssen wir uns der Herausforderung stellen. So hat man allgemein auch einen positiven Wechsel in der Grundauffassung, wie man mit Schülern mit Förderschwerpunkten umzugehen hat.

Schaut man allerdings einmal in die Realität, hat es nicht überall in Gänze funktioniert. Deswegen ist unser Antrag auch in der Grundaussage darauf angelegt, an der einen

oder anderen Stelle nachzuregeln, um das zu erreichen, was vielleicht erreicht werden sollte, oder um auf Probleme aufmerksam zu machen, die vor oder nach der Schule entstehen.