Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

Es wird klar aufgezeigt, wo es hingehen soll. Das alles geschieht unter der Bedingung, dass wir in den nächsten beiden Jahren über eine 1 Milliarde € Schulden aufnehmen. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, dass dieses Geld in absehbarer Zeit auch nicht zur Verfügung steht. Wie reagieren wir dann in einer solchen Situation, was kommt dann auf die Kommunen und andere zu?

Es gibt ein Argument - das ist mir aus der SPD des Öfteren entgegengehalten worden -: Diese Schuldenbremse, für die Sie im Bundestag gestimmt haben, wäre eine Steuersenkungsbremse. Dazu sage ich: Diesen Gedanken würde ich am Anfang gar nicht so weit wegdrücken; denn die Idee ist, dass man, wenn man keine Schulden aufnehmen darf, die Steuern erst dann senken kann, wenn man dafür genug Geld in der Kasse hat. Das ist eigentlich logisch.

Nur, das politische System der Bundesrepublik Deutschland hat sich daran bisher auch nicht gestört. Die Eichel’sche Steuerreform ist in einem System umgesetzt worden, in dem es noch ein strukturelles Defizit gegeben hat. Trotzdem sind massiv Steuerentlastungen realisiert worden.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich glaube nicht daran. Wenn ich mir die Diskussionen im Vorfeld des Wahlkampfes zur Bundestagswahl ansehe, dann ist die FDP ganz klar und immer für Steuersenkungen, aber die CDU und die CSU sind es inzwischen auch. Dieselben Leute, die bei der CSU - das muss man wissen - diese Schuldenbremse noch einmal radikal angezogen haben und eine Null für die Länder organisiert haben, sind auch diejenigen, die am schärfsten und radikalsten für Steuersenkungen eintreten.

Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Deswegen wird diese Schuldenbremse genau dieses Problem nicht lösen. Das ist das politische Problem, vor dem wir stehen: auf der einen Seite die Steuersenkungen und auf der anderen Seite die Schuldenbremse.

Wo bleibt die politische Handlungsfähigkeit des Staates? Wo bleiben die Ressourcen, die er benötigt, um zumindest die sozialen Folgekosten dieser Entwicklung auszugleichen? - Er hat sie nicht. Wir treiben ihn in eine Situation, in der er nicht handlungsfähig ist. Das kann doch nicht unser Ziel sein. Deswegen ist die Schuldenbremse an dieser Stelle falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will etwas zu dem Verhalten der Landesregierung im Bundesrat im engeren Sinne sagen. Wir haben im Rah

men der letzten Sitzung das Grundgesetz mit seiner Gewaltenteilung, unter anderem der klassischen Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative, hoch gelobt. Ich sage ausdrücklich: Dieses Verfahren hat diese Gewaltenteilung schwer beschädigt und verletzt. Das Budgetrecht ist ganz klar eines der wesentlichen und wichtigsten Rechte, die die Legislative in einem solchen Land hat, nämlich in einem Land, das im föderalen System ohnehin eher ein Exekutivorgan ist, aber das Budgetrecht im Land hat. Das ist eine der ganz entscheidenden Möglichkeiten bzw. einer der entscheidenden Bereiche, um als Parlament wirklich Einfluss auf die Politik nehmen zu können.

Die Exekutive ist dazu da, das, was die Legislative beschließt, auszuführen - „executive“ -, das umzusetzen. Und wir haben in dieser Situation bei der Bundesratsentscheidung genau das umgekehrte Problem: Die Landesregierungen beschließen, das Budgetrecht der Landtage zu beschneiden, und zwar substanziell und radikal, ja, sie ein Stück weit zu entmündigen. Und wir lassen uns das gefallen. Das kann ich nicht akzeptieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun mag es Landtage in dieser Bundesrepublik geben, die aus Angst vor sich selbst solche Beschneidungen wollen nach dem Motto: Ich brauche jemanden, der mir verbietet, Schulden zu beschließen. - Das halte ich ohnehin schon für eine Selbstentmündigung ohnegleichen. Aber meinetwegen, die soll es geben.

Nur, liebe Kollegen aus der Landesregierung, lieber Herr Böhmer, lieber Herr Bullerjahn, wenn Sie denn sicher gewesen wären, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt dies wollte, warum haben Sie es ihn nicht beschließen lassen? - Die Kollegen der CDU hätten einmal einen solchen Antrag einbringen können: Wir unterstützen die Landesregierung, im Bundesrat dieser Schuldenregelung zuzustimmen.

Einen solchen Antrag kenne ich nicht. Aber ich kenne die Reden meiner Fraktionsvorsitzendenkollegin von der SPD, die sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen hat. Jetzt nehme ich das, was Frau Budde gesagt hat, einmal ernst - das mache ich immer; ich nehme immer ernst, was Frau Budde sagt, auch wenn sie mich jetzt böse anschaut - und ich denke mir, sie wird für ihre Fraktion gesprochen haben.

Das bedeutet, dass Sie im Landtag von Sachsen-Anhalt für diese Position keine Mehrheit hatten. Ich sage ausdrücklich: Eine solch substanzielle Beschneidung der Kompetenzen des Landtages gegen die Mehrheit, vermutlich gegen die Mehrheit einer solchen Institution - -

(Herr Tullner, CDU: Vermutlich, okay!)

- Gegen die vermutliche Mehrheit, wenn ich Frau Budde ernst nehme in ihrer Position. Das tun Sie doch sicherlich auch, Herr Tullner.

(Herr Tullner, CDU: Immer!)

- Eben. Als Koalitionspartner sind Sie sowieso dazu verpflichtet. - An dieser Stelle ist es doch wohl ganz klar, dass wir ein Missverhältnis haben zwischen dem, was die Exekutive im Bundesrat getan hat, und dem, was der Legislative eigentlich zusteht. Dazu sage ich: Das ist das zentrale Problem, sozusagen die Störung des politischen Gleichgewichts zwischen den Institutionen.

Ich kenne natürlich auch die Aussage: Herr Gallert, wenn Sie damit Probleme haben, gehen Sie doch zum

Landesverfassungsgericht. - Das ist ein Problem für mich. Denn inzwischen ist es in der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich eine Art Sport, erst ein Gesetz zu machen und dann zu schauen, ob es standhält. Das ist sozusagen die Schäuble-Variante: Wir versuchen erst einmal, das durchzusetzen, vielleicht bleibt ein bisschen davon übrig.

An dieser Stelle sage ich ausdrücklich: Wenn man als Politiker selbst die Vermutung hat, das, was man beschließt, könnte eventuell gegen das Grundgesetz, könnte eventuell gegen die Landesverfassung verstoßen, dann muss man doch schon vorher die Finger davon lassen. Ich frage mich auch, wohin die Verrohung der politischen Sitten führen soll, wenn man einfach sagt: Wir versuchen es einmal; vielleicht haben wir wieder gegen die Verfassung verstoßen, aber dann ist es auch nicht so schlimm.

(Zustimmung bei der LINKEN)

An dieser Stelle sage ich: Das kann nicht wirklich unser Umgang mit dieser Situation sein. Deswegen glaube ich - das sage ich ausdrücklich -: Das, was hierzu im Bundesrat beschlossen worden ist, wofür Sachsen-Anhalt mit seinen Stimmen zur Mehrheit beigetragen hat, ist sozialökonomisch falsch, politisch falsch und juristisch in höchstem Maße bedenklich.

Wir kritisieren ausdrücklich das Verhalten der Landesregierung hierzu im Bundesrat. So werden wir die Probleme des Landes Sachsen-Anhalt nicht lösen. Die sozialen, ökonomischen und kulturellen Probleme dieses Landes brauchen einen handlungsfähigen Landtag, brauchen einen handlungsfähigen öffentlichen Haushalt und brauchen Spielräume, um auf diese Dinge zu reagieren. Und dafür ist die Schuldenbremse nicht die Lösung; die Schuldenbremse ist der nächste Fehler. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung auf der Tri- büne)

Vielen Dank, Herr Gallert, für den Beitrag der Fraktion DIE LINKE. - Wir kommen jetzt zum Beitrag der CDU. Der Fraktionsvorsitzende Herr Scharf hat das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Finanz- und die Wirtschaftskrise sowie deren Auswirkungen gehen auch an Sachsen-Anhalt nicht spurlos vorüber. Die Finanzkrise mit ihren bisherigen Szenarien, die wir in der Vergangenheit so nicht kannten, führte anfangs zu nicht konkret greifbaren internationalen Verwicklungen. Und über die globalen Auswirkungen werden wir die Folgen auch national und lokal zu spüren bekommen.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise beschäftigt daher alle politischen und wirtschaftlichen Ebenen in SachsenAnhalt und fordert sie zum Handeln auf. Der Ministerpräsident hat aus dem Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung zitiert, sodass wir erahnen können, was in diesem Jahr und auch im nächsten Jahr auf uns zukommen wird.

Die Überwindung der Finanzkrise ist nur durch angemessene finanzpolitische Maßnahmen möglich. Dazu müssen wir einen Spagat vollbringen, einen Spagat, bei

dem einerseits die Konjunktur belebt wird und bei dem andererseits unnötige zusätzliche, insbesondere nicht notwendige konsumtive Ausgaben, die uns langfristig binden, reduziert werden. Das heißt, die Maßnahmen sollen im Sinne einer nachhaltigen und langfristig tragbaren öffentlichen Finanzverfassung sein und gleichzeitig verantwortungsbewusst nicht den Weichenstellungen für künftige Generationen entgegenstehen.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Denn wir können uns jetzt nicht erkaufen, was die zukünftige Generation bezahlen muss.

Ganz kurz der Finanzstatus des Landes Sachsen-Anhalt - der eine oder andere hat ihn vielleicht vergessen -: Das Haushaltsvolumen umfasst 10 Milliarden €, allein auf Personalausgaben entfallen ca. 2,3 Milliarden €, wir haben Zinsausgaben in Höhe von knapp 1 Milliarde €. Man überlege sich nur, was geringe Zinsschwankungen nach oben für unseren Haushalt bedeuten. Wir können diesen Zahlungsverpflichtungen dann nicht ausweichen.

Wir haben eine Schuldenlast in Höhe von 20 Milliarden € zu tragen, das entspricht 8 269 € pro Einwohner. Das jährlich erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt beläuft sich auf ca. 50 Milliarden € und das bedeutet, dass wir damit noch immer bei einem Anteil von 71 % der durchschnittlichen Wirtschaftskraft der alten Bundesländer liegen. Das heißt, der Aufholprozess ist noch längst nicht beendet, wir haben noch einen erheblichen Nachholbedarf. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, meine Damen und Herren.

Wenn Herr Gallert jetzt die so ruhmreiche Zeit der rotroten Tolerierung am Ende der 90er-Jahre in SachsenAnhalt hervorgehoben hat, so will ich nur mit zwei Zahlen aufwarten: Wir hatten Ende 1994 noch einen Schuldenstand von ungefähr 5,9 Milliarden €; im Jahr 2002, als die CDU und die FDP die Regierungsverantwortung in Sachsen-Anhalt übernommen haben, haben wir einen Schuldenstand von fast 16 Milliarden € gehabt.

(Hört, hört! bei der CDU)

Was ist in der Zwischenzeit passiert? - Das ist zum Teil auch bundespolitischen Entwicklungen zuzurechnen, weil es zwischenzeitlich auch eine wirtschaftspolitisch schwierige Zeit gab. Aber, Herr Gallert, den großen Schluck aus der Pulle, den haben Sie genommen.

(Zustimmung bei der CDU)

Das, meine Damen und Herren, ist in den Jahresberichten durchaus nachlesbar.

Meine Damen und Herren! Haushaltspolitik ist kein Selbstzweck. Sie dient der Umsetzung politischer Ziele. Für mich ist das am besten beschriebene politische Langzeitziel immer noch der Lissabon-Prozess. Diesen sollten wir beherzt umsetzen und diesem Prozess sollten wir auch in Sachsen-Anhalt alle anderen Entscheidungen nachordnen, meine Damen und Herren.

Das heißt, wir sollten uns dafür einsetzen, dass Europa - und damit auch Sachsen-Anhalt - zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt wird bzw. dazu gehört. Wenn wir dieses Ziel nicht erreichen, meine Damen und Herren, dann können wir alle anderen schönen Reden in diesem Lande vergessen.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Dr. Klein, DIE LINKE)

Dieses Ziel ist nur mit wohlgeordneten öffentlichen Finanzen erreichbar, nicht gegen sie, wie einige Akteure hier meinten. Wenn die Rede von Herrn Bullerjahn heute eines bewirkt hat, dann das: Alle Verantwortlichen in diesem Hause sind - denke ich - motiviert, sich dafür einzusetzen, dass DIE LINIKE möglichst nichts in diesem Hause zu sagen hat, was mit Geldausgeben zu tun hat.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Tullner, CDU: Das war Herr Gallert, nicht Herr Bullerjahn! - Zu- rufe von der SPD)

- Ich meine Herrn Gallert. Dann bitte ich herzlich um Entschuldigung. Sie kommen an anderer Stelle in meiner Rede vor, in einem anderen Zusammenhang.

Meine Damen und Herren! Wir müssen es schaffen, mit einer vernünftigen Haushaltsstrategie wohlgeordnete öffentliche Finanzen zu erzeugen, um Arbeitsplätze und Wohlstand auf Dauer in diesem Land zu sichern. Schuldenmachen, meine Damen und Herren, ist jetzt und in Zukunft unsozial. Niemand kann auf Dauer mehr ausgeben als er einnimmt, auch nicht der Staat.

Wir müssen in der Krise gegensteuern, weil die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur auch während der Krise auf hohem Niveau beibehalten werden müssen, und wir müssen Wirtschaftswachstum jetzt und in Zukunft gewährleisten. Um diesen Widerspruch auflösen zu können, meine Damen und Herren, müssen wir anerkennen, dass wir uns eigentlich nur noch nachhaltige Investitionen leisten können. Denn sonst werden wir Wachstum und Vermeidung von Verschuldung nicht in Einklang bringen können, meine Damen und Herren.

Ich möchte an dieser Stelle auch der irrtümlichen These deutlich entgegentreten, dass die immerwährende Forderung nach Wirtschaftswachstum selbst eine der Ursachen für die Krise gewesen sei, in der wir uns im Moment befinden. Ich bin hingegen der Auffassung, dass Wachstum jetzt und in Zukunft möglich und notwendig ist. Freilich geht es dabei nicht um einen platten Fortschrittsglauben. Aber es ist nicht so, wie es immer behauptet wird, dass Wachstum in einer begrenzten Welt auf Dauer nicht möglich wäre.

Freilich werden wir uns schnell darüber einig werden, dass es verboten sein muss, Wirtschaftswachstum auf Kosten künftiger Generationen durchzuführen. Das heißt, der Begriff der Nachhaltigkeit ist zu Recht irreversibel in jede seriöse politische Langzeitbetrachtung eingeführt worden. Er muss auch in die Finanzpolitik in Sachsen-Anhalt irreversibel eingeführt werden.

(Zustimmung bei der CDU)