Protokoll der Sitzung vom 19.06.2009

(Herr Miesterfeldt, SPD: Aber zunächst ist Herr Gallert dran!)

Bitte schön.

Herr Franke, Sie haben permanent kritisiert, dass es eine Staatsrettung für Arcandor geben würde und dass diese von irgendjemandem offensiv avisiert worden wäre. Bisher habe ich die Debatte allerdings nicht zwingend so verstanden. Deswegen frage ich mich, auf welchen Pappkameraden Sie sich gerade eingeschossen haben. Ich habe weder den Kollegen Haseloff noch den Kollegen Bischoff so verstanden, dass eine Staatsbeteiligung für dieses Unternehmen avisiert wird.

Das zweite Problem habe ich damit, dass Sie sagen, es gebe eine Reihe von Staatsrettungen: Hypo Real Estate, Commerzbank, Opel und nun Arcandor. Ich gehe davon aus, dass die eigentlich nicht zur Debatte stehende Staatsrettung von Arcandor von Ihnen kritisiert worden ist. Kritisieren Sie denn die Rettung der Commerzbank und der Hypo Real Estate in gleicher Art und Weise? - Dies hatte ich aus den Positionen der FDP so bisher nicht entnommen.

(Zustimmung bei der SPD)

Zu Ihrer ersten Frage. Ich glaube, wenn Sie die Begründung zum Antrag auf die Aktuelle Debatte gelesen haben, dann wird Ihnen auch klar gewesen sein, in welche Richtung der Antrag zielte.

(Frau Budde, SPD: Dann sind Sie sicherlich ent- täuscht, dass es nicht die Richtung war, die Sie herauslesen wollten! - Zuruf von Herrn Bischoff, SPD- Frau Dr. Hüskens, FDP: Lassen Sie ihn ausreden!)

Herr Franke, Sie haben das Wort.

Danke. - Zur zweiten Frage. Hypo Real Estate ist eine Systembank, die sicherlich durch den Staat mit Hilfen unterstützt werden musste. Bei allen anderen - das sage ich Ihnen ganz ehrlich -, auch bei Opel, halte es ich für zweifelhaft, wie die Wege zur Rettung bzw. wie die Unterstützung von Opel erfolgt ist. Dass das für Opel pers

pektivisch eine sichere Bank ist, um zu überleben, wage ich nach wie vor zu bezweifeln. - Ich glaube, Herr Miesterfeldt wollte noch etwas sagen.

Dann erteile ich jetzt Herrn Miesterfeldt das Wort. Bitte schön.

Herr Kollege Franke, können wir uns darauf einigen, dass 250 bis 300 Mitarbeiter zum Mittelstand gehören? Meine Frage lautet wie folgt: Ist es vor diesem Hintergrund weise, sie gegen den Mittelstand auszuspielen? - Das Gegenteil von „weise“ habe ich in der Schule gelernt.

Ich denke, an dieser Stelle geht es nicht um Ausspielen, Herr Miesterfeldt. Genau wie für Sie ist für mich jeder Arbeitsplatz in Sachsen-Anhalt wertvoll. Und ich werde mich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Ein Ausspielen zwischen Großunternehmen und Mittelstand sehe ich an dieser Stelle nicht.

Aber wir können nicht sagen, wir retten Großunternehmen und große Strukturen, die aufgrund des Missmanagements im Unternehmen in die Schieflage geraten sind, und bei dem kleinen Einzelhändler neben Karstadt, der Mitarbeiter entlassen muss und schließen muss, schauen wir weg, das interessiert niemanden.

(Beifall bei der FDP - Frau Fischer, SPD: Das ist nicht wahr! - Zuruf von Herrn Bischoff, SPD)

Ich sehe keine weiteren Fragen, meine Damen und Herren. Wir kommen zum Beitrag der Fraktion DIE LINKE. Frau Rogée, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, darüber, ob die Aktuelle Debatte sinnvoll ist oder nicht, sollten wir heute überhaupt nicht streiten.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Die Beschäftigten sind auch Bürger dieses Landes und Wähler. Sie wollen von uns lediglich wissen, wie wir diesen Vorgang sehen. Darauf wollen sie eine Antwort haben. Deswegen sind auch die Betriebsräte anwesend.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Meine Fraktion hält diese Aktuelle Debatte sehr wohl für angemessen. Die Anwesenheit der Beschäftigten der Karstadt-Häuser aus Magdeburg und Dessau sowie des Quelle Communication Centers Magdeburg GmbH zeigt das große Interesse und die Hoffnung auf Unterstützung mit dem Ziel der weiteren Existenz der Häuser und vor allem der Arbeitsplätze. All das, was in den vergangenen Wochen passiert ist, sorgt für Unsicherheit und Existenzangst.

Ich finde es richtig, dass sich die Beschäftigten öffentlich dagegen zur Wehr gesetzt haben. Jetzt ist wirklich nicht die Zeit für Arbeitnehmerinnen, Verzicht zu üben und die Hände in den Schoß zu legen. Ja, die Krise wird auch in

Sachsen-Anhalt sichtbar, Herr Minister; dagegen hilft kein Gesundbeten. Wir sollten uns offensiv mit den jetzigen Entwicklungen beschäftigen und auch versuchen, für andere Bereiche Lösungen zu finden.

Die Anzahl der Insolvenzen in Deutschland - diese Zahlen aus dem Internet lagen mir vor - hat sich in dem Zeitraum von 1993 bis 2006 von 15 148 auf 31 300 verdoppelt. Für Mai 2009 war Folgendes in der Presse zu lesen - ich zitiere -:

„Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Firmen je Bundesland gingen Unternehmen aus Bremen am häufigsten pleite, nämlich 32 je 10 000 Firmen, gefolgt von Sachsen-Anhalt (29) und SchleswigHolstein (28). Die wenigsten Firmeninsolvenzen wurden aus Hamburg und Bayern mit jeweils 13 Fällen je 10 000 Unternehmen gemeldet.“

Wir stehen somit an vorletzter Stelle, und das, obwohl Sie als Wettbewerbsvorteil immer wieder die Arbeitnehmer als billige Arbeitskräfte verkaufen. In Bayern und Hamburg werden die Arbeitnehmer nicht so verhökert.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun haben wir in unserem Land Unternehmsteile und mehr als 1 500 Beschäftigte, die sich mit ihrem Konzern in der schwersten Pleite seit fast 30 Jahren befinden. Es geht um ein Unternehmenskonstrukt aus 520 Gesellschaften. Für 22 Gesellschaften davon ist bisher das Insolvenzverfahren beantragt worden. Ich finde, wer in die Zukunft sehen will, muss die Vergangenheit analysieren, um Zukunftsentscheidungen treffen zu können. Ich habe dazu ein paar Daten mitgebracht.

Bereits im September 2004 präsentierte der Konzernchef Herr Achenbach ein radikales Sanierungsprogramm für den in roten Zahlen stehenden Karstadt-Konzern. Am 14. Oktober 2004 einigten sich die Arbeitsnehmervertreter darauf, ein Sanierungskonzept abzuschließen, das die Streichung von 5 700 Arbeitsplätzen vorsah. Anfang 2006 kündigte Herr Middelhoff den Verkauf der KarstadtImmobilien zur Entschuldung des Konzerns an. Die Gebäude wurden in der Regel veräußert und zurückgemietet. Ab September 2008 hält die Bank Sal. Oppenheim Anteile von insgesamt 29,5 % am Arcandor-Konzern und wird somit zum größten Aktionär.

Im Jahr 2008 wird den Beschäftigten durch den Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld erneut in die Tasche gegriffen. Im Dezember 2008 gibt der Arcandor-Chef den Chefwechsel von Herrn Middelhoff zu Herrn Eick zum 1. März 2009 bekannt. Die Bilanz des letzten Geschäftsjahres unter Middelhoff fällt tiefrot aus. Arcandor weist für 2007/2008 einen Nettoverlust in Höhe von mehr als 700 Millionen € und Schulden in Höhe von fast 1 Milliarde € aus. Im März 2009 kündigte Herr Eick einen harten Sparkurs an.

Dann gab es - das wissen Sie - die Anträge auf Staatsbürgschaften in Höhe von 650 Millionen € und auf eine Rettungsbeihilfe in Höhe von 437 Millionen €. Beides lehnte der Lenkungsausschuss des Wirtschaftsfonds am 8. Juni 2009 ab.

Am 9. Juni 2009 stellte Arcandor den Antrag, das Insolvenzverfahren für die Töchter Karstadt Warenhaus GmbH, Primondo GmbH und Quelle GmbH einzuleiten. Dem Konzern droht 128 Jahre nach der Gründung des ersten Karstadt-Hauses die Zerschlagung und 43 000 Beschäftigte bangen um ihre Arbeitsplätze.

Fragen, die die LINKE beschäftigen, sind: War die Gefahr nicht früher zu erkennen? Konnte nicht rechtzeitig gegengesteuert werden? - Der Verkauf der KarstadtHäuser, die dann für zu hohe Mieten zurückgemietet wurden, und der zweimalige Einkommensverzicht der Arbeitnehmerinnen im dreistelligen Millionenbereich hätten unbedingt zum Umdenken in der Unternehmensstrategie führen müssen.

In diesem Zusammenhang müssen sich auch die Arbeitnehmervertreter der Aufsichtsratsgremien unbequeme Fragen gefallen lassen. Hätten ver.di und der KBR nicht auch wissen müssen, dass der geforderte Verzicht kein Zeichen für ein florierendes Unternehmen ist? - Meiner Meinung nach hat sich die Pleite über einen längeren Zeitraum angekündigt.

Meine Damen und Herren! Die Situation ist für die Beschäftigten eine Katastrophe, und das, weil Manager für Spekulanten aus Unternehmen herausholen, was herauszuholen ist, ohne Verantwortungsgefühl für die Beschäftigten und für die Bürger.

Die nun schnell aufgeworfene Frage, ob Warenhäuser noch zeitgemäß sind, hilft den Beschäftigten in diesem Zusammenhang gar nicht. Sicher ist, dass beide Warenhäuser dort, wo sie angesiedelt sind, von den Kunden angenommen werden und wirtschaftlich arbeiten, also schwarze Zahlen schreiben. Die Kunden haben allein in Magdeburg 23 000-fach dafür unterschrieben, dass das Karstadt-Haus in der Stadt bleibt und die Arbeitsplätze für die Beschäftigten erhalten bleiben - ähnlich auch in Dessau.

Die Beschäftigten, die bereits seit Monaten unter Druck stehen und sich die Frage stellen: „Wie lange habe ich meine Arbeit noch?“, sind sehr engagiert und wollen ihre Häuser mit guten Umsätzen über Wasser halten. Die größte Sorge der Beschäftigten ist der Verlust des Arbeitsplatzes, weil die Beschäftigten oftmals die einzigen Ernährer in ihren Familien sind. Und viele kommen aus weiten Teilen unseres Landes. Sie leben auch von den Quelle-Stützpunkten, die mit kleinen Nebeneinkommen wie Post und Kleinhandel gekoppelt sind. Auch diese wissen nicht, wie sie überleben sollen.

Wie stellt sich unsere Fraktion die weitere Unterstützung vor? - Für uns hat die Erhaltung der Warenhausstandorte, des Callcenter-Standorts und der Arbeitsplätze Priorität. Die Betriebsräte haben darum gebeten, dass der Landtag und die Landesregierung die Unternehmensteile, wenn notwendig, finanziell unterstützen.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Dazu fordern wir, dass zuerst die Eigentümer, die Nutznießer der Gewinne aus den Immobilienverkäufen und aus den überhöhten Mieteinnahmen waren, ihrer Verantwortung nachkommen und sich mit dem Vermögen an dem Erhalt der Karstadt-Häuser und der Quelle GmbH beteiligen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

Dabei möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass die Beschäftigten die Unterstützung des Opel-Konzerns diesbezüglich als Messlatte sehen und sagen: Was dort geht, müsste doch eigentlich auch bei uns gehen.

Ein gesunder Wettbewerb hat Karstadt und Quelle bisher nicht geschadet. Deshalb ist ein guter Mix des Angebots in den Innenstädten ein guter Wettbewerbsvorteil. Aber die Entwicklung von Einkaufszentren und

Factory Outlets auf der grünen Wiese vor den Städten muss aufhören. Verkaufsfläche haben wir wirklich ausreichend. Im Comfort-Marktbericht ist nachzulesen, dass der Bundesdurchschnitt bei 1,3 bis 1,4 m² je Einwohner liegt. Magdeburg hat aber 2,7 m² und Dessau 2,2 m² Verkaufsfläche je Einwohner.

Beide Städte liegen damit über den Referenzwerten von Berlin, Leipzig und Düsseldorf. Bei der Kaufkraft hingegen bewegen wir uns leider auf den hinteren Rängen. Deshalb erwarten wir, dass von weiteren Erschließungen wie in Wiedemar an der A 9 Abstand genommen wird.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD und bei der FDP)

Auch das, meine Damen und Herren, ist Verantwortung für einen florierenden Handel in der Innenstadt. Unternehmen wie Karstadt haben einen festen Platz im Einzelhandel, können aber nur überleben, wenn die Preistreiberei im Einzelhandel gestoppt und die Kaufkraft gestärkt wird. Auch deshalb muss Deutschland endlich einen gesetzlichen Mindestlohn einführen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

Im Interesse aller betroffenen Arbeitnehmer erwarten wir, dass der Einkommensverzicht, den die Beschäftigten bereits für das Überleben des Konzerns geleistet haben, an die Beschäftigten zurückgezahlt wird.

Wir würden den Vorschlag von ver.di gern aufgreifen und unterstützen, einen runden Tisch zur Lösung der Probleme zu bilden, an dem sich Landes- und Kommunalpolitik, Beschäftigte, Gewerkschaften sowie Innenstadtinitiativen und Unternehmensvertreter beteiligen. Erste Ergebnisse sind vorhin genannt worden. Kostenlose Parkplätze und die Gestaltung des Umfelds des Karstadt-Hauses in Magdeburg, das ich gut kenne - ich habe es mir extra noch einmal angeschaut -, sind unbedingt notwendig, um von außen noch attraktiver zu wirken. Die Beseitigung des Blauen Bocks - das verspreche ich dem Karstadt-Geschäftsführer - werde ich unterstützen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)