Protokoll der Sitzung vom 08.10.2009

Schauen wir uns einmal die Entwicklung des Landeshaushalts über eine längere Phase an. Wir haben von 1999 bis zum Jahr 2006 jährlich eine durchschnittliche Neuverschuldung von 1 Milliarde € gehabt, die in der konjunkturellen Hochphase eigentlich hätte abgebaut werden müssen, damit wir eine ausgeglichene Einnahmen-Ausgaben-Bilanz über die Jahre haben. Nun kann man sich überlegen, wie viel von diesen 6 Milliarden € in diesen beiden Jahren ausgeglichen worden ist. Die Zahl liegt im Null-Komma-Bereich.

Daran wird das strukturelle Defizit der öffentlichen Kassen in der Bundesrepublik Deutschland klar. Das Gleiche gilt für Sachsen-Anhalt, aber nicht nur für SachsenAnhalt. Das ist der entscheidende Punkt, der uns mit diesem Haushalt vorgelegt wird. Jetzt kommen wir in die nächste Depressionsphase, in die nächste Stagnation, die, wenn die Rahmendaten so bleiben, auch wieder zu einer Erhöhung der Gesamtverschuldung führen wird, die in einer Phase steigender Konjunktur nicht abgebaut wird. Deshalb müssen die Rahmendaten geändert werden, um eine Perspektive für Sachsen-Anhalt zu haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Tullner, CDU: Und wie?)

- Dafür gibt es zwei Möglichkeiten, Herr Tullner. Eine Möglichkeit wäre, die Steuereinnahmen, die Ressourcen, die die öffentliche Hand für die öffentliche Daseinsvorsorge benötigt, zu erhöhen. Ich sage ganz deutlich: Das ist der Weg, den DIE LINKE gehen will. Diesen Weg kann man sehr wohl sozial gerecht gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die zweite Möglichkeit wäre, die Ausgaben für die öffentliche Daseinsvorsorge so weit zu reduzieren, dass sie den Steuereinnahmen entsprechen, einen Ausgleich auf dieser Ebene zu schaffen und auf dieser Ebene zu verbleiben. Dazu sage ich ausdrücklich: Das führt in der Tendenz zur Privatisierung der öffentliche Daseinsvorsorge, zur weiteren sozialen Spaltung dieser Gesell

schaft und zur Beschädigung ihrer nachhaltigen Entwicklung. Deshalb ist das nicht unser Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist der Weg, der von Schwarz-Gelb zumindest noch vor den Wahlen favorisiert worden ist, indem gesagt wird: Wir senken die Steuern, dann kommt mehr Wachstum, und wenn mehr Wachstum kommt, haben wir mehr Steuereinnahmen und alle sind froh und glücklich.

Diese Erfahrung haben wir aber schon vor zehn Jahren gemacht. Damals hatte die rot-grüne Bundesregierung die Eichel’sche Steuerreform durchgeführt - genau mit dieser Begründung. Was war das Ergebnis? - Das Ergebnis waren die niedrigsten Wachstumsraten, die die Bundesrepublik über einen solchen Zeitraum jemals hatte. Das Ergebnis war eine radikale Erhöhung der Verschuldung der öffentlichen Hand, das Ergebnis war, dass zwar die Gewinne einbehalten wurden, aber nicht in Wirtschaftswachstum investiert, sondern in Finanzspekulationen investiert worden sind. Das Ergebnis ist die heutige Finanzkrise.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, Herrn Gürth drängt es, eine Zwischenfrage zu stellen. Wollen Sie diese zulassen?

Das kann ihn drängen, aber es interessiert mich erst am Ende meiner Rede.

Nunmehr stehen wir vor der gleichen Situation, wie wir sie vor zehn Jahren schon einmal hatten: massive Verschuldung der öffentlichen Hand und das niedrigste Wirtschaftswachstum in der OECD.

(Herr Gürth, CDU: Die Parteitagsrede erst einmal abspulen!)

Wir haben jetzt die gleiche Situation wie vor zehn Jahren und drohen die gleichen Fehler zu machen wie damals. Dass kann nicht der Weg sein. Wer diesen Landeshaushalt gelesen hat, der muss sagen: Das ist nicht das Interesse des Landes Sachsen-Anhalt. Wir sind gegen Steuersenkungen auf der Bundesebene, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben mit diesem Haushalt noch ein zweites großes Problem auf dem Tisch. Wir hatten im letzten Jahr die Situation, in der die Bundesrepublik auf die USA und auf Großbritannien geschaut hat, also auf jene Länder, die bei oberflächlicher Betrachtung diese Krise ausgelöst haben. Das Problem ist - anders als der Finanzminister es dargestellt hat -, dass die wirtschaftlichen Einbrüche in diesen Ländern deutlich geringer sind als in der Bundesrepublik Deutschland.

Gleiches gilt für Sachsen-Anhalt. Auch die These von der krisenresistenten Wirtschaft in Sachsen-Anhalt ist falsch. Im Vergleich zum Vorjahr beträgt der Rückgang der Wirtschaftsleistung 5,6 %. Für die Bundesrepublik Deutschland beträgt er insgesamt rund 6 %. In den USA als so genanntem Mutterland der Krise spricht man über 2 bis 3 %, in Großbritannien sowie im Durchschnitt der EU-Länder von Werten zwischen 4 und 5 %.

Wir sind eigenartigerweise von dieser Krise stärker betroffen als die anderen. Dafür gibt es eine ganz einfache Antwort: Unsere vermeintliche Stärke, Exportweltmeister zu sein, aber nur einen sehr schwachen Binnenmarkt zu haben, ist in Wirklichkeit unsere Schwäche, weil wir davon abhängig sind, ob die anderen unsere Sachen kaufen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn sie sie nicht kaufen, dann kriegen wir es mit unserem schwachen Binnenmarkt nicht ausgeglichen. Die anderen haben die Schlüssel in der Hand und nicht wir. Deswegen gilt es, einen starken Binnenmarkt zu entwickeln und nicht einseitig auf die Exportquote der Bundesrepublik Deutschland zu orientieren.

Kommen wir einmal zu der anderen Variante für den Landeshaushalt, also die Höhe der Ausgaben auf die Höhe der Einnahmen zu reduzieren. Es gab dafür tatsächlich - das hat der Kollege Finanzminister gesagt - eine ganze Reihe von Stimmen. Nachdem er sein Strategiepapier vorgelegt hat mit einer Verschuldung in der Höhe, die in etwa auch der im Haushaltsplanentwurf entspricht, war es zuerst - wen wird es überraschen? - die FDP: Die Verschuldung sei zu hoch. Man habe die Sparziele nicht vernünftig formuliert. Es sei kein Wille zu erkennen.

Wen wundert es dann weiter, dass sich der Kollege Tullner in ähnlicher Art und Weise für die CDU-Fraktion geäußert hat?

Etwas mehr wundern konnte man sich dann schon, als auch der Ministerpräsident, der Kollege Böhmer, gesagt hat, das sei viel zu viel. Wir müssten die Nettoneuverschuldung mindestens auf einen Betrag von 500 Millionen € reduzieren bzw. bei diesem Betrag kappen.

Der Vierte darf natürlich nicht fehlen. Er kam allerdings als Allerletzter. Das war der Präsident des Landesrechnungshofes, der genau dieselbe Position vertrat.

Es war interessant, dass von diesen vieren - -

(Herr Tullner, CDU: Ich habe gar nichts gesagt, Herr Gallert! - Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

- Herr Tullner, das würde erstens bei ihnen sowieso nie stimmen und zweitens müssen sie solche Dinge offensichtlich nicht mehr sagen und die Zeitungen schreiben es trotzdem, dass Sie solche Positionen vertreten haben. Aber gut.

Einer von den vieren hatte die Aufgabe, diese Ansage umzusetzen - einer von den vieren -: Das war der Ministerpräsident, der diesen Haushalt verantwortet, der hier vorgelegt wird. Der hätte seine eigene Forderung umsetzen müssen, die Nettoneuverschuldung auf einen Betrag von 500 Millionen € zu begrenzen, was ja auch noch meilenweit von einem Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben weg ist.

Nach den Beratungen im Kabinett war davon eigenartigerweise nichts mehr zu hören. Wir beginnen die Diskussion mit einer Nettoneuverschuldung in Höhe von 662 Millionen € für das Haushaltsjahr 2010. Von seinen 500 Millionen € war nichts mehr zu hören. Dazu sage ich: vernünftigerweise. Er war der Einzige, der das hätte umsetzen müssen, hat aber gesehen, dass er es nicht umsetzen kann.

Wenn es diese Kappung der Nettoneuverschuldung gegeben hätte, dann hätte man so substanziell streichen

müssen, dass entweder die soziale Polarisierung in diesem Land weiter ausgedehnt oder die Nachhaltigkeit beschädigt worden wäre oder beides. Deswegen konnte er es nicht umsetzen, und alle anderen werden es auch nicht vernünftig umsetzen können. Das ist der entscheidende Punkt bei diesem Haushalt, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich sind wir gespannt auf die Position von FDP und CDU, wie sie diese Neuverschuldung noch weiter senken wollen. Der Kollege Seibicke kann uns Vorschläge unterbreiten, er muss es aber nicht - das ist das Schöne an seinem Posten.

Wir sagen ausdrücklich an dieser Stelle: Wir glauben, in verantwortlicher Art und Weise kann man diese Nettoneuverschuldung, wie sie hier vorgeschlagen worden ist, nicht senken.

(Herr Tullner, CDU: Na, Sie wollen sie noch er- höhen!)

Nun gibt es die Aussage, die wir auch am Ende der Rede des Finanzministers gehört haben, wir müssten bei der Haushaltskonsolidierung jetzt und in absehbarer Zeit sozusagen durch ein Tal der Tränen gehen. Wir müssten jetzt den Gürtel enger schnallen, um in Zukunft politische Schwerpunkte ausfinanzieren zu können, um in Zukunft die Möglichkeit zu haben, für die Lebensentwicklung der Menschen in Sachsen-Anhalt neue Qualitäten anzubieten.

Dazu sage ich mit den Worten des Ministerpräsidenten ganz eindeutig: Wenn wir die Rahmenbedingungen für die öffentlichen Haushalte nicht ändern, dann ist auch das, wie er immer sagt, eine barmherzige Lüge.

Man schaue sich nur einmal die Personalentwicklungskonzeption der Landesregierung an. Dann schauen wir uns einmal an, wie sich der Schwerpunkt Bildung nach den vorgegebenen Einnahmerealitäten, die dieses Land zu erwarten hat, entwickeln soll: Im Bereich der Lehrer sollen bei gleichbleibender Schülerzahl bis zum Jahr 2020 30 % des Personals abgebaut werden. 30 % weniger Lehrer zwischen 2011 und 2020 bei gleichbleibender Schülerzahl. Ist das der Schwerpunkt Bildung für die Zukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen? - Doch wohl nicht!

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)

Im Bereich der pädagogischen Mitarbeiter: minus 40 %.

(Herr Gürth, CDU: Schreien Sie mal nicht so rum hier!)

Im Bereich des Hochschulpersonals: minus 25 %.

(Herr Gürth, CDU: Sie sind hier nicht auf einem kommunistischen Parteitag! Hier muss man nicht herumschreien! Wer schreit, hat Unrecht!)

Ist das der Schwerpunkt Bildung in diesem Land? - Nein, das ist er nicht! Dieses Sparen ist ein permanenter Wettlauf nach unten, und wenn wir meinen, die Steuereinnahmen erreicht zu haben, dann kommt die nächste Steuersenkung. Dabei brauchen wir eine Umkehr. Das ist eine Sackgasse. Das ist keine verantwortliche Politik für die Zukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Frau Dr. Hüs- kens, FDP)

Mit dem vorliegenden Doppelhaushalt haben wir uns - natürlich erst einmal auf der Grundlage der Basisdaten des Strategiepapiers - bereits Mitte August in Meisdorf beschäftigt. Wir haben eine ziemlich intensive Diskussion darüber gehabt, was man mit den Dingen macht, die jetzt vorliegen.

Wir haben gesagt, dieser Doppelhaushalt muss eine zentrale Rahmenbedingung erfüllen: Er darf staatliche und staatlich finanzierte Strukturen in diesen beiden Jahren der Krise nicht selbst zum Krisengegenstand werden lassen. Er muss in diesen beiden Jahren ein Stück gesellschaftliche Stabilität ausstrahlen. Er muss versuchen, die labilen Tendenzen, die sich im Bereich der Ökonomie darstellen, die sich im Folgenden natürlich auch im Bereich der sozialen Infrastruktur darstellen werden, über eine Stabilisierung ein Stück weit aufzufangen. - Das ist die Aufgabe des Landeshaushalts; alles andere wäre ein strategischer Fehler.

Wenn wir uns jetzt diesen Landeshaushalt ansehen, dann sage ich - das mag den einen oder anderen überraschen -: Dieser Fehler wird mit diesem Landeshaushalt nicht gemacht. Dieser Landeshaushalt, so wie er uns vorgelegt wurde, versucht im Wesentlichen, die Strukturen der öffentlichen Hand und der öffentlichen Daseinsvorsorge zu erhalten, sie nicht strukturell einbrechen zu lassen.

Wo dieser Fehler in Teilbereichen, zum Beispiel im Bereich der sozialen Infrastruktur, gemacht wurde, deuten sich jetzt bereits Lösungen an. Jedenfalls habe ich die Kollegin Budde bei der letzten Landtagssitzung so verstanden.