Wir müssen uns näher mit Problemfeldern und mit der Frage auseinandersetzen, wie man Amoklagen besser, insbesondere präventiv in den Griff bekommen kann. Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist auch die Frage, wie im Ernstfall Nachsorge getroffen werden kann und wie wir besser als bisher Betroffene, Verletzte oder auch deren Angehörige im Nachhinein versorgen können, damit sie mit dieser Gesamtsituation zurechtkommen.
Bei der Frage der Verschärfung des Waffenrechts, verehrter Herr Innenminister, teile ich Ihre Auffassung nicht. Denn wer sich mit dem Waffenrecht in der Bundesrepublik Deutschland auskennt, der weiß, dass wir eines der schärfsten Waffengesetze der Welt haben. Ich bin froh, dass wir heute keine Debatte über eine weitere Verschärfung des Waffenrechts führen; denn diese Verschärfung führt uns nicht zu dem Ziel, das wir anstreben.
Wir müssen zunächst dafür Sorge tragen, dass das bestehende Waffenrecht auch von all denen, die berechtigterweise Waffen besitzen oder führen, so angewandt wird, dass solche Lagen wie in Winnenden nicht zustande kommen können. Letztlich war es in diesem Fall der unsachgemäße Umgang mit einer Waffe, der dieser Amoklage Vorschub geleistet hat.
Ich denke, hierbei liegt es an uns allen, dazu beizutragen, dass Menschen, die Waffen haben, immer wieder darauf hingewiesen werden, mit diesen sorgsam umzugehen und sie so zu verwahren, dass unberechtigte Dritte keinen Zugang haben. Dadurch wird man, so glaube ich, in Zukunft solche Lagen verhindern können. In diesem Sinne wird die CDU-Fraktion dem Antrag der FDPFraktion zu stimmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kolze. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Tiedge. Bitte schön, Frau Tiedge.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Prinzipiell hätte man diesen Antrag eigentlich mit dem nachfolgend zu beratenden Antrag gemeinsam behandeln können; denn beide sagen etwas darüber aus, dass wir ein gesellschaftliches Problem haben. Wir finden darauf keine Antworten, weil man nicht bereit ist, nach den Ursachen zu forschen und sie dann zu verändern.
Aus diesem Grund haben wir in unserer Fraktion auch darüber debattiert, wer zu diesem Antrag sprechen soll. Schließlich soll die Landesregierung in den Ausschüssen für Inneres sowie für Bildung, Wissenschaft und Kultur über entsprechende Handlungskonzepte berichten. Den Debattenbeitrag werde zwar ich vortragen, aber wir waren uns auch darüber einig, dass das angesprochene Problem nicht von der Polizei allein gelöst werden kann, sondern dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist.
Neueste wissenschaftliche Erklärungsversuche gehen davon aus, dass Amoktaten nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen sind. Nach heutigen Ansichten gelten als Auslöser eine fortgeschrittene psychosoziale Entwurzelung, der Verlust der schulischen und beruflichen Integration, zunehmend erfahrene Kränkungen sowie Partnerschaftskonflikte. Dabei spielen meistens mehrere Faktoren eine Rolle, wobei diese nicht unmittelbar vor der Tat liegen müssen, sondern bereits seit geraumer Zeit bestehen. Der Amoklauf ist dann für den Täter der Endpunkt eines langen Weges der Ausweglosigkeit.
Auf diesem langen Weg lebte der Täter oder die Täterin doch nicht im luftleeren Raum. Er bzw. sie waren umgeben von Familie, gingen zur Schule oder zur Arbeit, hatten Freunde und Kollegen. Man hinterlässt in der Regel Spuren und Warnsignale. Und niemand hat etwas bemerkt? Spätestens an dieser Stelle muss man sich die Frage stellen: Warum eigentlich nicht? - Eben darum, weil Wegschauen zu unserem Alltag gehört.
Die Politik macht es vor, indem sie wegschaut und die eigenen Fehler und Versäumnisse ignoriert. Passiert ein Amoklauf mit all seinen schrecklichen Folgen für die Opfer und die Angehörigen, geht eine Welle der Betroffenheit durch die Gesellschaft, die natürlich berechtigt und notwendig ist. Zu oft aber gibt es zu schnelle Erklärungsmuster und zu schnell wird wieder zur Tagesordnung übergegangen.
Nach dem Amoklauf von Winnenden wurde eine Änderung des Waffengesetzes verabschiedet. Das ist eine in diesem Zusammenhang aus unserer Sicht notwendige Maßnahme. Nun aber wird im Koalitionsvertrag der Bundesregierung von CDU und FDP diese Veränderung wieder aufgeweicht, indem im Rahmen der Evaluation geprüft werden soll, ob die neuen Vorschriften zu unzumutbaren Belastungen für die Waffenbesitzer geführt hätten. Das ist aus unserer Sicht verantwortungslos.
Wir können Ihnen, Herr Innenminister, in Ihrer zu diesem Thema bereits geäußerten Kritik nur Recht geben.
Renommierte Jugendforscher und Kriminologen gehen mittlerweile davon aus, dass Amokläufe verhindert werden können, wenn die Signale, die vor der Tat vom potenziellen Täter ausgesendet werden, erkannt werden. Dafür bedarf es natürlich einer Sensibilisierung gegenüber den Problemen der potenziellen Täter. Es bedarf zum Beispiel gut ausgebildeter Fachkräfte an Schulen, wie Schulsozialarbeiter, Schulpsychologen oder Vertrauenslehrer. Außerdem bedarf es eines Elternhauses, das diesen Anforderungen ebenfalls gerecht werden kann.
Aber wie sieht es diesbezüglich in Deutschland wirklich aus? - Seit Jahren leistet man sich eklatante Missstände bei der Prävention und der Erziehung. Bundesweit ist die Jugendarbeit in beispielloser Weise Opfer von Kürzungen geworden, die Mittel dafür wurden auf ein notwendiges Minimum zusammengestrichen, als gäbe es kein Morgen.
Am Institut für Friedenspädagogik Tübingen e. V. wurden Fragen entwickelt, die es zu beantworten gilt. Ich möchte an dieser Stelle nur einige nennen: Welchen Erwartungsdruck vermitteln Eltern? Bleibt Zeit für Auseinandersetzung und Anerkennung? Ist genügend Neugier vorhanden, den anderen auch als Menschen kennenlernen zu wollen? Wird vom anderen Rechenschaft über sein Verhalten verlangt? Werden neben Leistung und Noten auch Mitmenschlichkeit und Solidarität vermittelt und gelebt? Werden Alarmsignale erkannt? Werden Konfliktlösungsmöglichkeiten eingeübt, Schwächen nicht ausgenutzt und Stärken gefördert?
Wie kann eine Kultur des Friedens und der Anerkennung entwickelt werden, die Gewalt auf allen Ebenen tabuisiert und die auch den Schwächeren eine erstrebenswerte Zukunft sowie einen Platz in der Gesellschaft ermöglicht? Wie kann erreicht werden, dass sich Politik um die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, aber auch von gefährdeten Erwachsenen stärker kümmert?
Wenn wir auf all diese Fragen Antworten und Lösungen dafür gefunden haben, dann bedeutet das zwar nicht, dass Amokläufe für immer verhindert werden können, aber es wäre endlich der ernsthafte Versuch, eine gesamtgesellschaftliche Lösung zu finden. Es wäre nicht der untaugliche Versuch, den Polizeibeamtinnen und -beamten die Hauptlast der Verantwortung aufzubürden. Denn wenn die Polizei eingreifen muss, ist es bereits zu
Wir zollen - das möchte ich an dieser Stelle mit aller Deutlichkeit sagen - allen Polizeibeamtinnen und -beamten unseren tiefen Respekt für die von ihnen geleistete Arbeit.
Wir werden der Überweisung des Antrages an die genannten Ausschüsse selbstverständlich zustimmen. Allerdings sind - das müssen wir sagen - in diesem Antrag keine Lösungen für die genannten Probleme aufgezeigt worden. Er dient ausschließlich einem Problemaufriss. Aber das ist zumindest etwas.
Es sind also gesellschaftliche Handlungskonzepte gefragt, die an der Wurzel ansetzen und nicht erst greifen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Tiedge. - Jetzt erteile ich Herrn Rothe von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Rothe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um mich dem Thema zu nähern, habe ich die in diesem Jahr in Vechta erschienene Studie „School Shooting“ der Diplompädagogin Anne Kühling herangezogen. Sie untersucht Ursachen und Hintergründe zu extremen Gewalttaten an deutschen Schulen am Beispiel der Taten in Erfurt und in Emsdetten. Frau Kühling gelangt zu der Erkenntnis, dass eine Kombination vieler - -
Herr Rothe, könnten Sie bitte das Pult etwas weiter herunterstellen, damit Sie besser gehört werden können? - Danke schön.
Frau Kühling gelangt zu der Erkenntnis, dass eine Kombination vieler Einfluss nehmender Faktoren auftreten muss, damit ein Jugendlicher zum Amokläufer wird. Die Kombination psychologischer und sozialer Faktoren über mehrere Jahre hinweg führe dazu, dass der Jugendliche seinen Amoklauf als einzige Möglichkeit ansieht, sich der zugespitzten Situation zu entziehen.
Aus der Sicht der Verfasserin sind fünf Teilaspekte bedeutend: die negativen Persönlichkeitstendenzen der Täter, die fehlende Sicherheit auf sozialer Ebene, der Einfluss von Computerspielen auf School-Shooter, die zentrale Bedeutung der Schusswaffen und die Verknüpfung dieser Einfluss nehmenden Faktoren miteinander.
Kühling bezeichnet das Vorhandensein der Waffen als ein zentrales Moment bei Amokläufen an Schulen. Sie stellt fest, dass die Jugendlichen es relativ leicht hatten, an Waffen zu gelangen. Zudem besaßen sie die Kenntnisse und Fähigkeiten, diese gezielt einzusetzen. Der Umgang mit Waffen wurde zum Teil in Schützenvereinen, zum Teil beim Spielen in virtuellen Welten erlernt.
Als Computerspiele mit gewalttätigem Charakter sind insbesondere die so genannten Ego-Shooter zu nennen;
Vergleicht man die Studie von Kühling mit den neun Punkten in dem vorliegenden FDP-Antrag, dann fällt auf, dass dort weder von Schusswaffen noch von Computerspielen die Rede ist. Dabei ist in der Begründung zu Ihrem Antrag, Herr Kosmehl, von Konsequenzen aus den Amokläufen in Erfurt und Winnenden die Rede.
Bei dem Amoklauf in Erfurt am 26. April 2002 führte der Täter zwei Tatwaffen mit, eine Pistole und eine Flinte, die während der Tat nicht benutzt wurde. Die Eintragungen in der Waffenbesitzkarte des Täters waren gesetzwidrig und der Kauf der Tatwaffen somit illegal.
Bei dem Amoklauf von Winnenden am 11. März 2009 benutzte der Täter eine Pistole. Der Vater des Täters war Sportschütze und besaß 15 Waffen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitete gegen den Vater ein Ermittlungsverfahren ein, weil er die Tatwaffe im elterlichen Schlafzimmer, statt wie vorgeschrieben in einem speziellen Waffentresor aufgehoben hatte. Ende November 2009 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Vater wegen Körperverletzung, fahrlässiger Tötung sowie Verstoßes gegen das Waffenrecht.
Nach dem Amoklauf von Winnenden ist über eine Verschärfung des Waffenrechts diskutiert worden. Durch die Ende Juli 2009 in Kraft getretene Neufassung des Waffengesetzes wird der Behörde die Möglichkeit eingeräumt, verdachtsunabhängig die sorgfältige Aufbewahrung von erlaubnispflichtigen Schusswaffen, Munition oder verbotenen Waffen überprüfen zu können. Wohnräume dürfen gegen den Willen des Betroffenen weiterhin nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit betreten werden.
Mir persönlich ging diese Änderung nicht weit genug. Bei großkalibrigen Waffen hätte ich es begrüßt, wenn diese nicht mehr als sporttauglich betrachtet würden, entsprechend den olympischen Disziplinen. Immerhin ist das Schießen für Minderjährige grundsätzlich auf Kleinkaliberwaffen beschränkt worden.
Eine weitere Forderung, die unberücksichtigt blieb, ist die Einführung von biometrischen Blockiersystemen für Waffen, die nur mit dem Fingerabdruck des Besitzers neutralisiert werden können. Die entsprechenden Kosten halte ich für zumutbar, jedenfalls wenn man von der tatsächlich benötigten Zahl der Waffen ausgeht.
Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP vom Oktober 2009 steht nicht nur, dass es gegenwärtig keinen weiteren Veränderungsbedarf im Waffenrecht gäbe. Herr Kolze, das respektiere ich für unsere Beratungen im Innenausschuss; ich möchte aber, dass dort über den Vollzug des Waffenrechts gesprochen wird.
Ich denke, dass sich auch bei dem Vorfall am HegelGymnasium entsprechende Fragen auftun. Ein Sechzehnjähriger dürfte eine solche Softairwaffe wohl nicht besitzen. Ich denke, auch nach den Kleinen Anfragen, die Herr Kosmehl schon zum Vollzug des Waffenrechts gestellt hat, ist das ein Aspekt, der in die Innenausschussberatungen gehört, nicht unbedingt in den Kultusausschuss. Wir können das arbeitsteilig machen.
Frau Tiedge, ich bin übrigens der Meinung, dass wir dem Antrag zustimmen können, weil es sich um eine reine Berichterstattung handelt und es daher geschäftsordnungsmäßig der korrekte Umgang ist. Ich habe gehört, dass Herr Kosmehl den Fragenkatalog ausdrück
lich als nicht abschließend qualifiziert hat, sodass ich keine Probleme damit habe, hierbei mitzugehen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will auf einige Aspekte der Debatte gern noch einmal eingehen, die ich bei der Berichterstattung bewusst außen vor gelassen habe.
Zum einen, Frau Kollegin Tiedge, war es die Absicht, und zwar nur die Absicht, ein Problem aufzureißen, Fragen zu stellen, um aus der Diskussion heraus und gegebenenfalls nach weiterem Studium der Expertenberichte konkrete Lösungsvorschläge, die jede Fraktion natürlich auch für sich erkennen muss und in die Diskussion einbringen kann, zu entwickeln. Ich halte es nicht für richtig, einen Antrag ins Plenum einzubringen, in dem sozusagen die komplette Lösung schon vorgedacht ist, wenn man als Antragsteller gern darüber reden und natürlich die Meinungen aller anderen Kollegen einholen möchte.
Eine zweite Bemerkung möchte ich ausdrücklich zum Thema Nachahmer machen. Das ist ein Aspekt, der nicht direkt mit einer Amoklage zu tun hat. Dabei handelt es sich jedoch um ein Phänomen, dem man in geeigneter Weise begegnen sollte.
In der Drs. 16/1343 des Niedersächsischen Landtages der 16. Wahlperiode ist ein Antrag der Fraktionen von CDU und FDP im Plenum behandelt worden. Dort sind im Antragstext Zahlen genannt worden, die ich Ihnen kurz vortragen möchte: Nach dem Amoklauf von Winnenden am 11. März 2009 sind allein in Niedersachsen bis zum 7. Mai 2009 insgesamt 157 Amoklaufandrohungen von den Polizeibehörden registriert worden.