Protokoll der Sitzung vom 18.02.2010

Sehr geehrter Herr Bullerjahn, warum und wo sollten die Ehrenamtlichen dies tun? Der Gemeinderat ist abgeschafft.

(Zurufe von der SPD)

Bisher wurde die Feststellung, dass die Gemeindegebietsreform das Ehrenamt schwächt, seitens der Landesregierung und der Koalitionsfraktionen immer mit dem Hinweis pariert, dass man ein Ortschaftsrecht eingeführt habe. Abgesehen von den deutlichen Qualitätsunterschieden ist es umso überraschender festzustellen, dass sich die Koalitionsfraktionen nunmehr auch in der gesetzlichen Phase für ein Ortschaftsverfassungsrecht entschieden haben. Diese Nachbesserung löst das Problem jedoch auch nicht.

Dadurch, dass die Einführung des Ortschaftsrechts bei den per Zwang zugeordneten Gemeinden in der gesetzlichen Phase mit der Neuwahl des dann zu schaffenden Ortschaftsrats verknüpft wird und nicht, wie in der freiwilligen Phase, eine Überleitung stattfindet, ist nicht damit zu rechnen, dass sich ausreichend Kandidaten für die Ortschaftsräte finden lassen.

Die Begründung für diesen Schritt ist allerdings interessant. Da heißt es:

„Gleichzeitig kennzeichnet der Gesetzgeber damit die zwischen der freiwilligen und der gesetzlichen Phase der Gemeindegebietsreform bestehenden Unterschiede. Mit Rücksicht auf das offensichtliche Scheitern einer freiwilligen einvernehmlichen Lösung zwischen einzugemeindender und aufnehmender Gemeinde werden die Gemeinderäte und ehrenamtlichen Bürgermeister nicht als Ortschaftsrat bzw. Ortsbürgermeister übergeleitet, wie dies in der freiwilligen Phase möglich gewesen wäre. Vielmehr will der Gesetzgeber - wie ausgeführt - die sachkundige Entscheidung über die Besetzung des Ortsorgans ausdrücklich den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern überlassen.“

Das heißt im Klartext: Wer es nicht hinbekommen hat, wird abgelöst. So bekommt das Ganze einen Strafcharakter für Zivilcourage.

(Zustimmung bei der FDP)

Abgesehen davon, dass die Begründung etwas dünn ist, bin ich gespannt, wie hoch die Wahlbeteiligung bei solchen Ortschaftsratswahlen sein wird. Und ich bin auch gespannt, was die Gemeinden, die sich freiwillig zusammengeschlossen haben, davon halten, dass sie das vermeintliche Privileg des Ortschaftsrechts nunmehr nicht mehr haben. Dieses Privileg hatte noch nicht einmal eine Halbwertzeit von einem Jahr.

Ich möchte auch kurz darauf eingehen, wie Sie mit den Anhörungsergebnissen vor Ort umgegangen sind. Dieser Umgang führt auch nicht zu einer hohen Akzeptanz. Herr Innenminister, Sie haben das zwar zu erklären versucht, schaut man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass Sie lediglich in drei Fällen das Anhörungsergebnis berücksichtigt haben, in drei von 151 Fällen. Das zeugt davon, dass Sie ein wenig beratungsbereit sind; Beratungsresistenz kann man Ihnen also nicht vorwerfen. Aber für mehr als ein „Ungenügend“ reicht ein solcher Schnitt nicht.

Die Zentralisierung der Gemeindestruktur geht nicht mit einer interkommunalen Funktionalreform einher. Das heißt, es werden größere Gemeinden geschaffen und keine Aufgaben dorthin übertragen. Sie haben bei dieser Gemeindegebietsreform ein Stückwerk abgeliefert. Die Funktionalreform findet nicht statt.

Das FAG - den Ausdruck für das, was ich vom FAG halte, möchte jetzt nicht sagen - ist noch nicht einmal in Teilen verfassungskonform.

(Zuruf von der Regierungsbank)

- Sie wollen doch nicht behaupten, dass Ihnen mit dem FAG, bei dem Sie mitten in dem Ansatz der aufgabenbezogenen Finanzierung abgebrochen haben, ein Glückswurf gelungen ist? Das FAG, so wie es dasteht, ist doch Mist.

(Zustimmung bei der FDP)

Das Stadt-Umland-Gesetz liegt immer noch in den Ausschüssen. Der Landesentwicklungsplan enthält keine klaren Aussagen zu den Gemeindestrukturen, und für die Gemeindegebietsreform stellt sich insgesamt die Sinnfrage. Dazu sage ich nur eines: Das ist wieder einmal ein Qualitätsprodukt aus dem Hause Hövelmann. Herr Hövelmann, ich möchte das noch nicht einmal geschenkt haben.

(Zustimmung bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir beantragen die Überweisung der Gesetzentwürfe einschließlich der Änderungsanträge an den Ausschuss für Inneres, an den Ausschuss für Recht und Verfassung und an den Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank. Es gibt eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Gürth. Wollen Sie sie beantworten?

Herr Gürth hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Kollege Wolpert, Sie wissen vielleicht, dass ich im Herzen auch ein bisschen liberal bin und dass es sich die CDU mit der Gemeindeneugliederung nicht leicht gemacht hat. Der Vortrag der FDP zu diesem Thema lässt bei mir jedoch drei Fragen aufkommen.

Erste Frage: Wieso ist die Gemeindeneugliederung etwas ganz Schlimmes, weil sie vor Ort zum Teil nicht auf Zustimmung stößt und Zwangscharakter trägt - das ist systemimmanent -, obwohl es bei der letzten Kreisgebietsreform in Sachsen-Anhalt, die auf Drängen der FDP zustande gekommen ist, vor Ort genauso ausgesehen hat, es ebenfalls ungeliebte Ortsteile und Kreisteile gab?

Wir haben es genauso als Zwang empfunden. Das ist auf Druck der FDP passiert. Wo sehen Sie an dieser Stelle den Unterschied hinsichtlich des politischen Ansatzes?

(Zurufe von Frau Dr. Hüskens, FDP, und von Herrn Franke, FDP)

Die zweite Frage. Sie lehnen das Gemeindeneugliederungsgesetz ab. Aber warum befürworten Sie die

Zwangseingemeindung in Oberzentren, wie sie Herr Kley angeregt hat? Weil die FDP in Oberzentren stärker ist als auf dem flachen Land?

Eine dritte Frage ist völlig ausgeblendet worden; sie ist aber sehr wichtig, weil sie immerhin 85 % der Betroffenen angeht. Wie gehen Sie mit dem Umstand um, dass diejenigen, die sich im Rahmen eines geltenden Gesetzes in einem Rechtsstaat für etwas freiwillig entschieden haben, nun Klarheit haben wollen, damit sie letztlich nicht die Dummen sind, und wissen wollen, wie das Ganze nun zügig zum Ende gebracht wird? - Diejenigen müssen jetzt auch leben und planen.

Ich versuche es zustande zu bekommen. Der Unterschied zwischen der Kreisgebietsreform und der Gemeindegebietsreform ist folgender: Die Kreise sind Gebilde, in denen das Heimatgefühl der Menschen nicht so stark verbindet wie in den Gemeinden. Die Kreise haben zudem wesentlich weniger direkte Aufgaben; sie haben wesentlich mehr staatlich übertragene Aufgaben zu erfüllen als die Gemeinden. Es besteht also ein anderer Verflechtungsgrad der Bevölkerung mit den Gemeinden als mit den Kreisen, und zwar nach dem Motto: Das, was man überschauen kann, ist meine Heimat.

Wir waren uns - Herr Gürth, das haben Sie nur vergessen - seinerzeit, als wir die Kreisgebietsreform durchgeführt haben, darin einig, dass es insoweit einen Unterschied gibt. Deshalb haben wir gesagt, wir wollen bei den Gemeinden die Verwaltungen stärken, sprich die Verwaltungsgemeinschaften, aber nicht die Gebiete aufheben, und bei den Kreisen können wir das tun.

(Herr Gürth, CDU: Das war genauso umstritten und wurde als Zwang empfunden!)

Die Eingemeindungswünsche der Oberzentren sind nicht der Gesamtwunsch der FDP; denn ansonsten hätten wir einen Antrag gestellt.

(Zuruf von Frau Schindler, SPD)

Aber die Unterstellung, dass wir glauben, dass wir auf dem Land nicht so stark sind wie in der Stadt, ist nicht ganz richtig. Ich habe in meiner Gemeinde 63 % für die FDP errungen. Das war, so glaube ich, in Halle nicht ganz der Fall, aber fast.

(Heiterkeit bei der FDP)

Könnten Sie bitte weiterhelfen: Wie war die zweite Frage?

Ich habe gefragt, wie Sie mit dem Umstand umgehen, dass sich 85 % der Betroffenen in den Kommunen freiwillig und gesetzeskonform innerhalb der Fristen gefunden haben. Sie wollen nun klare Regelungen haben; denn sie müssen auch ihre Zukunft planen.

Erstens bin ich der Auffassung, dass die Freiwilligkeit gezwungenermaßen freiwillig war, dass das nicht so einfach gewesen ist, wie Sie es darstellen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der LIN- KEN)

Zweitens bin ich mir nicht sicher, ob diese Gemeinden, wenn man sie noch einmal vor die Wahl stellen würde, das Rad nicht wieder zurückdrehen wollen würden.

Drittens glaube ich nicht, dass diejenigen Klarheit haben wollen. Das ist eher ein Denken, das Sie gern unterstellen, um Ihr politisches Handeln zu untermauern.

Viertens. Wir stimmen deswegen gegen die Gemeindestrukturreform, weil es für uns ein stringentes Handeln ist zu sagen: Wenn wir von Anfang an gegen etwas sind, dann können wir am Schluss nicht den Totengräber spielen und sagen, wir hätten die Leiche nicht gewollt, aber beerdigen sie dennoch.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. - Nun hat Herr Felke das Wort für eine Frage.

Herr Kollege Wolpert, ich habe zwei Fragen. Zunächst habe ich eine Verständnisfrage. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie den Vorstoß des Kollegen Kley im Halle’schen Stadtrat, der auch mit einem Antrag untersetzt ist, die bisher nicht zugeordneten Gemeinden des Saalekreises nach Halle einzugemeinden, nicht unterstützen?

Herr Kley ist Mitglied des Stadtrats in Halle. Ich bin Mitglied des Gemeinderats in Rösa. Das ist nicht dasselbe.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP - Heiterkeit bei der CDU und bei der SPD)

Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob ich irgendetwas unterstütze.

Aber ich denke, die Frage müsste sich mit Ja oder Nein beantworten lassen.

Ich habe sie beantwortet. Die viel spannendere Frage ist, wie Sie sich im Stadtrat verhalten werden.