Protokoll der Sitzung vom 19.03.2010

(Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD)

Wir haben durch diese getrennte Darstellung in der Formulierung des Zwecks der Stiftung erreicht, dass wir bisher ein relativ abgestimmtes Verhältnis der unterschiedlichen Verbände in dieser Stiftung, die sich gegenseitig respektieren, hatten. Ich will daran erinnern, dass die Kollegen in Sachsen das bis heute nicht geschafft ha

ben. Sie haben ein ähnliches Gesetz und haben bis heute diese Konflikte nicht lösen können. Deshalb lag uns schon bei der Formulierung des Gesetzes daran, dass wir versuchen, das in Sachsen-Anhalt in vernünftiger Weise hinzubekommen.

Als erkennbar war, dass ein Konflikt aufbrach, hat Herr Staatssekretär Erben schlicht die Notbremse gezogen und hat auf eine Weise, die methodisch irritierend war - sie hat auch mich irritiert, das ist nicht zu leugnen -, versucht, erst einmal die weitere Entwicklung zu stoppen. Es ist interessant, dass der Ausgangspunkt Presseveröffentlichungen unterschiedlicher Institutionen waren, aber alle mit dem gleichen E-Mail-Absender und fast zur gleichen Zeit in die Öffentlichkeit getragen. Das heißt, es bahnte sich ein Konflikt an, der dazu hätte führen können, dass die Zusammenarbeit der beiden unterschiedlichen Verfolgtenverbände belastet und gefährdet werden könnte.

Ich gebe Ihnen völlig Recht darin - das muss der Ehrlichkeit halber gesagt werden -, dass der Stiftungsvorsitzende nicht das Recht hat, einen Beschluss des Stiftungsrates eigenmächtig außer Kraft zu setzen.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Dr. Schra- der, FDP)

Das ist aber zwischenzeitlich geklärt worden. Ich habe diese Frage, weil ich das auch aus der Zeitung erfahren habe, bei der nächsten Kabinettssitzung thematisiert und angesprochen. Wenn wir eine Landeszentrale für politische Bildung haben, die zwar nicht direkt zur Landesregierung gehört, aber aufsichtsrechtlich der Staatskanzlei nachgeordnet ist und in deren Kuratorium auch Abgeordnete dieses Hohen Hauses sitzen, dann kann man nicht einfach das, was dort beschlossen worden ist, von heute auf morgen für nicht geltend erklären und sagen: Wir machen da nicht mit.

Das waren problematische Situationen, die aber aufgearbeitet worden sind. Darüber können Sie sich noch echauffieren, das müssen Sie aber nicht mehr, weil diese Probleme letztlich unter uns geklärt worden sind.

Wenn dem Innenministerium das Anliegen vorgetragen wird, es möge einen Referenten stellen, dann hat jeder Minister oder Staatssekretär das Recht, diese Aufgabe an sich zu ziehen. Das ist unstrittig. Wenn ich als Ministerpräsident auf den Gedanken gekommen wäre zu sagen „Das will ich aber selber machen“, dann stünde mir das formal sogar zu. Über solche Dinge müssen Sie sich nicht unbedingt strittig unterhalten. Dies ist in bestimmter Weise abgearbeitet worden.

Ich drücke mich jetzt sehr deutlich aus, weil Herrn Kosmehl deutliche Worte gefehlt haben. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Ich habe mich, als ich mich das erste Mal öffentlich geäußert habe, bewusst so ausgedrückt, dass ich nicht dazu hätte beitragen können, den Konflikt zu verschärfen. Denn wer in einer Konfliktsituation, die gelöst werden soll, aus welchen politischen Gründen auch immer Öl ins Feuer gießt, der schadet der Absicht, einen Konsens zu finden, mehr, als er nützen würde. Deswegen ist es nicht immer klug draufzuhauen.

(Zustimmung bei der SPD)

Dass die Opposition das macht, dafür habe ich lange Verständnis gehabt.

(Frau Feußner, CDU: Der Konflikt hätte doch aber vermieden werden können! - Weitere Zurufe)

- Verehrte Abgeordnete, wenn Sie die Erste sind, die von sich behaupten kann, noch keinen Fehler gemacht zu haben, dürfen Sie auch den ersten Stein werfen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei der SPD - Frau Feußner, CDU: Ja, aber dann muss man sich doch dafür entschuldigen!)

Ich will ganz deutlich sagen, der wissenschaftliche Methodenvergleich hat nie ernsthaft infrage gestanden. Selbstverständlich ist das legitim und überhaupt nicht zu bezweifeln. Es wäre mindestens genauso interessant, wenn man einmal einen Methodenvergleich der verschiedenen Formen der Demokratie machen würde, denn auch zwischen Präsidialdemokratie, Parlamentsdemokratie oder Demokratie mit Mehrheits- und Verhältniswahlrecht gibt es große Unterschiede.

Natürlich kann man auch Diktaturen und andere Staatsformen miteinander vergleichen, mit dem Ziel, Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Da darf es keine Zweifel geben. Wissenschaftliche Arbeit zu behindern, kann nicht unsere Aufgabe sein, schon gar nicht die der Landesregierung.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Mir ist natürlich auch nicht entgangen, dass die einzelnen Vorwürfe einen Hintergrund hatten. Ich bekomme gelegentlich den Vorwurf zu hören, wir wären auf dem linken Auge blind; diese Vorwürfe kommen von rechts. Ich bekomme auch gelegentlich den Vorwurf, wir wären auf dem rechten Auge blind; diese Vorwürfe kommen von links. Das heißt, der Vorwurf der selektiven Blindheit hat immer einen seitenbezogenen Hintergrund.

Deswegen kann ich nur deutlich zustimmen und sagen: In eine solche Situation dürfen wir uns nicht bringen. Selbstverständlich - daran darf es keinen Zweifel geben - werden wir jede Form von Extremismus - egal von welcher Seite sie kommt -, wenn sie die Strukturen einer Demokratie gefährdet, zu verurteilen versuchen und jede extremistisch begründete Gewalt, egal von wem sie ausgeht, ablehnen.

(Zustimmung bei der SPD und von der Regie- rungsbank)

Dass es beides gibt, wissen Sie. Sie haben möglicherweise gehört, dass für morgen eine Protestdemonstration in Halle angekündigt ist, zwar von einer Organisation, die ich nicht kenne, deren programmatische Darstellung und Begründung Sie jedoch aus dem Internet herunterladen oder dort nachlesen können. Ich lehne es ab, sie hier zu zitieren. Das wäre eine zu große Aufwertung.

Sie können das einmal durchlesen, damit Sie wissen, welche extremistischen Vorstellungen es gibt, bis hin zu solchen Aussagen, dass die Demokraten ihre Macht fixieren wollen, indem sie auf Ordnung und Recht bestehen, und dass in einer lebendigen Demokratie die Möglichkeit bestehen muss, die Macht jederzeit an sich zu ziehen. Ich bin überzeugt, dass dies auch eine Gefährdung der Demokratie ist, gegen die wir uns mit aller Deutlichkeit wehren müssen. Diese Aufgabe wird uns auch in unterschiedlichster Form bleiben.

Deswegen will ich Ihnen zusichern, dass wir mit unseren Möglichkeiten und mit den Institutionen, die wir unterstützen - die Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt ebenso wie die Landeszentrale für politische Bildung -, dafür eintreten werden, dass Wissenschaftler die Möglichkeit ha

ben, ihre Sicht der Dinge vorzutragen, also nicht daran gehindert werden, und dass wir alle, die das tun, darum bitten werden, den demokratischen Respekt auch vor anderen Meinungen und ihren Formulierungen zu wahren und gerade in einer solch schwierigen Rechtskonstruktion wie einer Gedenkstättenstiftung, die die Geschädigten verschiedener Diktaturen zusammengeführt hat, dies mit Respekt vor allen Beteiligten zu tun. Dafür steht die Landesregierung.

(Zustimmung bei der SPD und von der Regie- rungsbank)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Es gibt eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Wolpert. - Herr Wolpert, bitte.

Herr Ministerpräsident, Sie sind jetzt auf die formalen Gründe eingegangen, warum ein Teil des Handelns des Staatssekretärs aus Ihrer Sicht so nicht in Ordnung war. Sie haben aber ausgelassen - ich gehe davon aus, dass Sie noch Mitglied der CDU sind -, wie Sie den Tatbestand bewerten, dass Herr Rüdiger Erben der CDU vorgeworfen hat, zu zahm mit dem Rechtsextremismus umzugehen.

Herr Abgeordneter Wolpert, mir wurde dies natürlich gezeigt. Das steht meines Wissens in einem Brief des Staatssekretärs Erben an die Mitglieder seiner eigenen Partei. Demzufolge bin ich als Ministerpräsident nicht einmal befugt, dazu Stellung zu nehmen. Ob mir das passt oder nicht, muss ich wenigstens hier nicht sagen. Dafür sind wir morgen zusammen.

Herr Ministerpräsident, es gibt noch eine Frage des Abgeordneten Harms.

Herr Ministerpräsident, ist Ihnen bekannt, dass der Innenstaatssekretär Erben in einem zweiten Brief an einen Abgeordneten der CDU-Fraktion diese Vorwürfe noch einmal genauer unterlegt hat?

Weder die Tatsache noch der Brief sind mir bekannt.

Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zu den Debattenbeiträgen der Fraktionen. Als erstem Redner erteile ich Herrn Scharf das Wort, der für die CDU-Fraktion spricht. Bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst die gute Botschaft: Die notwendige Tagung „Diktaturvergleiche als Methode der Extremismusforschung - Hingucken: Sowohl nach rechts als auch nach links“ findet statt.

(Beifall bei der CDU)

Nun die schlechte Nachricht: Dass es über diese Tagung eine von Innenstaatssekretär Erben angezettelte öffentliche Diskussion mit dem Ziel gegeben hat, diese Tagung zu verhindern, hat dem Land Sachsen-Anhalt geschadet.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zur Sache selbst. Ein Vergleich ist etwas ganz Normales. Wir alle vergleichen im täglichen Leben, arbeiten Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus. Die Frage, ob der Vergleich auch eine wissenschaftliche Methode sein kann, um zum Beispiel zwei Diktaturen miteinander zu vergleichen, ist inzwischen unstreitig. Um es vorwegzunehmen, meine Damen und Herren: Diktaturvergleiche sind heutzutage ein übliches historisches Handwerkszeug.

Vergleichen heißt jedoch keinesfalls gleichsetzen. Im 20. Jahrhundert, dem Zeitalter der Gewaltregime und des Totalitarismus, wurden die alten Begriffe der Staatsformenlehre wie Diktatur, Tyrannis, Despotie, Autokratie usw. den Ereignissen und den Zuständen der neuen Herrschaftsformen nicht mehr gerecht.

Daher wurde um 1926 erstmals zur Beschreibung des italienischen Faschismus - später auch anhand des Stalinismus und des Nationalsozialismus - der Totalitarismusbegriff entwickelt. Im Kern geht es um die Beschreibung von Herrschaftsinstrumenten und das Herausarbeiten von Unterschieden und Ähnlichkeiten.

Die Totalitarismustheorien wurden aber auch als Kampfbegriff verstanden, meine Damen und Herren. So bezeichnete Ende 1985 ein Autorenkollektiv in der DDR die Totalitarismusdoktrin als ideologisches Vehikel imperialistischer Konfrontationsstrategien. Dies scheint nachzuwirken, meine Damen und Herren, wenn es um den Vergleich von NS-Diktatur und SED-Diktatur geht.

Der Streit entzündet sich an der Frage: Kann und darf man die schlimmste Diktatur auf deutschem Boden, die unsägliches Leid über Millionen Menschen gebracht hat, in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht zum Vergleich heranziehen?

In der Bundesrepublik entfachte im Jahr 1986 der Historiker Ernst Nolte den so genannten Historikerstreit. Dieser Streit, der insbesondere in Wissenschaft und Feuilleton in scharfen Auseinandersetzungen mündete, entbrannte über die Frage, ob die massenhaften Gewaltverbrechen und insbesondere der Holocaust an den Juden isoliert betrachten werden müsse oder im kausalen Zusammenhang mit dem Bolschewismus betrachtet werden kann. Daneben wurde die Frage aufgeworfen, ob der Holocaust in seiner Bedeutung das größte oder nur eines von vielen großen Verbrechen der Menschheitsgeschichte war.

Das Provokante an den Thesen Ernst Noltes war, dass nicht mehr ausschließlich die eindeutige Schuld der Deutschen thematisiert wurde, sondern die Frage nach der eventuellen Mitschuld bzw. eigener Verbrechen anderer Nationen - ich denke dabei an den Gulag - gestellt wurde. Es ging um die so genannte Historisierung, womit der Nationalsozialismus nach Ansicht der Gegner dieser These in seiner Unvergleichbarkeit relativiert wurde.

Meine Damen und Herren! Ich selbst bin der Auffassung, dass immer wieder auf die Einzigkeit der nationalsozialistischen Ideologie und der mit ihr zusammenhängen

den Verbrechen hingewiesen werden muss. Die schweren Verbrechen nach 1945 haben dagegen eine andere Dimension. Dies kann und darf aber nicht dazu führen, dass neues Leid seinerseits relativiert werden darf.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich will bekennen, meine Damen und Herren, dass ich als junger Student Anfang der 70er-Jahre erschüttert war, als ich im Studentenwohnheim heimlich den „Archipel Gulag“ von Alexander Solschenizyn gelesen habe. Stalinistische Verbrechen waren mir bekannt. Das in dieser Romandokumentation geschilderte Ausmaß war mir persönlich aber bis dahin so nicht bekannt.

Heute gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen, die Nationalsozialismus und Stalinismus miteinander vergleichen und Gemeinsamkeiten, aber auch signifikante Unterschiede herausarbeiten. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch des Kommunismus ist die Diskussion um die Totalitarismusdefinition erneut entflammt. Insbesondere wird nach dem so genannten Idealtypus im Max Weber’schen Sinne sowie den Merkmalen und Kriterien einer Diktatur geforscht.

Meine Damen und Herren! Was viele gar nicht ahnen: Auch die Rahmenrichtlinien des Geschichtsunterrichtes des Landes Sachsen-Anhalt enthalten selbstverständlich den Vergleich als Handwerkszeug des Historikers. Darin wird zum Beispiel die parlamentarische Demokratie der nationalsozialistischen Diktatur gegenübergestellt, wobei der ausdrückliche Anspruch an den Unterricht ist zu beachten - ich zitiere -, „dass der Nationalsozialismus keine abgeschlossene und vergangene Phase der deutschen Geschichte, sondern Ereignis ist, das auch noch die Gegenwart beschäftigt.“

Geschichte ist eben nicht abgeschlossene Geschichte. Jede Generation muss sich neu entscheiden, wie sie sich ein geordnetes Zusammenleben vorstellt. Ein Vergleich von Systemen kann und darf nicht zu einer undifferenzierten und zu einer unwissenschaftlichen Gleichsetzung führen. Das wird in seriösen Studien auch nicht gemacht.