Protokoll der Sitzung vom 19.03.2010

Die letzte Frage stellt Herr Dr. Schrader. Dann müssten wir durch sein.

Herr Kollege Gallert, Sie haben Ihre Kritik an der Veranstaltung und an einigen Referenten insbesondere unter verfassungsrechtlichen Kriterien begründet.

Sie haben Herrn Gabriel zitiert, der Ihre Partei angegriffen hat. Da wir seit Jahren auf ein Grundsatzprogramm Ihrer Partei warten, würde ich darum bitten, dass Sie die Position Ihrer Bundespartei zum Grundgesetz noch einmal klar und deutlich formulieren.

(Zurufe von der LINKEN)

Wir haben einen Programmentwurf vorliegen, der 40 Seiten umfasst. Ich möchte es jetzt nicht überstrapazieren. Meine Partei, DIE LINKE, steht ausdrücklich auf dem Boden des Grundgesetzes. Sie versucht es zu verteidigen.

(Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

Ich sage es jetzt in aller Deutlichkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen: In der letzten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gab es sage und schreibe 15 - 15! - Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, die dahin gingen, dass Gesetze, die von der letzten Bundesregierung verabschiedet worden sind, gegen das Grundgesetz verstoßen, übrigens eines in dieser Legislaturperiode, das gegen den Artikel 1 des Grundgesetzes verstößt.

An dieser Stelle sollten wir uns einmal über die Frage von Grundgesetztreue unterhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Starker Beifall bei der LINKEN - Herr Tullner, CDU: Jetzt reicht es aber wohl!)

Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt zum letzten Debattenbeitrag. Für die SPD hat die Abgeordnete Frau Budde das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Holen wir die Debatte wieder ins Land zurück. Ich glaube, in dieser Diskussion sollte unstreitig sein, dass Landesregierung und Landtag und die darin vertretenen Parteien jeden Angriff auf unsere Demokratie, jeden politischen Extremismus und insbesondere jede politisch motivierte Gewalt ablehnen, egal von welcher Seite sie ausgeht. Das ist der Grundkonsens, auf dem wir stehen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich sage aber auch, dass wir in den letzten Jahren sehr schmerzlich haben lernen müssen, dass es mit grundsätzlichen Bekenntnissen nicht getan ist. Wir müssen diejenigen, die unsere Demokratie angreifen und von denen Gewalt ausgeht, auch deutlich beim Namen nennen. Dabei können wir nicht darüber hinwegsehen, dass die Zahlen jedes Jahr aufs Neue eine deutliche Sprache sprechen.

Sachsen-Anhalt ist Gott sei Dank keine Hochburg des politischen Islamismus und Gott sei Dank auch keine Hochburg der militant linksextremistischen Szene, wie es in Berlin oder in Hamburg der Fall ist. Wir haben nichts damit Vergleichbares - Gott sei Dank!

Aber wir haben ein handfestes Problem - das ist für mich ein Schwerpunktproblem - mit rechtsextremistischen Gruppierungen. Diese verachten den Rechtsstaat nicht nur, sondern sie wollen ihn zerstören und untergraben. Oft genug nehmen sie dabei das Mittel der Gewalt in Kauf.

(Zuruf von der CDU: Wer greift wen an?)

Deshalb haben wir die Kampagne „Hingucken und einmischen“ gegründet. Hintergrund war das Schwerpunktproblem Rechtsextremismus. Darüber, dass die Gefahr des Nationalismus oder des Rechtsextremismus in der deutschen Geschichte schon einmal dramatisch unterschätzt worden ist, haben wir gestern debattiert. Ich glaube, das hat Herr Rothe sehr eindrucksvoll dargelegt.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich will aber auch sagen, dass die Schwere der Auseinandersetzungen von linksautonomen Gruppen mit Rechtsextremisten und auch gegen die Polizei deutlich zunimmt. Die Gewalt wird auch dort größer, auch dieser Trend nimmt zu. Deshalb werden wir auch dagegen - ich glaube, auch gemeinsam - ein klares Stoppzeichen setzen. Diesbezüglich gibt es überhaupt keinen Dissens zwischen uns.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Dass politische Systeme - auch Diktaturen - miteinander zu vergleichen sind, ist eine anerkannte wissenschaftliche Methode. Dabei stößt man im Erscheinungsbild bei diktatorischen Regimen auf Ähnlichkeiten, aber auch auf fundamentale Unterschiede.

(Herr Tullner, CDU: Das stimmt!)

Eine frappierende Parallele - auch um das von gestern noch einmal aufzugreifen - ist übrigens, dass beide Dik

taturen auf deutschem Boden von breiten Bevölkerungsteilen getragen wurden. Weite Teile des Volkes haben sie mitgetragen.

(Herr Stahlknecht, CDU: Die erste, die zweite nicht!)

- Die zweite auch. Dazu will ich klar sagen: Die zweite, die Diktatur des Proletariats wurde nicht nur von der SED getragen, Herr Stahlknecht. Da gab es auch andere. Das war sehr breit angelegt.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Scheurell, CDU)

Ich halte es für absolut legitim, beides herauszuarbeiten, auch wenn das heute dem einen oder anderen nicht mehr passt.

(Zuruf von Herrn Hartung, CDU)

Das gehört zur deutschen Geschichte dazu. Sie können mir glauben, ich kann darüber ganz unbefangen sprechen.

(Herr Hartung, CDU: Ich auch!)

Das war einer der Gründe, warum wir uns entschieden haben, alle Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt in einer Stiftung und nicht in zwei Stiftungen zusammenzufassen.

(Beifall bei der SPD)

Eine Vergangenheit braucht man nicht zu teilen, sondern man kann sie in einer Gedenkstättenstiftung aufarbeiten.

(Zustimmung bei allen Fraktionen - Herr Kos- mehl, FDP: Sehr richtig!)

Ich will es nicht noch einmal zitieren, aber ich halte es dabei 1 : 1 mit dem Ministerpräsidenten, der gesagt hat: Wir hatten eine schwierige Diskussion, und wir haben sehr wohl eine ausgewogene Formulierung im Gesetz zum Thema nationalsozialistische Diktatur und Einzigartigkeit der Verbrechen und zu dem Thema schwere Menschenrechtsverletzungen und Diktatur der SED gefunden. Wir haben sehr deutliche Worte gefunden. Das sollte auch zukünftig unsere Basis sein.

Dazu muss es auch erlaubt sein zu sagen, dass diese Unterscheidung der Lebenserfahrung der meisten Menschen in der DDR, solange sie diese bewusst erlebt haben, auch heute noch entspricht. Die wenigsten wollen zurück. Viele haben schlechte Erinnerungen, haben schwierige Zeiten und auch Schmerzen erlitten. Aber sie sagen auch, dass das nichts mit Holocaust, mit Euthanasie oder mit Vernichtungskrieg zu tun hatte.

Ich will klar für uns sagen: Man kann eine Diktatur nicht gegen die andere verrechnen.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei der FDP - Herr Stahlknecht, CDU: Aber addieren!)

Wir erinnern uns gut daran - ich jedenfalls ziemlich genau aus meinem Geschichtsunterricht -, dass in der DDR die Diktatur der SED häufig mit dem Kampf gegen den Faschismus begründet worden ist.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Die Bürgerinnen und Bürger, die im Jahr 1989 auf die Straße gegangen sind, wollten diese Auslegung nicht mehr mittragen und haben sich auch deshalb gegen die SED-Herrschaft aufgelehnt.

Aber das heißt genauso: Wir dürfen die Erinnerung an das diktatorische System der DDR heute nicht dazu benutzen oder in die Gefahr geraten, dass es uns dazu dient, die Gräuel des Nationalsozialismus zu relativieren. Das ist ein sehr sensibles System und darauf müssen wir sehr genau achten.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Schwenke, CDU)

Ich erlaube mir deshalb an dieser Stelle, noch einmal sehr deutlich zu sagen: Gerade die Sozialdemokraten haben mit den dunklen Seiten beider Diktaturen ihre Erfahrung.

(Zurufe von Herrn Tullner, CDU, und von Herrn Scheurell, CDU)

- Oh, ganz vorsichtig! - Deshalb sage ich sehr deutlich für die Sozialdemokraten: Wir sind diesbezüglich über jeden Zweifel erhaben. Wir sind die einzige der in diesem Landtag vertretenen Parteien - da brauchen Sie nicht zu lächeln, Frau Hüskens; ich kenne das andere System sehr gut -,

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

die in beiden Regimes als Partei zu den Verfolgten gehörte.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Kosmehl, FDP: Also!)

Deshalb will ich auch sagen, dass die Beweggründe von Herrn Staatssekretär Erben in diesem Kontext klar einzuordnen sind. Die Unterstellung, ein Sozialdemokrat sei gegen Meinungsfreiheit oder würde Diktaturvergleiche ablehnen, erledigt sich damit ein Stück weit von selbst.