dass der Ministerpräsident ein Liberaler war. Es war Erhard Hübener. Ich sage das aber nicht, um die Eitelkeit der FDP zu befriedigen, sondern weil ich einen anderen Ansatz suche.
Im Jahr 1947, als man mit einem liberalen Ministerpräsidenten angefangen hat, gab es noch den Willen zur Freiheit. Es gab auch noch den Glauben, dass in diesem Bundesland die Freiheit herrscht. Dies gab es aufgrund der freien Wahlen, die nicht so ausgegangen waren, wie sich die sowjetische Besatzungsmacht das ausgedacht hatte.
Das gab es bis 1952. Dann wurde dieser Freiheitstraum zunichte gemacht. Das Land wurde aufgelöst und einer zentralistischen Struktur geopfert. Erkennbar war das noch nicht. Aber ein Jahr später ist vollkommen klar geworden, was die DDR war.
Als die Männer und Frauen in sehr tapferer Art und Weise gegen den Zwang, den man ihnen auferlegen wollte, protestierten, haben sie - das hat der Ministerpräsident richtig gesagt - auch für die Freiheit gekämpft und sich gegen die Oberen gewandt. In dem Moment, in dem das geschah, hat die DDR die wahre Fratze der Diktatur gezeigt. Und das, meine Damen und Herren, hat so nachhaltig angehalten, dass es eine ganze Generation brauchte, um wieder den Mut zu finden, für die Freiheit einzutreten und für die Freiheit auf die Straße zu gehen. Das hat bis 1989 gedauert.
Eines haben wir allerdings daraus gelernt. Gerade in Sachsen-Anhalt war die Freiheit auf Dauer nicht totzuschweigen. Das, was dann im Jahr 1989 einsetzte, war eine rasante Entwicklung. Politisch gesehen hat die Volkskammer die DDR für die Demokratie fit gemacht, und das in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit, in der dort Gesetze gemacht worden sind, die letztlich die Voraussetzung dafür waren, dass Sachsen-Anhalt geboren oder wiedergeboren werden konnte, verdient die Hochachtung all derer, die in einem Parlament sind.
Das war kein einfacher Weg. Das war mit großem Fleiß verbunden. Und das haben Leute, die darin nicht geübt waren, innerhalb von eineinhalb Jahren bewerkstelligt - ich muss sagen: Gratulation!
Meine Damen und Herren! Auf der anderen Seite haben wir auch eine beispiellose Verwaltungsleistung vollbracht. Ich möchte an den Einigungsvertrag erinnern. Dieser war zwar auch mit der heißen Nadel gestrickt, ist aber die Grundlage all dessen geworden, auf das wir uns jetzt beziehen. Man soll es nicht glauben, er hat schlecht und recht sogar 20 Jahre lang als Grundlage gehalten. Auch das ist eine große Leistung und beispielgebend in der Welt, eine Leistung von einer wohlverstanden gut ausgebildeten Bürokratie, die Deutschland vorzuhalten hat. Da muss sich Deutschland nicht verstecken.
Aber nach der Gründung des Landes Sachsen-Anhalt brach es los. Erinnern Sie sich daran: In wirtschaftlicher Hinsicht waren das Gründerzeiten; das waren Pionierzeiten. Jeder hat versucht, sich in einem Gewerbe selbständig zu machen. Es gab viele Freiberufler. Es gab Gewerbegebiete, die an den Autobahnen schon fertig waren, da hat der Bürgermeister erst erfahren, dass es Flächennutzungspläne geben könnte. Manche haben erst in einem Verwaltungslehrgang zwei Jahre später erfahren, dass sie schon längst mit einem Fuß im Gefängnis stehen, obwohl sie - ich sage es einmal so - bereits der normativen Kraft des Faktischen gegenüberstanden.
Es gab wenige Bedenkenträger in dieser Zeit. Es herrschte Aufbruchstimmung. Gleichzeitig - das haben Sie herausgearbeitet, Herr Miesterfeldt - gab es gerade in Sachsen-Anhalt die Schwierigkeit, eine hochkonzentrierte Industriestruktur globalisierungs- und anpassungsfähig zu machen. Sie können sich daran erinnern, dass das Instrument die Treuhand war. Diese haben wir im Wesentlichen für die Folgen dieses Umbruches verantwortlich gemacht. Verantwortlich war sie nicht. Sie war nur diejenige, die es umsetzen musste. Ich gebe gerne zu: Dabei hat es Fehler gegeben wie in allen anderen Bereichen.
Politisch hat sich das Land Sachsen-Anhalt in den letzten 20 Jahren an Zusammenstellungen alles geleistet, was man sich denken kann: Schwarz-Gelb, Rot-Grün,
- Rot-Gelb gab es noch nicht. Das ist eine Option, die noch offen bleibt. Aber dafür müssen Sie noch etwas wachsen, Herr Minister,
(Zuruf von Minister Herrn Bullerjahn - Herr Tull- ner, CDU: Sie könnten ja auch einmal wachsen! - Heiterkeit)
Übrigens hatten wir - das möchte ich kurz noch erwähnen - auch in Sachsen-Anhalt schon eine Immobilienblase zu bewältigen. Sie können sich daran erinnern, dass es Anfang der 90er-Jahre für alle diejenigen Steuervergünstigungen gab, die im Osten Deutschlands Wohnungen bauen wollten. Auch das hat sich im Jahr 1997 bitter gerächt. Wir hatten eine völlig überhitzte Bauindustrie, die mit einer Schieflage in der Struktur der Wirtschaft zurechtkommen musste. Im Jahr 1997 gab es eine Pleitewelle, auch in Sachsen-Anhalt, die das Land bis dahin so nicht gekannt hatte.
Meine Damen und Herren! Auch damals war klar, dass Staatswirtschaft und staatliches Eingreifen den Markt nicht ersetzen können. Ich denke, das ist etwas, das auch Sie, Herr Gallert, eingestehen müssen. Ich komme deshalb darauf zu sprechen, weil ich mich darüber gewundert habe, dass Sie, Herr Gallert, die Föderalismusstruktur ausdrücklich gelobt und den Wettbewerbsföderalismus abgelehnt haben; dann jedoch haben Sie auf zentrale Entscheidungsstrukturen hingewiesen, sind ganz locker auf die Wirtschaft übergegangen und haben dann auch noch Opel angesprochen.
Ich bin mir nicht ganz im Klaren darüber, was Sie meinen, wenn Sie sagen, Sie glauben, dass Entscheidungskompetenz zurück in das Politische geholt werden muss; denn Ihre Anklage ging im Wesentlichen gegen die Exekutive. Bei aller Liebe: Die Exekutive in Sachsen-Anhalt ist politisch. Zu glauben, dass sie dies nicht sei, wäre sicherlich ein Fehler.
Das, was Sie tatsächlich meinen, ist, dass die die Regierung tragenden Fraktionen im Landtag sich das Heft aus der Hand nehmen lassen. Das ist durchaus denkbar. Ich glaube jedoch, Sie können nicht meinen, dass Opel in die Politik zurückgeholt werden soll und dass die Entscheidungen über das Wohl und Wehe von Opel von der Politik getroffen werden sollen.
Ich glaube, das ist nicht das, was Sie wirklich sagen wollten. Ich hoffe, ich habe Sie da gründlich missverstanden.
Ja, wir haben in den letzten 20 Jahren ein bewegtes Sachsen-Anhalt erlebt. Ich möchte klar sagen, dass es sich auch verändert hat. Und das, was sich verändert hat, kann sich sehen lassen. Gab es im Jahr 1990 noch 20 000 Studenten im Land, so sind es heute 50 000. Das Arbeitsentgelt im Arbeitnehmerbereich hat sich von 15 800 € auf 25 700 € erhöht. Das Bruttoinlandsprodukt
ist von 20 Milliarden € auf 51,5 Milliarden € gestiegen. Wir haben mehr Ärzte pro Kopf im Land als zu DDRZeiten. Unsere Lebenserwartung ist deutlich gestiegen. Erstaunlicherweise ist die Zahl der Erwerbstätigen mit 1,1 Millionen annähernd gleich geblieben, obwohl wir einen deutlichen Bevölkerungsschwund hatten.
Es ist also durchaus so, dass es unabhängig davon, welche Politik wir vor Augen haben, gelungen ist, einen Wohlstand zu generieren, der um einiges höher ist als der, den die Leute in der DDR hinter sich gelassen haben.
Wir haben in diesem Land Schätze gehoben. Wir haben Weltkulturerbestätten. Wir haben die Himmelsscheibe. Wir haben Namen herausragender Menschen von Luther bis Eike von Repgow, von den Ottonen bis Händel und Bach. Dieses Land ist reich. Wir haben es fertiggebracht, es den Menschen zu zeigen; die touristischen Programme, angefangen vom Blauen Band über die Straße der Romanik bis hin zu den Gartenlandschaften, taugen dazu. Man mag sich auch über den Spruch „Wir stehen früher auf“ streiten, aber ich denke, das Landesmarketing hat uns gut getan. Sachsen-Anhalt steht zumindest jetzt, nach 20 Jahren, wesentlich besser da als vor 20 Jahren.
Ich habe es vielen schon erzählt, aber ich wiederhole es gern. Ich kam im Jahr 1991 als junger Rechtsanwalt in dieses Land und habe beschlossen, in Bitterfeld eine Kanzlei aufzumachen. Nachdem ich im Jahr 1991 an einem verregneten Novembertag aus dem Zug gestiegen und die 200 m zur Kanzlei gegangen war, war mein Hemd schwarz, ich hatte Schwarzes auf den Augenlidern und ich habe mir ernsthaft überlegt, ob ich nicht den Fehler meines Lebens gemacht hatte, als ich die Entscheidung traf, in diesem Land eine Chance zu suchen.
Wenn ich heute aus meiner Kanzlei hinaustrete und mit meinem Hund am See spazieren gehe, in einer hervorragenden Gastronomie etwas esse,
frische Luft atme und sehe, dass alle Leute zur Goitzsche wandern, um dort ihrer Freizeitbeschäftigung nachzugehen, vom Surfen über Schwimmen, Segeln und Radfahren bis zum Skaten, dann stellt sich die Frage für mich nicht mehr. Dieses Land hat mir eine Chance gegeben, und ich bin außerordentlich dankbar dafür, dass ich sie nutzen konnte.
Ja, Sachsen-Anhalt bietet Chancen. Sachsen-Anhalt steht auch Herausforderungen gegenüber. Der Ministerpräsident hat das richtig benannt: Die Demografie ist eine Herausforderung. Aber auch die haushalterische Situation ist eine Herausforderung.
Aber ich denke, das ist nicht alles. Ich denke, wir müssen uns bei den Schwierigkeiten, die infolge der demografischen und der finanzpolitischen Entwicklungen entstehen, zunächst einmal fragen, wohin wir eigentlich wollen. Was ist das Ziel der Politik? Ich glaube, das sagen wir den Menschen draußen viel zu wenig.
Ich glaube, alle hier im Raum sind der Auffassung: Eigentlich wollen wir, dass die Menschen in unserem Lande eine größtmögliche Teilhabe am Wohlstand dieses Landes haben und dass sich die Situation verbessert. Wenn ich das möchte, wenn ich wirklich möchte, dass
sich der Wohlstand mehrt, dann brauche ich ein Mehr an Industrialisierung, dann brauche ich ein Mehr an Produktivität, dann brauche ich ein Mehr an Bildung, ich brauche ein Mehr an Steuerkraft und ich brauche unter Umständen auch ein Mehr an Menschen.
Das heißt im Klartext: Wir brauchen das gute alte Wachstum. Natürlich ist das finanzpolitisch schwierig. Natürlich müssen wir auch dabei unsere Hausaufgaben machen.
Ich stimme mit Ihnen, Herr Ministerpräsident, darin überein: Der Schlüssel für die Finanzpolitik liegt tatsächlich in der Ausgabenreduzierung; denn eine Einnahmeerhöhung in dem Maße, wie wir sie brauchen, wird uns wohl nicht gelingen. Aber Ausgabenreduzierung bedeutet ganz einfach: Aufgabenreduzierung. Und das, Herr Ministerpräsident, ist Ihnen in den letzten vier Jahren nicht gelungen. Das haben Sie in Ihrer Erklärung elegant umschifft.
Ich finde es nett, dass Sie uns gesagt haben, der Finanzminister werde uns Vorschläge machen. Herr Ministerpräsident, dieser Finanzminister hat schon so viele Vorschläge gemacht, so viele Papiere geschrieben und hat doch nichts davon umgesetzt. Wir warten seit vier Jahren darauf. Es wäre schön, wenn es endlich passieren würde.
Die Antworten für das Wohl und Wehe Sachsen-Anhalts in der Zukunft liegen natürlich in der Wachstumsmehrung. Die Schlüssel dafür liegen im politischen Bereich in der Wirtschaftspolitik. Sie haben es richtig angesprochen: Wir müssen Innovation und Forschung vorantreiben. Wir können die privaten Investitionen für die Forschung nicht ersetzen, wir müssen aber die Anreize dafür schaffen. Wir brauchen eine Bildungspolitik; denn angesichts des drohenden Fachkräftemangels können wir es uns nicht leisten, Schulabbrecher oder Lehrausbildungsabbrecher zuzulassen.
Wir brauchen zudem attraktive Lebensräume. Wir brauchen ein attraktives Sachsen-Anhalt, damit die Menschen auch wieder zu uns kommen. Wir werden es nicht aus eigener Kraft schaffen, genügend Personal für die Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Wir werden die Menschen anlocken müssen. Wir werden es selbst mit den größten Sozialprogrammen nicht schaffen, die Geburtenrate in der Geschwindigkeit zu steigern, dass wir die Folgen, die wir bis zum Jahr 2050 zu erwarten haben, abdämpfen können.
Wir haben es von den Apothekenkammern gehört: Wenn wir nichts ändern, wird die Folge im Gesundheitswesen sein, dass der Beitragsanteil im Jahr 2050 bei 43 % des Bruttoeinkommens liegen wird. Das heißt, wir brauchen ein Mehr an Menschen und wir müssen Zuwanderung organisieren. Das schaffen wir nur mit attraktiven Lebensräumen.
Dazu gehört natürlich eine gute Entlohnung. Dazu gehört auch eine gute Infrastruktur. Es gehört aber auch die Einstellung der Menschen dazu. Das habe ich in Bitterfeld auch erlebt. Im Jahr 1991 haben mir die Menschen gesagt, sie wohnten in der Nähe von Leipzig; denn Bitterfeld war ein Synonym für etwas Schlechtes. Heute stehen sie mit stolzgeschwellter Brust da und sagen: Ich komme aus Bitterfeld-Wolfen; dort gibt es SolarValley, dort gibt es die Goitzsche; dort gibt es viel, was
Meine Damen und Herren! Die Stärke Sachsen-Anhalts liegt, so glaube ich, im Wandel, in der Wandlungsfähigkeit und in der Kraft, den Wandel zu bewältigen. Deshalb ist mir um Sachsen-Anhalt nicht bange. - Danke.
Vielen Dank für Ihren Beitrag, Herr Wolpert. - Wir kommen zum Debattenbeitrag der CDU. Herr Scharf hat das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sachsen-Anhalt ist seit zwei Jahren volljährig. Deshalb ist es gut und richtig, dass der Ministerpräsident diesen Anlass am heutigen Tage aufgreift und eine Regierungserklärung zu diesem Thema abgibt.