Man muss durchaus unterscheiden zwischen niedrigen Lohnkosten - Sachsen-Anhalt liegt übrigens, was die durchschnittlichen Lohnkosten anbelangt, über dem Durchschnitt der ostdeutschen Länder; das ist dem Ranking entnehmbar - und den niedrigsten Arbeitskosten unterscheiden. Sachsen-Anhalt hat in Ostdeutschland die höchste Arbeitproduktivität und damit auch die niedrigsten Arbeitskosten.
Das ist nicht identisch mit dem, was die Lohnkosten ausmachen; da spielt mehr hinein, eben auch der hohe technologische Ausstattungsgrad und insbesondere der Branchenmix, der bei uns eine Rolle spielt: Chemie, wenig beschäftigungsintensiv, hochrationalisiert, hohe Produktivität, 32 % über der westdeutschen durchschnittlichen chemischen Produktivität. All das spielt eine Rolle. Deshalb muss man das schon differenzieren.
Aber unter dem Strich sind wir einer Meinung: Die Lohnfrage wird darüber entscheiden, was in den nächsten Jahren hier bindbar, zurückholbar und auch ansprechbar bezüglich des Potenzials ist, das in den letzten 20 Jahren weggezogen ist. Da sind wir nicht hoffnungslos, was die Rückkehrbereitschaft anbelangt. 16 % würden theoretisch zurückkehren, wenn alles andere stimmt. Das müssen wir ausspielen.
Wir müssen auch die Frage der Migration bzw. der Zuwanderung langfristig generell diskutieren und unsere Gesellschaft dafür fit machen, dass sie dies positiv bewältigt. Eine andere Alternative sehe ich nicht.
Wie gesagt, es gibt eine ganze Reihe von Komponenten; ich will sie nicht abschließend vortragen. Ich will zum Schluss nur noch Folgendes sagen.
Wir haben das auf 17 Seiten des Entwurfs für das Fachkräftesicherungsprogramm niedergelegt. Ich bin gern bereit, das ausführlich im Wirtschaftsausschuss darzustellen. Sie werden darin eine ganz klare Systematik finden, wie wir mit diesem Pakt vom Zielsystem über Ober- und Unterziele, Maßnahmen und Förderprojekte hin zu konkreten Aktionen kommen, bei denen jeder seinen Beitrag leisten kann, um Bewegung in das Gesamtsystem zu bringen.
Dieses ist sehr langfristig angelegt. Es muss auch langfristig bearbeitet werden. Wir brauchen hier einen langen Atem. Aber, ich denke, wir haben dann ein sicherlich entwicklungsfähiges Handlungskonzept gefunden, an dem alle gesellschaftlichen Kräfte unseres Landes - so will ich es einmal sagen -, einschließlich der Gewerkschaften, mitwirken. Das ist, wie gesagt, einmalig der Fall. Beim Fachkräfte- bzw. Ausbildungspakt waren sie zwar grundsätzlich bereit mitzuwirken, aber haben nicht mit unterschrieben. Hier finden sie sich wieder. Ich denke einmal, das ist genau die Basis, die wir im Lande brauchen.
Deshalb lade ich uns alle ein, auch in der weiteren parlamentarischen und Ausschussarbeit an diesem Projekt mitzuarbeiten, es fortzuentwickeln und damit letztendlich sicherzustellen, dass die Fachkräfteproblematik in Sachsen-Anhalt vernünftig gelöst werden kann. - Herzlichen Dank.
Herr Minister, in Sachsen-Anhalt arbeiten nicht einmal 50 % der Beschäftigten unter einem Tarifvertrag. Sie haben eben gesagt, dass die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften gemeinsam die Tarife hochbringen müssen. Das ist nur der eine Teil.
Der andere Teil ist - das ist meine Frage -: Wie wird das in Unternehmen geregelt, die nicht tarifgebunden sind? Dafür brauchen wir eine Lösung, weil das immer noch die Mehrheit in Sachsen-Anhalt betrifft.
Wäre es deshalb nicht sinnvoll, sich als Landesregierung für den gesetzlichen Mindestlohn und für die Allgemeinverbindlichkeit bezüglich der Umsetzung stark zu machen?
Letzteres ist eine ganz klare CDU-Politik. Schön, dass Sie darauf einschwenken. Wir haben Tarifautonomie. Wir haben in diesem Land schon seit mehr als 50 Jahren verfassungsmäßig geklärt, wer dafür zuständig ist, Tarife auszuhandeln, und dass sich der Staat möglichst heraushalten soll und nur bei groben Diskrepanzen und fehlender Ordnung am Arbeitsmarkt über entsprechende Gesetze, die seit Anfang der 50er-Jahre bestehen, eingreifen kann.
Diese Option hat der Staat immer noch, aber er brauchte sie Gott sei Dank bisher nicht zu ziehen, weil sich das gut reguliert hat.
Deshalb finden Sie mich ganz klar auf der Seite derjenigen, die dafür kämpfen, Mindestlöhne in Tarifverträge einzubeziehen, diese über die Tarifkommissionen zur Abstimmung zu bringen und bei Einstimmigkeit mir als Arbeitsminister, sofern ich zuständig bin, vorzulegen, damit ich dann die Allgemeinverbindlichkeit erklären kann. Das ist ein ganz klares Verfahren. Dabei haben Sie mich voll auf Ihrer Seite.
Bei staatlichen Mindestlöhnen - Herr Miesterfeldt hat schon angedeutet, dass dies die Ultima Ratio sein muss - sind wir vorsichtiger, weil es letztlich mehr oder weniger die Kapitulation der Tarifpartner, auch der Gewerkschaften darstellt.
Ich bin dafür, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände zu stärken. Die Selbstverwaltungsorgane, die dafür zuständig sind, für Ordnung zu sorgen, müssen sehr stark am Markt vertreten sein. Deshalb sollten wir darüber nachdenken, ein Gewerkschaftssicherungsprogramm aufzustellen, da gerade in Ostdeutschland der Organisationsgrad zu niedrig ist und wir hier zu schwache Gewerkschaften haben. Aber bei dem Lager der Arbeitgeber, um das einmal fair zu vergleichen, sieht es noch gravierender aus.
Trotzdem ist es so, dass wir zwar auf der einen Seite den Organisationsgrad sehr niedrig ausgeprägt haben und uns Besseres vorstellen könnten. Deshalb treffe ich mich mit den Tarifpartnern, um die künftige Sozialpartnerschaft in Sachsen-Anhalt zu diskutieren.
Aber die Analysen zeigen, dass wir durchaus eine wesentlich höhere Orientierung an Tarifverträgen als die
unmittelbare Tarifbezogenheit bzw. Tarifgebundenheit von Unternehmen feststellen können. Das heißt, der Anteil derjenigen Unternehmen, die sich an den Landes- bzw. Regionaltarifen orientieren, liegen mindestens bei zwei Dritteln, ich glaube sogar weit über 70 %. Ich habe es nicht genau im Kopf; Herr Kramer hatte es letztens für eine Podiumsdiskussion für mich herausgesucht. Ich bin gern bereit, das im Wirtschaftsausschuss darzustellen.
Das heißt, die Differenzen sind gar nicht so groß. Man weiß genau, wenn man Arbeitskräfte haben will, muss man mit den tarifgebundenen Unternehmen gleichziehen. Ansonsten kriegt man keine mehr. Das geht auch immer mehr in die Köpfe der Arbeitgeber ein. Ich denke, dass wir das gemeinsam befördern sollten.
Es reizt mich, etwas zu kommentieren, was Sie gerade gesagt haben. Ich will es aber wegen der fortgeschrittenen Zeit heute nicht machen. Ich will nur auf eine andere Situation hinweisen.
Sie haben auch eben wieder gesagt, dass SachsenAnhalt die höchste Arbeitsproduktivität unter den ostdeutschen Bundesländern hat.
Ja, ja. Arbeitsproduktivität bzw. Bruttoinlandsprodukt pro Arbeitsplatz, was ja im Wesentlichen dasselbe ist.
Ich will Ihnen noch einmal deutlich sagen: Lassen Sie sich die Zahlen geben. Es stimmt einfach nicht. Es ist falsch.
Im Jahr 2009 sind wir, übrigens genau wie im Jahr 2002, an dieser Stelle das zweitstärkste Land. Vor uns lag damals Brandenburg, vor uns liegt heute Brandenburg.
Beim Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner lag damals Sachsen vor uns und liegt heute Sachsen vor uns. An dieser Stelle hat sich überhaupt nichts verändert. Nehmen Sie einfach mal die Zahlen wahr.
Klar, die phantasievollen Dynamikrankings der Bertelsmann-Stiftung lassen bei Ihnen immer die Stimmung steigen. Aber die harten Zahlen sagen etwas anderes aus. Wir waren 2002 Zweiter bei der Arbeitsproduktivität. Wir sind es heute auch.
Es gibt verschiedene Zahlentableaus. Diese können wir gern abgleichen. Die endgültigen statistischen Zahlen zu 2009 haben wir noch nicht. Es sind bisher alles Schätzgrößen. Sie wissen genau, dass die abschließenden
Zahlen des Bundesamtes für Statistik zum Bruttoinlandsprodukt mit großer Verzögerung kommen. Die Zahlen, die dann abschließend dastehen, das sind unsere Größen, die nutzen wir auch.
Die Zahlen, die momentan geschätzt werden, sind von der Schätzbasis her sehr unsicher. Sie sehen gerade, was am Beispiel des Wirtschaftswachstums für die abgelaufenen Monate nach vorn extrapoliert wird und nicht nur für die einzelnen Bundesländer, sondern auch für die gesamte Bundesrepublik Deutschland korrigiert wird, bis hin zu Konsequenzen bezüglich der Steuereinnahmen des Bundes und der Länder.
Deshalb bitte ich Sie, die abschließenden Zahlen abzuwarten, die dann auch mit den Einnahmegrößen, einschließlich der Sozialversicherungseinnahmen und Ähnlichem, entsprechend abgebildet werden. Dann reden wir darüber weiter.
Ansonsten wird die grundsätzliche Einschätzung, wo wir stehen, von niemandem infrage gestellt. Denn bei Brandenburg müssen Sie immer noch einen Sondereffekt des Speckgürtels um Berlin mit hineinrechnen, den jeder Volkswirt nicht dem Bundesland Brandenburg zurechnet, sondern - -
- Ja, ist ja in Ordnung. Ich will gar nicht ins Detail gehen. Ich gehe vielmehr auf die Datenbasis ein, die abschließend eingebucht wird und nicht entsprechenden Prognosen zugrunde gelegt wird, die jetzt noch unsicherer sind als vor zwei, drei, vier Jahren, als wir volkswirtschaftlich noch in relativ normalen Fahrwassern waren und nicht in diesen Brüchen, wo mehr oder weniger faktisch wöchentlich neue Prognosen gemacht werden. Deswegen sollten wir uns beide an dieser Stelle etwas in Geduld üben.
Wir treten jetzt in die Debatte ein. Als erster Debattenredner hat Herr Franke von der FDP-Fraktion das Wort.