Aber, Herr Dr. Schrader, wir sind uns doch sicherlich darin einig, dass eine Frisöse auch eine Fachkraft ist.
Dadurch wird es auch nicht besser. Kennen Sie einen Friseur oder eine Friseurin, die in Sachsen-Anhalt für 8,50 € arbeitet?
Wenn es aber um das Thema Fachkräfte insgesamt geht, dann sind Sie mit 8,50 € fast im Bereich der Grundsicherung angelangt.
Ja. Ich würde übrigens auch die Leute, die zum Beispiel hier in diesem Haus mein Leben bewachen, als Fachkräfte ansehen. Fragen Sie die einmal nach ihren Mindestlöhnen.
Vielen Dank. - Dann erteile ich für die Landesregierung Wirtschaftsminister Herrn Dr. Haseloff das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fachkräftesicherung ist die Herausforderung der Zukunft für Sachsen-Anhalt. Wenn es einen limitierenden Faktor für das Wachstum in den kommenden mindestens 20 Jahren geben wird, dann ist es dieser auch demografisch bedingte Faktor in unserer Volkswirtschaft, der er
kannt ist und den wir auch gemeinsam versuchen müssen anzugehen, was die Lösung der wichtigsten damit einhergehenden Probleme anbelangt.
Herr Miesterfeldt hat eine ganze Reihe von Fakten vorgetragen; diese kann ich im Wesentlichen im Raum stehen lassen. Es ist Konsens, dass wir vor dem Hintergrund dieser Datenbasis den politischen Handlungsbedarf noch deutlicher als noch vor Jahren sehen, als bestimmte Transformationsbrüche noch zu anderen Zahlen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt geführt haben.
Wir treten jetzt faktisch in die Phase ein, in der die Halbierung der Geburtenrate ab dem Jahr 1990 im Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und auch in den Hochschulen und Universitäten sukzessive ankommt.
Das ist eine Sache, die trotzdem sehr differenziert zu behandeln ist. Es gibt keine Patentlösung und es muss ein Maßnahmenpaket her. Deswegen haben wir uns auch im Forum für Wirtschaft und Arbeit sehr konsequent darangemacht, dieses Maßnahmenpaket zu schnüren.
Wir werden am 24. Juni 2010, also in den nächsten Tagen, eine Vereinbarung abschließen, und zwar erstmalig anders als noch bei dem vorgeschalteten Ausbildungspakt, als wir noch andere Quantitäten von der Nachfrageseite her gegenüber den angebotenen Ausbildungsplätzen zu bearbeiten hatten. Wir haben erstmalig einen Konsens zwischen allen Forumteilnehmern erzielt, also auch inklusive der Gewerkschaften. Dafür bin ich sehr dankbar, weil wir dieses Thema nur in einer großen konzertierten Aktion positiv angehen können.
Was sind - kurz zusammengefasst - die wichtigsten Fakten? - Erstens. Wir haben bis zum Jahr 2016 kein explizites, durchgängiges, in allen Regionen zu registrierendes Fachkräfteproblem, aber auf diese Jahreszahl wachsen wir zu.
Regional wird es Fachkräfteengpässe, zumindest branchenbezogen, schon vor dem Jahr 2016 geben. Eigentlich kann nur die Altmark von sich sagen, dass die Kinderzahl und die Zahl der Ausbildungs- und Arbeitsplätze noch in einem solchen Verhältnis stehen, dass bis zum Jahr 2016 auch in den einzelnen Branchen keine Fachkräfte fehlen werden.
Bis zum Jahr 2016 laufen im Hintergrund folgende Szenarien ab: ca. 40 000 bis 45 000 Personen werden jährlich in Rente oder in Pension gehen, scheiden zumindest aus dem Arbeitsleben aus. Nachstoßen werden Jahr für Jahr im Durchschnitt inklusive der akademischen Absolventen ca. 15 000 Personen.
Das heißt, per Saldo werden von Jahr zu Jahr 30 000 Erwerbspersonen mehr fehlen. Saldiert bis zum Jahr 2016 führt das zu einer Reduzierung des Erwerbspersonenpotenzials um ca. 155 000 Personen in Sachsen-Anhalt - 155 000 weniger Erwerbspersonen -, immer als geschlossenes mathematisches System betrachtet.
Rein theoretisch bedeutet das wiederum, dass wir dann keine Arbeitslosigkeit mehr haben werden. Wir wissen aber, dass das nicht eintreten wird, weil regional, qualifikatorisch und auch branchenbezogen auf jeden Fall eine Diskrepanz zu verzeichnen sein wird. Ich vermute, dass wir in den Jahren 2016 und 2017 eine Arbeitslosenquote von 8 % oder 9 % haben werden. Gleichwohl haben wir schon in diesem Jahr ca. 10 000 unbesetzte Facharbeits
plätze zu verzeichnen, die aus dem Bestand, insbesondere aus dem Langzeitarbeitslosenbestand, nicht so einfach besetzt werden können.
Da bin ich schon genau bei dem Potenzial, das wir haben: Wir müssen das, was wir im Arbeitslosen- und vor allem im Langzeitarbeitslosenpotenzial verfügbar haben, noch deutlicher und konsequenter für den Arbeitsmarkt und auch zur Fachkräftesicherung nutzen.
Das ist das A und O. Alle Instrumente, die hierzu miteinander kombiniert werden können, sind herzlich willkommen und müssen auch weiterentwickelt werden.
Zweitens. Wir können uns im Schulsystem eine - ich sage es einmal so - Verlustquote von 9 % der Schüler, die den Schulabschluss nicht schaffen, und auf der nächsten Stufe - wenn sie den Schulabschluss schaffen -, in der Ausbildung, eine Abbrecherquote von 23 % nicht mehr leisten.
Wir haben die Quoten an dieser Stelle sicherlich gesenkt, aber noch nicht ausreichend. Dazu zähle ich auch die bundesweit nach wie vor höchste Quote an Schülern eines Jahrgangs, die sich in Sonderschulen befinden. Auch das muss noch einmal pädagogisch angegangen werden und geprüft werden, ob die Schüler dort in der richtigen Schulform sind.
Drittens. Das nächste Potenzial, das wir erschließen müssen, ist das der Fernpendler. Normales Pendeln im Tagespendelbereich, Landesgrenzen übergreifend, ist normal. Das gibt es in allen Bundesländern und sogar über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg im europäischen Kontext. Dass wir aber 21 000 Fernpendler haben, die ihren Hauptwohnsitz hier haben, weil sie nicht wegziehen wollen, nicht wegziehen können, war für uns ein Anlass dafür, sie anzusprechen, sie anzuschreiben. Immerhin haben sich 3 000 von ihnen registrieren lassen, die sich bei einem entsprechenden Arbeitsplatzangebot auch in Sachsen-Anhalt in das Erwerbsleben hineinbegeben würden.
Das heißt wiederum unter dem Strich, dass wir hier attraktive Angebote brauchen. Genau das ist unter anderem ein Punkt, den wir auch im Fachkräftesicherungspakt vereinbaren werden. Wir müssen zu diesen Konditionen noch deutlicher ins Gespräch kommen.
Die Tarifpartner müssen über die Details der Tarifverträge, aber auch über die Ausgestaltung der Arbeitsplätze selbst, einschließlich der Konditionen, miteinander sprechen und eine Entwicklung herbeiführen, die es denjenigen, die in das Arbeitsleben in Sachsen-Anhalt einmünden würden, leichter macht, ihre bisherigen Arbeitsverhältnisse in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder wo auch immer zu kündigen und dann ihren Platz in unserer Volkswirtschaft zu finden.
Das ist ein Punkt, der mich veranlasst hat, einen Sondertermin mit den Tarifparteien in den nächsten Tagen zu vereinbaren, bei dem wir darüber sprechen werden,
Herr Miesterfeldt, eine kleine Korrektur zu dem, was Sie in Richtung Herrn Senius zitiert haben. Das ist ein bisschen missverständlich wiedergegeben worden; in Teilen hat er aber nicht Recht. Denn das, was bei den Ausbildungsvergütungen, die schon relativ weit dem bundesdeutschen Durchschnitt angepasst sind, weiter als das sonstige Lohnniveau der einzelnen Branchen, niedergelegt ist, ist exakt das, was die Tarifparteien vereinbart und unterschrieben haben. Das darf beim Eintragen in das entsprechende Kammerregister nicht unterschritten werden.
Es gibt einen höchstrichterlich ermittelten Betrag, wie weit bundesweit im Sinne von Ortsüblichkeit oder mit Sonderaufwendungen des Arbeitgebers verbunden, nach unten abgewichen werden darf. Letztlich ist es aber so, dass die tariflich vereinbarten Ausbildungsvergütungen für jeden gelten.
Deshalb muss auch darüber gesprochen werden, was der wieder in den Wachstumspfad einmündenden Wirtschaft in Sachsen-Anhalt bei der Weiterentwicklung der Ausbildungsvergütungen zugemutet werden kann, ohne dass sie sich aus der Erstausbildung verabschiedet. Da ist sicherlich mittelfristig Luft drin. Das muss zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern nach oben korrigiert werden, damit es an dieser Stelle keine Abwanderung gibt, wobei wir im dualen System aus diesem Grund kaum eine Abwanderung zu verzeichnen haben.
Wir haben durch die noch in der aktiven Phase befindlichen Sonderprogramme eher das Problem, dass es in Sachsen-Anhalt eine dreigeteilte Ausbildungslandschaft gibt. Wir haben die im normalen Ausbildungsverhältnis stehenden, mit guten Ausbildungsvergütungen versehenen Auszubildenden. Wir haben ferner diejenigen Auszubildenden, die über das SGB III in entsprechenden überbetrieblichen Ausbildungen bzw. in Ausbildungsverbünden stecken und eine nach einem bundeseinheitlichen Schema - hierbei gibt es keinen Unterschied zwischen Ost und West - abgesenkte Ausbildungsvergütung erhalten. Letztlich gibt es die Ausbildungsvergütung über das Bund-Länder-Programm, seit vielen Jahren ergänzt durch unser Landesergänzungsprogramm, bei der im ersten Ausbildungsjahr monatlich 159 € bis hin zu 189 € pro Monat bezahlt werden.
Es wurde politisch, egal von welcher Farbe, immer gesagt: Besser als nichts, besser ausbilden als nicht ausbilden. Aber diese Dreiklassensystematik ist für diejenigen, die in der Berufsschule in der gleichen Klasse sitzen und nebenher teilweise in den gleichen Betrieben ausgebildet werden, schon eine psychische Belastung, die auch zu mentalen Problemen führt. Das ist jedoch auslaufend, weil wir diese Programme nicht mehr brauchen. Die Zahlen haben sich, wie Sie wissen, drastisch verändert.
Was die Standortfrage und auch das Ranking des IAB anbelangt, worauf wir durchaus stolz sein sollten: Wenn 16 000 Arbeitgeber in Deutschland zu allen 16 Bundesländern, zu allen 16 Standorten befragt werden und Sachsen-Anhalt nach Berlin an zweiter Stelle liegt, ist das, denke ich, eine gute Reputation, eine Wertschätzung unserer Arbeitgeber und Arbeitnehmer und macht deutlich, dass man sich wohl fühlt, wenn man hierher kommt.
Man muss durchaus unterscheiden zwischen niedrigen Lohnkosten - Sachsen-Anhalt liegt übrigens, was die durchschnittlichen Lohnkosten anbelangt, über dem Durchschnitt der ostdeutschen Länder; das ist dem Ranking entnehmbar - und den niedrigsten Arbeitskosten unterscheiden. Sachsen-Anhalt hat in Ostdeutschland die höchste Arbeitproduktivität und damit auch die niedrigsten Arbeitskosten.