Protokoll der Sitzung vom 18.06.2010

Frau Take, geht’s? - Bitte schön. Das tut uns leid für Sie, Frau Take.

Entschuldigung, dass ich hier so abgeschmiert bin,

(Frau Hampel, SPD: Das ist verständlich!)

aber mich hat die Schwäche erwischt.

(Frau Tiedge, DIE LINKE: Uns auch! - Frau Ham- pel, SPD: Nach dem Vortrag? Das gibt’s doch gar nicht! - Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

- Nicht wegen des Vortrages, Frau Hampel.

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bedarf an gut ausgebildeten und gut qualifizierten Fachkräften - das haben wir bereits gehört - ist in den letzten Jahren stetig gestiegen, und zwar nicht zuletzt auch aufgrund der guten Wirtschaftsentwicklung in unserem Land seit der CDU-geführten Landesregierung.

In diesen Tagen finden landauf, landab zahlreiche Veranstaltungen zum Thema Demografie und Fachkräftebedarfssicherung statt. Auch unsere Fraktion hat letztens einen ganz erfolgreichen Workshop veranstaltet. Ich habe gehört, dass sich im nächsten Monat auch die SPD mit diesem Thema auseinandersetzen wird.

(Herr Kosmehl, FDP: Oh!)

Beide Themen sind untrennbar miteinander verbunden, da sie immer im Kontext betrachtet werden müssen. Es ist noch gar nicht so lange her - ca. zehn Jahre -, da konnte man mit diesem Thema wahrlich keine Säle füllen.

In Sachsen-Anhalt lag die Arbeitslosenquote bei gut 20 %. Es galt, die berühmte jährliche Ausbildungsplatzlücke mit gemeinsamer Kraftanstrengung zwischen Land und Wirtschaft zu schließen. Als damals die ersten Redner auf das Problem hinwiesen, ernteten sie allenfalls ein müdes Lächeln. Heute wissen wir, dass die frühen Prognosen eingetreten sind.

Wir tun gut daran, uns dieser Herausforderung zu stellen, da sich der Fachkräftemangel bereits jetzt in zahlreichen spezialisierten und technisierten Branchen zeigt. Ein Fachkräftemangel verringert Wachstumspotenziale, er verschlechtert die technologische Leistungsfähigkeit Sachsen-Anhalts und er gefährdet langfristig die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes.

Daher, meine sehr verehrten Damen und Herren, duldet die Entwicklung und Umsetzung neuer Strategien gegen Fachkräftemangel keinen Aufschub. Lassen Sie mich daher kurz die Herausforderungen der Zukunft beschreiben.

Der Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter an der Gesamtbevölkerung nimmt sukzessive ab. Zugleich altert die Erwerbsbevölkerung zunehmend. Während heute noch die 30- bis 40-Jährigen die am stärksten besetzten Altersjahrgänge darstellen, werden es in zehn Jahren die 40- bis 50-Jährigen sein.

Die Ausbildungszeit der verfügbaren Arbeitskräfte wird damit im Durchschnitt länger zurückliegen, und an Nachwuchs, der die neuesten Kenntnisse aus der Lehre oder dem Studium mitbringt, wird es mehr und mehr fehlen.

Neben dem quantitativen Defizit im Fachkräfteangebot drohen so auch qualitative Defizite. Hinzu kommt, dass die Wissensgesellschaft andere und zumeist höhere Anforderungen an die Kompetenz in der Arbeitswelt stellt, als das in der Industriegesellschaft beispielsweise der Fall war.

Überall dort, wo Information reichlich vorhanden ist, wird ein anderer Faktor knapp, nämlich die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und sie in Wissen zu verwandeln. Der intellektuelle Gehalt der Arbeit erhöht sich und einfache Tätigkeiten werden zunehmend zurückgedrängt.

Der Umgang mit Wissen macht einen immer größeren Anteil an der Wertschöpfung aus. Den wissensintensiven Tätigkeiten wächst eine Schlüsselrolle zu.

Schon heute stellen Wissensarbeiter - um Sie einmal so zu nennen - die Mehrheit der Erwerbstätigkeiten. Sie sind die Träger der einzig wirklich knappen Ressource. Ihr Einfluss und ihre Rolle werden Wirtschaft und Gesellschaft künftig entscheidend prägen.

Die neuen Knappheiten verändern die Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen und ziehen längerfristig auch fundamentale Veränderungen von Wertesystemen und Verhaltensmustern nach sich. Da es vergeblich wäre, den dahinter stehenden technologischen Wandel aufhalten zu wollen, kommt es darauf an, ihm offen zu begegnen, um dessen Möglichkeiten und Wirkungen frühzeitig erkennen und beeinflussen zu können.

Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, stellt die Politik auf vielen Feldern vor große Herausforderungen. Ich möchte ausdrücklich betonen: Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass sich die Arbeitsmarktprobleme bei einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung von selbst lösen. Im Gegenteil: Ohne ein gezieltes Gegensteuern droht in Zukunft eine Verschärfung der Wachstums- und Beschäftigungsprobleme.

Lassen Sie mich noch kurz auf einige allgemeine Gründe für den Fachkräftemangel eingehen.

Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass in Deutschland ein geringerer Teil der Erwerbsbevölkerung berufstätig ist oder Arbeit sucht als in einer Reihe anderer Länder. Niedriger ist vor allem die Erwerbsbeteiligung von Frauen, auch wenn es hier signifikante Unterschiede zwischen den alten und den neuen Ländern gibt. Auffallend ist ferner, dass deutsche Akademiker beim Eintritt ins Berufsleben viel älter sind als die Absolventen in unseren europäischen Nachbarländern. Als Fachkräfte stehen sie dem Arbeitsmarkt folglich später zur Verfügung.

Noch stärker fällt das vergleichsweise frühe Ausscheiden aus dem Berufsleben in Deutschland ins Gewicht. Darauf hatte Herr Franke schon hingewiesen. Ein Hauptgrund dafür waren Frühverrentungen in den Unternehmen und bei der öffentlich Hand in den 80er-Jahren, die den Arbeitsmarkt damals entlasten sollten und auch entlastet haben.

Heute zeigt sich an den Folgen, dass gut gemeinte Politik nicht immer gute Politik ist. Zusammen mit damals weit verbreiteten Vorurteilen der Unternehmen bezüglich der Leistungsfähigkeit älterer Arbeitskräfte ist sie mit daran schuld, dass Erfahrungswissen vorzeitig abgeschrieben wurde und auch deshalb Fachkräfte fehlen. Ich denke, heute kann es sich kein Unternehmen mehr leisten, auf erfahrene Arbeitskräfte zu verzichten. Also sollte man auch wieder versuchen, ältere Arbeitskräfte zu reaktivieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bedarf an guten und hoch qualifizierten Arbeitskräften wird weiter wachsen. Deshalb muss eine verantwortungsvolle Landesregierung - unsere hat dies auch getan - vorausschauend die Weichen dafür stellen, dass die notwendigen Fachkräfte dem Arbeitsmarkt auch künftig zur Verfügung stehen.

Die Politik der CDU-Fraktion indes beruht auf mehreren Säulen, nämlich darauf, die einheimischen Arbeitskräfte so zu qualifizieren und so weiterzubilden, dass sie von

den großen Chancen, die sich bieten, besser profitieren können. Das gilt auch für diejenigen, die schon lange und in vielen Fällen aufgrund mangelnder Schulbildung und mangelnder Förderung nicht imstande waren, sich so in den Arbeitsmarkt einzugliedern, wie dies im Interesse unserer wirtschaftlichen Entwicklung geboten ist.

Weiterhin haben wir uns schon vor langer Zeit auf die Arbeitnehmergruppe fokussiert, die gern wieder zurück nach Sachsen-Anhalt kommen möchte. Der Minister führte dazu aus. Diese Gruppe von Erwerbstätigen ist für Sachsen-Anhalt von großer Bedeutung, da es sich hierbei um extrem mobile, leistungsfähige und flexible Beschäftigte handelt.

Aber es gilt nicht nur Themen der Bildung aufzugreifen. Es sind zahlreiche so genannte weiche Faktoren, die in den nächsten Jahren in Sachsen-Anhalt angegangen werden müssen, um unser Land noch attraktiver für qualifizierte Fachkräfte zu machen.

Angesichts meiner fortgeschrittenen Redezeit möchte ich einige Maßnahmen nur stichpunktartig erwähnen: Aktivierung von vorhandenen Potenzialen - dabei denke ich zum Beispiel an Frauen nach der Baby-Pause -, Reaktivierung von Frührentnern, Rückholung von Berufspendlern, eine qualifikationsfördernde Lohndifferenzierung zulassen, betrieblichen Bündnissen gegen Arbeitskräftemangel Raum geben, Aus- und Weiterbildung zur personalpolitischen Basisstrategie machen etc.

Sie sehen, meine sehr geehrten Damen und Herren, man kann selbst in einer Aktuellen Debatte das Thema Fachkräftebedarf und Fachkräftesicherung nur streifen. Das Thema ist ein zentrales Zukunftsthema für unser Land und eine große politische Herausforderung.

Die CDU-Fraktion und die Landesregierung haben sich dieser Thematik rechtzeitig angenommen. Wir werden weiter daran arbeiten, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Sachsen-Anhalt nicht nur der interessanteste Wirtschaftsstandort in Deutschland ist, sondern auch das lebens- und liebenswerteste Bundesland. Dazu lade ich alle Fraktionen herzlich ein.

Nun noch einige Worte zu dem Antrag der LINKEN. Ich wünsche mir gut organisierte und starke Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, verhandeln die Löhne; sie bestimmen, was in Sachsen-Anhalt an Löhnen gezahlt wird. Ich warne dringend davor, die Tarifautonomie auszuhebeln. Die Regierung kann nur dort eingreifen, wo die Gewerkschaften und die Arbeitgeber zu schwach sind, um selbst die Löhne zu verhandeln. Deshalb sollte man in diesem Zusammenhang wirklich nur in Ausnahmefällen eingreifen.

Ich stimme mit unserem Wirtschaftsminister nicht darin überein, dass man diesbezüglich maßgeblich etwas tun müsste. Ich gehe davon aus, dass die Gewerkschaften und auch die Arbeitgeberverbände die Löhne selbständig aushandeln können.

(Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP, und von Herrn Franke, FDP)

Ich möchte noch auf eines hinweisen: Es gibt schon heute in den Tarifverträgen eine Verbindlichkeit. Ich gehe nur einmal von der Kfz-Branche aus. Ich habe seit 1990 auf der Arbeitgeberseite die Löhne in dieser Branche mit verhandelt. Auch Betriebe, die nicht in den Innungen vertreten waren und nicht dem Arbeitgeberverband angehörten, waren gehalten, die Löhne, die zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelt

wurden, dann auch zu zahlen. Ich denke, der Markt reguliert sich dabei von selbst.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Franke, FDP)

Vielen Dank, Frau Take, für Ihren Debattenbeitrag. Es gibt eine Nachfrage. Frau Take, wollen Sie sie beantworten?

Ja, klar.

Bitte schön.

(Herr Gürth, CDU: Macht mal! Wir haben Zeit!)

Frau Take, nur eine kurze Nachfrage. Der Minister sprach davon, einen Gewerkschaftssicherungsvertrag abzuschließen zu wollen.

(Herr Gürth, CDU: So habe ich das nicht verstan- den!)

Ich will Sie nach Ihrer Meinung fragen: Finden Sie das gut?

Nein, ich finde das nicht gut. Deswegen habe ich gesagt: Ich widerspreche in diesem Zusammenhang ausdrücklich dem Minister. Ein Gewerkschaftssicherungsvertrag ist meiner Ansicht nach nicht nötig. Es sei denn, er weist mir nach, dass er gut begründet ist.

Es gibt noch eine Nachfrage von Herrn Gürth. Herr Gürth, bitte.

Frau Abgeordnete Take, ich will nur fragen: Haben Sie es auch so verstanden, dass sich der Minister dafür ausgesprochen hat, dass es wichtig ist,

(Herr Gallert, DIE LINKE: Nein, zu spät, Herr Gürth! Der politische Bruch in der CDU ist klar erkennbar! Spitzenkandidat ohne Unterstützung! So sieht es nämlich aus!)

in einer sozialen Marktwirtschaft starke Arbeitgeber und starke Arbeitnehmervertretungen im Sinne der Tarifautonomie zu haben, die ein sehr hohes Gut ist?