Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

Schade, ja? Das machen wir trotzdem.

(Herr Kosmehl, FDP: Na klar! - Frau Dr. Hüskens, FDP: Solange es Handys gibt! - Unruhe)

Ja, ich finde, dass ein entscheidender Bereich in der Wirtschaftsförderung fehlt. Darüber haben wir auch schon diskutiert und diesbezüglich sind wir unterschiedlicher Auffassung.

Ich finde, dass es dringend notwendig ist, dass die Investitionsförderung in Zukunft verstärkt in hochqualifizierte Arbeitsplätze geht und dass man in SachsenAnhalt so etwas wie ein Programm des Investitionsassistenten oder andere Programme wieder aufleben lässt. Das wird unserer Wirtschaftsstruktur guttun.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Meine Damen, meine Herren! Ich sehe keinen weiteren Redebedarf. Beschlüsse werden gemäß § 46 der Geschäftsordnung nicht gefasst. Die Aktuelle Debatte ist damit abgeschlossen.

Meine Damen und Herren! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aussprache zur Großen Anfrage

Freie Berufe in Sachsen-Anhalt

Große Anfrage der Fraktion der CDU - Drs. 5/2478

Antwort der Landesregierung - Drs. 5/2689

Hinsichtlich der Dauer der Aussprache hat der Ältestenrat die Debattenstruktur C gewählt, also beträgt die Debattendauer insgesamt 45 Minuten. Die Reihenfolge der Redner und die Rededauer sind wie folgt: FDP fünf Minuten, SPD acht Minuten, DIE LINKE acht Minuten und CDU zwölf Minuten.

Ich erteile jetzt für den Antragsteller dem Abgeordneten Herrn Gürth das Wort. Herr Gürth, Sie können sprechen.

(Unruhe)

- Konzentrieren Sie sich bitte. Herr Gürth hat zur Einbringung das Wort. Bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Unruhe)

- Es gibt materielle Armut und manchmal gibt es Armut an Aufmerksamkeit.

(Herr Kley, FDP: Armut an Geist! - Unruhe)

- Armut ist sehr vielfältig, wie wir gerade feststellen können. - Ich will dennoch versuchen, Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf eine Berufsgruppe, einen Berufsstand zu lenken, der für jeden Menschen in unserem Land schlichtweg unverzichtbar ist, und zwar auf die freien Berufe. Ich möchte im Vorfeld all denen danken, die die 77 Fragen - -

(Unruhe)

Meine Damen, meine Herren! Ich möchte Sie herzlich um Aufmerksamkeit bitten. Herr Gürth hat zur Einbringung das Wort. Wir wollen nachher noch qualifiziert diskutieren.

Falls es nicht angekommen ist: Ich wollte zu Beginn denen Dank sagen, die mitgeholfen haben, unsere 77 Anfragen zur Lage und zur Situation der freien Berufe in Sachsen-Anhalt zu beantworten. Einiges war bekannt. Manches in der Antwort ist jedoch erstaunlich,

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Wohl wahr!)

so zum Beispiel die Zuordnung der Innenarchitekten zu den Künstlern, wie Sänger, Tänzer und Mannequins. Ich komme vom Bau. Dort galten die Architekten ohnehin schon etwas anderes als die Bauingenieure. Letztere wurden eher als sachliche Kameraden auf dem Bau angesehen. Die Architekten sind schon mehr Künstler. Aber die Zuordnung der Innenarchitekten war für mich neu; dabei wurden einige Klischees bedient. Aber die wirklich wichtigen Antworten stehen auf den rund 60 Seiten.

Was kaum jemand weiß: Jeder hat nahezu von der Geburt bis zum Gehen von dieser Erde mit Freiberuflern zu tun, und ein Leben ohne sie ist nicht denkbar. Vom Arzt, der heilt, der Gesundheit und Leben garantieren soll, dem wir uns angesichts seiner besonderen Vertrauensstellung ausliefern, bis hin zum Architekten, dem wir dahin gehend vertrauen müssen, dass sein Bauwerk sicher ist, vom Rechtsanwalt, der uns Beistand gibt, bis hin zum Kulturschaffenden - die Vielfalt der freien Berufe ist im öffentlichen Bewusstsein nicht bekannt. Somit haben wir mit der Beantwortung der Großen Anfrage auch erstmals eine Chance, mit komprimiert vorliegenden Fakten darauf aufmerksam zu machen. Ich werde gleich noch erläutern, warum wir das für notwendig erachten.

Die freien Berufe haben in der Wirtschaft und in der Gesellschaft eine besondere Stellung, und das nicht nur, weil man für einen freien Beruf, wenn man ihn ausüben möchte - ob angestellt oder selbständig -, eine besonders hohe, über dem Durchschnitt liegende Qualifikation braucht, sondern weil die allermeisten der freien Berufe eine ganz besondere Vertrauensstellung in der Beziehung zwischen Nachfragenden und Anbietenden von Dienstleistungen innehaben, wie sie anderswo nicht gegeben ist.

Man liefert sich so manchem Freiberufler aus: Er könnte meinen Prozess vergeigen, er könnte bei der Amputation das falsche Bein absägen. Es geht wirklich bis hin zu unvorstellbaren Dingen. Man geht zu einem Freiberufler, bringt ihm als Vorschuss jede Menge Vertrauen entgegen und ist ihm ausgeliefert. Der Berufsstand der Freiberufler weiß das. Deswegen ist es gut, dass die Organisation in den freien Berufen über Kammern und Verbände straff und gut ist.

Aber in der öffentlichen Diskussion ist uns in den letzten zwei Jahren vor allem eines ganz besonders wichtig gewesen. Wir haben seit nicht ganz zwei Jahren zunehmend die Diskussion über die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise. Wenn man sich zurückerinnert, stellt man fest: Es wurden Banken beschimpft, aber am längsten und in der öffentlichen Diskussion mit den meisten Artikeln versehen war die Diskussion über die Existenz eines Unternehmens: Opel.

Opel beschäftigte vor der Krise deutschlandweit rund 30 000 Mitarbeiter. In Sachsen-Anhalt sind allein in den freien Berufen 93 000 Mitarbeiter beschäftigt, hinzu kommen 11 163 freiberuflich Tätige - das sind mehr als 100 000 Menschen nur in Sachsen-Anhalt -, und zwar vorbei an fast allen Förderprogrammen, ohne Förderung, ohne Subvention und bei hohem Risiko. Aber das ist gar nicht so im Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Die freien Berufe haben trotz aller Krisen unter zunehmendem Wettbewerbsdruck, auch durch die Öffnung der Grenzen in Europa und die Globalisierung, ein überdurchschnittliches Wachstum erzielt. Im Durchschnitt erzielten sie einen Zuwachs beim Wirtschaftswachstum um 4 % - das liegt weit über dem Durchschnitt der Europäischen Union und ist doppelt so hoch wie in den zurückliegenden Jahren in Deutschland -, ohne dass es jemand bemerkt hat.

Die freien Berufe und die Fakten, die hierzu aufgeschrieben und vorgetragen worden sind, sind für die Entwicklung in Sachsen-Anhalt besonders wichtig, weil wir manche Wirtschaftszweige ohne freie Berufe, die auch in Zukunft mit ihrer hohen Qualität und Kreativität in Sachsen-Anhalt benötigt werden, gar nicht mehr weiterentwickeln können.

Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Existenz der selbständigen freiberuflichen Unternehmungen und der Nachwuchs gesichert sind. Beides ist in vielen Fällen nicht gesichert. Die Anfrage liefert dazu wichtige Fakten, um auch Handlungsansätze zu finden.

Eine ganz wichtige Botschaft aus den vielen Tabellen ist, dass die Lage der freien Berufe nicht global, mit wenigen Sätzen beschrieben werden kann; denn sie ist sehr differenziert. Am deutlichsten kann man das bei der großen Sparte der Gesundheitsberufe, bei der auch große Zuwächse zu verzeichnen sind - bei einer alternden Gesellschaft nicht verwunderlich - feststellen. Denn dort gibt es ein Wechselbad der Gefühle, wenn man sich einmal die Entwicklung der Unternehmungen, der freiberuflichen Existenzen, der Praxen anschaut.

Im Bausektor ist eine ganz hohe Konjunkturabhängigkeit gegeben. Im Bausektor haben wir als öffentliche Hand ein hohes Maß an Verantwortung. Denn Wohl und Wehe von so manchem Arbeitsplatz, der nicht in einer freiberuflichen Praxis begründet ist, sondern in anderen mittelständischen Unternehmen, hängt von der Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe ab.

Hat man den Mut, einen Architekten, einen Planer aus der Region zu nehmen und ein großes Bauwerk in verschiedene kleine, mittelstandsfreundliche Lose zu teilen, dann ergibt sich auch die Chance, dass Beschäftigte aus der Region, von Unternehmen aus unserem Land, aus Mitteldeutschland den Zuschlag bekommen, dass die Menschen Arbeit finden und dass Steuern eingenommen werden. Wo wird das berücksichtigt?

Das steht in § 8 des Mittelstandsförderungsgesetzes. Man kann erfreulicherweise feststellen, dass es kommunale Gebietskörperschaften gibt, die darauf achten. Aber es gibt viele Beispiele, die den Eindruck nähren, dass dies überhaupt keine Rolle spielt und dass Aufträge lediglich nach dem Prinzip des billigen Jakobs vergeben werden, was letztlich die Existenz qualifizierter, großer Ingenieurbüros in Sachsen-Anhalt gefährdet.

Nehmen wir den Bereich der Rechtspflege. Der Bereich der Rechtspflege ist sehr ambivalent. Wir haben Frei

berufler mit gut gehenden Kanzleien; wir haben aber auch ganz viele freiberuflich Tätige im Bereich der Rechtspflege, deren Einkommen nicht weit von dem entfernt sind, worüber wir heute unter dem ersten Tagesordnungspunkt diskutiert haben, die jeden Monat zu kämpfen haben, damit sie ihr kleines Büro bezahlen können.

Nehmen wir den Bereich der Naturwissenschaftler, der Ingenieure. Wir haben jetzt - Gott sei es gedankt - eine zurückgehende Zahl von arbeitslosen Ingenieuren. Die bisherige hohe Zahl ist natürlich mit den Umbruchzeiten in den ersten 20 Jahren nach der Wende zu begründen. Aber wenn wir nur einmal die Arbeitsamtsbereiche oder Agenturbereiche in Wittenberg und Stendal heranziehen, dann ist festzustellen, dass im Durchschnitt von zehn Jahren immer rund 200 bis 250 Ingenieure arbeitslos gewesen sind. Zeitgleich stellen wir jedes Jahr fest, dass uns zunehmend mehr Ingenieure fehlen.

Dabei stellt sich die Frage: Wie können wir es schaffen, dass Menschen, die mit einer Qualifikation aus den freien Berufen kommen und in Sachsen-Anhalt wohnen, gar nicht erst in die Situation gelangen, dass ihr Wissen so stark veraltet ist, dass eine Reintegration kaum noch möglich ist?

Nehmen wir den Bereich der Kreativwirtschaft, etwas ganz Dynamisches. Vor Jahren noch kaum beachtet haben wir in Sachsen-Anhalt - wir sind nun wahrlich kein sehr großes Bundesland - 2 670 Unternehmen in der Kreativwirtschaft, die 11 200 Mitarbeiter beschäftigen - nicht alle sind freiberuflich Tätige. Sie machen einen Umsatz in Höhe von 625 Millionen €. Die allermeisten dieser Unternehmen sind ohne die Kreativität der Freiberufler undenkbar.

Freie Berufe - das ist nicht nur Qualifikation. Freie Berufe - das ist Geisteshaltung. Das bedeutet: Wenn wir wollen, dass die Zukunft der freien Berufe gesichert ist, weil sie für die Daseinsvorsorge, für die Betreuung der Menschen im Land und für die wirtschaftliche Entwicklung existenziell notwendig sind, dann müssen wir recht früh anfangen, für eine entsprechende Geisteshaltung zu werben. Das beginnt vielleicht schon im Kindergarten, mit Sicherheit aber in den allgemeinbildenden Schulen. Das kann nicht erst im Studium beginnen.

Wenn sich bei Umfragen rund 90 % der Befragten an den Universitäten überhaupt nicht vorstellen können, selbständig tätig zu sein, und wenn dies eine Zahl ist, die von den Zahlen in anderen Nationen deutlich abweicht, dann macht das den Handlungsbedarf und die Notwendigkeit deutlich, sich mit der Situation und den Wettbewerbs- und Arbeitsbedingungen der freien Berufe auseinanderzusetzen und Lösungen anzubieten.

Bis zum Jahr 2016 geht jeder dritte selbständige Freiberufler in den Ruhestand. Wo sehen wir dies in der Öffentlichkeit am deutlichsten? - Bei der Diskussion um Ärzteengpässe, die es jetzt schon gibt. Dies droht uns aber auch noch in vielen anderen Bereichen.

Es gibt eine Reihe von Programmen, die die Landesregierung aufgelegt hat. Es ist zum Teil auch ein guter Ansatz gefunden worden; man kann sie nicht alle vorlesen. Wichtig ist aber, dass insbesondere bei den Mädchen, bei den Frauen für Ausbildungen geworben wird, die sonst vielleicht nicht typisch sind, nämlich in den Mint-Fächern, in den Ingenieurberufen.

Es gibt Programme wie „Frauen Macht Unternehmen“, bei denen Studentinnen im Rahmen des Operationellen

Programms im Hinblick auf die freien Berufe als Berufsalternative verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt bekommen. Es gibt eine Reihe von Weiterbildungsveranstaltungen, Seminaren, Workshops. Es gibt im Gründungsgeschehen viele neue Aktivitäten. Dies sind richtige Ansätze.

Aber wir müssen sie konsequent weiterführen und vielleicht sogar noch ausbauen, weil wir ansonsten in den nächsten Jahren nicht sicherstellen können, dass ein Drittel der wegbrechenden Kanzleien und Unternehmungen - die Freiberufler gehen in den Ruhestand - durch nachwachsende, neu kommende ersetzt werden. Kommen diese nicht, bekommen wir Engpässe, die die Entwicklung der Wirtschaft behindern können.

Ich möchte noch auf zwei weitere und für die heutige Debatte zunächst abschließende Punkte hinweisen. Das ist zunächst das Thema der Qualitätssicherung. Das ist ein an Bedeutung zunehmendes Thema, wenn die Grenzen fallen - sie sind ja schon gefallen -, Europa größer wird, die Welt zusammenwächst.

Es gibt unterschiedliche Qualifikationsstandards in der Ausbildung. Am häufigsten sehen wir das im Bereich der medizinischen Berufe. Wenn man einmal das Veterinärwesen nimmt, weiß man, dass es in diesem Bereich eine Reihe von Problemen gibt, was die Anerkennung der Studiengänge betrifft und auch bezüglich der Frage, ob sich hier jemand zum Beispiel als Veterinär selbständig niederlassen kann.