Was wollen wir denen denn sagen? Nein, ihr gehört nicht zu Deutschland? Ihr gehört nicht dazu? Warum gehört ihr nicht dazu? Weil ihr euch nicht in einer christlich-jüdischen Glaubenstradition bewegt?
Was, bitte, soll die Kritik an den Äußerungen von Christian Wulff? Was bitte, wenn das ernst gemeint ist, heißt denn „Integrationsdebatte“? Heißt Integrationsdebatte: Ihr werdet erst dann anerkannt, wenn ihr alle so seid wie wir, nämlich Christen oder Mitglied einer christlichen Kirche? Was heißt das übrigens für Atheisten in diesem Land? Gehören die möglicherweise auch nicht mehr zu dieser christlich-jüdischen Tradition?
Was ist eigentlich dann diese Gesellschaft? Wer sagt eigentlich, wer zu dieser Gesellschaft gehört? Wer ist dann „wir“? Und wer gehört nicht zu diesem „wir“? - Das sind die Fragen, die bei der Integrationsdebatte eine Rolle spielen.
Dazu sage ich ausdrücklich: Da bekennen wir uns ausdrücklich zu den Dingen, die Christian Wulff gesagt hat. Wir finden die Kritik daran völlig unangebracht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Natürlich kann man das auch alles anders sehen. Man kann auch, wie Herr Sarrazin meint, eine biologistisch definierte niedere Intelligenz bei diesen Bevölkerungsgruppen erkennen und sie deswegen nicht zu Deutschland zählen. All das kann man machen. Eigentlich nicht vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Aber inzwischen darf man das offensichtlich in dieser Bundesrepublik Deutschland. Wir halten das aber ausdrücklich und definitiv für falsch.
Ja, es gibt einen gesellschaftlichen Konsens in dieser Bundesrepublik Deutschland, auf den wir uns beziehen müssen. Aber der gesellschaftliche Konsens besteht eben nicht in dem Bekenntnis zur christlichen Leitkultur, sondern der gesellschaftliche Konsens ist das Grundgesetz in dieser Bundesrepublik Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Natürlich haben wir es mit Konflikten bei Migration, unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und unterschiedlichen Herkünften zu tun; natürlich ist das so. Diese Konflikte müssen in einem gesellschaftlichen Konsens ausdiskutiert werden.
Es gibt zum Beispiel den Vorwurf der Stellung der Frau im Islam - oder besser und eigentlich richtig: bei den Islamisten. Das ist ein gewaltiges Problem. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist denn die Gleichstellung der Frau und die gesellschaftliche Debatte bei uns wirklich und in allererster Linie Ausdruck einer christlichen Tradition? War es nicht in Wahrheit so, dass sich die Debatte über die Gleichstellung der Frau jahrhundertelang neben der Kirche und oftmals sogar gegen die Kirche durchsetzen musste, auch hier in unserer christlichen Tradition?
Ist es nicht vielmehr so, dass sich die Stellung der Frau bei uns von außerhalb in der Institution Kirche verändert hat, und oftmals gegen Widerstände, die es zum Teil heute noch gibt? Also ist das doch nicht eine Frage der christlichen Leitkultur. Das ist doch vielmehr eine Frage des Bekenntnisses zum Grundgesetz, nach dem die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist. Das ist die entscheidende Frage und nicht die der Religionszugehörigkeit.
Dann stellt sich die Frage: Was ist Integration? - Heißt Integration: ihr müsst alle so werden wie wir - wer auch immer „wir“ ist -, oder heißt Integration Kommunikation, die dazu führt, einen Konsens in einer heterogenen Gesellschaft zu finden? Dann hat diese Diskussion vielleicht doch wieder mehr mit den Ost-West-Unterschieden zu tun, als es vielleicht zuerst den Anschein hatte.
Mit all diesen Problemen werden wir auch weiterhin zu tun haben. Sie sind aber nicht neu und auch nicht unlösbar, vor allem deshalb nicht, weil wir mit Blick auf die nächsten Jahrzehnte durchaus Grund zum Optimismus haben. Inzwischen haben wir im Osten in diesem doppelten Transformationsprozess viel gelernt. Schon jetzt weiß eine Mehrheit, dass eine Niedriglohnstrategie für die Entwicklung einer selbsttragenden Wirtschaft unbrauchbar ist.
Wir besinnen uns auf Erfahrungen, die wir mit zwei politischen Systemen gemacht haben und ziehen daraus unsere Schlussfolgerungen. Wir können heute über die Notwendigkeit von Kindertagesstätten und Ganztagsschulen und über die Vorteile des längeren gemeinsamen Lernens nachdenken und das umsetzen, ohne uns reflexartig mit dem Verweis auf DDR-Verhältnisse zu erschlagen.
Wir wissen heute, welche Folgen eine ungebremste Privatisierung für die öffentliche Daseinsvorsorge haben kann und können diese kritisieren, ja, auch vermeiden, ohne zur DDR-Planwirtschaft zurück zu wollen.
Letztlich haben wir in Ostdeutschland gezeigt, dass wir gesellschaftliche Umbrüche nicht nur verkraften, sondern auch gestalten können. Diese werden angesichts des demografischen Wandels auch dem Westen bevorstehen. Insofern bin ich mir sicher, dass wir in die deutsche Einheit positive Gestaltungselemente einbringen können, und zwar mit einem gesunden ostdeutschen Selbstbewusstsein und in dem Wissen, dass viele Dinge, die wir hier in Sachsen-Anhalt geschafft haben, es wert sind, in die deutsche Einheit eingebracht zu werden. - Danke.
Vielen Dank, Herr Gallert, für Ihren Beitrag. Es gibt eine Nachfrage des Abgeordneten Herrn Wolpert. Möchten Sie diese beantworten?
Herr Kollege Gallert, Sie hatten in Ihren Ausführungen dargelegt, dass eine ostdeutsche Genossenschaftsbank für 100 Millionen DM gekauft worden sei und damit Altforderungen in Höhe von 15 Milliarden DM verbunden gewesen wären. Ich bin mir nicht ganz im Klaren darüber, wie Sie das meinen; denn der Wert einer Bank bemisst sich nach meinen Kenntnissen auch an anderen
bilanziellen Fakten, nicht nur an den Altforderungen, die die Bank hält, sondern eben auch an den Kundeneinlagen und Ähnlichem. Es gibt Aktiva und Passiva.
Sie vermitteln mit diesem Beispiel den Eindruck, dass dort billig gekauft worden sei. Können Sie dies denn auch rechtfertigen, indem Sie sagen, was die Bank wert war und welche Werthaltigkeit die Altforderungen hatten? Ansonsten entsteht der Eindruck, dass man ein Supergeschäft gemacht hätte. Das kann ich mir allerdings nicht vorstellen; denn es fehlt die Gegenrechnung.
Wissen Sie, Herr Wolpert, ich habe die Dinge nicht im Einzelnen geprüft und bin auch nicht Chef einer Behörde, die das tut. Es gibt eine Behörde, die diese Dinge geprüft hat und die darin kompetent ist: Das ist der Bundesrechnungshof.
Der Bundesrechnungshof hat darüber einen Bericht geschrieben, der inzwischen in die Öffentlichkeit gesickert ist; er hätte ihn selber nicht veröffentlichen dürfen. Dessen Schlussfolgerung war, dass diese beiden Banken, die ich hier benannt habe, weit unter ihrem realen Wert veräußert worden sind und dadurch ein eklatanter Schaden für den Steuerzahler der Bundesrepublik Deutschland entstanden ist. Dieser Bewertung schließe ich mich einfach an. So einfach ist das, Herr Wolpert.
Vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Wir kommen zum Debattenbeitrag der SPD-Fraktion. Die Abgeordnete Frau Budde erhält das Wort. Bitte schön, Frau Budde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon etwas seltsam, ausgerechnet am 7. Oktober hier zu stehen
und zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit zu sprechen, aber man muss es wohl auch als Ironie der Geschichte sehen, dass wir ausgerechnet an einem 7. Oktober die Wiedervereinigung und die zwei Jahrzehnte des vereinigten Deutschlands würdigen können.
- Ja, greifen Sie meiner Rede doch nicht vor! Unterstellen Sie mir vielleicht etwas anderes? Das wäre völlig fehl am Platze.
Ohne die Einheit wäre die DDR heute 61 Jahre alt geworden; sie hätte also schon fast das Rentenalter erreicht. Ich bin sehr froh, dass wir sie am 3. Oktober vorzeitig in den Ruhestand geschickt haben. Das hat dem Land gut getan, und den allermeisten Menschen, die heute in Sachsen-Anhalt leben, hat das auch gut getan.
Wer sich wegen der Probleme von heute die DDR von gestern herbeisehnt, der mag einfach einmal nach Nord
Ich bin jedenfalls froh darüber, dass wir heute im Jahr 2010 in Städten und Dörfern wohnen, die aufgebaut sind, die saniert sind und in denen lebendige Farben eine gesunde Bausubstanz schmücken, anstatt dass ein Fahnenmeer aus Hammer, Zirkel und Ehrenkranz möglicherweise marode Mauern verdecken muss. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, wo man herkam, um wieder schätzen zu lernen, wo man angekommen ist.
Die Wahrheit ist tatsächlich: Wir kamen aus einem bankrotten Staat, aus einem Staat, der auf Verschleiß fuhr, der seine wirtschaftliche Substanz nahezu aufgebraucht hatte, der selbst einfache Bedürfnisse seiner Bürgerinnen und Bürger kaum erfüllen konnte, der seine Sozialsysteme, sein Gesundheitssystem und zum Schluss auch viele Konsumausgaben auf Pump finanzierte.
Das, was heute sozusagen als gesichertes Wissen in den Geschichtsbüchern steht, war damals wohl wirklich kaum abzuschätzen. Niemand konnte damals wirklich sagen, wie groß die wirtschaftliche Hypothek nach 40 Jahren Verschleißwirtschaft für das wiedervereinigte Deutschland sein würde. Sie war sehr groß und, ja, wir tragen zum Teil heute noch daran.
Deshalb sollten wir zu schätzen wissen, was hier in den letzten 20 Jahren entstanden ist. Es sind nicht die blühenden Landschaft entstanden, die mancher im Rausche der Einheit prognostiziert und vielleicht sogar gesehen haben mag; das will ich gar keinem absprechen.
Es ist ein Land entstanden, das seinen Weg geht; denn wer offenen Blickes und ehrlichen Herzens auf SachsenAnhalt schaut, der wird nicht anders können, als mit Stolz anzuerkennen, welche Aufbauleistung in den letzten Jahren vollbracht worden ist.