Andere haben Verfahren, in denen man das alles in drei Stunden hinkriegt. Wir sind aber anders aufgestellt: Wir
(Herr Tullner, CDU: Neidisch! Neidisch! - Herr Wolpert, FDP: Das heißt, Sie verdienen es nicht besser!)
Gleich zu Anfang: Wir werden den Gesetzentwurf zur Änderung der Landeshaushaltsordnung, der uns heute vorgelegt worden ist, ablehnen. Das dürfte niemanden überraschen, der sich mit unserer Position und mit diesen Problemen in der letzten Zeit beschäftigt hat. Ich will die kurz bemessene Redezeit aber trotzdem dafür nutzen, unsere Position noch einmal darzulegen. Bevor ich dazu komme, unsere Position inhaltlich zu begründen, möchte ich aber doch etwas zur Tragweite der heutigen Entscheidung sagen.
Ja, das Thema ist ein großes Thema. Ich sage auch: Man kann durchaus sagen, dass das eine historisch wichtige Debatte ist. An das, was wir heute vorgelegt bekommen haben und was hier eventuell beschlossen werden wird, muss man aber etwas vorsichtiger herangehen. Wir reden hier über die Änderung der Landeshaushaltsordnung. In dieser soll stehen, dass wir demnächst keine Schulden mehr aufnehmen sollen. - In Ordnung. Aber dieselbe Mehrheit, die den nächsten Haushalt aufstellen muss und die mitkriegt, dass sie diese Auflagen nicht erfüllen kann, kann auch diese freiwillige Selbstverpflichtung wieder aufheben.
An dieser Stelle sage ich mit ausdrücklicher Konsequenz: Das ist das Gute an der heutigen Regelung. Selbst wenn sie beschlossen werden wird, können diejenigen, die sehen, dass sie nicht funktioniert, sie auch gleich wieder aufheben. An dieser Stelle ist das alles andere als historisch.
Wenn sich dieses Parlament aber mehrheitlich selbst dazu verpflichten will, in Zukunft nicht mehr die Dinge zu tun, die die Mehrheit in der Vergangenheit für richtig gehalten hat, dann werden wir darüber in dieser Legislaturperiode und auch in der nächsten Legislaturperiode diskutieren. Das Schöne ist, dass wir es dann immer noch können. Deswegen ist es nicht ganz so schlimm, was heute möglicherweise passiert.
Warum lehnen wir den Gesetzentwurf dennoch ab? - Hier wird suggeriert, wir wären in der Lage, demnächst ohne Schulden auszukommen. Es wäre natürlich schön, wenn wir das könnten. Ich sage aber ausdrücklich: Wir haben in diesem Land eine Menge politische Aufgaben zu erfüllen. Ich will sie auf einer globalen Ebene in drei Ziele einteilen.
Das erste: Wir müssen uns um die Lebensqualität der Menschen in diesem Land kümmern, und zwar um die Lebensqualität eines jeden Menschen in diesem Land, weil die Würde eines jeden Menschen in diesem Land unantastbar ist. Das bedeutet natürlich, soziale Sicherung zu realisieren und soziale Hilfestellung zu geben. Das bedeutet, die Lebensqualität für die Menschen in diesem Land so zu gestalten, dass sie hier leben wollen, dass sie hier gut leben können und dass sie sich hier entfalten können. - Das ist die erste Zielstellung.
Die zweite Zielstellung ist, dass wir diesem Land Perspektiven geben und Entwicklungen vorantreiben müssen. Wir müssen daran denken, jetzt Entwicklungen einzuleiten, die das Land auch noch in 20, 30 und 40 Jahren lebenswert machen.
Die dritte Zielstellung besteht darin, dass wir die Ressourcen, die wir dafür haben - die natürlichen, die materiellen und die finanziellen Ressourcen -, so sparsam wie möglich einsetzen. - Das sind die drei Zielstellungen, die wir hier im Parlament miteinander auszudiskutieren haben.
Jetzt haben wir das Problem, dass alle drei Zielstellungen miteinander zusammenhängen. Sie stehen aber auch in Konkurrenz zueinander. Sie stehen in Widerspruch zueinander. Wenn ich eines der Ziele herausnehme, nämlich die Schonung der materiellen Ressourcen, und sage, nie wieder Neuverschuldung, dann weiß ich genau, dass ich in ein substanzielles Spannungsverhältnis zu den anderen Zielen, die ich habe, gerate: soziale Sicherung, Perspektivaufbau usw. usf.
Dazu sage ich ausdrücklich: Alle drei Zielstellungen stehen für uns gleichberechtigt nebeneinander. Wir wehren uns dagegen, nur ein einziges Ziel herauszunehmen und alle anderen nachrangig zu gestalten. Die Schonung der finanziellen Ressourcen ist ein Ziel, aber eben nicht das einzige, das unser Handeln bestimmt, und deshalb lehnen wir diese Änderung der Landeshaushaltsordnung ab.
Ja, wir haben ein Problem in diesem Land und in dieser Bundesrepublik: Wir haben ein Verschuldungsproblem. Ich sage ausdrücklich: Verschuldung ist nichts, was in dieser Bundesrepublik und in diesem Staat beabsichtigt werden und gewollt sein sollte. Auch ich finde die Argumentation völlig überflüssig, wir bräuchten unbedingt Schulden, um Kapitalanlegern eine Chance geben zu können. Nein, eine Verschuldung brauchen wir zwingend natürlich nicht.
Die Schulden, die wir in den öffentlichen Kassen haben, sind die politische und ökonomische Konsequenz einer falschen Steuerpolitik, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben. Das ist so.
Die entscheidenden Weichenstellungen, vor denen der Kollege Bullerjahn gewarnt hat, dass Steuergesetze so verändert werden, dass wir in den öffentlichen Kassen in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr die materiellen Ressourcen haben, die wir brauchen, die werden nicht in der Zukunft realisiert, nein, die sind in der Bundesrepublik Deutschland vor zehn Jahren mit der Absenkung der Steuerquote um etwa 10 % bereites realisiert worden. Seitdem haben wir die Situation in den öffentlichen Kassen. Seitdem haben wir eine explodierende Neuverschuldung. Das ist das Problem, auf das man hinweisen muss.
Unser Problem ist, dass wir unter diesen Bedingungen natürlich sagen können: Neuverschuldung null. Damit akzeptieren wir aber die desolate Situation der öffentlichen Kassen und sagen: Dann müssen wir bei der öffentlichen Daseinsvorsorge eben alles wegstreichen, was eventuell zur Debatte steht. Dann müssen wir bei der Perspektiventwicklung dieses Landes eben alles wegstreichen, was eventuell zur Debatte steht. Dann
richten wir uns eben auf diesem viel zu niedrigen Niveau ein, und damit hat sich die Geschichte. Dann freuen wir uns vielleicht irgendwann darüber, dass die Neuverschuldung nicht gestiegen ist.
Wir haben dann aber eigenartigerweise kaum noch Leute, die den alten Schuldenbestand irgendwann einmal abbauen, und wir haben keine Perspektive mehr für dieses Land. Deswegen werden wir uns heute gegen diese Neuverschuldungsbremse wehren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dann haben wir noch das zusätzliche Problem, dass die Länder in einer besonders schwierigen Situation sind. Die äußeren Rahmenbedingungen für die steuerpolitischen Einnahmen gestaltet der Bund. Auf der Ausgabenseite sind aber im Wesentlichen wir zuständig.
Wenn wir uns in dieser Art und Weise selbst beschränken, wie es ab dem Jahr 2020 auch auf der bundesgesetzlichen bzw. grundgesetzlichen Ebene vorgesehen ist, dann, sage ich sehr deutlich, verlieren die Länder einen sehr wichtigen Teil ihres politischen Spielraums und ihrer Legitimation. Es gibt dann nur noch eine einzige Stelle, die darüber bestimmt, wie viel Finanzen auszugeben sind. Das ist ausschließlich der Bund.
Irgendwann müssen wir uns dann wirklich nicht mehr die Frage stellen, warum wir weiterhin eine permanent sinkende Wahlbeteiligung haben. Irgendwann werden die Leute fragen: Brauchen wir den Föderalismus in dieser Bundesrepublik Deutschland noch?
Die Spielräume werden in einer eklatanten Art und Weise derart eingeschränkt, dass irgendwann die Frage gestellt wird, ob wir dieses Gebäude wirklich noch mit Landespolitikern besetzen müssen oder nicht. Wir haben dann nämlich kaum noch etwas zu entscheiden; denn der Bund entscheidet über unser Ausgabenspektrum. Wir haben kaum noch die Chance, auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren. Auch deswegen lehnen wir diese Schuldenbremse ab.
Ich glaube, das sind genug Gründe, auch in Zukunft in die gesellschaftliche Debatte zu gehen. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Zuallererst die Autoren dieser Schuldenbremse, vor allen Dingen auf der bundesgesetzlichen Ebene, werden sehr schnell in Überlegungen hineinkommen, ob das, was sie hier als Weg vorsehen, von ihnen selbst durchgehalten werden kann. Wir werden spätestens im Jahr 2012 bei der Aufstellung des neuen Haushalts möglicherweise eine Situation erleben, in der die Argumentation schon wieder eine gänzlich andere ist, und zwar besonders von denjenigen, die sie heute beschließen wollen, meine Damen und Herren. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Gallert. Es gibt Fragewünsche. Möchten Sie eine Frage von Herrn Kosmehl beantworten?
Sehr geehrter Herr Kollege Gallert, ich will eine kurze Anmerkung machen und danach zwei Fragen anschließen.
Die Anmerkung: Ihr Verständnis von Steuern und Steuerpolitik in Deutschland ist ehrenwert, aber darüber müssen wir in diesem Haus vielleicht nicht diskutieren. Ich will nur die These aufstellen: Wenn es eine Milliarde, 100 Milliarden € mehr Steuereinnahmen für Bund, Länder und Gemeinden geben würde, dann würde DIE LINKE wahrscheinlich auch einen Weg finden, dieses Geld auszugeben.
Jetzt kommen meine zwei Fragen: Erstens, Sie haben in Ihrer Rede leider eine Frage überhaupt nicht beantwortet: Wie gehen wir eigentlich mit der Belastung um, die wir aus unseren Schulden schon heute haben und die in den nächsten Jahren steigen wird? - Wenn wir fast 10 % eines Haushaltsjahresbudgets für Zinsen aufwenden müssen, ist doch der Spielraum, der uns dort verloren geht, viel größer, als wenn wir uns selbst binden und sagen, wir wollen künftig nicht noch mehr drauflegen, um am Ende noch mehr Zinsen zu zahlen.
Die zweite Frage ist, ob Ihnen bekannt ist, dass in einzelnen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika ein gänzliches Verschuldungsverbot herrscht und dass die Kolleginnen und Kollegen, die dort Verantwortung in der Legislative tragen, jedes Jahr aufs Neue entscheiden müssen, wie sie unter Umständen Steuerausfälle oder geringe wirtschaftliche Entwicklungen kompensieren können. Bei dieser schwierigen Entscheidung stehen Parlamentarier aber am Ende für einen Haushalt ein.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie es den Abgeordneten in Deutschland nicht zutrauen, auch mit einer Schuldenbremse solche Entscheidungen treffen zu können.
Ich beginne einmal mit Ihrem Beispiel Amerika. Ich glaube, die USA sind in der aktuellen Situation das allerschlechteste Beispiel dafür, dass in einem politischen System eine Schuldenbremse irgendetwas nützt. Schauen Sie sich einmal die dortige Entwicklung an.
Es mag sein, Herr Kosmehl, dass auf der Länderebene ein Neuverschuldungsverbot existiert, aber schauen Sie sich einmal an, was die Konsequenz ist. Wir haben eine Neuverschuldungsexplosion seit Ronald Reagan. Das ist sozusagen mit unseren Maßstäben überhaupt nicht mehr zu fassen. Das gesamte politische System in den USA basiert - im Endeffekt seit 20 Jahren - auf viel zu geringen Steuereinnahmen auf der einen Seite und den
fast hilflosen Korrekturversuchen auf der anderen Seite mit der Aufnahme von höheren Schulden. Das System ist ja gerade ein Stück weit am zusammenbrechen bzw. jetzt fängt es wieder an, in der gleichen Art und Weise zu funktionieren.
Dazu sage ich: Wenn möglicherweise auf kommunaler Ebene - das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht - in den USA eine Schuldenbremse existiert - - Dass sie auf der Länderebene existiert, hat offensichtlich überhaupt keinen politischen Erfolg in den USA. Es ist nicht zu sehen, dass diese Geschichte funktioniert. Interessanterweise gehen die Amerikaner tatsächlich ein Stück weit lockerer damit um. Bisher hatten sie zumindest in der Binnenpolitik damit Erfolg und das möglicherweise deswegen, weil sie die Folgen auf die internationale Ebene verlagern konnten.
Aber, ich sage einmal, für eine Schuldenbremse sind die Amerikaner nun wahrlich das schlechteste Beispiel.
Nun zu Ihrer ersten Frage. Natürlich sind Schulden etwas Schlechtes, weil Sie die dafür bezahlten Zinsen von den Ausgaben abziehen müssen, die Sie dafür realisieren. Ich sage nur einmal: Politisch, was bei den Leuten eigentlich ankommt, sieht die Situation eigenartigerweise anders aus.