Daher ist es übrigens ausdrücklich legitim und notwendig, über grundsätzliche Alternativen nachzudenken,
allerdings - und das ist der große Unterschied - immer nur unter Beachtung der individuellen Freiheitsrechte und der demokratischen Prinzipien des Grundgesetzes.
Zu diesem Sachverhalt gab es übrigens im Jahr 2010 im Niedersächsischen Landtag einen sehr interessanten Antrag. Daraus will ich nur zwei Punkte vorlesen. Erstens:
„Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, deren Auswirkungen große Teile der Bevölkerung zu spüren bekommen, macht eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftssystem nötig. Wer vor dem Hintergrund der heutigen Krise des Kapitalismus Deutungsansätze aus der
marxistischen Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie ableitet, darf nicht als Extremist bezeichnet werden. Da die Wirtschaftsform nicht Teil der Verfassung ist, können jene, die Kritik an ihr üben und ein anderes Wirtschaftssystem anstreben, nicht als Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung angesehen werden, solange sie den Wandel des Wirtschaftssystems auf demokratischem Weg erreichen wollen.“
„Kapitalismuskritik ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie. Ebenso wenig kann in diesem Zusammenhang der Rückgriff auf die Lehren von Karl Marx als extremistisch bezeichnet werden. Die Wirkungsgeschichte des Marxismus auf die politisch-geschichtliche Entwicklung der früheren Ostblockstaaten oder Kubas zu reduzieren, ist falsch, weil unhistorisch und unredlich.“
Sie können sich sicher sein, dass meine Fraktion diesen Aussagen in vollem Umfang zustimmt. Dem vorliegenden Antrag der drei Fraktionen nach würden wir aber damit schon den Boden von Freiheit und Demokratie verlassen, was wir ausdrücklich bestreiten und was falsch ist.
Das Tröstliche für uns ist jedoch, dass wir mit dieser Position nicht alleinstehen; denn die Zitate, die ich Ihnen vorgelesen habe, stammen nicht aus einem Antrag meiner Partei. Sie stammen aus einem Antrag der SPDFraktion im Landtag von Niedersachsen im März des letzten Jahres.
Wir werden weiterhin nach einer sozial gerechten Gesellschaft suchen und für deren Entwicklung streiten.
Wir wissen aus der Geschichte aber auch, dass dies ausdrücklich unter Wahrung der individuellen Freiheitsrechte und der demokratischen Prinzipien des Grundgesetzes erfolgen muss. - Danke.
Vielen Dank, Herr Gallert. Es gibt jetzt drei Fragen - ich nehme jedenfalls an, dass es Fragen sind -, von Herrn Kosmehl, von Herrn Harms und von Frau Feußner. Möchten Sie diese beantworten?
Sehr geehrter Herr Kollege Gallert, ich habe eine ganz konkrete Frage zu Ihrem Punkt 2. Hat die Partei DIE
LINKE in Sachsen-Anhalt bereits vergessen, wie die ökologische Situation im Herbst 1989 im Raum Bitterfeld war?
Das kann der einzige Grund dafür sein, dass Sie in Ihrem Punkt 2 behaupten, die Marktwirtschaft habe nach dem Untergang des Sozialismus dazu geführt, dass sich die ökologischen Probleme verschärft hätten.
Erkennen Sie an, dass es in den letzten 20 Jahren in Sachsen-Anhalt in einer sozialen Marktwirtschaft gelungen ist, Umweltstandards einzuführen und sicherzustellen, die dazu geführt haben, dass es unserer Umwelt in Sachsen-Anhalt und speziell im Raum Bitterfeld heute besser geht als im Herbst 1989, als die SED hier noch geführt hat?
Herr Kosmehl, natürlich erkenne ich das an. Das ist zweifellos so. Aber wir haben natürlich auch eine Situation unter dem Aspekt Ressourcenverbrauch und Klimawandel, die offensichtlich mit den entsprechenden Produktionsorganisationen, wie wir sie inzwischen global bekommen, perspektivisch nicht bewältigt werden kann.
In unserem Antrag steht eben nicht, dass der real existierende Sozialismus dazu in der Lage gewesen sei oder in der Lage gewesen wäre. Das war er nachweislich nicht.
Das Problem ist nur, dass die jetzige Gesellschaftsordnung, in der es natürlich um Profitmaximierung als zentralem Motivationsgegenstand geht, dazu offensichtlich auch nicht in der Lage ist. Deswegen muss man über Alternativen nachdenken, Herr Kosmehl.
Herr Gallert, Sie sprachen vom Untergang des real existierenden Sozialismus weltweit im vorigen Jahrhundert. Wo auf dem Weg zum Kommunismus ordnen Sie denn die in diesem Jahrhundert noch existierenden sozialistischen Staaten Kuba, Volksrepublik China
Ich habe davon gesprochen, dass seit dem Untergang des real existierenden Sozialismus die marktwirtschaftlichen Prinzipien globale Weltgeltung erlangt haben. Auf einen dieser drei Staaten trifft dies definitiv und hundertprozentig zu. Das ist China. Dort gibt es eine Führung - die nennt sich Kommunistische Partei -, die kapitalisti
(Herr Schulz, CDU: Das ist aber nicht Vor-Kom- munismus! Das ist Kommunismus! - Frau Feuß- ner, CDU: Müsste man da nicht eine Entwick- lungsinitiative starten?)
Ich sage ausdrücklich: In Nordkorea wird es eine solche Entwicklung in absehbarer Zeit nicht mehr geben. Die Frage ist, ob sich in Kuba eine politische Entwicklung realisieren kann, die demokratische Prinzipien mit aufnimmt und tatsächlich eine Alternative zu dem darstellt, was Kapitalismus im Normalfall in Mittel- und Südamerika bedeutet. Diese Frage stellt sich dort sehr wohl. Ansonsten würde Kuba schon nicht mehr existieren.
Dann hat Frau Feußner eine Frage. Herr Stahlknecht hat sich auch noch gemeldet. Wollen Sie auch noch die Frage von Herrn Stahlknecht beantworten, Herr Gallert?
Herr Gallert, Sie sagten in Ihrem Redebeitrag, Sie hätten sich 1989/1990 als damalige Partei PDS bei den Opfern des kommunistischen, sozialistischen Staates DDR entschuldigt. Ich stelle Ihnen die Frage: Sie haben sich vielleicht bei den Opfern entschuldigt. Warum haben Sie sich aber nicht von den Personen distanziert, die diese Opfer verursacht haben? - Das ist eine sehr spannende Frage. Diese Personen haben Sie weiterhin in Ihren Reihen sitzen.
(Zustimmung bei der CDU - Frau Bull, DIE LIN- KE: Die waren doch alle schon weg! - Wider- spruch bei der CDU und bei der FDP - Herr Kos- mehl, FDP: Mann, Mann, Mann! - Frau Bull, DIE LINKE: Die Täter!)
Frau Feußner, die Frage von individueller Schuld für Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen in der DDR ist eine sehr umfangreiche und komplexe. Sie betrifft übrigens nur noch in einer absoluten Minderheit der Fälle Mitglieder meiner Partei. Die Masse derjenigen, denen ich diesen Vorwurf unterbreiten kann, ist längst nicht mehr Mitglied meiner Partei. Sie sind zum Teil quer über das gesamte gesellschaftliche System verteilt. Ich kenne einige herausragende Mitglieder der CDU, die in diesem System hervorragend funktioniert haben und bei denen Sie nicht die Frage stellen, warum man sich von denen in Ihrer eigenen Partei eigentlich nicht distanzieren müsste.
(Herr Kurze, CDU: Quatsch! - Herr Gürth, CDU: Erst hat es die SED verbockt und dann wollen Sie davon nichts mehr wissen! Das ist unver- schämt!)
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Jeder hat in einer demokratischen Gesellschaft die Möglichkeit, sich zu
entwickeln, und jeder hat in einer demokratischen Gesellschaft auch die Möglichkeit der kritischen Reflektion. Das spreche ich niemandem ab, keinem ehemaligen Mitglied der SED und keinem ehemaligen Mitglied der CDU. Das muss bitte auch für alle gelten! - Danke.
Herr Gallert, Sie haben jetzt versucht, das schön zu drehen. Es geht doch nicht darum, wer sich mit dieser Gesellschaft oder in dieser Gesellschaft arrangiert hat. Natürlich haben wir auch CDU-Mitglieder, die damals schon in der CDU waren, die sich auch in dieser Gesellschaft in irgendeiner Form arrangiert haben. Ich habe Sie aber bewusst nach denen gefragt, die die Opfer zu beklagen haben. Sie haben gesagt, Sie hätten noch einen Teil dieser Personen in Ihrer Partei sitzen.