Protokoll der Sitzung vom 12.11.2015

Der Landtag wählt die Landesbeauftragte. Sie ist fachlich unabhängig und bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nur dem Gesetz unterworfen.

Ja, der Beratungs- und Bildungsauftrag der Landesbeauftragten kann mittelfristig nur dann effizient umgesetzt werden, wenn ihre Aufgaben über die Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen hinausgehen.

Wir brauchen eine umfassende Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Deshalb spreche ich mich, wie auch schon die Justizministerin bei der Einbringung, für eine Landesbeauftragte mit einem erweiterten Beratungs- und Bildungsauftrag aus. Das alles ist nur konsequent, wenn es in der neuen Bezeichnung ihrer Behörde seinen Ausdruck findet.

Das sind fünf gute Gründe, die für die Vorlage sprechen, über die Sie heute zu befinden haben. Es sind nicht alle Gründe. Aber ich glaube, es sind die wichtigsten; zumindest wurde mir das so mitgeteilt.

Deshalb bitte ich, wie vorgelegt zu beschließen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Danke schön, Herr Minister. - Wir treten in die Aussprache zum Gesetzentwurf und zur Beschlussempfehlung ein. Als Erste spricht für die Fraktion DIE LINKE Frau Abgeordnete von Angern.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir verhandeln heute in zweiter Lesung den Entwurf eines Aufarbeitungsbeauftragtengesetzes, den die Koalitionsfraktionen Ende Mai 2015 auf den parlamentarischen Weg gebracht haben.

Gemessen an den bisherigen Zuständigkeiten soll eine vollständige Neuausrichtung des Amtes eines bzw. einer künftigen Beauftragten des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur stattfinden. Die neue Schwerpunktsetzung ist aus der Sicht der Koalitionsfraktionen derart komplex, dass auch die Bezeichnung des Amtes und der Behörde geändert werden sollen.

In der ersten Lesung des Gesetzentwurfes sowie in den Beratungen des Rechtsausschusses, aber

auch im Ältestenrat kritisierte die Fraktion DIE LINKE zentrale Inhalte des Gesetzentwurfes.

Doch lassen Sie mich zunächst ganz klar feststellen: Meine Fraktion hält das Vorhaben, auch das Gesamtsystem der politischen Verfolgung in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR auf dem Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt aufzuarbeiten und zu vermitteln, als eine öffentliche und gesellschaftliche Aufgabe für unabdingbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie hätten uns an Ihrer Seite wissen können, wenn es um eine tatsächliche Stärkung der Behörde als Ombudsstelle, als Anlaufstelle für Betroffene, als Stelle für Beratung, die sonst nirgends gegeben wird, gegangen wäre. Aber das ist nicht der Weg, den Sie heute hier gehen.

Ich sage es ausdrücklich: Wir teilen den Ansatz der Koalitionsfraktionen nicht - und zwar vor allem wegen des im Gesetzeswortlauf allumfassenden Anspruchs der Aufarbeitung des Gesamtsystems der politischen Verfolgung -, dass dies außerhalb von Wissenschaftsstrukturen des Landes erfolgen soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir lehnen damit eine Ausweitung der Befugnisse und eine Erweiterung der Aufgabenbereiche der Landesbeauftragten im Bereich der allgemeinen Aufarbeitung von Zeitgeschichte ab. Daher ist es aus unserer Sicht der falsche Weg, im Bereich der zivilgesellschaftlichen Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte, die an Universitäten, an Hochschulen, durch Medien, in Museen, an Gedenkorten und durch Vereine und basisbezogene Akteure richtigerweise geleistet wird, nun auch noch eine staatliche Behörde damit zu beauftragen.

Wir sind auch aufgrund der Erfahrungen mit unserer eigenen Vergangenheit ganz klar der Überzeugung, dass gerade diese Aufgaben im Bereich der noch sehr jungen Geschichte durch wissenschaftliche Einrichtungen, durch Hochschulen unter Wahrung der ihnen eigenen Standards und unter dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz gemäß Artikel 10 Abs. 3 und Artikel 31 zu erledigen sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich hätte deshalb die Einrichtung eines entsprechend ausgerichteten und ausgestatteten wissenschaftlichen Aufarbeitungsinstituts an einer der beiden Universitäten des Landes Sachsen-Anhalt vorgezogen. Dies wäre auch ein wichtiges Signal für unsere Hochschullandschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Zudem bemängeln wir, dass die neu zu schaffende Behörde nicht bereits von Gesetzes wegen auf die

Einhaltung von Standards verpflichtet ist. Aufarbeiten wird wissenschaftlichen Ansprüchen nur dann gerecht werden, wenn das Aufarbeiten tatsächlich wissenschaftlichen Standards genügt.

Vermitteln wird gesellschaftlich nur dann Erfolg haben, wenn es den Anforderungen an eine demokratische politische Bildung genügt, also insbesondere durch das Prinzip der Kontroversität und des Überwältigungsverbots geprägt ist. In dem Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, finde ich dazu nichts.

Weiter bemängeln wir, dass nicht nur diese Standards im Gesetzestext fehlen, sondern auch keinerlei institutionelle Vorkehrungen getroffen werden, zumal die Behörde aus guten Gründen ja keiner Fachaufsicht unterstellt sein wird.

Meine Damen und Herren! Das Land hält es für die Arbeit der Gedenkstättenstiftung für selbstverständlich unverzichtbar, dass ihre politische Ausrichtung über einen fünfköpfigen Stiftungsrat gesteuert wird, in dem vier Ministerien vertreten sind, und dass ihre inhaltliche Arbeit über einen fünfköpfigen wissenschaftlichen Beirat fachwissenschaftlich abgesichert wird. Der wissenschaftliche Beirat wird dabei im Auftrag der Stiftung tätig, erarbeitet Empfehlungen zur Arbeit der Stiftung und nimmt gutachterlich zu Konzeptionen, Planungen und Projekten Stellung.

Man muss sich schon die Frage gefallen lassen, warum bei der Aufarbeitung eines Gesamtsystems politischer Verfolgung durch die Aufarbeitungsbeauftragte auf eine solche Institution bewusst verzichtet wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Wir stellen weiter fest, dass der Gesamtkomplex zur Diktaturaufarbeitung, zur Erinnerungsarbeit in Gedenkstätten und zur staatlichen politischen Bildung in Sachsen-Anhalt weiter zergliedert wird. Gedenkstättenarbeit wird in einer Stiftung erledigt, die exekutiv politisch gesteuert wird. Staatliche politische Bildung wird unmittelbar aus einem Ministerium gesteuert. Beide Aufgaben werden über Gremien politisch und fachlich abgesichert. Die Aufarbeitung der DDR-Diktatur soll künftig unter dem Dach des Landtages verantwortet werden. Und es wird keinerlei strukturelle Idee verfolgt, das jeweils zu leistende Einzelne in ein abgestimmtes, sich gegenseitig unterstützendes Ganzes einzubinden. Das ist mindestens bedauerlich.

Abschließend, meine Damen und Herren, stellt sich noch eine weitere Frage: Ist es rechtlich überhaupt zulässig bzw. eine fachlich glückliche Wahl, diese umfassende inhaltliche Neuausrichtung der alten Behörde durch Errichtung einer neuen Behörde unter der Kontinuität der bisherigen, durch

den Landtag gewählten Landesbeauftragten vorzunehmen?

Rechtlich hat der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hierzu vorgetragen, dies sei möglich, weil die derzeitige Amtsinhaberin eine konventionelle Beamtin sei, der man im Amt ohne Weiteres andere Aufgaben übertragen könne. Uns überzeugt das nicht.

Ich hielte ich es aus politischen und fachlichen Gründen für angemessener, die inhaltliche Neuausrichtung zumindest mit der Chance auf einen personell möglichen Neuanfang zu verbinden, für den sich auch die Amtsinhaberin hätte bewerben können.

Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass mit Blick auf die Bundesebene in diesem Gesamtkomplex sehr viel in Bewegung ist und durch eine durch Professor Dr. Böhmer geleitete Kommission des Deutschen Bundestages bis Frühjahr 2016 weitere Vorschläge unterbreitet werden.

Kollegin von Angern - -

Ich habe überzogen.

Ja.

Darf ich noch sagen, wie wir abstimmen?

Ja. Es wäre sehr schön, wenn das der Schlusssatz wäre.

Nach all dem, was ich vorgetragen habe, wird es Sie nicht wundern, dass wir dem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen werden. Wir werden uns dazu der Stimme enthalten bzw. uns ablehnend zum Gesetzentwurf verhalten. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Nächste spricht für die Fraktion der SPD Frau Abgeordnete Schindler.

Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD-Fraktion begrüßt ausdrücklich diesen Gesetzentwurf. Ich freue mich, dass wir heute zur Abstimmung hierüber kommen.

Gestern konnte ich hier im Landtag eine Etage tiefer teilnehmen an der Eröffnung der Ausstellung mit dem Titel „Hammer, Zirkel, Stacheldraht“. Der Titel ist bezeichnend. Der Termin für die Ausstellung war bestimmt langfristig geplant. Aber passender als gestern hätte er nicht sein können.

Wie Frau Neumann-Becker gestern sagte - mit Ihrer Zustimmung darf ich ihre Gedanken aufgreifen -: Der Termin der Eröffnung der Ausstellung zwischen dem 9. November und dem Volkstrauertag am kommenden Sonntag ist passend. Dazu passt auch die heute hier im Landtag stattfindende Debatte über das und die Verabschiedung des Gesetzes über die Beauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Der 9. November - der Tag der Grenzöffnung, des Mauerfalls, der Befreiung eines Volkes, sichtlich durch den Mauerfall. Der Volkstrauertag - ein Gedenktag zur Erinnerung an Kriegsopfer und Opfer von Gewaltherrschaft.

Die Ausstellung zeigt, wie notwendig und wie immer noch wichtig es ist, die Geschichte der SED aufzuarbeiten und sie darzustellen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Auch unter dem Kontext dieser Ausstellung können wir begreifen, warum die Menschen 1989 auf die Straßen gegangen sind, warum sie Freiheit einforderten und warum sie die Befreiung von der Diktatur des Proletariats begangen.

Wenn wir der Opfer der Gewaltherrschaft gedenken, dann sind dies nicht nur die Opfer der Gewaltherrschaft bis 1945, sondern auch die Opfer anderer Diktaturen. Die Opfer dieser Diktaturen müssen oft erst erkannt werden, benannt werden und vor allen Dingen immer noch anerkannt werden.

Dazu geben wir mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Landesbeauftragten nicht nur einen neuen Namen, sondern die konkrete Aufgabe. Ich zitiere aus § 3 des Gesetzentwurfes: